Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübereignung nach § 75 AO
Leitsatz (NV)
Eine Betriebsübereignung nach § 75 AO liegt nicht vor, wenn bei Einstellung des früheren Betriebs wesentliche Betriebsgrundlagen teils im Sicherungseigentum, teils im Vorbehaltseigentum Dritter gestanden haben und von diesen nach der Eröffnung des späteren Betriebs an den neuen Betriebsinhaber veräußert worden sind.
Normenkette
AO 1977 § 75
Tatbestand
Der Einzelunternehmer F unterhielt einen Glasereibetrieb, den er Anfang März 1977 wegen Liquiditätsschwierigkeiten einzustellen gezwungen war. In der letzten Bilanz dieses Betriebs waren unter Anlagevermögen u. a. angesetzt: Werkstattausbau . . . DM, Geschäftsausstattung . . . DM, Kraftfahrzeug . . . DM; unter Umlaufvermögen war u. a. angesetzt: Warenbestand . . . DM. Die Geschäftsausstattung hatte der Einzelunternehmer F dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 1. Februar 1977 zur Sicherung von Honoraransprüchen übereignet, der Warenbestand stand unter Eigentumsvorbehalt des Lieferanten, der Firma G.
Am 20. April 1977 wurde ein Gesellschaftsvertrag für eine Glaserei F-GmbH - die Klägerin - geschlossen.
In Vollzug dieses Vertrages wurde die Klägerin am 26. Januar 1978 in das Handelsregister eingetragen.
Im Jahr 1978 veräußerte der Sicherungsnehmer die Geschäftsausstattung zum Preis von . . . DM zuzüglich Mehrwertsteuer an die Klägerin. Der Warenbestand wurde von der Firma G an die Klägerin verkauft. In der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1977 war die Geschäftsausstattung nicht angesetzt, in der Bilanz zum 31. Dezember 1978 hingegen mit . . . DM mit der Erläuterung: ,,Zugang 1978, diverse GWG`s aus Sicherungsübereignungsvereinbarung".
Wegen rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen November 1976 bis März 1977 des Einzelunternehmers F nahm das FA die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 31. August 1978 in Form der Einspruchsentscheidung vom 30. März 1979 in Höhe von . . . DM als Haftungsschuldner in Anspruch.
Die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheides erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Haftungsinanspruchnahme bestehe zu Recht, da die Klägerin von dem Einzelunternehmer F die wesentlichen Betriebsgrundlagen seines Unternehmens übernommen habe. Dies gelte auch hinsichtlich der Geschäftsausstattung und des Warenbestandes. Denn auch im Sicherungseigentum bzw. Vorbehaltseigentum eines Dritten stehende Betriebsgrundlagen seien i. S. von § 75 AO 1977 an den Erwerber übereignet, wenn dieser in vollem Umfang in die Rechte des Sicherungsgebers bzw. Vorbehaltskäufers einrücke und wirtschaftlicher Eigentümer der fraglichen Gegenstände geworden sei. Dies sei dann der Fall, wenn der Erwerber die Sicherheiten ablöse oder übernehme oder die Anwartschaftsrechte aus dem Kauf unter Eigentumsvorbehalt erwerbe. So liege hier der Fall.
Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter. Sie rügt unrichtige Anwendung von § 75 AO 1977.
Während des Revisionsverfahrens wurde die Klägerin am 23. Juli 1987 aufgrund § 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften (Löschungsgesetz - LöschG -) von Amts wegen im Handelsregister gelöscht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
. . .
In der Sache selbst ist der Streitfall nach § 75 AO 1977 zu beurteilen, weil der haftungsbegründende Tatbestand, falls vorliegend, nach dem 31. Dezember 1976 verwirklicht wäre (vgl. § 11 von Art. 97 EGAO 1977). Seine Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt.
1. Die Übereignung eines Unternehmens bedeutet nach dieser Vorschrift den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d. h. der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann. Gehören zu den wesentlichen Grundlagen des Unternehmens des Steuerschuldners in dessen Eigentum stehende bewegliche Sachen oder Grundstücke, so müssen diese zur Erfüllung der haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 75 AO 1977 nach den Vorschriften des BGB an den Erwerber übereignet werden (vgl. Urteil des BFH vom 16. März 1982 VII R 105/79, BFHE 135, 239, BStBl II 1982, 483). Wesentlich ist es, daß das Unternehmen aus einer Hand in die Hand eines anderen übergeht (vgl. Urteile des BFH vom 3. Oktober 1963 V 50/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 19, und vom 20. Juli 1967 V 240/64, StRK, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 24). Maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens auf den Erwerber übergegangen sind, ist derjenige der Übereignung (vgl. auch v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 116 AO Anm. 5; Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 3 d - S. 189 -; BFH-Urteil vom 25. November 1965 V 173/63 U, BStBl III 1966, 333).
2. Im Streitfall bestanden - wie das FG zu Recht festgestellt hat - die wesentlichen beweglichen Betriebsgrundlagen der Einzelfirma F. (Bilanz per 31. Dezember 1975) in einem Kraftfahrzeug, der Geschäftsausstattung (Inventar) und dem Warenbestand. Davon war die Geschäftsausstattung nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) von dem Einzelunternehmer F. an den Prozeßbevollmächtigten zur Sicherung übereignet worden. Der Warenbestand stand unter Eigentumsvorbehalt des Lieferanten G. Diese Gegenstände haben der Prozeßbevollmächtigte und G nach der Errichtung der Klägerin (26. Januar 1978), also erst im Jahre 1978, an sie veräußert. Geschäftsausstattung und Warenbestand sind also - und zwar im vollen Umfang - von jeweils verschiedenen Rechtspersonen auf die Klägerin übereignet worden. Schon aus diesem Grund fehlt es an einem Übergang der sämtlichen Betriebsgrundlagen aus einer Hand (derjenigen der Firma F) in eine andere (diejenige der Klägerin). Der sachenrechtliche Ausgangspunkt des § 75 AO 1977, der - wie ausgeführt - für die Anwendung dieser Vorschrift maßgebend ist, ist hier somit nicht gegeben.
Auch im Blick auf den für die Betriebsübereignung maßgeblichen Zeitpunkt kann ein einheitlicher Übergang von einer Hand in die andere nicht bejaht werden. Stellt man hierbei auf die Gründung der - zunächst - errichteten Vorgesellschaft (der unmittelbaren Nachfolgerin der Einzelfirma F) am 20. April 1977 ab, so fehlt es an der Übereignung der Geschäftsausstattung und des Warenbestandes. Wird hingegen auf deren Übernahme im Jahre 1978 - also viele Monate später - abgestellt, so liegt die Sache insofern umgekehrt, als sich andere Teile des Anlagevermögens (Werkstattausbau und Kraftfahrzeug) damals längst in der Hand der Klägerin bzw. ihrer Vorgängerin, der am 20. April 1977 errichteten Vorgesellschaft, befanden. Beide Vorgänge können selbst unter Berücksichtigung der Auffassung, daß eine Übertragung eines Unternehmens im Ganzen nach § 75 AO 1977 unter bestimmten Voraussetzungen auch in Teilakten möglich ist - vgl. das genannte Urteil in BFHE 135, 239, BStBl II 1982, 483, dritter Absatz a. E. - hier nicht als einheitlicher Übertragungsakt behandelt werden. Dazu ist der zeitliche Abstand zwischen der Gründung der Vorgesellschaft (20. April 1977) und dem Erwerb der Geschäftsausstattung sowie des Warenbestandes durch die Klägerin im Jahre 1978 zu groß.
Es ist zwar richtig, daß grundsätzlich auch im Sicherungseigentum oder unter Eigentumsvorbehalt stehende Gegenstände im Sinn von § 75 AO 1977 übereignet werden können, wenn der Erwerber vollen Umfangs in die Rechte des Sicherungsgebers (Vorbehaltskäufers) einrückt und wirtschaftlicher Eigentümer des Sicherungsgutes (Vorbehaltsgutes) wird (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 8 zu § 75 AO 1977 S. 65 Mitte). So liegt der Fall hier aber bei dem Inventar und dem Warenbestand nicht. Denn diese Gegenstände sind nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG von dem ursprünglichen Sicherungsnehmer und dem Vorbehaltsverkäufer als den Eigentümern an die Klägerin veräußert worden, und zwar in großem zeitlichen Abstand von der Einstellung des Einzelunternehmens F. (8. März 1977) bzw. der Gründung der Vorgesellschaft (20. April 1977). Es hat sich hierbei um sachenrechtlich und wirtschaftlich eigenständige Erwerbsvorgänge gehandelt. Dies zeigt sich auch darin, daß die Geschäftsausstattung unter Inrechnungstellung von Mehrwertsteuer an die Klägerin verkauft wurde. Dem entsprach schließlich die Bilanzierung. Die Geschäftsausstattung ist in der Bilanz zum 31. Dezember 1977 noch nicht aufgeführt, sondern erst in der Bilanz zum 31. Dezember 1978 (mit 2 000 DM), und zwar mit der Erläuterung ,,Zugang 1978, diverse GWG`s aus Sicherungsübereignungsvereinbarung F/StB". Hieraus ist ersichtlich, daß die Klägerin die Geschäftsausstattung bilanzmäßig zutreffend als erstmals im Jahre 1978 angeschafft behandelt hat, was im übrigen auch für den Warenbestand gilt.
3. Fehlt es aber, wie dargetan, hinsichtlich wesentlicher Betriebsgrundlagen an den Voraussetzungen des § 75 AO 1977, so kann die Frage, welche Bedeutung dem Fehlen eines Mietverhältnisses der Klägerin mit dem Grundstückseigentümer beizumessen wäre - die Klägerin nutzte das Betriebsgrundstück als Untermieter des früheren Unternehmers F - und ob bei der Einstellung des Einzelunternehmens noch ein lebender Betrieb vorhanden war, auf sich beruhen.
4. Das Urteil des FG, das zu einem anderen Ergebnis gelangt, ist somit aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung vom 30. März 1979 ist aufzuheben.
Fundstellen