Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wurden einer freien Verbindung Verlobter nach dem Tode des einen Teils von ihnen gemäß dem Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter die Rechtswirkungen einer gesetzlichen Ehe zuerkannt, so ist die ohne Berücksichtigung der gesetzlichen Ehe gegen den erbenden Verlobten ergangene Erbschaftsteuerfestsetzung gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG zu berichtigen.
Normenkette
StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2
Tatbestand
Der Bf. ist laut Testament Alleinerbe der am 8. Dezember 1942 verstorbenen Frau A. geworden. Der Bf. lebte mit der Erblasserin, seiner Verlobten, bis zu deren Tode in freier Lebensgemeinschaft. Die Genehmigung zur Eheschließung war der Erblasserin und dem Bf. versagt worden, da die Erblasserin im Sinne der Nürnberger Gesetze sogenannter Mischling ersten Grades war (- sie hatte eine jüdische Mutter -). Das Finanzamt hat durch Steuerbescheid vom 8. Februar 1945 den Bf. als mit der Erblasserin nicht verwandt nach Steuerklasse V zur Erbschaftsteuer herangezogen. Die Erbschaftsteuer ist voll bezahlt worden. Durch Anordnung des Justizministers des Landes X. vom 12. Februar 1951 sind der Verbindung des Bf. und der Erblasserin gemäß § 1 des Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23. Juni 1950 (BGBl 1950 S. 226) die Rechtswirkungen einer gesetzlichen Ehe zuerkannt worden. Als Tag, der als Tag der Eheschließung zu gelten hat, ist in der Anordnung der 1. Januar 1936 festgesetzt worden. Der Bf. hat durch Schreiben vom 12. März 1951 beim zuständigen Erbschaftsteuerfinanzamt beantragt, den Erbschaftsteuerbescheid durch Anwendung des Steuersatzes der Steuerklasse I auf den Erwerb des Bf. zu berichtigen und den überzahlten Steuerbetrag zu erstatten. Das Finanzamt hat diesen Berichtigungsantrag entsprechend einer Weisung durch die vorgesetzte Behörde abgelehnt. Die vom Bf. gegen die Ablehnung seines Berichtigungsantrags mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts eingelegte Sprungberufung ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die Rb. des Bf.; er ist nach Einlegung der Rb. verstorben.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Der früher für die Erbschaftsteuer zuständig gewesene III. Senat des Bundesfinanzhofs hat in seinem Urteil III 179/53 S vom 25. Juni 1954 (BStBl 1954 III S. 239, Slg. Bd. 59 S. 81) anerkannt, daß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) Platz greift, wenn nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit ein für die Entstehung der Erbschaftsteuerschuld maßgebendes Besteuerungsmerkmal wegfällt; er hat infolgedessen Erbschaftsteuererstattung bei Rückfall von Nachlaßvermögen rassisch Verfolgter zugebilligt. Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung bei; der gleiche Grundsatz muß folgerichtig auch gelten, wenn ein die Höhe der Erbschaftsteuer beeinflussendes Merkmal nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit wegfällt. Daß sich im übrigen der erwähnte Fall des Urteils III 179/53 S von dem vorliegenden Fall unterscheidet, ist ohne Belang. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat es in seinem Urteil IV 272/51 U vom 7. Oktober 1954 (BStBl 1954 III S. 360, Slg. Bd. 59 S. 390) für den Sonderfall der Rückbeziehung der Wirkungen einer Eheschließung nach dem Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter dahingestellt sein lassen, ob ein in diesem Sonderfall erhobener Anspruch auf Erstattung von Lohnsteuer gemäß § 4 StAnpG zurückzuweisen wäre, hat also jedenfalls bei Anwendbarkeit des § 4 StAnpG nicht verneint. Wenn der IV. Senat in seinem Urteil aber weiter ausführt, das Gesetz zur Anerkennung freier Ehen rassich und politisch Verfolgter sei nach seinem Sinn und Zweck nicht zur Geltendmachung steuerlicher Erstattungsansprüche bestimmt, so kann der erkennende Senat dem mindestens in dieser Allgemeinheit nicht beipflichten, da jedenfalls für das Gebiet der Erbschaftsteuer die Rechtslage anders ist. Das Gesetz ist nach seiner Begründung (Drucksache Nr. 699 des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode 1949) dazu bestimmt, die auf familienrechtlichem Gebiet hervorgerufenen Nachteile auszugleichen. Aus diesem Grundsatz ergibt sich folgerichtig, daß im Falle der sogenannten postmortalen Eheschließung des § 1 Abs. 1 des genannten Gesetzes die Rechtswirkungen der Ehe auch für die erbrechtlichen Ansprüche beider Teile der freien, nachträglich legalisierten Verbindung eintreten (vgl. a. a. O. S. 5 zu § 1 unter a Abs. 2). Da, wie der erkennende Senat in Fortführung der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs durch Urteil II 254/57 U vom 30. Juni 1960 (BStBl 1960 III S. 348) ausgesprochen hat, das Erbschaftsteuerrecht auf dem Erbrecht des BGB aufgebaut ist, müssen die erbrechtlichen Wirkungen des Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter auch das erbschaftsteuerliche Ergebnis beeinflussen. übrigens lassen die Ausführungen der Begründung des Gesetzes für die Fälle nachgeholter Eheschließung (a. a. O. S. 6 zu § 1 unter b Abs. 1) außerdem erkennen, daß dem Gesetz nur die Beseitigung unerheblicher steuerlicher Nachteile fremd ist. Diese Rechtslage hat die angefochtene Entscheidung verkannt. Es trifft auch nicht zu, daß sich, wie die Vorinstanz meint, § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG nur auf bedingte Steuerschulden beziehe. Vielmehr gilt § 4 Abs. 3 StAnpG gerade nicht für bedingte Steuerschulden, die ja schon in § 4 Abs. 2 StAnpG geregelt sind, sondern nur für die in § 4 Abs 3 bezeichneten anderen Fälle, die nicht zu den Fällen der bedingten Steuerschuld gehören (vgl. in § 4 Abs. 3 die Worte "Entsprechendes gilt"). Hiernach ist die angefochtene Entscheidung wegen Rechtsirrtums aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Durch die Anordnung des Justizministers des Landes X. vom 12. Februar 1951 sind der freien Verbindung des Bf. mit der Erblasserin nachträglich, und zwar mit Wirkung ab 1. Januar 1936, die rechtlichen Wirkungen einer gesetzlichen Ehe zuerkannt. Hierdurch ist das Merkmal der fehlenden ehelichen Verbindung des Bf. als Erwerbers im Verhältnis zur Erblasserin, dessen Vorliegen § 9 des Erbschaftsteuergesetzes für die Entstehung einer Steuerschuld nach Steuerklasse V fordert, nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen. Der Erbschaftsteuerbescheid wird deshalb gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG berichtigt und die Erbschaftsteuer in Steuerklasse I nach einem Reinerwerb von 876.280 RM und einem Freibetrag von 30.000 RM auf 9 v. H. von 846.280 RM = 76.165,20 RM festgesetzt.
Hierdurch ist nunmehr der Weg frei für die Durchführung der Steuererstattung. Ihr wird § 14 des Umstellungsgesetzes vom 20. Juni 1948 - Amtliches Mitteilungsblatt der Verwaltung für Finanzen 1948 S. 31 - nicht entgegenstehen, da nach Vornahme der Berichtigung des Steuerbescheids nicht ein Steuererstattungsanspruch gegen das Reich, sondern ein solcher gegen das Land Y. anzunehmen sein wird.
Fundstellen
Haufe-Index 409926 |
BStBl III 1961, 77 |
BFHE 1961, 203 |
BFHE 72, 203 |