Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Steuerliche Betriebsprüfung
Leitsatz (amtlich)
Wer die Rechtsmittelfrist kennt, aber von dem Rechtsmittel keinen Gebrauch gemacht hat, weil er den anzugreifenden Steuerbescheid irrtümlich für richtig gehalten hat, hat nicht über die Rechtsmittelfrist, sondern über materielles Recht geirrt und kann sich auf die Möglichkeit der Nachsichtgewährung nicht berufen.
Das Finanzamt ist im allgemeinen nicht verpflichtet, einen Steuerpflichtigen, der den Antrag auf Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns nicht gestellt hat, auf die Möglichkeit der Antragstellung hinzuweisen.
Normenkette
AO § 86; FGO § 56; AO § 204
Tatbestand
Der Bf. ist als Komplementär an einer KG beteiligt. Er ist für das Jahr 1953 seiner Einkommensteuer-Erklärung entsprechend rechtskräftig veranlagt worden. Eine Steuervergünstigung für nicht entnommenen Gewinn ist weder beantragt noch bewilligt worden. Eine nach der Veranlagung bei der KG durchgeführte Betriebsprüfung hat zu einer Erhöhung des auf den Bf. entfallenden Gewinnanteils geführt. Die Veranlagung des Bf. ist dementsprechend berichtigt worden. Der an den Bf. am 7. November 1956 abgesandte Bescheid ist rechtskräftig.
Am 19. November 1957 stellte der Bf. den Antrag, ihm für das Jahr 1953 die Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn zu gewähren. Hierbei wies er darauf hin, daß er die einheitliche Gewinnfeststellung für das Jahr 1953 (Bescheid vom 14. Februar 1957) angegriffen habe und daß eine änderung des festgestellten Gewinns auch zu einer änderung des nicht entnommenen Gewinns führen müsse. Weder in diesem noch in dem ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheid waren Feststellungen über die Höhe der Einlagen und Entnahmen enthalten. Am 22. März 1958 wurde der Einspruch gegen den Feststellungsbescheid zurückgenommen.
Das Finanzamt, das den Antrag des Bf. auf Gewährung der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn als Einspruch gegen den berichtigten Einkommensteuerbescheid auffaßte, verwarf den Einspruch als unzulässig. Gründe für Nachsichtgewährung hielt es nicht für gegeben. Der Bf. habe die von einem Steuerberater vorbereitete Einkommensteuer-Erklärung selbst unterschrieben. Die Frage nach dem Antrag auf Gewährung der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn sei mit einem Strich beantwortet. Es sei des Bf. oder seines Steuerberaters Schuld, wenn der Antrag trotz des Hinweises durch den Erklärungsvordruck nicht gestellt sei. Der Betriebsprüfer sei nicht verpflichtet gewesen, auf die Möglichkeit, diesen Antrag zu stellen, hinzuweisen.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Der Bf. hätte, so führt das Urteil des Finanzgerichts aus, den berichtigten Einkommensteuerbescheid ohnehin nur wegen der 650 DM Mehrsteuer anfechten können, die dieser Bescheid gegenüber der durch den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid rechtskräftig festgesetzten Einkommensteuer ergeben habe. Der Einspruch sei jedoch zu Recht als unzulässig verworfen worden. Für eine Nachsichtgewährung bestehe kein Grund. Von einer unverschuldeten Fristversäumung sei keine Rede. Den Fehler, den der Bf. durch die nicht rechtzeitige Antragstellung begangen habe, müsse er sich selbst zuschreiben. Daß er durch einen Steuerberater vertreten gewesen sei, könne ihn nicht entlasten, weil er den Fehler des Steuerberaters gegen sich gelten lassen müsse. Für den Betriebsprüfer habe kein Grund bestanden, ihn auf die Antragsmöglichkeit hinzuweisen, zumal für die Folgejahre auch an die Möglichkeit der Nachversteuerung zu denken gewesen sei.
Mit seiner Rb. wehrt sich der Bf. gegen die Nichtgewährung der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1953. Wenn überhaupt, so macht er geltend, von einem Fehler gesprochen werden könne, so liege dieser nicht bei ihm, sondern bei seinem Steuerberater. Auf die Sachkunde des Steuerberaters habe er sich verlassen können. Der Steuerberater habe bei der Aufstellung der Einkommensteuer- Erklärung nur mitgewirkt, sei also nicht sein Bevollmächtigter gewesen. Das bedeute aber, daß ihm das Verschulden des Steuerberaters nicht zugerechnet werden könne. Er machte zwar weder dem Finanzamt noch dem Betriebsprüfer einen Vorwurf. Wenn diese aber die Möglichkeit der Antragstellung übersehen hätten, so könne ihm das übersehen noch viel weniger zum Vorwurf gemacht werden. Entscheidend sei, daß ihm die Vergünstigung zustehe und daß sie ihm aus rein formalen Gründen nicht gewährt werde. Wie sich die Vergünstigung wegen der Möglichkeit der Nachversteuerung in den Folgejahren auswirke, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Unlogisch sei es, wenn das Finanzgericht den Streitwert auf 6.700 bis 6.800 DM festgestellt habe, obwohl er, wie das Finanzgericht ausgeführt habe, bestenfalls nur eine Ermäßigung der Einkommensteuer um 650 DM hätte erreichen können.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Daß die Vorinstanzen ebenso wie der Bf. den Antrag auf Gewährung der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn bei der Veranlagung für das Jahr 1953 als Einspruch gegen den berichtigten Einkommensteuerbescheid aufgefaßt haben, begegnet keinen Bedenken. Wenn die Frage, in welcher Höhe Entnahmen und Einlagen gemacht worden sind, bei einer Mehrheit von Beteiligten auch in dem Verfahren zur einheitlichen Feststellung des Gewinns zu prüfen ist (vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs IV 442/54 U vom 9. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 67, Slg. Bd. 62 S. 180, und I 299/55 U vom 29. Mai 1956, BStBl 1956 III S. 188, Slg. Bd. 62 S. 504), so betrifft doch der Antrag auf Gewährung der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn die Einkommensteuerveranlagung des einzelnen Beteiligten selbst. Wie die Vorinstanzen zu Recht festgestellt haben, ist der Einspruch verspätet. Insbesondere ist auch die Ablehnung der Nachsicht nicht zu beanstanden.
Nachsichtgewährung setzt unverschuldete Fristversäumung voraus (vgl. § 86 AO). Hat der Steuerpflichtige über die Frist geirrt, so kann ihm bei unverschuldetem Irrtum Nachsicht gewährt werden, aus welchen Gründen auch immer er zu dem Irrtum gekommen sein mag. Immer aber ist Voraussetzung, daß der Irrtum die Rechtsmittelfrist selbst betrifft. Wer die Rechtsmittelfrist kennt, aber von dem Rechtsmittel keinen Gebrauch gemacht hat, weil er die Veranlagung (den anzugreifenden Steuerbescheid) irrtümlich für richtig gehalten hat, hat nicht über die Rechtsmittelfrist, sondern über materielles Recht geirrt und kann sich auf die Möglichkeit der Nachsichtgewährung nicht berufen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs, daß ein Irrtum über die Rechtslage keinen Grund für Nachsichtgewährung bietet (vgl. hierzu insbesondere das Urteil des Bundesfinanzhofs II 14/58 U vom 7. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 337, Slg. Bd. 67 S. 172, nach dem mangelnde Kenntnis einer Befreiungsvorschrift keine "Verhinderung" an der rechtzeitigen Einlegung eines Rechtsmittels darstellt). Nicht anders aber liegt es in dem vorliegenden Fall, in dem der Bf. die Rechtsmittelfrist durchaus kannte, aber von dem Rechtsmittel keinen Gebrauch machte, weil er, aus welchen Gründen auch immer, die Möglichkeit, die Gewährung der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn zu beantragen, übersah.
Unter diesen Umständen kann es dahingestellt bleiben, ob das übersehen der Antragsmöglichkeit auf einem Verschulden des Bf. oder seines Steuerberaters beruht und ob dessen Verschulden dem Bf. zuzurechnen ist. Auch wenn den Bf. kein Verschulden trifft und ihm ein etwaiges Verschulden des Steuerberaters nicht zuzurechnen wäre, kann doch, wie ausgeführt, Nachsicht nicht gewährt werden. Nur weil das Finanzgericht auf die Frage eingegangen ist, ob der Betriebsprüfer auf die Möglichkeit der Antragstellung hätte hinweisen müssen, und der Bf. von einer Aufklärungspflicht des Finanzamts sowohl wie des Betriebsprüfers spricht, sei zu diesem (nach den vorstehenden Ausführungen hier an sich unerheblichen) Punkt festgestellt, daß der Senat mit dem Finanzgericht der Auffassung ist, daß es gegenüber einer völlig, insbesondere also auch hinsichtlich der Frage nach dem Vergünstigungsantrag ausgefüllten Steuererklärung nicht Sache des Finanzamts oder des Betriebsprüfers ist, noch die Möglichkeit der Antragstellung zu erörtern, auch wenn das Finanzamt oder der Betriebsprüfer grundsätzlich verpflichtet sind, Zweifelspunkte - aber auch nur diese! - nicht bloß zuungunsten, sondern auch zugunsten des Steuerpflichtigen zu klären. Das Finanzamt, das wie jede staatliche Behörde nicht nur den Interessen des Staates, sondern auch denen des Staatsbürgers dient, hat den Steuerpflichtigen dort, wo es auf einen zwar eindeutig erklärten, aber sich für den Steuerpflichtigen offensichtlich ungünstig auswirkenden Antrag stößt, auf diese Auswirkung ebenso aufmerksam zu machen wie auf die ungünstige Auswirkung einer unterlassenen Antragstellung, wenn es erkennt, daß der Steuerpflichtige eine ihm günstige Antragsmöglichkeit offensichtlich übersehen hat. Es kann aber ebenso selbstverständlich, zumal im Hinblick auf die von den Finanzämtern im Interesse aller Steuerpflichtigen zu bewältigende Massenarbeit und nicht zuletzt auch wegen des Widerspruchs zu der berechtigten Forderung nach Kleinhaltung des Beamtenapparats, nicht Aufgabe des Finanzamts sein, bei Prüfung der Steuererklärungen auch darauf zu achten, ob der Steuerpflichtige jede sich ihm bietende Möglichkeit, Steuern zu sparen, ausgenutzt hat. Das Finanzamt kann und muß davon ausgehen, daß der Steuerpflichtige seine Steuererklärung gewissenhaft ausfüllt und hierbei in seinem ureigensten Interesse auf die Wahrnehmung der ihm günstigen Möglichkeiten selber achtet. So wird sich die Pflicht, auf einen unterlassenen Antrag hinzuweisen, für das Finanzamt im allgemeinen nur dort ergeben, wo der Steuerpflichtige offensichtlich nicht "im Bilde ist" und der Antrag "gewissermaßen in der Luft liegt". Hiervon kann aber bei dem Antrag auf Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns schon deswegen keine Rede sein, weil der Antrag wegen der etwaigen Nachversteuerungspflicht nicht eindeutig nur Vorteile bietet. Es kommt hinzu, daß in der dem Steuererklärungsvordruck beigegebenen Anleitung auf die Möglichkeit, Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns zu beantragen, ausdrücklich hingewiesen ist.
Zu Unrecht rügt der Bf. auch die Höhe des Streitwerts. Nicht das, was der Bf. bestenfalls hätte erreichen können, sondern das, was beantragt worden ist, ist für die Höhe des Streitwerts maßgebend. Während für die Rechtsbeschwerdeinstanz davon ausgegangen werden konnte, daß nur eine Ermäßigung der Einkommensteuer um 650 DM angestrebt wurde, mußten die Vorinstanzen, wie geschehen, den weitergehenden Antrag zugrunde legen.
Fundstellen
Haufe-Index 409602 |
BStBl III 1960, 178 |
BFHE 1960, 474 |
BFHE 70, 474 |