Leitsatz (amtlich)
1. ...
2. ...
2. Zur gerichtlichen Nachprüfung von Ermessensentscheidungen.
2. Zur Übernahme von Feststellungen des Strafgerichts durch das FG.
Normenkette
GG Art. 12; BrMonG § 45; BrMonG § 51a Abs. 1a, 1 n. F; StGB § 421; FGO § 76 Abs. 1, § 81
Gründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Kläger hat gerügt, daß das FG die Feststellungen des Landgerichts in dessen Urteil lediglich übernommen und es unterlassen habe, eigene Feststellungen zu treffen. Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen; für die Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 FGO). Diese Grundsätze können jedenfalls dann nicht verletzt sein, wenn die Tatsachen, auf die es ankommt, bereits in einem Strafverfahren rechtskräftig festgestellt worden sind, die Beteiligten diese tatsächlichen Feststellungen als zutreffend anerkennen und für das Gericht kein Grund besteht, gleichwohl eine weitere Aufklärung vorzunehmen. In einem solchen Falle genügt es, daß das FG sich die Feststellungen des Strafurteils zu eigen macht. Dies hat das FG im Streitfall dadurch getan, daß es auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Berlin Bezung genommen und erklärt hat, daß schon ein Bruchteil der im Strafverfahren festgestellten Tatsachen genüge, die Unzuverlässigkeit des Klägers darzutun. Nachdem das Urteil des Landgerichts vorlag, waren die Beteiligten von der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts auch im Verfahren vor dem FG ausgegangen und hatten lediglich die Unterschiede zu den der Untersagungsverfügung zugrunde liegenden Tatsachen erörtert. Diese bestanden insbesondere darin, daß das Landgericht nicht die Richtigkeit des letzten Abschnitts des Tatsachenvorwurfs in der Verfügung der OFD (Bezug von 3 555,6 1 Kornbranntwein von der Firma W.) festgestellt hatte, ferner daß die in den vorhergehenden Abschnitten enthaltenen Angaben über die Branntweinmengen nicht in vollem Umfang zutrafen. Ein Grund dafür, daß das FG von sich aus hätte eine weitere Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht vornehmen müssen, ist unter diesen Umständen nicht ersichtlich.
Da der Tatbestand, der der Beschwerdeentscheidung zugrunde lag, später nicht voll durch das Landgericht festgestellt worden war, hatte sich das FG mit der Frage auseinanderzusetzen, ob deshalb die ausgesprochene Gewerbeuntersagung teilweise oder auch in vollem Umfang unrechtmäßig und daher aufzuheben war. Das FG hat zwar gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 51a Abs. 1 BrMonG a. F. keine Bedenken, legt aber die Vorschrift "verfassungskonform" dahin aus, daß die Untersagungsverfügung der OFD der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliege. Im Streitfall kann dahinstehen, ob die damalige Untersagungsbefugnis "auf Dauer" in Einklang mit Art. 12 GG stand und dem Ermessen einer Verwaltungsbehörde überlassen werden konnte. Denn die Untersagungsverfügung der OFD war auf die Dauer von fünf Jahren beschränkt entsprechend der wenig später erfolgten Änderung des § 51a Abs. 1 Satz 1 BrMonG durch das Zweite Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze (2. AOStrafÄndG) vom 12. August 1968 (BGBl I, 953, BStBl I 1968, 1062), gegen die keine verfassungsmäßigen Bedenken bestehen. In seiner in den EFG 1969, 581 veröffentlichten Entscheidung vertritt das FG trotz des Wortlauts in § 51a Abs. 1 Satz 1 BrMonG a. F. "kann der Oberfinanzpräsident auf Zeit oder auf Dauer untersagen" unter Hinweis auf den Beschluß des BVerfG vom 8. Juni 1960 (BVerfGE 11, 168), die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) vom 18. Februar 1955 (Verwaltungsrechtsprechung VII Nr. 220 S. 962) und des BVerwG vom 4. Oktober 1962 (NJW 1963, 122) sowie die Ausführungen von Rupp "Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre 1965" S. 203, 204 die Auffassung, daß das unter Gesetzesvorbehalt stehende Grundrecht der freien Berufsausübung des Art. 12 GG seinem Umfang nach nicht vom jeweiligen Ermessen der Verwaltung abhängig sein könne und deshalb bei verfassungskonformer Auslegung des § 51a Abs. 1 BrMonG der gerichtlichen Nachprüfung nicht entzogen werden könne. Was zunächst die richterliche Prüfung betrifft, so ist diese auch bei Ermessensentscheidungen dadurch gegeben, daß das Gericht nach § 102 FGO prüft, ob der Verwaltungsakt wegen Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch rechtswidrig ist. Jede Ermessensentscheidung ist daher, wenn auch nicht in vollem Umfang, nachprüfbar. Ist der Verwaltung im Gesetz ein Ermessensspielraum eingeräumt, so kann nicht das FG diesen Spielraum selbst ausfüllen, indem es eine der möglichen Entscheidungen anstelle der Verwaltung trifft. Dies würde dem Grundsatz der Gewaltenteilung sowie der betreffenden gesetzlichen Ermächtigung und damit dem Gesetz widersprechen.
In § 51a Abs. 1 Satz 1 BrMonG a. F. hatte der Gesetzgeber der OFD hinsichtlich der Gewerbeuntersagung unter bestimmten Voraussetzungen einen Spielraum belassen. Sie konnte das Verbot auf Zeit oder auf Dauer aussprechen. Ferner konnte sie im Fall eines zeitlichen Verbots die Dauer der Gewerbeuntersagung bestimmen. Voraussetzung war, daß Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Betreffenden zum Betrieb eines Branntweingewerbes dartun. Insoweit hatte der Gesetzgeber das Berufsverbot nicht dem nicht nachprüfbaren Ermessen der Verwaltung überlassen, wie etwa im Fall des vom FG angezogenen Urteils des BVerwG vom 4. Oktober 1962. Auch die übrigen Hinweise des FG betreffen jedenfalls nicht die hier einschlägige Frage, ob eine Untersagungsverfügung gerichtlich in vollem Umfang nachgeprüft werden kann.
Das FG hätte daher prüfen müssen, ob in der Gewerbeuntersagung auf die Dauer von fünf Jahren im Hinblick auf die dem Kläger zur Last fallenden Verfehlungen ein Ermessensfehlgebrauch zu sehen ist. Infolge der von ihm angenommenen vollen gerichtlichen Nachprüfungspflicht hat das FG jedoch seine Entscheidung vor allem auf die im Urteil des Landgerichts aufgeführten Vorstrafen des Klägers in den letzten 15 Jahren gestützt und daraus die Befürchtung hergeleitet, daß er sich im Falle einer Berufsausübung im Branntweingewerbe in den nächsten, auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Untersagungsverfügung folgenden fünf Jahren als unzuverlässig im Sinn des § 51a Abs. 1 BrMonG erweisen würde. Die Vorstrafen durfte das FG aber schon deshalb nicht als Grund für die Gewerbeuntersagung heranziehen, weil darauf weder die Verfügung der OFD noch die Beschwerdeentscheidung des BdF gegründet waren. Diese Ermessensentscheidungen waren nur daraufhin zu prüfen, ob die Behörden von einem einwandfrei und erschöpfend festgestellten Sachverhalt ausgegangen und aufgrund dessen ohne Ermessensfehler zu der von ihnen getroffenen Entscheidung gelangt sind. Stellt aber ein Gericht von sich aus andere Gründe fest und zieht es diese nachträglich zur Rechtfertigung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung heran, so greift es damit zu Unrecht in die Ermessensbefugnis der Verwaltungsbehörde ein (vgl. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO; von Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 100 FGO Anm. 17; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 113 Anm. 29). Im übrigen scheiden im Streitfall die Vorstrafen als Maßstab für die Unzuverlässigkeit des Klägers aus, weil sie nicht einschlägig im Sinn des § 51a Abs. 1 Satz 2 BrMonG sind.
Fundstellen
Haufe-Index 413161 |
BStBl II 1972, 544 |
BFHE 1972, 220 |