Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Steuerliche Förderungsgesetze Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Selbstbindung des Bundesfinanzhofs an seine im ersten Rechtsgange vertretene Rechtsauffassung gilt dann nicht, wenn vor der Entscheidung im zweiten Rechtsgange das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung nicht gebilligt hat.
Ist in der Zeit zwischen der Einbringung des Regierungsentwurfes zum LAG im Bundestage und dem 1. Januar 1952 eine Umstellungsgrundschuld abgelöst worden, so liegt in der Ablehnung eines Antrages auf Gewährung der Ablösungsvergünstigung nach dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1955 IV C/5 - LA 2611 - 11/55 (BStBl 1955 I S. 616) eine Ermessensverletzung.
Bei den auf Grund des § 203 Abs. 5 LAG ergangenen Verwaltungsanordnungen und Erlassen des Bundesministers der Finanzen handelt es sich um Richtlinien zur Gesetzesanwendung für die nachgeordneten Finanzbehörden. Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof sind an solche verwaltungsinternen Weisungen nicht gebunden, sondern haben selbständig über ihre Vereinbarkeit mit dem GG und mit den Gesetzen zu urteilen.
Normenkette
AO § 296 Abs. 4; FGO § 126/5; HypSichDV § 5 Abs. 1; LAG §§ 199, 203 Abs. 5; AO § 131
Tatbestand
Der Streitfall befindet sich im zweiten Rechtsgange. Es handelt sich um die Erstattung eines mit der Abgabeschuld verrechneten Ablösungsbetrages aus Umstellungsgrundschulden in Höhe der Ablösungsvergünstigung im Billigkeitswege.
Das Finanzgericht hatte einen Ermessensmißbrauch darin gesehen, daß die Verwaltungsbehörden den Erlaßantrag trotz der nachgewiesenen wirtschaftlichen Notlage des Bg. abgelehnt hatten.
Der Senat hat sich in seinem Urteil im ersten Rechtsgang (III 307/58 vom 27. November 1959) auf den Standpunkt gestellt, daß die Steuergerichte nicht in der Lage seien, § 131 AO unabhängig von den vom Bundesminister der Finanzen erlassenen Verwaltungsanordnungen im Bereich des LAG anzuwenden. Er hat deshalb die unmittelbar auf § 131 AO gestützte Entscheidung des Finanzgerichts aufgehoben und ausgeführt, die Steuergerichte seien an den Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1955 IV C/5 LA 2611 - 11/55 (BStBl 1955 I S. 616) über Gewährung der Ablösungsvergünstigung des § 199 LAG in Fällen der Ablösung von Umstellungsgrundschulden nach dem 31. Dezember 1951 gebunden und darauf beschränkt, nachzuprüfen, ob ein Ermessensverstoß deshalb vorliege, weil die zeitliche Begrenzung der Vergünstigung auf Fälle, die nach dem 31. Dezember 1951 liegen, zu eng gezogen sei.
Der Senat hat deshalb dem Finanzgericht aufgegeben, dem Bundesminister der Finanzen Gelegenheit zu geben, den für die Regelung der Ablösungsvergünstigung gesetzten Termin vom 31. Dezember 1951 näher zu erläutern und zu ermitteln, ob die Schuldner, die Umstellungsgrundschulden abgelöst haben, auf Grund des Standes der Gesetzgebung und der Behandlung der einschlägigen Fragen in Zeitungen und der Fachpresse nicht schon vor diesem Zeitpunkt mit einer Gewährung der Ablösungsvergünstigung rechnen durften.
Auf Ersuchen des Finanzgerichts hat der Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 23. März 1960 folgendes ausgeführt:
§ 175 des Regierungsentwurfes zum Lastenausgleichsgesetz (Anlage 1 a zur Bundestags-Drucksache Nr. 1800) habe die Kenntnis einer künftigen Ablösungsvergünstigung im Sinne des späteren § 199 Abs. 3 LAG nicht vermitteln können, weil er eine derartige Vergünstigung nicht enthalten, insbesondere die HGA nicht erwähnt habe. Erst der Zwischentext auf Grund der Beratungen des Ausschusses für den Lastenausgleich in 2. Lesung vom 15. Februar 1952, auf dem die Neufassung des Entwurfes in der Bundestags- Drucksache Nr. 3300 beruhe, habe eine Ausdehnung auf die HGA gebracht.
Eine Billigkeitsregelung sei erst vom 29. Januar 1952 ab gerechtfertigt gewesen. An diesem Tage sei auf der Referentenbesprechung zur Durchführung des Hypothekensicherungsgesetzes (HypSichG) in Bad Nauheim den Finanzbehörden und den in ihrem Auftrage tätigen grundschuldverwaltenden Instituten die Ermächtigung erteilt worden, die vorzeitige Tilgung von Umstellungsgrundschulden unter dem Vorbehalt der späteren Regelung des LAG entgegenzunehmen. Mit Rücksicht auf diese Zusage sei die Billigkeitsregelung vom 19. September 1955 notwendig gewesen, da ihre Nichterfüllung sonst als Vertrauensbruch angesehen worden wäre. Der von ihm gewählte Zeitpunkt vom 1. Januar 1952 liege demgegenüber noch vor den erwähnten beiden Stichtagen, was bereits als zusätzliche Billigkeit zu werten sei.
Ein Entgegenkommen in dem zur Entscheidung stehenden Falle wegen der festgestellten wirtschaftlichen Verhältnisse des Bg. habe er abgelehnt. Ein voller oder teilweiser Verzicht auf das Umstellungsgrundschuldkapital in Fällen außerplanmäßiger Ablösung mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners sei dem Rechte der Umstellungsgrundschulden fremd gewesen. Voraussetzung und Umfang eines Entgegenkommens unter dem Gesichtspunkte wirtschaftlicher Notlage hätten sich nicht nach den Grundsätzen der AO, sondern nach den Vorschriften des HypSichG und seiner Durchführungsbestimmungen gerichtet. Demnach hätten nur fällige Leistungen erlassen werden können, wenn u. a. ihre Einziehung zu einer offenbaren Härte geführt hätte (§ 5 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich - 1. HypSichDV -). Es sei auch nicht möglich, nachträglich unter dem Gesichtspunkte des § 131 AO die Grundsätze des HypSichG und seiner Durchführungsbestimmungen rückwirkend zu beseitigen. Trotz der von dem Finanzgericht in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Feststellungen über die wirtschaftliche Lage des Bg. im Jahre 1951 würde er einem Billigkeitsantrag, falls er erneut an ihn herangetragen würde, seine Zustimmung versagen.
Das Finanzgericht hat unabhängig von dieser äußerung des Bundesministers der Finanzen Ermittlungen darüber angestellt, ob in den Jahren 1950 und 1951 eine mit einer Vergünstigung verbundene Ablösung in Zeitungen, in der Fachpresse und in Reden erörtert wurde. Außer auf zahlreiche äußerungen in der Presse hat das Finanzgericht insbesondere auf die Rede des damaligen Bundesministers der Finanzen Schäffer am 31. Januar 1951 in der 115. Sitzung des Bundestages zur Gesetzesvorlage über einen allgemeinen Lastenausgleich hingewiesen, in der von ihm eingehende Ausführungen über die große Bedeutung einer freiwilligen Ablösung gemacht wurden. Es unterliege keinem Zweifel, daß diese Rede von den meisten Tageszeitungen am 1. oder 2. Februar 1951 zumindest auszugsweise wiedergegeben wurde. Wenn aus diesen äußerungen keine Einzelheiten über die Art und Höhe der Ablösungsvergünstigungen zu entnehmen gewesen seien, so sei dies nicht wesentlich. Entgegen der Auffassung des Bundesministers der Finanzen komme es entscheidend darauf an, ob ein Abgabeschuldner, der seine Abgabeschulden vorzeitig abzulösen bereit gewesen wäre, nach dem damaligen Stande der Gesetzgebung überhaupt mit einer Vergünstigung oder einem Vorteil rechnen durfte. Die Auswahl von Presseäußerungen zeige auch, daß sich die Vergünstigung bei einer Ablösung nicht nur auf die Vermögensabgabe, sondern auf alle Abgabeschulden bezogen hätte. Im übrigen habe man nach einer Verlautbarung vom Januar 1951 schon damals damit rechnen können, daß die meisten Vorschriften des Gesetzes bereits ab 1. April 1951 wirksam würden. Die öffentlichkeit habe deshalb auch mit einem viel früheren Inkrafttreten des LAG gerechnet. Das Finanzgericht kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß der Vertrauensschutz, den der Bundesminister der Finanzen durch seine Billigkeitsanordnung vom 19. September 1955 geben wollte, durch die zeitliche Beschränkung auf Fälle nach dem 31. Dezember 1951 der Sachlage nicht gerecht werde. In der zu engen Handhabung seines Ermessens liege eine Ermessensüberschreitung. Es hat deshalb durch Urteil vom 31. Januar 1961 erneut die Beschwerdeentscheidung vom 8. November 1956 sowie die Entscheidung des Finanzamts vom 1. Juni 1956 aufgehoben und die Streitsache an das Finanzamt zurückverwiesen.
Mit der Rb. rügt die Oberfinanzdirektion (Bfin.) unrichtige Anwendung des bestehenden Rechtes. Zur Begründung wird auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 23. März 1960 verwiesen. Eine Rückwirkung hätte aus den Verlautbarungen, die das Finanzgericht angeführt habe, nicht entnommen werden können. Ein Abgabepflichtiger, der Kenntnis davon gehabt habe, hätte wegen Fehlens eines Hinweises auf eine mögliche Rückwirkung nicht mit einer Ausdehnung der Ablösungsvergünstigung auf Zahlungen vor dem Inkrafttreten des LAG rechnen können. Erst die Maßnahme in Textziff. 27 der Niederschrift über die Referentenbesprechung in Bad Nauheim hätte das Vertrauen auf eine rückwirkende Gewährung des Ablösungsbonus von Ende Januar 1952 ab begründen können.
Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Er verweist auf sein Schreiben vom 23. März 1960. Es käme nicht darauf an, ob dem Schuldner im Zeitpunkte der Tilgung der Umstellungsgrundschuld die für die Abgaben nach dem künftigen LAG in Aussicht genommenen Ablösungsvergünstigungen bekanntgewesen seien. Es sei allein maßgebend, ob der Abgabeschuldner damit rechnen konnte oder durfte, daß auch im Falle der außerplanmäßigen Tilgung von Umstellungsgrundschulden nachträglich eine solche Vergünstigung gewährt würde. Zu einer solchen Erwartung hätten aber weder die vor noch die nach dem 31. Dezember 1951 über den Stand der Gesetzgebung zum LAG ergangenen Verlautbarungen den geringsten Anlaß gegeben. Da in den Fällen einer Tilgung von Umstellungsgrundschulden vor dem 1. Januar 1952 ein schutzbedürftiges Vertrauen nicht vorgelegen habe, könne in der Beschränkung der Billigkeitsregelung vom 19. September 1955 auf die Fälle der Tilgung von Umstellungsgrundschulden in der Zeit nach dem 31. Dezember 1951 eine Ermessensverletzung oder ein Ermessensmißbrauch nicht erblickt werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Ausgangspunkt ist der Antrag des Bf., ihm gemäß § 131 AO die Ablösungsvergünstigung nach § 199 LAG zu gewähren. Diesen Antrag hat der Bg. damit begründet, daß er vor Inkrafttreten des LAG aus einer gewissen Zwangslage heraus die auf seinem Grundstück lastenden Umstellungsgrundschulden, ohne eine Vergünstigung zu erhalten, voll abgelöst und sich im Zeitpunkte der Ablösung und seiner Antragstellung in einer schwierigen wirtschaftlichen Notlage befunden habe.
Der Bundesfinanzhof hat durch Bescheid vom 21. Januar 1955 und Urteil III 150/53 S vom 3. Juni 1955 (BStBl 1955 III S. 245, Slg. Bd. 61 S. 121) ausgesprochen, daß der Ablösungsvergünstigung des § 199 LAG keine Rückwirkung zukomme. Das HypSichG und die 1. HypSichDV sind am 1. Juli 1958 in Kraft getreten, so daß für alle Ablösungen von Umstellungsgrundschulden nach § 5 Abs. 1 Satz 1 der 1. HypSichDV, die in der Zeit vom 1. Juli 1948 bis zum 31. August 1952 vorgenommen worden sind, keine Ablösungsvergünstigung beansprucht werden kann. Das Urteil des Bundesfinanzhofs ist unmittelbar Anlaß dafür gewesen, der zutage getretenen Unbilligkeit der Einziehung durch § 131 AO in Verbindung mit § 203 Abs. 5 LAG abzuhelfen.
Die freiwillige Ablösung nach § 199 LAG hatte den Zweck, das Aufkommen an Lastenausgleichsabgaben zu heben. § 5 Abs. 1 Satz 1 der 1. HypSichDV verfolgte für den Bereich der Umstellungsgrundschulden den gleichen Zweck. Der Gesetzgeber des LAG verband jedoch mit der freiwilligen Ablösung eine Vergünstigung von nicht unbeträchtlicher Höhe, der Gesetzgeber und der Verordnungsgeber für den Bereich des HypSichG dagegen nicht.
Diese benachteiligende Behandlung der Schuldner, die Umstellungsgrundschulden abgelöst haben, ist eine Unbilligkeit in der Sache selbst, nicht in der Person. Die Unbilligkeit in der Sache umfaßt grundsätzlich den ganzen Zeitraum vom 1. Juli 1948 bis 31. August 1952.
Entscheidend wird sein, von welchem Zeitpunkt ab die objektiv günstigere Regelung in dem künftigen LAG gegenüber dem HypSichG- Recht subjektiv als Unbilligkeit von dem Schuldner einer Umstellungsgrundschuld, der eine Ablösung vorzunehmen beabsichtigte, empfunden wurde. Der Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1955 stellt auf den Zeitpunkt ab, von dem ab der Stand der Vorarbeiten zum LAG den voraussichtlichen Inhalt der künftigen gesetzlichen Regelung bereits erkennen ließ. In seiner Stellungnahme vom 23. März 1960 läßt der Bundesminister der Finanzen als Zeitpunkt in diesem Sinne grundsätzlich nur den 15. Februar 1952, den Tag der Veröffentlichung des Zwischentextes, gelten.
In der Wahl des 1. Januar 1952 kann dann ein Ermessensverstoß nicht angenommen werden, wenn es entscheidend darauf ankommen würde, wann erstmals die Fassung des § 199 LAG bekanntgeworden ist. Dies wäre zutreffend, wenn vor dem 1. Januar 1952 eine Vergünstigung bei einer Ablösung der künftigen Lastenausgleichsabgaben in der öffentlichen Meinung, in den Kreisen der Geschädigten und in der Meinung der Parteien noch nicht in Erwägung gezogen oder abgelehnt, keinesfalls aber befürwortet oder nur vereinzelt gutgeheißen wurde. Hätte sich aber die Ablösungsvergünstigung schon vor dem 1. Januar 1952 als unbestrittene Forderung in den maßgebenden Kreisen durchgesetzt, so wäre es willkürlich und damit auch ein Verstoß gegen das freie Ermessen, wenn nicht der weiter zurückliegende Zeitpunkt für die Gewährung der Billigkeitsmaßnahme gewählt wurde.
Das Finanzgericht hat für die Jahre 1950 und 1951 eine Reihe von äußerungen in der Fachpresse zusammengestellt, die bereits erkennen lassen, daß die Vergünstigung bei der Ablösung schon vor dem 1. Januar 1952 als eine Maßnahme angesehen wurde, von der der Erfolg des LAG in den ersten Jahren seines Bestehens abhängen werde. Ein klares Urteil läßt sich aber erst dann gewinnen, wenn auch die Verlautbarungen aus den Jahren 1948 bis 1950 in die Beurteilung miteinbezogen werden, da erst dann festgestellt werden kann, ob und wann die künftige Ablösungsvergünstigung Gemeingut geworden war. Die Entwurfsfassung des Zwischentextes mit dem mit § 199 LAG übereinstimmenden Wortlaut würde dann nur das Ergebnis einer schon lange vorhandenen Vorstellung bedeuten.
Die Vorarbeiten für das 1. LAG begannen bereits im Juni 1948. Eine Gruppe von Mitgliedern der SPD-Fraktion des Wirtschaftsrats hatte unter der Führung des Generalsekretärs des Länderrats, Dr. Tröger, im Juni 1948 Grundzüge eines sozialen Lastenausgleichs ausgearbeitet (vgl. "Die Lastenausgleichsgesetze", Dokumente zur Entwicklung des Gedankens der Gesetzgebung und der Durchführung, herausgegeben vom Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Bonn 1962, Bd. I/1, S. 35 und 45 ff.). Der letzte Absatz der Ziff. 9 lautete wie folgt:
"Zahlt der Abgabepflichtige den Gesamtschuldbetrag bis zum 1. 1. 1950, dann kann er von der Gesamtsumme einen Abzug von 25 % machen, bei Leistung bis zum 1. 1. 1951 ermäßigt sich die Abgabeschuld um 15 %, bei Leistung bis zum 1. 1. 1952 um 10 %. Die Leistungen in natura werden dem Abgabepflichtigen mit 150 % des Steuerwertes angerechnet."
Von den mit Vertriebenenfragen beschäftigten Politikern der CDU wurden in der gleichen Zeit Thesen und Vorschläge zum Lastenausgleich der öffentlichkeit vorgelegt, die unter Ziff. 5 der Vorschläge vorsehen, daß ein Anreiz durch Abschläge auf Sofortleistungen jeder Art geschaffen werden müsse (vgl. "Die Lastenausgleichsgesetze", a. a. O., S. 60).
In dem 1. LAG, das am 3. November 1948 dem Wirtschaftsrat vorgelegt wurde, sollten nach § 24 die volle oder teilweise Ablösung ermöglicht und Sachleistungen sowie Vorausentrichtungen der Abgabe über das Pflichtmaß hinaus steuerlich begünstigt werden (vgl. auch die Begründung dazu). Auch das Soforthilfegesetz (SHG) hat im § 28 Ziff. 2 die Ermächtigung zum Erlaß von Durchführungsbestimmungen vorgesehen. Danach konnte angeordnet werden, daß Zahlungen, die vor der Fälligkeit entrichtet wurden, sowie Leistungen anderer wirtschaftlicher Werte begünstigt werden. Im Januar 1949 wurde von dem Lastenausgleichsausschuß der Landesverbände der Heimatvertriebenen und der Gesamtvertretung der Ostvertriebenen und von dem Zentralverband der Fliegergeschädigten der Entwurf eines zweiten, endgültigen LAG vorgelegt (vgl. "Die Lastenausgleichsgesetze", a. a. O., S. 132 ff.), der folgendes vorsieht (§§ 6, 13):
"Um eine möglichst rasche Abtragung der Abgabe zu fördern, werden jährliche Tilgungsleistungen, soweit sie die nach § 7 Abs. 1 gewährte Teilzahlung übersteigen, mit einem erhöhten Betrag angerechnet. Der erhöhte Anrechnungsbetrag beläuft sich im ersten Jahr nach Inkrafttreten dieses Gesetzes auf 20 % der überdurchschnittlichen Tilgungsleistung. Diese Vergünstigung für überdurchschnittliche Tilgung wird in den folgenden Jahren herabgesetzt. Die Höhe des Bonus in den folgenden Jahren wird durch Gesetz bestimmt."
In dem Bericht des Bundesministers der Finanzen "Der endgültige Lastenausgleich", der im Dezember 1949 herauskam, wurde in Textziff. 92 ausgeführt, daß bei einer grundsätzlichen Verrentung der Abgabeschuld ihre vorzeitige oder teilweise Ablösung ermöglicht werden müsse. Es wird dann im übrigen auf die Vergünstigung hingewiesen, die im 1. LAG und im SHG vorgesehen waren.
Aus diesen Verlautbarungen, Forderungen und Gesetzesvorschlägen, die aus den Kreisen der Geschädigten, von den Parteien und aus dem Bundesfinanzministerium selbst kamen, läßt sich entnehmen, daß bereits in den ersten Anfängen der Vorarbeiten für das LAG, d. h. - soweit es hier von Bedeutung ist - seit Mitte des Jahres 1948, die Gewährung einer Vergünstigung bei einer Ablösung zum festen Bestandteil aller Vorschläge gehörte. Das vom Finanzgericht zusammengestellte Material aus den Jahren 1950 und 1951 gewinnt damit erheblich an Gewicht, weil daraus ersichtlich wird, daß es sich bei den Verlautbarungen aus diesen Jahren nicht um vereinzelte Stimmen zu einer abseitigen Frage des LAG gehandelt hat. Die Vergünstigung für die Ablösung hat im Gegenteil von Anfang an immer eine maßgebende Rolle gespielt. Diese Forderung zu verwirklichen, gehörte zum festen Bestandteil aller Vorschläge und daran wurde in der Folgezeit ohne jede Einschränkung festgehalten. Dem entsprach dann auch die Regelung in dem Regierungsentwurf zum LAG.
Wenn der Bundesminister der Finanzen einräumt, daß ein aufmerksamer Leser der Begründung des Regierungsentwurfes bereits die Möglichkeit in Betracht ziehen konnte, daß das künftige Lastenausgleichsrecht die Ablösung auch der HGA mit Zahlungsvorteilen ausstatten würde, so wird eine solche vorsichtige Beurteilung der damaligen Sachlage nicht gerecht. Die Stellung des § 175 in dem Abschnitt "Vorschriften für mehrere oder alle Ausgleichsabgaben" und die ausdrückliche Ermächtigung, eine entsprechende Regelung für die Ablösung oder die Vorausentrichtung anderer Ausgleichsabgaben als der Vermögensabgabe zu treffen, war schon damals, wie sich aus der Begründung zu § 175 ergibt, eine Ermächtigung, die ausgenutzt werden sollte. Wenn in der Begründung hinsichtlich der HGA und der Kreditgewinnabgabe eine gewisse Zurückhaltung zum Ausdruck kommt, so kann dies nur darauf zurückzuführen sein, was auch in Verlautbarungen aus der damaligen Zeit zum Ausdruck kam, daß man über die technische Durchführung bei der Ablösung dieser beiden Abgaben noch keine ins einzelne gehende Vorstellung hatte. Wie die etwa einen Monat nach dem Inkrafttreten des LAG erlassene Ablösungsverordnung zeigt, bestanden für die Regelfälle bei der Ablösung der HGA keine besonderen Schwierigkeiten. Auch für den Schuldner einer Umstellungsgrundschuld konnten im Regelfalle keine Zweifel darüber bestehen, daß die Berechnung einer Ablösungsvergünstigung auf keine Schwierigkeiten stoßen könne. Hätte deshalb die Absicht bestanden, die Vergünstigung mit dem Hinweis auf technische Schwierigkeiten gesetzgeberisch nicht regeln zu können, so wäre ein solcher Hinweis aus den davon betroffenen Kreisen wie aus Fachkreisen widerlegt worden.
Nach dem Kurzprotokoll der 101. Sitzung des Ausschusses über den Lastenausgleich wurde am 23. Januar 1952 mit der Beratung der §§ 172 bis 175 begonnen. Schon am 17. Januar 1952 vor Beginn der Beratung wurde dem Ausschuß eine Neufassung des § 175 vorgelegt, die in Satz 1 mit dem Gesetz gewordenen Absatz 1 des § 199 LAG wörtlich übereinstimmt und für alle drei Abgaben eine Vergünstigung bei der Ablösung vorsah. In der Beratung selbst wurde dann die endgültige Fassung, die Gesetz wurde, beschlossen. Der Ausschuß sah die vorzeitige Ablösung der Ausgleichsabgaben als eine außerordentlich wichtige Frage an. Er war sich daher darüber einig, daß deswegen besondere Maßnahmen notwendig seien, um einen Anreiz zur Ablösung der Abgaben vor Fälligkeit der einzelnen Raten zu geben. Dieser Anreiz müsse dadurch geschaffen werden, daß ein besonders günstiger Abzinsungssatz angewendet werde. Da die Höhe des Abzinsungssatzes nicht für die ganze Geltungsdauer des Gesetzes im voraus festgelegt werden könne, weil die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Entwicklung des Kapitalmarktes und mithin der Zinsgestaltung nicht auf Jahrzehnte hinaus voraussehbar sei, glaubte die Mehrheit des Ausschusses, wenigstens für die Zeit bis Ende 1954 den bei der Kapitalleistung anzuwendenden Abzinsungssatz auf 10 v. H. festlegen zu sollen (vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich zum Entwurf eines Gesetzes über den Lastenausgleich zur Drucksache Nr. 3300). Der Ausschuß hat sich damit in betonter Form die Vorstellung zu eigen gemacht, die schon seit jeher den beteiligten Kreisen vorschwebte. Die im Zwischentext niedergelegte Fassung ist deshalb nicht eine neue Erkenntnis, die in diesem Zeitpunkte erstmals gemacht wurde und dementsprechend ihren Ausdruck gefunden hat, sondern das schon seit Jahren angestrebte Ergebnis aller überlegungen, Vorschläge und Forderungen, die seit Mitte des Jahres 1948 angestellt und vorgebracht wurden. Dem LAG sollte in den ersten und schwersten Jahren seines Bestehens eine wirkliche Erfolgsaussicht gegeben werden.
Der Bundesminister der Finanzen hat darauf hingewiesen, daß die Ablösungsvergünstigung das künftige Aufkommen der Ausgleichsabgaben erhöhen, nicht dagegen das frühere Aufkommen schmälern sollte. Demgegenüber hat der Bg. nicht mit Unrecht darauf hingewiesen, daß gerade die früheren Zahlungen für den anfangs leeren Ausgleichsfonds wertvoller waren als Zahlungen in den späteren Jahren. Der Bundesminister der Finanzen geht nicht darauf ein, daß der Zubilligung der Ablösungsvergünstigung eine das Aufkommen steigernde über die gesetzlich vorgeschriebene Leistung hinausgehende Erhöhung vorausgegangen ist und daß es sich bei der Rückgewähr in Höhe der Abgabevergünstigung nur um einen Bruchteil des auf Grund der Ablösung eingegangenen Mehrbetrages handelt. Auch der Erlaß vom 19. September 1955 hätte aus der Sicht des Aufkommens nicht ergehen dürfen, wenn nicht die vorausgehende Ablösung die Rechtfertigung für einen Erlaß in Höhe der Ablösungsvergünstigung gegeben hätte. Im übrigen sei auch auf § 10 der Ablösungsverordnung hingewiesen.
Abschließend ist zu sagen, daß die Unbilligkeit subjektiv schon zu einem sehr viel früheren Zeitpunkte als dem 1. Januar 1952 anzunehmen ist. Mindestens seit der Einbringung des Regierungsentwurfes in den Bundestag und der programmatischen Rede des damaligen Bundesministers der Finanzen mußte dem Schuldner einer Umstellungsgrundschuld, wenn er sie ablösen wollte, zum Bewußtsein kommen, daß eine sachliche Unbilligkeit in der Versagung der Ablösungsvergünstigung vorliege. Es liegt deshalb eine Ermessensverletzung vor, wenn der Bundesminister der Finanzen in seinem Erlaß den Zeitpunkt, von dem ab die Billigkeitsregelung gelten sollte, so spät gelegt hat, daß damit der sachlichen Unbilligkeit nur in einem Teil der Fälle im Billigkeitswege abgeholfen wurde. Daß von dem Zeitpunkt vom 29. Januar 1952 ab unter Vorbehalt geleistete Ablösungsbeträge auf Umstellungsgrundschulden von den nachgeordneten Stellen entgegengenommen werden durften, ist nicht die unmittelbare Ursache der sachlichen Unbilligkeit, sondern hat die Notwendigkeit einer Billigkeitsregelung nur noch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verstärkt und dringlicher gemacht.
Kann somit dem Bg. ein Erlaß dem Grunde nach gewährt werden, so bedarf es noch einer Prüfung über die Höhe des Erlaßbetrages.
Nach der Verwaltungsanordnung vom 19. September 1955 beschränkt sich der Erlaß auf die auf den 1. September 1952 berechnete Ablösungsvergünstigung für diejenigen Leistungen, die erst nach dem 31. August 1952 fällig gewesen wären, wenn eine Ablösung nicht stattgefunden hätte.
Das Finanzgericht hat in seiner im ersten Rechtsgange getroffenen Entscheidung angenommen, der Antrag des Bg. beziehe sich auf diesen Betrag. In seinem Schreiben vom 31. Oktober 1952 hat der Bg. dagegen ausdrücklich beantragt, die HGA aus dem im Frühjahr 1951 gezahlten Ablösungsbetrage rückwirkend abzulösen, d. h. die Ablösungsvergünstigung nach dem Tage der Entrichtung des Ablösungsbetrages zu berechnen. Der Bg. hat sich in seinen späteren Schriftsätzen, in denen es um die grundsätzliche Frage, ob der Erlaß des Bundesministers der Finanzen überhaupt anwendbar sei, gehandelt hat, zu der Höhe nicht mehr eindeutig geäußert. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß der Bg. abweichend von dem sich aus der Verwaltungsanordnung vom 19. September 1955 ergebenden Erlaßbetrag einen weitergehenden Erlaß für sich in Anspruch nimmt.
Die Regelung, die der Bundesminister der Finanzen hinsichtlich der Höhe des Erlasses getroffen hat, kann unter dem Gesichtspunkt eines Ermessensverstoßes nicht beanstandet werden. Sie geht davon aus, daß die sachliche Unbilligkeit nur für Zins- und Tilgungsbeträge anzunehmen ist, die, wenn keine Ablösung der Umstellungsgrundschuld stattgefunden hätte, nach dem 31. August 1952 zu leisten gewesen wären.
Der von dem Bg. beantragte Mehrbetrag könnte ihm deshalb nicht nach dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1955, sondern nur unter unmittelbarer Anwendung des § 131 AO gewährt werden. Da der Bundesminister der Finanzen mit seinem Erlaß vom 19. September 1955 die Frage der Ablösung der Umstellungsgrundschuld abschließend regeln wollte, wäre für eine davon unabhängige Prüfung durch die Steuergerichte, ob eine Ablehnung oder teilweise Ablehnung eines Erlasses einen Ermessensverstoß darstellt, nur dann Raum, wenn eine Bindung an die Verwaltungsanordnungen und Erlasse des Bundesministers der Finanzen nicht besteht.
Der Senat hat die in seinem ersten Rechtsgang vertretene Auffassung, daß die Steuergerichte an die Erlasse und Verwaltungsanordnungen des Bundesministers der Finanzen auf dem Gebiet des Lastenausgleichs gebunden sind, zwischenzeitlich aufgegeben. Da er beabsichtigt, auch im vorliegenden Streitfalle an seiner früheren Auffassung nicht mehr festzuhalten, muß zu der Frage der Selbstbindung im zweiten Rechtsgange Stellung genommen werden.
Anlaß, die bisherige Rechtsauffassung, Steuergerichte seien an die Verwaltungsanordnungen und Erlasse des Bundesministers der Finanzen gebunden, aufzugeben, hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 314/60 vom 21. Februar 1961 (BStBl 1961 I S. 63) gegeben. Es hat unter IV seiner Entscheidungsgründe ausgeführt, daß es sich bei der Verwaltungsanordnung des Bundesministers der Finanzen vom 19. Juli 1954, die auf Grund des § 203 Abs. 5 LAG ergangen ist, um eine für die nachgeordneten Finanzbehörden aufgestellte Richtlinie zur Gesetzesanwendung handle, an die die Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof nicht gebunden seien. Diese hätten vielmehr selbständig über die Vereinbarkeit solcher verwaltungsinternen Richtlinien mit dem Grundgesetz und mit dem einfachen Gesetz zu urteilen. Verwaltungsanordnungen seien nicht objektives Recht.
Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, die zunächst nur im Zusammenhang mit der Verwaltungsanordnung vom 19. Juli 1954 getroffen wurde, ist unzweifelhaft allgemeiner Art. Sie gilt daher für alle Verwaltungsanordnungen und Erlasse des Bundesministers der Finanzen, die auf Grund des § 203 Abs. 5 LAG ergangen sind. Sie gilt entsprechend auch für den Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1955.
Im deutschen Verfahrensrecht besteht der Grundsatz, daß der Spruch der Rechtsinstanz die Vorinstanz im Falle der Zurückweisung bindet, soweit die von der Rechtsinstanz im ersten Rechtsgange gegebene Rechtsbeurteilung des Sachverhaltes reicht. Diese Bindung bedeutet für die Tatsacheninstanz den grundsätzlichen Zwang, der Rechtsinstanz zu folgen, wenn die Sachlage bis zur erneuten Entscheidung dieselbe bleibt. Wo aber eine Bindung der Tatsacheninstanz besteht, ist auch die Rechtsinstanz bei erneuter Befassung nach herrschender Rechtsprechung an die rechtliche Beurteilung im ersten Rechtsgang gebunden (vgl. die Zusammenstellung der gesetzlichen Grundlagen, der Rechtsprechung und der Literatur auf den verschiedenen Rechtsgebieten in Bd. 4 S. 1 der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluß 1 BvR 361/52 vom 1. Juli 1954).
Gegenüber der ursprünglichen strengen Auffassung der uneingeschränkten Selbstbindung der Rechtsinstanz an ihre der Tatsacheninstanz gegenüber vertretene Rechtsauffassung sind in der Folgezeit Ausnahmen in bestimmter Richtung anerkannt worden. Auf dem zivilprozessualen Gebiet hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil III ZR 214/50 vom 26. Februar 1953 (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 9 S. 101) ausgesprochen, das Revisionsgericht habe grundsätzlich auch jedes nach Erlaß des angefochtenen Urteils ergangene neue Gesetz, sofern es nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfaßt, zu berücksichtigen. Die entgegengesetzte Rechtsprechung des Reichsgerichts werde hiermit aufgehoben. Schon vor diesem Urteil hatte sich der Bundesgerichtshof dahin entschieden, daß ein nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenes Gesetz in der Revisionsinstanz dann berücksichtigt werden kann, wenn die Anwendung des neuen Gesetzes zur Aufrechterhaltung des Berufungsurteils mit anderer Begründung führt (Entscheidung des Bundesgerichtshofs III ZR 97/50 vom 14. Juni 1951, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 2 S. 324).
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt keine Bindung an, wenn während des Rechtsstreits Rechtsänderungen eintreten oder wenn zwischenzeitlich die maßgebende Rechtsfrage revisionsgerichtlich entschieden ist (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts V C 97/54 vom 17. Dezember 1954, Die öffentliche Verwaltung 1955 S. 413; I C 141/57 vom 27. März 1958, Monatsschrift für deutsches Recht 1958 S. 541).
Auf dem Gebiet des Steuerrechtes ist die gesetzliche Grundlage in § 296 Abs. 4 AO enthalten. Auch hier hat sich gegenüber der ursprünglichen strengen Auffassung eine gewisse Lockerung durchgesetzt, die mit dem Urteil des Reichsfinanzhofs III A 220/36 vom 8. Januar 1937 (RStBl 1937 S. 107) einsetzt. Der Reichsfinanzhof stellte sich auf den Standpunkt, weder das Finanzgericht noch der Reichsfinanzhof sei bei einer im zweiten Rechtsgang zu fällenden Entscheidung an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung der ersten angefochtenen Entscheidung und der Rückverweisung zugrunde liege, wenn nach dem zurückverweisenden Urteil des Reichsfinanzhofs eine Rechtsänderung oder eine ihr gleichzuachtende Veränderung der Verhältnisse (z. B. Aufgabe des bisherigen Rechtsstandpunktes durch die Rechtsprechung) eingetreten sei (vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs III 6/41 vom 13. Februar 1941, RStBl 1941 S. 211).
Der Bundesfinanzhof hat sich in seinem Bescheid vom 18. Juni 1953 und Urteil IV 241/52 U vom 3. Dezember 1953 (BStBl 1954 III S. 72, Slg. Bd. 58 S. 417) dem Reichsfinanzhof im Grundsatz angeschlossen und keine Selbstbindung angenommen, wenn nach dem zurückverweisenden Urteil des Bundesfinanzhofs eine einer Rechtsänderung gleichzuachtende Veränderung der Verhältnisse von der Tragweite wie bei § 6 Ziff. 5 EStG eingetreten sei.
Zusammengefaßt erfährt nach Auffassung der oberen Gerichte die Selbstbindung an eine bei der Aufhebung einer Entscheidung der Vorinstanz und Zurückverweisung an diese vertretene Rechtsauffassung bei erneuter Befassung im zweiten Rechtsgange dann eine Ausnahme, wenn in der Zwischenzeit eine auch den Streitfall mit einbegreifende Gesetzesänderung eingetreten ist, oder sich in der Zwischenzeit die Rechtsprechung in grundlegender Hinsicht geändert hat. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 21. Februar 1961 haben grundsätzliche Bedeutung und sind für die Frage, inwieweit die Steuergerichte auf dem Gebiet des Lastenausgleichs einen Ermessensverstoß bei Nichtanwendung des § 131 AO nachzuprüfen berechtigt sind, von grundlegender Art. Es liegt demnach ein Fall vor, der eine Ausnahme von dem Selbstbindungsgrundsatz darstellt. Der Senat ist deshalb auch im vorliegenden Streitfall an seine im ersten Rechtsgang vertretene Auffassung nicht gebunden.
Auf Grund dieser veränderten Rechtslage unterliegt der Sachverhalt in der vorliegenden Streitsache der freien Beweiswürdigung durch den Bundesfinanzhof im Rahmen des § 297 AO.
Wenn der Bundesminister der Finanzen davon ausgegangen ist, daß die Verwaltungsanordnung vom 19. September 1955 eine abschließende Regelung des in Betracht kommenden Sachverhalts darstellen soll, so kann andererseits dem Bg. durch diese Verwaltungsanordnung ein Erlaß wegen einer wirtschaftlichen Notlage, der unmittelbar auf § 131 AO in Verbindung mit § 203 Abs. 5 LAG gestützt werden kann, nicht versagt werden. Die wirtschaftliche Notlage bildet insofern einen selbständigen Erlaßgrund.
Dem Bundesminister der Finanzen ist zuzustimmen, daß das HypSichG einen Erlaß des Kapitalbetrages der Umstellungsgrundschuld nicht vorsah. Durch Umkehrschluß aus § 5 Abs. 4 der 1. HypSichDV ist weiterhin zu folgern, daß nach dem Willen des Gesetzgebers ein Erlaß von Kapitalbeträgen auch nicht zulässig war. Dem entsprach auch im Grundsatz die Regelung in der Soforthilfegesetzgebung, die nur eine Stundung, aber keinen Erlaß der Soforthilfeabgabe ermöglichte. Die Anwendung des § 131 AO hinsichtlich der Soforthilfeabgabe ist erst durch § 51 der Zehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz zugelassen worden. Dagegen wurde eine entsprechende Erlaßbestimmung für Umstellungsgrundschulden nicht geschaffen. Entgegen der Auffassung des Bundesministers der Finanzen kann aber keine Rede davon sein, daß es sich bei dem Antrage des Bg. auf Erlaß und Erstattung der HGA um einen auch über § 131 AO unzulässigen Antrag auf Erlaß des Kapitalbetrages einer Umstellungsgrundschuld handelt. Der Erlaß jeder Abgabeschuld, für die vorher eine Umstellungsgrundschuld bestanden hat, würde sonst von vornherein unzulässig sein. Die Verwaltungsanordnung vom 19. September 1955 würde von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet den gleichen Bedenken unterliegen, da es sich auch hier um den gleichen Ausgangspunkt wie bei dem Antrag des Bg. handelt.
Das Finanzgericht hat in dem im ersten Rechtsgange ergangenen Urteil eingehende Feststellungen über die Notlage des Bg. getroffen und die Erlaßbedürftigkeit und Erlaßwürdigkeit des Bg. in vollem Umfang bejaht.
Aus der Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen vom 23. März 1960 ist zwar nicht zu entnehmen, daß er die Anwendbarkeit des § 131 AO in Fällen einer wirtschaftlichen Notlage verkannt hat, obwohl seine diesbezüglichen Ausführungen mißverständlich ausgelegt werden können. Es ist aber angesichts der Feststellungen des Finanzgerichts, die von dem Bundesminister der Finanzen nicht bestritten werden, in der überspannung der Anforderung für die Anwendung des § 131 AO und damit in der Versagung der Zustimmung durch den Bundesminister der Finanzen eine Ermessensverletzung zu erblicken, weil sich die Oberfinanzdirektion und das Finanzamt mit Rücksicht darauf nicht in der Lage gesehen haben, die persönlichen Billigkeitsgründe des Bg. zu berücksichtigen.
Das Finanzamt, an das die Sache zurückverwiesen wird, hat nunmehr den Betrag zu erreichen, der sich auf Grund des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1955 letzter Absatz ergibt. Dieser Betrag gilt als Mindesterlaßbetrag. Darüber hinaus hat das Finanzamt zu prüfen, ob der Erlaßbetrag, der dem Bg. nach dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1955 zu gewähren ist, seiner wirtschaftlichen Notlage nach § 131 AO genügend Rechnung trägt oder ob ein weitergehender Erlaß zu gewähren ist.
Fundstellen
Haufe-Index 410921 |
BStBl III 1963, 541 |
BFHE 1964, 605 |
BFHE 77, 605 |