Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Geschäftsführers für Umsatzsteuer, Mitwirkungspflicht bei Aufklärung des Sachverhalts
Leitsatz (NV)
1. Der Umfang der Haftung des Geschäftsführers einer GmbH gem. §§ 34, 69 AO 1977 bestimmt sich danach, inwieweit zwischen seiner Pflichtverletzung und dem eingetretenen Steuerausfall (Schaden) ein Kausalzusammenhang besteht.
2. Zur Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bei der Sachverhaltsaufklärung, wenn sich die Buchführungsunterlagen der in Konkurs befindlichen GmbH bei dem Konkursverwalter befinden.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 88 Abs. 1 S. 1, § 90 Abs. 1, § 93 Abs. 3 Sätze 1-2, § 97 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1 Sätze 1-4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen auf Antrag des Klägers vom Juli 1985 im August 1985 das Konkursverfahren eröffnet wurde.
Im März 1985 stellte die GmbH beim beklagten und revisionsbeklagten Finanzamt (FA) den Antrag auf Dauerfristverlängerung und gab die Anmeldung der Sondervorauszahlung 1985 gemäß §§ 46 ff. der Umsatzsteuer- Durchführungsverordnung (UStDV) ab. Die Anmeldung wies eine Sondervorauszahlung in Höhe von ... DM aus. Die Umsatzsteuervoranmeldung 1/1985 ging im März 1985 beim FA ein. Sie wies eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von ... DM aus. Von den genannten Steuern blieb ein Restbetrag von ... DM bzw. ... DM rückständig. Die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse der GmbH für den genannten Zeitraum blieben ungeklärt.
Das FA nahm den Kläger für die rückständigen Steuern sowie für Säumniszuschläge als Haftenden in Anspruch.
Die Klage gegen den Haftungsbescheid i. d. F. der Einspruchsentscheidung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt den Haftungsbescheid i. d. F. der Einspruchsentscheidung für rechtmäßig. Der Kläger habe als Geschäftsführer dafür sorgen müssen, daß die Steuern der GmbH aus deren Vermögen bezahlt wurden (§ 34 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Der Kläger habe diese Pflicht schuldhaft verletzt und hafte daher für die Steuern nach § 69 AO 1977. Das schuldhafte Verhalten liege darin, daß der Kläger den Antrag auf Dauerfristverlängerung verspätet abgegeben (§ 48 Abs. 1 UStDV) und die angemeldete Sondervorauszahlung nicht fristgerecht geleistet habe. Gleiches gelte für die Umsatzsteuervorauszahlung 1/1985.
Das FA sei auch zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger als Geschäftsführer der GmbH den Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuerschulden verletzt habe. Zwar habe das FA die Verletzung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung nachzuweisen. Der Kläger habe jedoch die in seinen Wissensbereich fallenden Angaben zu machen. Diese Mitwirkungspflicht habe der Kläger verletzt, weil er die erforderlichen Angaben nicht aus den beim Konkursverwalter liegenden Buchführungsunterlagen der GmbH er mittelt und dem FA mitgeteilt habe. Der Konkursverwalter sei bereit gewesen, dem Kläger Einsicht in die Unterlagen zu gewähren. Die geforderte Mitwirkung des Klägers sei diesem zumutbar gewesen. Die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers führe dazu, daß die nach § 76 Abs. 1 der Finanz gerichtsordnung (FGO) bestehende Sachaufklärungspflicht des FG begrenzt werde.
Mit seiner Revision wendet sich der Kläger insbesondere gegen die Annahme des FG, er habe seine Mitwirkungspflicht verletzt. Er führte u. a. aus, es sei nicht ersichtlich, wieso die Nichtaufklärung des FA Auswirkungen auf die dem FA obliegende Feststellung der Verletzung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung haben könne. Dem FA obliege es, die Verletzung der Pflicht zur anteiligen Tilgung festzustellen. Dieser Pflicht sei das FA nicht nachgekommen.
Er beantragt, die Vorentscheidung und die Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und, weil die Sache nicht spruchreif ist, zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen des FG zu der Frage, ob ein die Haftung des Klägers begründender Kausalzusammenhang zwischen der Pflicht verletzung des Klägers und dem eingetretenen Steuerausfall bestand, reichen nicht aus.
1. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Geschäftsführer einer GmbH für die von dieser geschuldete, nicht an das FA entrichtete Umsatzsteuer nach den §§ 69, 34 AO 1977 nur haftet, soweit er aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln der GmbH die Steuerschulden hätte tilgen können. Bei insgesamt nicht ausreichenden Zahlungsmitteln kommt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers grundsätzlich nur in Betracht, wenn er die vorhandenen Mittel nicht zu einer in etwa anteiligen Befriedigung der privaten Gläubiger und des FA (wegen Umsatzsteuer) verwendet hat (vgl. u. a. Senatsurteile vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657 m. w. N., vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, und vom 2. März 1993 VII R 90/90, BFH/NV 1994, 526). Der haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen Tilgung ist nicht nur im Falle einer nicht rechtzeitigen Erfüllung des Steueranspruchs (§ 69 Satz 1 Alternative 2 AO 1977) anwendbar, sondern findet auch dann Anwendung, wenn der Geschäftsführer -- wie das FG festgestellt hat -- zumindest grob fahrlässig den Antrag auf Dauerfristverlängerung/Anmeldung der Sondervorauszahlung gemäß §§ 46 ff. UStDV und die Umsatzsteuervoranmeldung nicht rechtzeitig abgegeben hat, also der Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 Alternative 1 AO 1977 vorliegt (Urteile des Senats vom 5. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678, m. w. N., und in BFH/NV 1994, 526).
Der Senat hat zur Frage der Haftung des GmbH-Geschäftsführers gemäß §§ 69, 34 AO 1977 nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer im wesentlichen auf den Schadensersatzcharakter der Haftungsnormen des § 69 AO 1977 abgestellt. Der Umfang der Haftung bestimmt sich danach, inwieweit zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Steuerausfall (Schaden) ein Kausalzusammenhang besteht. Dieser fehlt, wenn mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens auch bei fristgerechter Abgabe der Steuererklärung die geschuldete Steuer -- auch im Wege der Beitreibung -- nicht hätte beglichen werden können (vgl. Senatsurteil in BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678).
2. Aus den Feststellungen des FG läßt sich nicht entnehmen, ob und inwieweit im Streitfall ein Kausalzusammenhang zwischen dem eingetretenen Steuerausfall und der Pflichtverletzung i. S. des § 69 Satz 1 AO 1977 besteht. Das FG war dieser Feststellungen nicht dadurch enthoben, daß der Kläger die vom FA erbetenen Angaben für die Prüfung, ob ein solcher Kausalzusammenhang besteht, nicht gemacht, sondern mit der Begründung, daß er die Angaben aus dem Gedächtnis nicht machen könne, auf die beim Konkursverwalter befindlichen Buchführungsunterlagen verwiesen hat.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Dieser grundsätzliche, dem § 88 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 für das FA entsprechende Amtsermittlungsgrundsatz wird durch die Mitwirkungspflicht des Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt. Danach ist der Beteiligte gemäß § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO wie nach § 90 Abs. 1 AO 1977 verpflichtet, sich über alle tatsächlichen Umstände vollständig und der Wahrheit entsprechend zu erklären. Die Mit wirkungspflicht ist Teil des Untersuchungsgrundsatzes, indem sie den Beteiligten verpflichtet, an den von Amts wegen durchzuführenden Untersuchungen mitzuwirken (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. März 1985 I R 7/81, BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318, und vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).
b) Entgegen der Auffassung des FG hat der Kläger seine Mitwirkungspflicht im Streitfall jedoch nicht verletzt.
Grundsätzlich ist der als Haftungsschuldner in Betracht kommende Geschäftsführer einer GmbH im Rahmen seiner Mit wirkungspflicht zwar verpflichtet, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum zu erteilen (Senatsurteil vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BFHE 157, 315, BStBl II 1990, 357). Die Verletzung dieser Mitwirkungspflicht durch Schweigen oder eine ungerechtfertigte Weigerung, solche in seinem Wissensbereich liegende Auskünfte zu erteilen, könnte gegen den Geschäftsführer verwertet werden (BFH-Urteile vom 8. Juli 1982 V R 7/76, BFHE 137, 1, und vom 9. Oktober 1985 I R 154/82, BFH/NV 1986, 321-323). Solche Umstände sind im Streitfall jedoch nicht gegeben.
Denn der Kläger ist seiner Mitwirkungspflicht im Streitfall nachgekommen, indem er mitgeteilt hat, das FA gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt zu haben, und indem er im übrigen auf die beim Konkursverwalter befindlichen Buchführungsunterlagen verwiesen hat, weil er weitere Angaben aus dem Gedächtnis nicht machen könne. Der Kläger war nicht verpflichtet, den Konkursverwalter aufzusuchen und sich durch Einsicht in die dort befindlichen Buchführungsunterlagen die Möglichkeit zur Erteilung der geforderten Auskünfte über die finanzielle Situation der GmbH im maßgebenden Zeitraum zu verschaffen.
Nach § 93 Abs. 3 Satz 2 AO 1977, der gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren gilt, hat der Geschäftsführer einer GmbH als auskunftspflichtiger Haftungsschuldner, der die Auskunft -- wie der Kläger -- nicht aus dem Gedächtnis geben kann, Bücher, Aufzeichnungen und Geschäftspapiere nur insoweit zur Erteilung einer Auskunft heranzuziehen, als diese ihm zur Verfügung stehen. Die beim Konkursverwalter befindlichen Buchführungsunterlagen standen dem Kläger jedoch nicht mehr zur Verfügung. Unerheblich ist insoweit, daß sich der Konkursverwalter bereit erklärt hat, dem Kläger in den Geschäftsräumen des Konkursverwalters in diese Unterlagen Einblick zu gewähren. Denn zur Verfügung stehen nur solche Unterlagen, die sich in der Verfügungsmacht des Auskunftspflichtigen befinden oder hinsichtlich derer er einen Heraus gabeanspruch hat (vgl. Urteile des Reichs finanzhofs -- RFH -- vom 16. Februar 1934 V e A 727/33, RStBl 1934, 259, und vom 6. Juni 1934 IV A 42/34, RStBl 1934, 823, 825; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 90 AO 1977 Rz. 51, 52; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 93 AO 1977 Anm. 4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 97 AO 1977 Rz. 2 letzter Absatz). Kann der Kläger wie im vorliegenden Fall die Unterlagen nur aufgrund einer besonderen Erlaubnis des Konkursverwalters in dessen Geschäftsräumen einsehen, so stehen sie ihm tatsächlich nicht zur Verfügung (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 93 AO 1977 Rz. 51). Insoweit kommt es nicht auf die räumliche Entfernung an, die den Auskunftspflichtigen von den Geschäftsräumen des Konkursverwalters trennt, sondern allein darauf, daß der Auskunftspflichtige über die Unterlagen, der er zur Stützung seines Gedächtnisses bedarf, tatsächlich nicht selbständig verfügen kann.
Es kann auch dahingestellt bleiben, ob der Kläger einen Herausgabeanspruch hinsichtlich der Buchführungsunterlagen gegen den Konkursverwalter dergestalt hätte, daß er die Übersendung der notwendigen Unterlagen an sich verlangen könnte. Da der Konkursverwalter jedenfalls -- wie das FG festgestellt hat -- nicht freiwillig zur Erfüllung eines solchen Herausgabeanspruchs bereit war, wäre es dem Kläger jedenfalls nicht zuzumuten gewesen, einen etwaigen Herausgabeanspruch zur Erfüllung seiner Auskunftspflicht gerichtlich durchzusetzen.
Eine über die im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO i. V. m. § 93 AO 1977 bestehenden Auskunftspflicht hinausgehende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts traf den Kläger im Streitfall nicht. Diese wäre nur unter den in § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 90 AO 1977 genannten Voraussetzungen (Auslandsbezug) gegeben, die hier nicht vorliegen. Es ist auch nicht vorgetragen worden, daß der Kläger sich selbst der notwendigen Unterlagen begeben oder es pflichtwidrig als Geschäftsführer der GmbH unterlassen hätte, die erforderlichen Unterlagen zu er stellen. Deshalb braucht auf die Frage, ob sich deswegen eine Begrenzung der Pflicht des FG zur Sachverhaltsaufklärung ergeben könnte, nicht eingegangen zu werden.
c) Auch wenn die für die Prüfung der anteiligen Gläubigerbefriedigung erforderlichen Angaben ursprünglich in den Wissensbereich des Klägers fallen, war das FG nicht darauf angewiesen, daß der Kläger die geforderten Angaben macht und da durch in seiner Möglichkeit zur Aufklärung des Sachverhalts begrenzt. Ihm standen vielmehr andere, nicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbundene Mittel der Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung. Der Vorentscheidung ist zu entnehmen, daß auch das FG davon ausging, daß sich die geforderten Angaben aus den beim Konkursverwalter befindlichen Buchführungsunterlagen der GmbH entnehmen ließen. Es hätte daher aufgrund der auch im finanzgerichtlichen Verfahren fortbestehenden Pflicht des FA zur Sachverhaltsaufklärung (§ 76 Abs. 3 FGO) diesem aufgeben können, bei dem als "andere Person" i. S. des § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auskunftspflichtigen Konkursverwalter die erforderlichen Auskünfte einzuholen. Da dieser im Besitz der Buchführungsunter lagen der GmbH auch für den maßgebenden Zeitpunkt war, ist seine Auskunftspflicht nicht auf den Zeitraum nach der Konkurseröffnung beschränkt (vgl. RFH- Urteil vom 23. März 1927 IV A 46/26, RFHE 21, 9, 14; BFH-Urteil vom 8. Juni 1972 IV R 129/66, BFHE 106, 305, BStBl II 1972, 784). Ferner hätte auch die Möglichkeit bestanden, dem FA aufzugeben, sich gemäß § 97 Abs. 1 AO 1977 die Buchführungsunterlagen der GmbH vorlegen zu lassen und aus ihnen selbst die erforder lichen Angaben zu ermitteln.
3. Mangels der erforderlichen hinreichenden Feststellungen des FG zum Kausal zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Klägers und dem Steuerausfall für das FA ist die Sache nicht spruchreif. Das FG wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung der Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 420190 |
BFH/NV 1995, 570 |