Leitsatz (amtlich)
Unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse können Räume, deren Gesamtwohnfläche unter den Mindestgrenzen des § 39 Abs. 5 II. WoBauG (50 m2 bzw. 40 m2 für Alleinstehende) liegt, als Wohnung im Sinne von § 75 Abs. 5 Satz 1 BewG 1965 beurteilt werden.
Normenkette
BewG 1965 § 75 Abs. 5 S. 1; II. WoBauG § 39 Abs. 5
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eigentümer eines 798 m2 großen Grundstücks. Das Grundstück liegt in einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet und wurde 1971 mit einem winterfesten Blockhaus bebaut. Darin befinden sich ein Wohnzimmer von 18,7 m2, ein Schlafraum von 5,8 m2, eine Küche von 2,8 m2 und eine Dusche mit WC von 2,9 m2. Die Veranda ist auf 12 m2 überdacht. Die Fenster sind mit Isolierverglasung versehen, Wasser- und Stromanschluß sind vorhanden.
Die Kläger benutzten das Grundstück nicht nur an Wochenenden, sondern - besonders im Sommer und Herbst - auch an Arbeitstagen und suchten von hier aus ihre Arbeitsstätte auf.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bewertete das Grundstück auf den 1. Januar 1974 (Nachfeststellung) als sonstiges bebautes Grundstück.
Einspruch und Klage, mit denen die Kläger die Bewertung des Grundstücks als Einfamilienhaus begehrten, waren erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, daß das Grundstück nicht als Einfamilienhaus zu bewerten sei, da das Gebäude keine Wohnung im Sinne des Bewertungsrechts enthalte. Zum Begriff einer Wohnung gehöre, daß die der Familie zur Verfügung stehenden Räume einen eigenen Haushalt und ein eigenes Familienleben ermöglichten. Ob eine Zusammenfassung von Räumen als Wohnung in diesem Sinne anzusehen sei, entscheide sich nach der Verkehrsanschauung. Nach der Verkehrsanschauung bildeten die Räume des Wochenendhauses der Kläger keine Wohnung. Das Gebäude bestehe zwar aus einer Zusammenfassung von Räumen, enthalte aber neben einem Wohnraum von knapp 19 m2 nur noch Nebenräume von insgesamt etwa 11 m2. Eine solche "Wohnung" ermögliche einer Familie, die mindestens aus zwei Personen bestehe, nicht die dauernde Führung eines selbständigen Haushalts. Nach den Verhältnissen am 1. Januar 1974 sei es keiner Familie mehr zumutbar gewesen, dauernd in einem 19 m2 großen Wohnraum zu leben und sich mit einem Schlafraum von 6 m2 zu begnügen. Diese Auffassung werde bestätigt durch § 39 Abs. 5 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) i. d. F. vom 1. September 1965 (BGBl I 1965, 1618). Nach dieser Vorschrift dürfte die Wohnfläche einer öffentlich geförderten Wohnung in der Regel 50 m2 - bei Alleinstehenden 40 m2 - nicht unterschreiten. Die Vorschrift enthalte zwar keine bindende Festlegung der unteren Grenze für eine Wohnung. Sie zeige aber, welche Wohnfläche eine Wonung nach der Vorstellung des Gesetzgebers ungefähr haben müsse, um einer Familie ein dauerndes Wohnen zu ermöglichen.
Die Revision der Kläger richtet sich gegen die Einordnung des Grundstücks in die Grundstücksart sonstige bebaute Grundstücke. Die Kläger tragen vor, das Grundstück sei aufgrund seiner tatsächlichen baulichen Gestaltung und aufgrund seiner ganzjährigen tatsächlichen Nutzung zu Wohnzwecken als Einfamilienhaus zu bewerten. Das Haus ermögliche einer zweiköpfigen Familie die dauernde Führung eines selbständigen Haushalts. Es sei winterfest errichtet und enthalte alle üblichen Einrichtungen und Räumlichkeiten, wie Küche, WC, Duschbad, Heizungsanlage und die heute üblichen Versorgungsanschlüsse (Strom, Wasser). Der Hinweis auf das Wohnungsbaugesetz gehe fehl. Mindestwohnflächen seien nicht Tatbestandsmerkmal des Begriffs Wohnung im Sinne von § 75 Abs. 5 Satz 1 des Bewertungsgesetzes 1965 (BewG).
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Grundstück ist nicht als sonstiges bebautes Grundstück, sondern als Einfamilienhaus zu bewerten.
1. Einfamilienhäuser sind Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung enthalten (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG).
Das Bewertungsgesetz enthält keine Bestimmung des Begriffs Wohnung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Dazu ist es u. a. erforderlich, daß die Räume in ihrer Gesamtheit eine bestimmte Mindestfläche aufweisen, und daß die zur Führung eines Haushalts erforderlichen Nebenräume, wie Küche oder Raum mit Kochgelegenheit und Toilette, vorhanden sind (vgl. zuletzt Urteil vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255). Welche Voraussetzungen hierfür im einzelnen erfüllt sein müssen, ist unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu entscheiden. Hierunter ist nach der Rechtsprechung des Senats zum Wohnungsbegriff die gerichtsbekannte Anschauung zu verstehen, die urteilsfähige und unvoreingenommene Bürger von einer Sache haben oder gewinnen, wenn sie mit ihr befaßt werden. Diese Verkehrsauffassung kann entsprechend der Veränderung der Wohngepflogenheiten einem gewissen Wandel unterliegen, wobei die örtlichen Verhältnisse zu Unterschiedlichkeiten in der Beurteilung führen können.
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Wochenendhaus der Kläger als Einfamilienhaus zu beurteilen.
a) Obgleich die Gesamtwohnfläche unter der für öffentlich geförderte Wohnungen maßgeblichen Mindestwohnfläche des § 39 Abs. 5 II. WoBauG liegt, sind die Wohn-, Schlaf- und Nebenräume des Wochenendhauses bei Berücksichtigung der Verkehrsanschauung groß genug, um darin einen selbständigen Haushalt führen zu können. Zwar sind die Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes als Ausdruck der Verkehrsanschauung bei der bewertungsrechtlichen Beurteilung heranzuziehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - III R 81/76), jedoch können sie nur Anhaltspunkte für die Entscheidung sein, da die Verkehrsanschauung auch von zahlreichen anderen Faktoren mitgeprägt wird. Die Mindestgrenzen des § 39 Abs. 5 II. WoBauG können daher nicht starr auf das Bewertungsrecht übertragen werden, sondern sind jeweils im Zusammenhang mit anderen die Verkehrsanschauung bestimmenden Faktoren zu würdigen. Das Bild der Wohnung nach der Verkehrsanschauung wird wesentlich durch die örtlichen Verhältnisse mitbestimmt (vgl. BFH-Urteil III R 81/76). Dies hat das FG nicht berücksichtigt. Bei Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse hätte es zu der Erkenntnis kommen müssen, daß in Wochenendhausgebieten im allgemeinen geringere Wohnflächen üblich sind. Dies ist - abgesehen von der Begrenzung der Grundfläche durch den Bebauungsplan (vgl. § 10 Satz 2 der Baunutzungsverordnung i. d. F. vom 20. Dezember 1968, BGBl I 1969, 11) - dadurch bedingt, daß Wochenendhäuser in der Regel als Zweitwohnung nicht dazu bestimmt sind, dauernd bewohnt zu werden. Insofern sind an ihre Größe nach der Verkehrsanschauung geringere Anforderungen zu stellen als an sonstige Wohngebäude. Hinzu kommt, daß das Blockhaus in seiner Ausstattung gehobenem Wohnbedarf entspricht und daher trotz der gegenüber sonstigen Wohngebäuden verhältnismäßig geringen Wohnfläche ein zeitgemäßes Wohnen ermöglicht. Unter diesen Umständen ist eine Gesamtwohnfläche von ca. 36 m2 - nach § 44 Abs. 2 der Verordnung über wohnwirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz i. d. F. vom 1. Juni 1972 (BGBl I 1972, 857) kann die Grundfläche der überdachten Terrasse zur Ermittlung der Wohnfläche bis zur Hälfte angerechnet werden - noch als ausreichend anzusehen.
b) Unerheblich ist, daß die Kläger das Blockhaus nur zeitweilig bewohnen. Unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung sind auch solche Räume als Wohnung anzusehen, die neben der Hauptwohnung nur zeitweise - z. B. an Wochenenden und in den Ferien - benutzt werden. Nach der Entscheidung des Senats vom 25. Mai 1979 III R 41/78 (BStBl II 1979, 543), sind daher auch Wochenendhäuser als Einfamilienhäuser zu bewerten, wenn sie eine Wohnung enthalten und während des ganzen Jahres bewohnbar sind.
c) Ebensowenig steht der Beurteilung als Einfamilienhaus entgegen, daß das Blockhaus in einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet liegt und somit baurechtlich nicht ganzjährig ununterbrochen benutzt werden darf. Wie der Senat in dem Urteil III R 41/78 ausgeführt hat, hängt die Frage, ob eine Wohnung im Sinne des Bewertungsrechts vorliegt, allein davon ab, ob die Räume nach der Verkehrsauffassung in tatsächlicher Hinsicht zur Führung eines Haushalts geeignet sind. Da die Dauernutzung kein Tatbestandsmerkmal des Begriffs Wohnung ist, kann auch die sich aus der Baunutzungsverordnung ergebende Nutzungsbeschränkung keinen Einfluß auf die Bewertung als Einfamilienhaus haben.
3. Das Urteil des FG, das von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, die Einspruchsentscheidung und der Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1974 sind aufzuheben. Da Einfamilienhäuser - abgesehen von den Ausnahmen des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG - nicht nach dem Sachwert-, sondern nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten sind (§ 76 Abs. 1 Nr. 4 BewG) und das FG hierfür erforderliche Feststellungen nicht getroffen hat, kann der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Die Sache wird daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 73170 |
BStBl II 1979, 542 |
BFHE 1979, 263 |