Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagerücknahme nach Ergehen eines Vorbescheids; verdeckte Gewinnausschüttung durch Zahlungen aufgrund eines Schuldbeitritts zu einer Unterhaltsvereinbarung
Leitsatz (NV)
1. Nach Ergehen eines Vorbescheids ist die Klagerücknahme nur mit Einwilligung des Beklagten möglich.
2. Unterhaltszahlungen einer GmbH an die Witwe ihres früheren Gesellschafters sind verdeckte Gewinnausschüttungen, wenn sie darauf beruhen, daß der Gesellschafter sich in einer Scheidungsvereinbarung zur Zahlung des Unterhalts verpflichtet und die GmbH die Mithaft für diese Verpflichtung übernommen hatte.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 1 S. 2, § 90 Abs. 3 S. 3, § 125 Abs. 1 S. 2; KStG 1977/1984 § 27 Abs. 1; KStG 1977/1984 § 27 Abs. 3 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Gesellschafter waren zunächst A und dessen Ehefrau. A war zugleich Geschäftsführer der Klägerin. Die Ehe der Gesellschafter wurde 1959 geschieden. In der Scheidungsvereinbarung vom Februar 1958 übernahm die Klägerin für alle sich aus der Vereinbarung für A ergebenden finanzielle Verpflichtungen die gesamtschuldnerische Mithaft. Nach der Vereinbarung sollten sich die an die Ehefrau zu erbringenden Unterhaltsleistungen auch nach dem Tode des A nicht mindern. A heiratete ein zweites Mal. Im Dienstvertrag zwischen ihm und der Klägerin vom 15. März 1963 verpflichtete sich die Klägerin, der zweiten Ehefrau eine Witwenpension zu zahlen. Der Vertrag enthält keine Regelung für den Fall der Scheidung. Die zweite Ehe des A wurde 1968 geschieden. 1970 starb A. Seinen Anteil am Stammkapital der Klägerin (90 v. H.) übernahmen je zu 1/2 ein Sohn aus der ersten Ehe und ein Sohn aus der zweiten Ehe.
A zahlte die Unterhaltsleistungen an seine früheren Ehefrauen bis zu seinem Tode aus privaten Mitteln. Nach seinem Tod bildete die Klägerin wegen der Pensionsverpflichtungen gegenüber den beiden Witwen Rückstellungen und behandelte die laufenden Pensionszahlungen als Betriebsausgaben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beanstandete dies. Nach einem Rechtsstreit, der die Veranlagungszeiträume 1970 und 1971 betraf und zu dem Urteil des erkennenden Senats vom 6. Februar 1985 I R 80/81 (BFHE 143, 426, BStBl II 1985, 42) führte, berücksichtigte das FA bei der Festsetzung der KSt für 1977 bis 1984 (Streitjahre) die Pensionszahlungen an die zweite Ehefrau des A als Betriebsausgaben der Klägerin. Die Zahlungen an die erste Ehefrau behandelte es weiterhin als verdeckte Gewinnausschüttungen. Daraus ergab sich eine KSt-Erhöhung pro Streitjahr von 0 DM auf . . . DM (Bescheide vom 21. Juli 1987: zu versteuerndes Einkommen und tarifliche KSt jeweils 0 DM, KSt-Erhöhung wegen der Pensionszahlung an die erste Ehefrau des A 9/16 von . . . = . . . DM pro Streitjahr). Die Klägerin erhob gegen die KSt-Bescheide Einspruch und beantragte gleichzeitig, die Vollziehung der Bescheide auszusetzen. Das FA lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde war erfolglos. Im anschließenden Klageverfahren wegen Aussetzung der Vollziehung wies das FG durch Vorbescheid die Klage ab. Die Klägerin beantragte rechtzeitig mündliche Verhandlung und nahm anschließend die Klage zurück. Da das FA der Rücknahme der Klage nicht zustimmte, setzte das FG das Verfahren fort und wies die Klage ab. Die Klägerin stützt ihre Revision auf Verletzung der §§ 72 Abs. 1 FGO und 361 Abs. 1 und 2 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wirksam zurückgenommen worden.
Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO ist nach Ergehen eines Vorbescheids die Rücknahme der Klage nur mit Einwilligung des Beklagten möglich. Eine entsprechende Regelung für die Rücknahme der Revision enthält § 125 Abs. 1 Satz 2 FGO. Die Regelungen dienen dem Schutz der Beklagten bzw. Revisionsbeklagten. Sie verhindern, daß ein Kläger bzw. Revisionskläger sich in einem bereits fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens gegen den Willen des Beklagten bzw. Revisionsbeklagten einer Entscheidung des Gerichts über die Klage bzw. Revision entzieht. Sie gelten deshalb auch dann, wenn nach Ergehen des Vorbescheids rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt wurde und der Vorbescheid somit gemäß § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO als nicht ergangen gilt (s. BFH-Zwischenurteil vom 8. Mai 1990 VII R 116-117/87, BFHE 160, 304, BStBl II 1990, 695). Seine im Urteil vom 3. Februar 1971 I R 51/66 (BFHE 101, 501, BStBl II 1971, 408) vertretene abweichende Ansicht hat der erkennende Senat inzwischen aufgegeben (s. BFH-Urteil in BFHE 160, 304, BStBl II 1990, 695 letzter Absatz). Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, daß entgegen der Auffassung der Klägerin die Klage auch in der Revisionsinstanz nicht mehr ohne Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden kann (s. BFH-Urteil vom 26. April 1972 IV R 156/71, BFHE 105, 447, BStBl II 1972, 625).
2. Das FA ist nicht verpflichtet, gemäß § 361 Abs. 2 AO 1977 die Vollziehung der KSt-Bescheide 1977-1984 wegen ernstlicher Zweifel an deren Rechtmäßigkeit auszusetzen.
Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel und des unstreitigen Sachverhalts - der sogenannten summarischen Prüfung - erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Steuerbescheid als rechtswidrig erweisen könnte (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Auflage, 1987, § 69 Anm. 88 m. w. N.).
Derartige gegen die Rechtmäßigkeit der KSt-Bescheide 1977 bis 1984 sprechende Gründe sind bei summarischer Prüfung nicht erkennbar. Aus den vom FG festgestellten und von der Klägerin nicht bestrittenen Tatsachen ergibt sich, daß die Unterhaltszahlungen der Klägerin an die erste Ehefrau des A Gewinnausschüttungen i. S. des § 27 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 2 KStG 1977/1984 sind.
Gewinnausschüttungen i. S. des § 27 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 2 KStG 1977/1984 (andere Ausschüttungen) sind Vermögensminderungen oder verhinderte Vermögensmehrungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt sind, nicht auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluß beruhen und sich durch einen tatsächlichen Mittelabfluß oder Verzicht auf die Vermögensmehrung konkretisiert haben (s. Urteile des erkennenden Senats vom 30. Mai 1990 I R 41/87, BFHE 161, 87, BStBl II 1991, 588; vom 31. Oktober 1990 I R 47/88, BFHE 162, 546, BStBl II 1991, 255).
Die Klägerin war in den Streitjahren eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft. Ihr Vermögen verminderte sich in jedem der Streitjahre um die von ihr an die erste Ehefrau des A geleisteten Unterhaltszahlungen. Diese Vermögensminderungen beruhten nicht auf förmlichen, den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlüssen.
Anlaß der Vermögensminderungen war entgegen der Ansicht der Klägerin nicht der zwischen ihr und A 1963 abgeschlossene Dienstvertrag mit Pensionszusage, sondern das 1958 bei Abschluß der Scheidungsvereinbarung zwischen der Klägerin und ihren Gesellschaftern bestehende Rechtsverhältnis. Der Dienstvertrag enthielt nach seinem vom FG festgestellten Inhalt lediglich eine Pensionszusage zugunsten des A und seiner zweiten Ehefrau. Aus ihm kann die erste Ehefrau des A gegen die Klägerin keine Ansprüche herleiten. Ihre Unterhaltsansprüche gegen die Klägerin beruhen ausschließlich auf der als Schuldbeitritt zu beurteilenden Übernahme der Mithaft der Klägerin für die sich aus der Scheidungsvereinbarung ergebenden finanziellen Verpflichtungen des A gegenüber seiner ersten Ehefrau. Ein betrieblicher Anlaß für den Schuldbeitritt ist nicht erkennbar. Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, die den Schluß zulassen, daß die Klägerin ein eigenes Interesse an der Übernahme der Mithaft gehabt haben könnte. Anlaß für den Schuldbeitritt war vielmehr das Bestreben der damaligen Gesellschafter der Klägerin, private Unterhaltsansprüche des einen Gesellschafters (der ersten Ehefrau des A) gegenüber dem anderen Gesellschafter (A) zusätzlich abzusichern.
Daß die Klägerin die betrieblich veranlaßten Pensionszahlungen an die zweite Ehefrau des A um die Unterhaltszahlungen an dessen erste Ehefrau kürzte, ändert an dem Rechtsgrund der Unterhaltszahlungen nichts. Der Zahlungsanspruch der ersten Ehefrau ist kein von dem Pensionsanspruch der zweiten Ehefrau des A abgeleiteter Anspruch. Wäre er ein abgeleiteter Anspruch, würde mit dem Tod der (jüngeren) zweiten Ehefrau des A auch der Anspruch der überlebenden ersten Ehefrau des A erlöschen.
Ob der Sachverhalt anders zu beurteilen wäre, wenn die erste Ehefrau des A auf ihren Anspruch gegen die Klägerin verzichtet und die zweite Ehefrau des A einen Teil ihres Pensionsanspruchs an die erste Ehefrau abgetreten hätte, muß der Senat nicht entscheiden. Die Klägerin hat keinen entsprechenden Sachverhalt vorgetragen und nachgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 418026 |
BFH/NV 1992, 564 |