Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellungsmangel bei Setzung einer Ausschlußfrist
Leitsatz (NV)
1. Die Angabe einer unrichtigen Geschäftsnummer auf einer von Amts wegen zuzustellenden Sendung macht deren Zustellung unwirksam (Anschluß an BGH).
2. Die mangelhafte Zustellung kann nicht geheilt werden, wenn mit der Zustellung eine richterlich gesetzte Ausschlußfrist beginnen soll.
3. Auf die Rüge eines nicht heilbaren Zustellungsmangels kann nicht verzichtet werden.
Normenkette
FGO § 53 Abs. 1, § 62 Abs. 3 S. 3; VwZG § 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 9 Abs. 1-2; ZPO § 195 Abs. 2, § 295
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben durch ihren Prozeßbevollmächtigten gegen die Ablehnung des beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) beantragten Vollstreckungsaufschubs Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben. Da der Prozeßbevollmächtigte trotz Aufforderung keine Prozeßvollmacht vorgelegt hatte, wurde ihm durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom ... eine Ausschlußfrist zur Vorlage der Vollmacht gesetzt. Nach Ablauf der Ausschlußfrist ging beim FG eine vom Kläger, jedoch nicht von der Klägerin unterschriebene Prozeßvollmacht für den Prozeßbevollmächtigten ein. Nachdem dem Prozeßbevollmächtigten dies mitgeteilt worden war, ohne daß er hierauf reagierte, erließ der Senatsvorsitzende einen Gerichtsbescheid, durch den die Klage abgewiesen wurde. Dagegen stellte der Prozeßbevollmächtigte Antrag auf mündliche Verhandlung und legte nunmehr auch eine ihm von der Klägerin erteilte Prozeßvollmacht vor. Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil der Prozeßbevollmächtigte der Kläger innerhalb der gesetzten Ausschlußfrist keine Prozeßvollmacht der Kläger vorgelegt habe.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision, mit der sie geltend machen, das Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel. Die Klage sei zulässig gewesen. Die mit einer Ausschlußfrist verbundene Aufforderung zur Vorlage einer Prozeßvollmacht sei nicht wirksam, weil sie nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Das auf der vorliegenden Zustellungsurkunde vom ... angegebene Aktenzeichen 123A1 stimme nicht mit dem Aktenzeichen 123A2 des Verfahrens überein, in dem die Verfügung ergangen sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung sowie die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion aufzuheben und den Vollstreckungsaufschub antragsgemäß zu gewähren.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das FG hat die Klage zu Unrecht durch Prozeßurteil als unzulässig abgewiesen. Da die Sache nicht spruchreif ist, muß sie unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.
a) Die durch Verfügung des Senatsvorsitzenden gesetzte Ausschlußfrist für die Vorlage der Prozeßvollmacht war unwirksam, weil die Verfügung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Das FG hätte deshalb die nach Verstreichen der Ausschlußfrist vorgelegten Vollmachten noch berücksichtigen müssen. Darin, daß es dies nicht getan hat, liegt der beanstandete Verfahrensfehler, auf dem das Urteil beruht.
Die nach §62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit einer (Ausschluß-)Frist verbundene Aufforderung zur Vorlage der Prozeßvollmacht ist gemäß §53 Abs. 1 FGO zuzustellen; erst mit der ordnungsgemäßen Zustellung wird die betreffende Frist wirksam (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. September 1995 IX R 72/94, BFHE 178, 546, BStBl II 1995, 898, m. w. N.). Zustellungen sind im finanzgerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vorzunehmen (§53 Abs. 2 FGO). Nach §3 Abs. 1 Satz 2 VwZG ist die Sendung u. a. mit einer Geschäftsnummer zu versehen. Gemäß §3 Abs. 3 VwZG, §195 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) muß die vom Postbediensteten über die Zustellung zu fertigende Urkunde die Übergabe der ihrer Anschrift und ihrer Geschäftsnummer nach bezeichneten Sendung bezeugen. Da die Postzustellungsurkunde nicht die Übergabe des Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer Sendung bezeugt, stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung sowie auf der Postzustellungsurkunde die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her. Wegen der gebotenen Gewähr für die Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt der Postsendung muß die Geschäftsnummer infolgedessen die Identifizierung der zuzustellenden Sendung ermöglichen (Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 23. Juni 1965 IV ZR 186/64, Monatsschrift für Deutsches Recht -- MDR -- 1996, 44, Der Betrieb 1965, 1700; BFH- Beschluß vom 10. November 1971 I B 32/71, BFHE 103, 454, BStBl II 1972, 127; Urteile vom 21. Juli 1993 IX R 81/89, BFH/NV 1994, 357; in BFHE 178, 546, BStBl II 1995, 898). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß jeweils die Postzustellungsurkunde und der beim Empfänger verbleibende Briefumschlag mit dem Vermerk über die erfolgte Zustellung die einzigen urkundlichen Nachweise über die erfolgte Zustellung der Sendung sind (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluß vom 18. März 1988 Nr. 12 CE 88.00409 Bayerisches Verwaltungsblatt -- BayVBl -- 1988, 658 f.). Aus diesen Gründen kommt der richtigen Angabe der Geschäftsnummer auf den Zustellungsnachweisen entscheidende Bedeutung zu. Der BGH hat deshalb erkannt, daß die Angabe einer unrichtigen Geschäftsnummer auf der von Amts wegen zuzustellenden Sendung deren Zustellung unwirksam macht (BGH, MDR 1966, 44).
Der Senat teilt diese Auffassung und schließt sich ihr an. Der Meinung, daß die Wirksamkeit der Zustellung nicht zwangsläufig mit jeder Ungenauigkeit oder irrtümlichen Bezeichnung entfallen könne, sondern die Zustellung erst dann unwirksam sei, wenn der Adressat bei verständiger Auslegung nicht zu erkennen vermöge, wen und was die Zustellung betreffe, vermag der Senat nicht zu folgen. Das Zustellungsverfahren ist als eine besondere Form der Übermittlung amtlicher Schriftstücke in einer besonderen Weise an Formvorschriften gebunden, die strikt einzuhalten sind. Zu diesen Formvorschriften gehört auch die Angabe der Geschäftsnummer der Sendung auf dem Umschlag und der Postzustellungsurkunde. Dies Erfordernis kann seinen Zweck, die Verbindung zwischen dem zu übermittelnden Schriftstück und dem Nachweis seiner Zustellung herzustellen, nur erfüllen, wenn die anzugebende Geschäftsnummer mit der des übermittelten Schriftstücks übereinstimmt. Aus dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 25. Mai 1984 9 B 905.82 (BayVBl 1984, 637) läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Das BVerwG befaßt sich in dieser Entscheidung nämlich nicht mit den Formalien der Zustellung, sondern mit dem Inhalt des übermittelten Schriftstücks und der Frage, inwieweit dessen Mehrdeutigkeit die Wirksamkeit seiner Zustellung beeinflussen kann (vgl. zu einer gleichen Frage auch BVerwG, Beschluß vom 22. September 1983 9 B 50.81 in Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, §102 VwGO Nr. 6). Darum geht es im Streitfall aber nicht.
Aus dem vom Prozeßbevollmächtigten der Kläger übermittelten Zustellungsnachweis vom 15. August 1995 ergibt sich, daß die Geschäftsnummer für die Zustellung mit 123/A1 auf dem Briefumschlag angegeben ist, entsprechend war sie in Durchschrift auch auf der Postzustellungsurkunde angegeben. Die Geschäftsnummer der die Ausschlußfrist setzenden Verfügung war jedoch 123/A2. Demnach steht fest, daß die Geschäftsnummer auf den die Zustellung nachweisenden Urkunden unrichtig angegeben war, was im übrigen auch vom FG in seinem Beschluß, mit dem es der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht abgeholfen hat, eingeräumt wird.
Nach den vorstehenden Ausführungen liegt demnach ein Zustellungsmangel vor. Dieser kann nicht nach §9 Abs. 1 VwZG geheilt werden ( §9 Abs. 2 VwZG). Gemäß §9 Abs. 1 VwZG gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Zum Schutze des Zustellungsempfängers kann jedoch die mangelhafte Zustellung nicht nach §9 Abs. 1 VwZG geheilt werden, wenn mit der Zustellung eine der in §9 Abs. 2 VwZG genannten Fristen zu laufen beginnt. Die in dieser Vorschrift enthaltene Aufzählung der in Betracht kommenden Fristen ist jedoch nicht abschließend. Die Vorschrift ist vielmehr über die darin enthaltene Aufzählung hinaus allgemein auf Ausschlußfristen -- auch richterlich gesetzte -- anzuwenden, somit auch auf die nach §62 Abs. 3 Satz 3 FGO festgelegte Ausschlußfrist (BFH in BFHE 178, 546, BStBl II 1995, 898, m. w. N.). Dabei kann es nicht -- wie das FA im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragen hat -- darauf ankommen, in welcher Weise diese Ausschlußfrist im konkreten Fall gesetzt worden ist, ob sie nämlich in der Weise bestimmt wurde, daß sie ab dem Tag der Zustellung zu laufen beginnt und ihr Ende von da an zu berechnen ist, oder ob ihr Ende -- wie im Streitfall -- auf ein festes Datum bestimmt ist. Die das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) einschränkende Präklusion darf nämlich nur im Falle schuldhafter Verletzung prozessualer Obliegenheiten eintreten. Im Falle des §62 Abs. 3 Satz 3 FGO wird bei Nichteinhaltung der gesetzten Frist zur Nachreichung der Prozeßvollmacht eine solche Obliegenheitsverletzung vermutet. Die Grundlage hierfür ist nur vorhanden, wenn der Prozeßbevollmächtigte genügend Zeit hatte, der richterlichen Aufforderung auch tatsächlich nachzukommen. Dafür reicht die Feststellung nicht aus, daß die Prozeßvollmacht erst nach der auf ein festes Datum bestimmten Frist nachgereicht wurde. Es ist vielmehr auch notwendig, den Zeitpunkt genau zu bestimmen, an welchem dem Prozeßbevollmächtigten die gerichtliche Verfügung zugestellt worden ist (vgl. BGH-Urteil vom 16. September 1988 V ZR 71/87, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1989, 227).
Die Berufung der Kläger auf diesen Verfahrensmangel ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil sie ihn erst nach Abschluß und nicht bereits vor Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens, z. B. in der von ihnen beantragten mündlichen Verhandlung gegen den Gerichtsbescheid, gerügt haben. Zwar kann die Revision nicht auf einen Verfahrensmangel gestützt werden, der, obwohl er noch in der letzten mündlichen Verhandlung vor Ergehen des Urteils hätte gerügt werden können, tatsächlich nicht gerügt worden ist. Dies gilt aber nur dann, wenn der Beteiligte auf die Befolgung der betreffenden Vorschrift verzichten könnte (§155 FGO i. V. m. §295 ZPO). Im Falle von §9 Abs. 2 VwZG ist dies aber nicht möglich. Die Vorschrift enthält zwingendes, nicht der Disposition durch die Beteiligten unterliegendes Recht (vgl. Stöber in Zöller, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., vor §166 Rz. 6; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 55. Aufl., §295 Rz. 62; Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 20. Dezember 1984 8 U 132/84, MDR 1985, 852; für Mängel bei der Urteilszustellung: Reichsgericht, Urteil vom 4. Juni 1920 VII 523/19, RGZ 99, 140; BGH-Beschluß vom 18. April 1952 I ZB 5/52, NJW 1952, 934).
b) Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat -- von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend -- keine für die Beurteilung der materiell-rechtlichen Streitfrage notwendigen tatsächlichen Feststellungen getroffen. Deshalb ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 67594 |
BFH/NV 1998, 1101 |
HFR 1998, 753 |
NVwZ 1999, 223 |
SGb 1999, 302 |