Leitsatz (amtlich)
Hat ein ausländischer Unternehmer im Inland eine Anlage errichtet, bei der er im Ausland hergestellte und im Jahre 1967 eingeführte Anlagenteile verwendete, dann verbietet Art. 97 EWGV eine weitere, über die Belastung mit Umsatzausgleichsteuer hinausgehende Belastung dieser Anlagenteile mit innerer Umsatzsteuer. Dagegen schließt Art. 97 EWGV nicht aus, die Montageleistung, die der ausländische Unternehmer im Rahmen der im Inland bewirkten Werklieferung erbracht hat, nach dem Werte dieser Dienstleistung unter Anwendung des allgemeinen Steuersatzes zur inneren Umsatzsteuer heranzuziehen (Fortführung von BFH-Urteil vom 21. Oktober 1976 V R 23/72, BFHE 120, 306, BStBl II 1977, 131).
Normenkette
EWGVtr Art. 95, 97; UStG 1951 i.d.F. des 17. UStÄndG § 7 Abs. 7
Tatbestand
Die in Belgien ansässige Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) stellt Maschinen für die Textilindustrie her. In den Jahren 1964 bis 1967 belieferte sie Abnehmer im Inland mit Krempelsätzen und Ringspinnmaschinen. Diese Maschinen gelangten in zerlegten Teilen zu den inländischen Abnehmern und wurden dort unter Mithilfe eines von der Klägerin gestellten Monteurs zusammengesetzt. Die Montage nahm jeweils längere Zeit (etwa 1 bis 3 Monate) in Anspruch. Bei der Einfuhr unterlagen die Maschinenteile einem Umsatzausgleichsteuersatz von 6 v. H.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) ist bei den Umsatzsteuerveranlagungen für die Jahre 1964, 1965, 1966 und 1967 davon ausgegangen, daß die Klägerin Werklieferungen im Inland erbracht habe, die (bei Zugrundelegung des insgesamt aufgewendeten Entgelts für Maschinenteile und Montage als Bemessungsgrundlage) dem allgemeinen Steuersatz von 4 v. H. zu unterwerfen seien. Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin erfolglos geltend, sie habe den Abnehmern die Verfügungsmacht an den Maschinen im Ausland verschafft; die Maschinen seien lediglich aus Transportgründen zerlegt und im Inland wieder zusammengesetzt worden.
Mit der Klage wiederholt die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen und trägt zusätzlich vor, daß die Erhebung von innerer Umsatzsteuer in Anbetracht der bereits eingetretenen Belastung der eingeführten Maschinenteile mit 6 v. H. Umsatzausgleichsteuer gegen Art. 95 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - EWGV - (EWG-Vertrag) verstoße. Dazu trägt sie Belastungsberechnungen vor, nach denen vergleichbare inländische Waren tatsächlich nur eine Belastung von 6,1 v. H. tragen sollen. Die Klägerin beantragt deshalb sinngemäß, die Maschinenlieferungen nicht zur inneren Umsatzsteuer heranzuziehen. Das FA ist diesem Antrag mit abweichenden Ausführungen zum Lieferungsort und zur Belastung vergleichbarer inländischer Waren entgegengetreten.
Das FG hat der Klage stattgegeben. Nach seiner Auffassung kann die Frage des Lieferungsorts der Maschinen dahingestellt bleiben, da in jedem Falle durch die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer die nach dem EWG-Vertrag zulässige Belastung der hier maßgebenden Leistungen der Klägerin mit Umsatzsteuer abgegolten sei. Die Umsatzausgleichsteuer solle, wie sich auch aus dem Urteil des BFH vom 24. Februar 1966 V 115/63 (BFHE 85, 140, BStBl III 1966, 261) ergebe, die Belastung ausgleichen, die inländische Waren beim letzten Umsatz insgesamt zu tragen hätten. Um dieses Ziel zu erreichen, seien bereits im Jahre 1951 erhöhte Umsatzausgleichsteuersätze von 6 v. H. eingeführt worden.
Gegen die Entscheidung des FG richtet sich die Revision des FA. Es rügt unrichtige Auslegung des Art. 95 des EWGV. Das FG hätte sich einem konkreten Belastungsvergleich nicht entziehen dürfen. Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie tritt im Ergebnis der finanzgerichtlichen Entscheidung bei, da es bei Anwendung des Art. 95 EWGV nicht primär auf die Höhe der Belastung, sondern auf die Anzahl der Besteuerungsvorgänge ankomme. Die zweimalige Belastung der eingeführten Maschinen mit Umsatzsteuer (Umsatzausgleichsteuer und innerer Umsatzsteuer) sei vertragswidrig; dies ergebe sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) vom 20. Februar 1973 Rs. 54/72 (EGHE 1973, 193, StRK, EWG-Vertrag, Art. 95 Rechtsspruch 6, UStR 1973, 153). Da der inländische Maschinenhersteller nur einmal, nämlich bei Verkauf der Maschinen, mit Umsatzsteuer belastet werde, dürfe der ausländische Hersteller auch nur einmal, nämlich mit Umsatzausgleichsteuer, zur Umsatzsteuer herangezogen werden. Würde man das EGH-Urteil anders auslegen, so würde dies zu einem konkreten Belastungsvergleich führen. Derartige Vergleiche seien bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung jedoch nur dann zulässig, wenn der Umsatzausgleichsteuersatz kein Durchschnittsatz im Sinne des Art. 97 EWGV sei. Die Umsatzausgleichsteuersätze von 6 v. H. müßten jedoch als solche Durchschnittsätze angesehen werden, mit denen die gesamte vergleichbare inländische Belastung abgedeckt werden sollte. Wollte man jedoch dem nicht folgen und neben der Heranziehung zur Umsatzausgleichsteuer eine weitere Belastung mit innerer Umsatzsteuer für gerechtfertigt halten, dann müsse im Hinblick auf § 7 Abs. 3 Nr. 2 UStG 1951 i. d. F. des 16. UStGÄndG vom 26. März 1965 (BGBl I 1965, 156, BStBl I 1965, 107) der ermäßigte Steuersatz von 1 v. H. angewendet werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Das FG hat seiner Entscheidung eine nicht zutreffende Auslegung des Art. 95 EWGV zugrunde gelegt. Inzwischen ist vom erkennenden Senat im Anschluß an das EGH-Urteil Rs. 54/72 entschieden worden, daß die Vereinbarkeit nationaler Besteuerungsmaßnahmen mit Art. 95 EWGV anhand eines konkreten Belastungsvergleichs nachzuprüfen ist (BFH-Urteile vom 22. Januar 1976 V R 67/71, BFHE 118, 252, BStBl II 1976, 442, und vom 21. Oktober 1976 V R 23/72, BFHE 120, 306, BStBl II 1977, 131). Die Auffassung der Klägerin, daß es nach den Gründen des EGH-Urteils Rs. 54/72 nicht auf die Höhe der Belastung, sondern auf die Zahl der Besteuerungsvorgänge ankomme und im Vergleich der steuerlichen Belastung nur hierauf abzustellen sei, vermag der erkennende Senat nicht zu teilen. Die Ausführungen des EGH im Urteil Rs. 54/72 sind von der Überlegung getragen, daß die nach Art. 95 EWGV zulässige Höhe der Belastung eingeführter Waren nicht in einer für sie nachteiligen Weise bestimmt werden darf; dies wäre jedoch der Fall, wenn ein wirtschaftlich einheitlicher Vorgang (Herstellung und Montage einer Maschine durch den Hersteller) bei eingeführten und bei inländischen Waren in eine unterschiedliche Zahl von Besteuerungsvorgängen zerfällt und diese nicht sämtlich in den Belastungsvergleich eingebracht werden. Aus diesen Erwägungen ist der EGH einer Ausklammerung der Umsatzausgleichsteuerbelastung aus dem Belastungsvergleich entgegengetreten - allerdings mit der wichtigen Einschränkung, daß es dem nationalen Richter überlassen bleiben müsse, darüber zu befinden, ob die deutsche Umsatzausgleichsteuer neben dem Ausgleich der Vorbelastung auch die Umsatzsteuer einschließt. Soweit sich das FG zur Begründung seiner abweichenden Entscheidung auf die Ausführungen des Senats im Urteil V 115/63 beruft, ist ihm entgegenzuhalten, daß es die Ausgangslage im Zeitpunkt der damaligen Entscheidung nicht gewürdigt hat. Es ist damals allgemein davon ausgegangen worden, daß Art. 95 EWGV eine Vertragsbestimmung sei, die eine Umsetzung in nationales Recht bedinge, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Der BFH hat sich demgemäß mit seiner Entscheidung V 115/63 bemüht, den in Art. 95 EWGV enthaltenen Rechtsgedanken bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen. Als der EGH mit Urteil vom 16. Juni 1966 Rs. 57/65 (EGHE 1966, 257, UStR 1966, 189) erstmals entschied, daß Art. 95 Abs. 1 EWGV unmittelbare Wirkungen erzeugt und individuelle Rechte des einzelnen begründet, die die staatlichen Gerichte zu beachten haben, hatte sich die Sachlage grundlegend geändert und die Entscheidung V R 115/63 wegen der weitergehenden unmittelbaren Wirkungen des Art. 95 EWGV gegenstandslos gemacht.
Bei dieser Sachlage ist die Erhebung von innerer Umsatzsteuer (d. h. die Besteuerung des rechtlich getrennten Vorgangs der Werklieferung) nicht gänzlich durch Art. 95 EWGV ausgeschlossen, sondern grundsätzlich mit dieser Vertragsbestimmung vereinbar. Das FG durfte deshalb nicht unentschieden lassen, ob die Klägerin Werklieferungen im Inland durchgeführt hat; denn nur dann, wenn dies entsprechend der den Steuerbescheiden zugrunde liegenden Auffassung der Fall war, müßte überhaupt geprüft werden, inwieweit diese Besteuerung im Einklang mit Art. 95 EWGV steht. Die vorinstanzliche Entscheidung war wegen dieses Mangels in der Rechtsfindung aufzuheben. Die aus vorbezeichneten Gründen nicht spruchreife Sache geht an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
2. Bei der erneuten Prüfung wird das FG zu berücksichtigen haben, daß es sich bei den durch das UStÄndG vom 14. November 1951 (BGBl I 1951, 885, BStBl I 1951, 619) in Verbindung mit der Sechsten Verordnung zur Änderung der Ausgleichsteuerordnung vom 16. November 1951 (BGBl I 1951, 891) eingeführten erhöhten Ausgleichsteuersätzen von 6 v. H. in der Zeit vor dem 1. Januar 1967 nicht um Durchschnittsätze im Sinne des Art. 97 EWGV gehandelt hat. Sie sind erst mit Wirkung vom 1. Januar 1967 kraft der Bestimmung des § 7 Abs. 7 UStG 1951 zu solchen Durchschnittsätzen geworden. Wie der Senatsentscheidung V R 23/72 weiter zu entnehmen ist, muß somit für den Besteuerungszeitraum 1967 davon ausgegangen werden, daß derjenige Umsatzausgleichsteuersatz, der auf der Grundlage der durch das 17. UStÄndG vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 1966, 709, BStBl I 1967, 10) geschaffenen Rechtslage für die Umsatzausgleichsteuerbesteuerung der von der Klägerin eingeführten Maschinenteile maßgeblich war, als Durchschnittsatz im Sinne des Art. 97 EWGV die Vornahme eines konkreten Belastungsvergleichs wegen der ihm zugemessenen Ausgleichsfunktion verbietet.
3. Gleichwohl ist die vom FG getroffene Entscheidung auch für diesen Besteuerungszeitraum nicht zutreffend. Es hat dadurch, daß es die Umsatzsteuer 1967 auf null DM festsetzte, die Rechtmäßigkeit einer Besteuerung der im Inland erbrachten Montageleistung zu Unrecht verneint. Gleichgültig, ob das FG nach seinen noch nachzuholenden Feststellungen zu dem Ergebnis kommt, daß die Klägerin Werklieferungen im Inland oder aber Lieferungen im Ausland zuzüglich Montageleistungen im Inland erbracht hat, können und wollen die Art. 95 und 97 EWGV eine Belastung der im Inland erbrachten Montageleistung mit Umsatzsteuer nach dem Werte dieser Dienstleistung nicht verhindern. Für die Fälle des Art. 95 EWGV hat dies der Senat bereits in seiner Entscheidung V R 23/72 ausgesprochen. Ist der Umsatzausgleichsteuersatz ein Durchschnittsatz im Sinne des Art. 97 EWGV, so gilt im Ergebnis nichts anderes, da in der Bemessungsgrundlage (§ 6 UStG 1951) jedenfalls der Wert der späteren Montageleistung im Inland nicht enthalten ist. Die Montageleistung unterliegt dem allgemeinen Steuersatz, da die Bestimmung des § 7 Abs. 3 Ziff. 2 UStG 1951 nicht eingreift. Nach ihr kann der Unternehmer im Ausland zwar jegliche, im Inland jedoch nur die besonders zugelassenen Bearbeitungen und Verarbeitungen am Liefergegenstand vornehmen. Die Montage von Maschinen ist im Bearbeitungskatalog des § 57 UStDB 1951 nicht enthalten.
4. Für die Besteuerungszeiträume 1964 bis 1966 wird das FG nach Maßgabe der Senatsentscheidung V R 23/72 zu verfahren haben, falls die Annahme von Werklieferungen im Inland gerechtfertigt ist. Aus dem danach vorzunehmenden Belastungsvergleich ist jeweils die Montageleistung auszuklammern, die in jedem Falle - wie bereits ausgeführt - mit dem allgemeinen Steuersatz zur Umsatzsteuer heranzuziehen ist. Im übrigen ist beim Belastungsvergleich aus denselben rechtlichen Erwägungen davon auszugehen, daß die Werklieferung dem allgemeinen Steuersatz von 4 v. H. unterliegt. Der Umstand, daß aus Gründen des Belastungsvergleichs bei der im Inland erbrachten Werklieferung die Montageleistung abzutrennen ist, beseitigt nicht ihre rechtliche Einstufung als eine im Inland erbrachte Werklieferung, die wegen der nicht besonders zugelassenen Be- und Verarbeitungen des Liefergegenstandes einem ermäßigten Steuersatz nicht zugänglich ist (vgl. § 7 Abs. 3 Ziff. 2 UStG 1951).
5. Für den unter diesen Bedingungen vorzunehmenden Belastungsvergleich hat das FG die Auffassung des EGH zu berücksichtigen, daß es Sache des nationalen Richters ist, im Einzelfall zu entscheiden, ob die Umsatzausgleichsteuer lediglich dem Ausgleich der Vorbelastung dient oder ob sie auch Umsatzsteuer enthält, die einen Vorgriff auf die Besteuerung der im Inland erbrachten Werklieferung darstellen würde (vgl. dazu auch die entsprechenden Erklärungen der Bundesregierung und die Schlußanträge des Generalanwalts Roemer im Verfahren Rs. 54/72). Es gilt danach, in erster Linie die mittelbare Belastung zu ermitteln, die die Textilmaschinen auf der inländischen Herstellerstufe vor ihrer Lieferung an den Abnehmer getroffen hat. Die genaue Höhe dieser Vorbelastung hat die Bundesregierung im Verfahren Rs. 54/72 vor dem EGH mit 4,71 v. H. für die Standardausführung und mit 5,71 v. H. für die Sonderanfertigungen angegeben. Die durchschnittliche Höhe der mittelbaren Belastung von Ausrüstungsgütern bezifferte die Bundesregierung mit rd. 6 v. H. Da es für den konkreten Belastungsvergleich auf den Einzelfall ankommt, wird das FG als Tatsacheninstanz von den Werten auszugehen haben, die sich für den Bereich der Textilmaschinen haben ermitteln lassen. Sofern die Klägerin gegen diese Werte Einwendungen erheben sollte, trifft sie die objektive Beweislast (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562). Sollte das FG danach im Rahmen seiner Würdigung des Sachverhalts zu dem Ergebnis kommen, daß beispielsweise die Umsatzausgleichsteuerbelastung um einen Punkt zu hoch gewesen ist, läge insoweit im Ergebnis eine Vorwegnahme von innerer Umsatzsteuer auf den Vorgang der Werklieferung im Inland vor. Die auf die Werklieferung angewendete Besteuerung zum Steuersatz von 4 v. H. müßte dann gesenkt werden. Da die Umsatzausgleichsteuer auf Maschinenteile wegen der Lieferung ab Werk von derselben Bemessungsgrundlage wie die innere Umsatzsteuer ausgehen dürfte, könnte die innere Umsatzsteuer um einen vollen Punkt herabgesetzt werden. Das FG hat hier - notfalls im Wege der Schätzung - den Umrechnungsschlüssel zu ermitteln und hierbei den Grundsätzen der objektiven Beweislast Rechnung zu tragen.
Fundstellen
BStBl II 1978, 278 |
BFHE 1978, 254 |