Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdeutung von Verfahrenserklärungen; Einlegung eines Einspruchs für den Ehegatten; Bedarfswertfeststellung bei Übertragung mehrerer Miteigentumsanteile
Leitsatz (NV)
1. Eine Umdeutung der Verfahrenserklärungen von Angehörigen der rechts- oder steuerberatenden Berufe scheidet regelmäßig aus.
2. Für eine wirksame Rechtsbehelfseinlegung des einen Ehegatten für den anderen ist es erforderlich, dass der den Rechtsbehelf einlegende Ehegatte klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er den Rechtsbehelf auch für den anderen Ehegatten einlegt.
3. Die Grundstückswerte für mehrere übertragene Miteigentumsanteile sind jeweils für sich festzustellen und nach § 139 BewG abzurunden.
4. Ein Bescheid über die Feststellung von Grundstückswerten ist nicht wegen Unbestimmtheit nichtig, wenn die Grundstückswerte für die einzelnen auf die Bedachten übertragenen Miteigentumsanteile zwar nicht betragsmäßig festgestellt und je für sich abgerundet werden, sich aber aus dem Bescheid errechnen lassen.
Normenkette
AO 1977 § 119 Abs. 1, § 125 Abs. 1, § 355 Abs. 1; BewG § 139
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die beiden älteren Töchter (T 1 und T 2) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) und ihres Ehemannes (E), des Klägers im Verfahren II R 58/04, übertrugen durch Vertrag vom 7. April 1997 auf diese als Miteigentümer zu je 39/100 Anteilen sowie auf die Beigeladene zu 22/100 Anteilen unentgeltlich ein in ihrem hälftigen Miteigentum stehendes, in einem Neubaugebiet im Stadtteil X der Stadt Y (Stadt) belegenes, 3 410 qm großes Grundstück.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte als Wert des übertragenen Grundstücks auf den 7. April 1997 die Hälfte des vom zuständigen Gutachterausschuss für baureifes erschließungsbeitragsfreies Land in X (Wohnbauflächen, allgemeines Wohngebiet) mitgeteilten Bodenrichtwerts von 480 DM je qm abzüglich eines Abschlags von 20 v.H. an und rundete den daraus errechneten Grundstückswert von 654 720 DM auf 654 000 DM ab. Diesen Grundstückswert teilte das FA mit dem Feststellungsbescheid vom 6. August 1998, den es der Klägerin und E in getrennten Ausfertigungen bekannt gab, entsprechend den an dem Grundstück erworbenen Anteilen auf die Eheleute in Höhe von je 255 000 DM und die Beigeladene in Höhe von 144 000 DM auf. Es gab dabei T 1 und T 2 als Voreigentümerinnen des Grundstücks mit einem "Bruchteil" von je 327 000 DM an. Eine weitere betragsmäßige Aufgliederung der den Eheleuten und der Beigeladenen zugeordneten Grundstückswerte auf die von den Schenkerinnen übertragenen insgesamt sechs Miteigentumsanteile nahm das FA nicht vor.
E erhob mit Schreiben seiner Bevollmächtigten, einer Steuerberaterin, vom 27. August 1998 Einspruch gegen den Feststellungsbescheid. Die Klägerin wurde erstmals in der Einspruchsbegründung vom 25. September 1998 als weitere Einspruchsführerin genannt. Das FA folgte dem Begehren der Eheleute, als Grundstückswert 90 DM je qm anzusetzen, nicht und wies ihren Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1793 veröffentlichte Urteil statt.
Mit der Revision macht das FA geltend, die Klage der Klägerin müsse bereits deshalb abgewiesen werden, weil diese nicht rechtzeitig Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt habe und ihre Klage auch als Feststellungsklage keinen Erfolg haben könne. Der Feststellungsbescheid sei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht deshalb nichtig, weil darin nur die Grundbesitzwerte der von den Bedachten letztlich erworbenen Miteigentumsanteile festgestellt worden seien, nicht aber die Beträge der der Besteuerung zugrunde zu legenden Werte der von T 1 und T 2 übertragenen insgesamt sechs Miteigentumsanteile. Insofern genüge die Angabe, dass T 1 und T 2 je zur Hälfte Voreigentümerinnen des Grundstücks gewesen seien. Das FG habe zudem zu Unrecht angenommen, dass die Eheleute einen niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks nachgewiesen hätten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladene beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Verfahren der Klägerin wurde durch Beschluss vom 26. April 2006 von dem Verfahren des Klägers zu gesonderter Verhandlung und Entscheidung abgetrennt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie die Klage der Klägerin betrifft, und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Klage der Klägerin ist sowohl als Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 Alternative 1 FGO) als auch als auf Feststellung der Nichtigkeit des ihr gegenüber ergangenen Feststellungsbescheids gerichtete Klage (§ 41 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 FGO) unbegründet.
1. Als Anfechtungsklage ist die Klage unbegründet, weil die Klägerin gegen den ihr gegenüber ergangenen Feststellungsbescheid nicht innerhalb der in § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) bestimmten Frist von einem Monat nach Bekanntgabe Einspruch eingelegt hat und der Bescheid daher bestandskräftig geworden ist.
Das Einspruchsschreiben vom 27. August 1998, das nur E als Einspruchsführer bezeichnete, kann nicht dahin verstanden werden, dass auch für die Klägerin Einspruch eingelegt werden sollte. Die Auslegung einer Verfahrenserklärung darf nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der verkörperten Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen. Der wesentliche Inhalt einer Verfahrenshandlung muss sich zumindest andeutungsweise aus der (schriftlich) verkörperten Erklärung ergeben (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. November 2004 X B 59/04, BFH/NV 2005, 209, m.w.N.).
Auch eine "Umdeutung" des von einer Angehörigen der steuerberatenden Berufe gefertigten Einspruchsschreibens dahin, dass der Einspruch für beide Ehegatten eingelegt werden sollte, kommt nicht in Betracht (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 209). Es ist ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige wie Angehörige der steuerberatenden Berufe oder Rechtsanwälte mit ihren Verfahrenserklärungen beim Wort zu nehmen (BFH-Beschlüsse vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382; vom 10. April 2002 VIII B 122/01, BFH/NV 2002, 1309, und vom 21. Juli 2005 VIII B 77/05, BFH/NV 2005, 1861). Bei diesen Personen kann davon ausgegangen werden, dass sie sich über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen im Klaren sind (BFH-Urteil vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359, m.w.N.).
Der BFH hat im Übrigen bereits entschieden, dass ein "im Auftrag" eines Ehemannes eingelegter Einspruch gegen einen Einkommensteuerbescheid selbst dann nicht als zugleich von der Ehefrau eingelegter Einspruch verstanden werden kann, wenn beide Ehegatten bei Abgabe einer gemeinsamen Einkommensteuererklärung sich gegenseitig wirksam zur Vornahme aller im Besteuerungsverfahren erforderlichen Handlungen, also auch zur Rechtsbehelfseinlegung, bevollmächtigt haben (BFH-Urteil vom 27. November 1984 VIII R 73/82, BFHE 143, 32, BStBl II 1985, 296). Für eine wirksame Rechtsbehelfseinlegung des einen Ehegatten auch für den anderen ist es nämlich erforderlich, dass der das Rechtsmittel einlegende Ehegatte klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er den Rechtsbehelf auch für den anderen Ehegatten einlegt (ebenso BFH-Urteile vom 3. August 1993 VIII R 82/91, BFHE 174, 24, BStBl II 1994, 561, und vom 26. August 2004 IV R 68/02, BFH/NV 2005, 553). An einer solchen klaren und unmissverständlichen Äußerung im Einspruchsverfahren fehlt es. Die bloße Angabe der Steuernummer, die übereinstimmend in den beiden gegenüber den Eheleuten ergangenen Feststellungsbescheiden verwendet wurde, ist insoweit ohne hinreichende Aussagekraft.
Ohne Bedeutung ist, dass das FA in der Einspruchsentscheidung auch gegenüber der Klägerin zur Sache entschieden und sich auf deren Klage sachlich eingelassen hat (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 553).
Der Eintritt der Bestandskraft des gegenüber der Klägerin ergangenen Feststellungsbescheids ist auch im Revisionsverfahren zu beachten (vgl. BFH-Urteile in BFHE 174, 24, BStBl II 1994, 561, und vom 8. April 1998 VIII R 14/95, BFH/NV 1999, 145).
2. Als Feststellungsklage ist die Klage ebenfalls unbegründet, da der Feststellungsbescheid nicht nichtig ist.
a) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO 1977). Dies ist nur ausnahmsweise der Fall; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Ein besonders schwerwiegender Fehler liegt nur vor, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt sind, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Ob es sich so verhält, muss anhand der jeweils maßgebenden Rechtsvorschriften beurteilt werden (BFH-Urteile vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381, und vom 7. Februar 2002 VI R 80/00, BFHE 197, 554, BStBl II 2002, 438, je m.w.N.).
b) Diese Voraussetzungen der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts sind im Streitfall nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Feststellungsbescheid nicht deshalb wegen Unbestimmtheit nichtig, weil das FA nicht, wie an sich erforderlich (BFH-Urteile vom 18. August 2004 II R 22/04, BFHE 207, 48, BStBl II 2005, 19, und vom 24. Mai 2005 II R 57/03, BFH/NV 2005, 1982), Grundstückswerte für die einzelnen auf die Eheleute und die Beigeladene übertragenen Miteigentumsanteile jeweils unter Abrundung nach § 139 des Bewertungsgesetzes (BewG) festgestellt hat.
Der Bescheid ist nämlich dahin gehend auszulegen, dass der Grundstückswert dieser Anteile jeweils die Hälfte der festgestellten Grundstückswerte der von den Bedachten jeweils im Ergebnis erworbenen Miteigentumsanteile an dem Grundstück betragen soll. Eine solche Auslegung des Bescheids ist zulässig und geboten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22. November 1995 II R 26/92, BFHE 179, 177, BStBl II 1996, 162). Ein Verwaltungsakt ist nur dann nicht inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 AO 1977), wenn auch nicht durch Auslegung geklärt werden kann, wie er zu verstehen ist. Entscheidend ist dabei, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen --seinem "objektiven Verständnishorizont"-- den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verstehen konnte. Zur Auslegung ist auch das Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des FG ausreichen (BFH-Urteil vom 27. November 1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791, m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen war der Inhalt des Feststellungsbescheids für die Adressaten aufgrund des ihnen bekannten Umstands, dass sie von den beiden Schenkerinnen jeweils die Hälfte der Miteigentumsanteile, deren Grundsstückswerte in dem Bescheid festgestellt worden waren, erhalten hatten und dass dafür Grundstückswerte festzustellen waren, eindeutig erkennbar. Die Bedachten haben den Inhalt des Bescheids ersichtlich auch richtig erkannt und daher fehlende Bestimmtheit und daraus folgende Nichtigkeit des Bescheids erst geltend gemacht, nachdem der Berichterstatter im Revisionsverfahren auf die Erforderlichkeit einer gesonderten Wertfeststellung für jeden der übertragenen Miteigentumsanteile hingewiesen hatte.
Die unzutreffende Anwendung der Rundungsregelung ist kein besonders schwerwiegender, zur Nichtigkeit führender Fehler.
Fundstellen