Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Erträgnisse aus dem in der Bundesrepublik vorhandenen, unter treuhänderische Verwaltung gestellten Vermögen einer früher im Bereich der heutigen sowjetisch besetzten Zone Deutschlands ansässigen und dort nach dem Krieg enteigneten Genossenschaft unterliegen der Gewerbesteuer.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 2 Ziff. 2
Tatbestand
Die bis 1945 in X. als Raiffeisen Zentralkasse tätige Revisionsklägerin (Steuerpflichtige - Stpfl. -) wurde danach in der Sowjetzone enteignet. Ihr Vermögen in der Bundesrepublik und in Berlin (West) wurde von dem nach den gesetzlichen Bestimmungen zum Treuhänder bestimmten Deutschen Raiffeisen-Verband in Bonn erfaßt. Für die Veranlagungszeiträume II/1948 bis 1957 wurde die Stpfl. rechtskräftig zur Körperschaftsteuer veranlagt. Der Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte auch einheitliche Gewerbesteuermeßbeträge für die Erhebungszeiträume II/1948 bis 1957 fest.
Einspruch und Berufung der Stpfl. gegen ihre Gewerbesteuerpflicht wurden als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1963 S. 413 veröffentlicht ist, hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Stpfl. bestehe mit ihrem in der Bundesrepublik und in Berlin (West) belegenen Vermögen nach der ständigen Rechtsprechung der deutschen Zivilgerichte weiter. Es gelte das Territorialitätsprinzip, nach dem die Wirkung von Staatshoheitsakten an den Gebietsgrenzen der tätig werdenden Staatsgewalt ende. Staatliche Enteignungsmaßnahmen könnten nur das der Gebietshoheit unterliegende Vermögen erfassen, nicht aber über die Staatsgrenzen hinauswirken. Eine in ihrem Heimatstaat enteignete Genossenschaft bestehe deshalb außerhalb ihres Landes - bei Untergang der ursprünglichen Genossenschaft - als Restgenossenschaft, bei formellem Fortbestehen ihrer Rechtspersönlichkeit unter staatlicher übernahme der Mitgliedsrechte als Spaltgenossenschaft weiter. Dieser zivilrechtlichen Auffassung habe sich der BFH in den Urteilen I 57/56 U vom 24. August 1956 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 63 S. 241 - BFH 63, 241 -, BStBl III 1956, 289) für die Körperschaftsteuer, und III 229/56 U vom 18. Mai 1957 (BFH 65, 28, BStBl III 1957, 243) für die Vermögensteuer, angeschlossen. Dieser Rechtsprechung folge das FG auch hinsichtlich der Gewerbesteuer.
Die Stpfl. bestehe danach in der Bundesrepublik als Genossenschaft weiter. Sie habe durch die Bestellung eines Treuhänders, dem später auch die Verwaltung des Vermögens in Berlin (West) übertragen worden sei, ihre Handlungsfähigkeit wieder erlangt. Die Steuerpflicht einer juristischen Person selbst sei aber grundsätzlich nicht davon abhängig, ob sie vertretungsberechtigte Organe besitze. Eine Genossenschaft sei nach § 2 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG stets und in vollem Umfang gewerbesteuerpflichtig. Bei ihrem beachtlichen Wertpapiervermögen bedürfe die Stpfl. einer Vermögensverwaltung. Auf Art und Umfang der ausgeübten Tätigkeit komme es in derartigen Fällen nach dem BFH-Urteil I 262/60 U vom 13. November 1962 (BFH 76, 195, BStBl III 1963, 69) nicht an. Auch das Vorhandensein einer Betriebsstätte im Sinne des § 16 StAnpG sei für die hier an die Rechtsform gebundene Gewerbesteuerpflicht nicht erforderlich. Der steuerliche Sitz ergebe sich aus dem Wohnsitz des Treuhänders. Die steuerliche Beurteilung brauche nicht der Zivilrechtsprechung zum Währungsrecht zu folgen.
Die Stpfl. habe allerdings wegen dieser Tätigkeit ihre Eigenschaft als steuerbegünstigte Kreditgenossenschaft verloren, so daß die Voraussetzungen für die dafür vorgesehenen gewerbesteuerlichen Vergünstigungen weggefallen seien. Die deshalb ergangene allgemeine Billigkeitsregelung nach § 131 Abs. 2 AO des zuständigen Landesfinanzministers, zu der dieser nach dem BFH-Urteil I 101/60 S vom 9. Januar 1962 (BFH 74, 641, BStBl III 1962, 238) allerdings nicht berechtigt gewesen sei und die nach dem BFH-Urteil I 39/57 U vom 14. August 1958 (BFH 67, 364, BStBl III 1958, 409) die Steuergerichte auch nicht binde, könne hier ohne Bedenken als besondere Erlaßmaßnahme des FA für die einzelnen Steuerjahre wegen Vorliegens einer unbilligen Härte angesehen werden.
Die Stpfl. begründet ihre Rb. (Revision) wie folgt: Die für das Zivilrecht entwickelte und vom BFH für einige Steuerbereiche übernommene Rechtsprechung könne nicht auch auf die unbeschränkte Gewerbesteuerpflicht des Restvermögens der außerhalb der deutschen Gesetzeshoheit enteigneten Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG übertragen werden. Diese Bedenken bestünden vor allem bei Geldinstituten, die nicht in das Gebiet der Bundesrepublik verlagert worden seien und die sich deshalb nach den Vorschriften des § 9 der Fünfunddreißigsten Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz und jetzt der §§ 4 bis 7 des Dritten Umstellungsergänzungsgesetzes vom 22. Januar 1964 (BGBl I 1964, 33) ihrer vertraglichen oder satzungsmäßigen Tätigkeit nicht mehr widmen könnten. Nach der das Steuerrecht beherrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise könne von einem Fortbestand dieser Geldinstitute nicht gesprochen werden. Die erwähnten gesetzlichen Maßnahmen hätten den alleinigen Zweck, das Vermögen der Institute in der Bundesrepublik im Interesse der Gläubiger und Anteilseigner ordnungsmäßig zu erfassen, zu verteilen und seine bisher allein aus politisch Gründen zurückgestellte Verteilung sicherzustellen. Damit sei es unvereinbar, diese währungsrechtlich "toten" Unternehmen steuerrechtlich wie uneingeschränkt werbend tätige Unternehmer zu behandeln, was insbesondere gewerbesteuerlich mangels einer Betriebstätte unzulässig erscheine. Die Nichtbeachtung der Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Währungsrecht durch das FG begegne schweren Bedenken verfassungsrechtlicher Art, insbesondere vom Standpunkt des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Die unbeschränkte Gewerbesteuerpflicht müsse zum langsamen Verzehr des West-Vermögens der nicht verlagerten Institute zugunsten des Steuerfiskus führen, ohne daß diese sich durch erwerbswirtschaftliche Betätigung neues Vermögen verschaffen könnten.
In der mündlichen Verhandlung hat sich der Bevollmächtigte der Stpfl. insbesondere gegen die beiden wesentlichen Gründe gewandt, auf die bisher die Heranziehung zur Gewerbesteuer gestützt wurde: Daß die in der Sowjetzone erfolgte Enteignung in der Bundesrepublik nicht als rechtswirksam angesehen werde und daß das in der Bundesrepublik vorhandene Restvermögen als Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG genügen solle. Diese rechtlichen Beurteilungen beruhten auf bedenklichen Fiktionen.
Von einer "Restgenossenschaft" könne nicht gesprochen werden. Es seien weder Mitglieder noch Organe noch eine Betriebstätte vorhanden. Seit über 20 Jahren sei keine genossenschaftliche Tätigkeit mehr ausgeübt worden. Daher sei keine Körperschaft mehr vorhanden. Das Urteil I 262/60 U, a. a. O., betreffend die Berliner Altbanken sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar; es betreffe einen anderen Sachverhalt. Die betreffende Bank, die noch 190 Angestellte beschäftige, sei als fortbestehend angesehen worden. Um echtes "herrenloses" Vermögen handele es sich bei dem Besitz der Stpfl. allerdings nicht. Das Vermögen werde für die noch vorhandenen Gläubiger der Genossenschaft verwaltet. Die Fortbestandsfiktion der Zivilgerichte könne für das Steuerrecht nicht übernommen werden. Diese Fiktion habe ausschließlich politische und völkerrechtliche Gründe. Die Sowjetzone solle als nicht bestehend angesehen werden. Das tatsächliche Erlöschen der Zentralkasse könne jedoch nicht geleugnet werden. Die Bundesrepublik habe der Enteignung in Wahrheit auch Rechnung getragen, indem sie für die Zentralkasse einen Treuhänder, nicht einen Abwesenheitspfleger bestellt habe. In dem Gesamtvorgang sei eine staatliche Beschlagnahme zu erblicken. Die bundesdeutschen Maßnahmen liefen darauf hinaus, das gerettete Vermögen den im einzelnen unbekannten Vertriebenen und Flüchtlingen zu erhalten. So sei es auch zu verstehen, daß man den "Treugebern" (anders als bei den Berliner Altbanken) keine Rechte eingeräumt habe. Die allenfalls zu bejahende Annahme des völkerrechtlich fortbestehenden früheren Gebildes lasse sich steuerrechtlich mit § 1 Abs. 2 StAnpG nicht vereinbaren. Die Annahme einer auf § 2 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG gestützten Gewerbesteuerpflicht widerspreche dem Sinne und Zweck des Gesetzes und sei verfassungsrechtlich bedenklich. Was vorliege, sei ein Zweckvermögen, das von einem behördlich eingesetzten Treuhänder für die Berechtigten verwaltet werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der erkennende Senat hat im Urteil I 262/60 U, a. a. O., die Gewerbesteuerpflicht der in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft betriebenen Berliner Altbanken im Sinne des § 1 des Altbankengesetzes vom 10. Dezember 1953 (GVBl Berlin 1953 S. 1483) bejaht, bei denen es sich trotz der im einzelnen nach Art und Ausmaß unterschiedlichen Maßnahmen insbesondere hinsichtlich der behördlich angeordneten Einschränkungen des Bankbetriebs um vergleichbare tatsächliche und rechtliche Verhältnisse handelt. Die Gewerbesteuerpflicht auch des in der Bundesrepublik vorhandenen Gebildes, selbst wenn dieses nur den Rest einer Genossenschaft mit früher anderen und größeren Aufgaben darstellt, ist gegeben. Auf Art und Umfang der Tätigkeit kommt es für die Gewerbesteuerpflicht nach § 2 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG bei Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ebensowenig an wie bei Kapitalgesellschaften. Dazu genügt auch eine reine Vermögensverwaltung. Die Gründe, die zur Beschränkung der Gewerbesteuerpflicht der nicht unter § 2 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG fallenden steuerpflichtigen Gebilde führen, vermögen daran nichts zu ändern. In der Entscheidung I 262/60 U hat der Senat Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über eine beabsichtigte Vereinfachung hinaus auch damit gerechtfertigt, daß die unter § 2 Abs. 2 Ziff. 2 GewStG fallenden Gebilde allein im Hinblick auf ihre Existenz im Wirtschaftsleben mit Rücksicht auf die in ihnen zusammengeballten sachlichen und persönlichen Betriebsmittel einen Gewerbebetrieb darstellen. Tätigkeiten im Vorbereitungsstadium und zur Aufnahme der satzungsmäßigen Aufgaben sind ebenso gewerbesteuerpflichtig wie Tätigkeiten zur Durchführung der Liquidation.
Mit Recht hat die Vorinstanz wie auch der BFH schon in den oben angeführten Urteilen I 57/56 U zur Körperschaftsteuer und III 229/56 U zur Vermögensteuer die Steuerpflicht der Restgenossenschaft auch auf ihre von den Zivilgerichten bejahte fortbestehende Rechtspersönlichkeit gestützt (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs I ZR 123/50 vom 1. Februar 1952, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1952 S. 540; II ZR 168/54 vom 30. Januar 1956, NJW 1956 S. 785; II ZR 318/55 vom 11. Juli 1957, NJW 1957 S. 1433; VII ZR 92/58 vom 5. Mai 1960, NJW 1960 S. 1569, und VII ZR 136/59 vom 6. Oktober 1960, NJW 1961 S. 22).
Was die Restgenossenschaft verwaltet, ist nicht herrenloses Vermögen. Es sind keine Gründe ersichtlich, dieses Vermögen einer anderen Rechtspersönlichkeit als der unter treuhänderischer Verwaltung stehenden Stpfl. zuzurechnen. Damit wird auch der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 845/58 vom 24. Januar 1962 (BStBl I 1962, 500) in den Vordergrund gerückten Ordnungsstruktur des Zivilrechts entsprochen. Daran vermag der Hinweis der Stpfl., daß sie währungsrechtlich ein "totes" Unternehmen sei, nichts zu ändern. Die Währungsgesetzgebung für Kreditinstitute, die in der Sowjetzone enteignet wurden, hat neben dem Gläubigerschutz insbesondere kreditwirtschaftliche und kreditpolitische Aufgaben zu lösen, deren Erfüllung durch die Steuerpflicht von Restgenossenschaften ebensowenig beeinträchtigt wird, wie deren Heranziehung zu den inländischen Steuern die Durchführung der währungsgesetzlichen Maßnahmen gestört hat.
Der Senat verkennt nicht, daß die steuerliche Behandlung der Rest- und Spaltgenossenschaften von ehemals in der sowjetisch besetzten Zone ansässigen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ungewöhnliche Probleme in sich schließt, die den Gesetzgeber zu einem vorübergehenden oder endgültigen Eingreifen oder die Finanzverwaltung im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu Billigkeitsmaßnahmen im Sinne des § 131 AO veranlassen könnten. Dem BFH als oberen Steuergericht der Bundesrepublik obliegen nur die ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben der Steuerrechtsprechung. Wie der Senat bereits im Urteil I 161/62 U, a. a. O., ausgesprochen hat, führt die Besteuerung nach dem Wortlaut des Gesetzes auch im Streitfall nicht zu einem sinnwidrigen, vom Gesetzgeber offenbar nicht gewollten Ergebnis. Nur in diesem Fall käme eine Anwendung des Gesetzes entgegen seinem klaren Wortlaut in Betracht. Es ist aber nicht sinnwidrig, eine fortbestehende Kapitalgesellschaft oder Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft ebenso wie solche Gesellschaften zu behandeln, deren alleiniger Zweck von vornherein und ständig in der Verwaltung ihres Vermögens besteht. Die Heranziehung der Stpfl. zur Gewerbesteuer verstößt daher entgegen dem Revisionsvorbringen auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Fundstellen
Haufe-Index 412211 |
BStBl III 1966, 682 |
BFHE 1966, 764 |
BFHE 86, 764 |