Leitsatz (amtlich)
Der Begriff des gemeinen Wertes nach dem Bewertungsgesetz gilt nur eingeschränkt für die Bewertung verdeckter Gewinnausschüttungen im Körperschaftsteuerrecht.
Normenkette
KStG § 6 Abs. 1 S. 2; BewG a.F. §§ 1, 10
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine Wohnungsbau-GmbH - verkaufte mit notariellen Verträgen vom 30. Juni 1960 in ihrem Besitz befindliche eigene Geschäftsanteile im Nennwert von 24 000 DM an die Tochter ihrer Hauptgesellschafterin und alleinigen Geschäftsführerin zum Preis von 12 875 DM und im Nennwert von 2 000 DM an ihren Gesellschafter H zum Preise von 1 875 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah in diesen Vorgängen verdeckte Gewinnauschüttungen, da nach seiner Ansicht die Anteile im Zeitpunkt ihrer Veräußerung einen Verkehrswert von 1 470 v. H. hatten. Bei der Ermittlung des Verkehrswerts hatte sich das FA an die Ermittlung des Anteilswerts für Zwecke der Vermögensteuer auf den 31. Dezember 1959 angelehnt, bei der der gemeine Wert der Anteile auf 1 370 v. H. des Nennbetrags festgestellt worden war.
Die nach erfolglosem Einspruch zum FG erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das FG führte aus:
Zwar decke sich die Ermittlung des Verkehrswerts nicht grundsätzlich mit der des gemeinen Werts im Sinne von § 64 BewDV a. F. Doch müsse sich die Ermittlung des Verkehrswerts der eigenen Geschäftsanteile der Klägerin im Streitfalle an das sogenannte Stuttgarter Verfahren anlehnen, da andere brauchbare Bewertungsgrundlagen nicht vorhanden seien. Demgemäß habe auch der BFH im Urteil vom 11. Juli 1967 III 21/64 (BFHE 89, 479, BStBl III 1967, 666) die Richtlinien zur Bewertung nichtnotierter Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften (AntBewR 1957) vom 28. Januar 1958 (BStBl I 1958, 25) als geeignetes Hilfsmittel der Bewertung bezeichnet. Die Richtigkeit dieses Verfahrens, das einen Mittelwert aus Vermögenswert und Ertragswert errechne, folge bereits aus § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG a. F.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 26. April 1967 und des Körperschaftsteuerbescheids 1960 vom 17. März 1967 eine verdeckte Gewinnausschüttung bezüglich des Anteilserwerbs der Tochter der Hauptgesellschafterin als nicht gegeben festzustellen und die verdeckte Gewinnausschüttung bezüglich des Anteilserwerbs des Gesellschafters H auf 3 765 DM anzusetzen. Hilfsweise beantragt die Klägerin, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung läßt sie vortragen:
Die Anteilsübertragung auf die Tochter der Hauptgesellschafterin könne in Ansehung ihrer Person begrifflich schon keine verdeckte Gewinnausschüttung sein, weil die Erwerberin erst mit dem Erwerb der Anteile Gesellschafterin der Klägerin geworden sei. Betrachte man aber die Erwerberin als eine der Hauptgesellschafterin der Klägerin nahestehende Person, so fehle es an einer Vorteilszuwendung an die Hauptgesellschafterin (BFH-Urteil vom 27. Januar 1972 I R 28/69, BFHE 104, 353, BStBl II 1972, 320). Die Erwerberin sei volljährig und von ihrer Mutter wirtschaftlich unabhängig. Dieser stünden auch keine Rechte an den ihrer Tochter übertragenen Geschäftsanteilen zu.
Zur Frage nach der zutreffenden Bewertung der Geschäftsanteile könne dem FG nicht gefolgt werden. Was Vermögen im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG a. F. sei, könne bei Beachtung des Zieles dieser Vorschrift - den gemeinen Wert der Anteile zu ermitteln - nicht ohne Berücksichtigung der Vorschrift des § 10 Abs. 2 BewG a. F. gesagt werden. Diese aber erfordere es, alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflußten. Damit komme man bei Mietwohngrundstücken zwangsläufig zu ihrer Rentabilität, die ihren Wert bestimme.
Den Hilfsantrag begründet die Klägerin damit, daß die uneingeschränkte Anwendung der AntBewR 1957 auf die Bewertung der verdeckten Gewinnausschüttung, wie sie das FG vorgenommen habe, nicht zulässig sei.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet, soweit sie sich dem Grunde nach gegen die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung durch die Veräußerung eigener Anteile an die Tochter der Hauptgesellschafterin wendet. Bezüglich der Höhe der verdeckten Gewinnausschüttungen führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 KStG) können auch durch Leistungen der Kapitalgesellschaft an eine dem Gesellschafter nahestehende Person vorgenommen werden. Voraussetzung ist, daß die Leistung an den Dritten einen Vermögensvorteil für den Gesellschafter darstellt (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1967 I 98/65, BFHE 91, 239, BStBl II 1968, 322). Gewährt die Kapitalgesellschaft der Ehefrau oder - wie im Streitfall - einem nahen Verwandten des Gesellschafters einen Vorteil, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß der Vorteil mittelbar dem Gesellschafter zugewandt wird (BFH-Urteil I R 28/69). Dieser Beweis des ersten Anscheins kann im allgemeinen nur durch die Feststellung erschüttert werden, daß die Zuwendung des Vorteils ihre Ursache ausschließlich in den Beziehungen der Kapitalgesellschaft zu der dem Gesellschafter nahestehenden Person hat; die Kapitalgesellschaft muß dies darlegen. Im Streitfall ist daher der Hinweis der Klägerin auf die Volljährigkeit und wirschaftliche Selbständigkeit der Tochter der Hauptgesellschafterin nicht geeignet, den Beweis des ersten Anscheins für die mittelbare Zuwendung des Vorteils an die Hauptgesellschafterin zu entkräften.
2. Rechtliche Bedenken bestehen gegen die Ermittlung der Höhe der verdeckten Gewinnausschüttungen durch das FG. Eine ausdrückliche Vorschrift über die Bewertung der verdeckten Gewinnausschüttungen fehlt im Körperschaftsteuergesetz. Daher ist nach §§ 1, 10 Abs. 1 BewG a. F. der gemeine Wert zugrunde zu legen (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1967 I 262/63, BFHE 90, 370, BStBl II 1968, 105). Der Begriff des gemeinen Werts nach dem Bewertungsgesetz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Die Einschränkungen ergeben sich aus dem Begriff der verdeckten Gewinnausschüttung. Eine verdeckte Gewinnausschüttung liegt nach der neueren Rechtsprechung des BFH vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögenswert zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters unter sonst gleichen Umständen einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (BFH-Urteil vom 3. Februar 1971 I R 51/66, BFHE 101, 501, BStBl II 1971, 408). Danach ist auch die Höhe der verdeckten Gewinnausschüttung in der Weise zu ermitteln, daß die Vergütung, die der Gesellschafter für einen von der Gesellschaft erworbenen Vermögensgegenstand entrichtet hat, mit der Vergütung verglichen wird, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter von einem Nichtgesellschafter gefordert und erhalten hätte. Damit wird der Wert der verdeckten Gewinnausschüttung durch den erzielbaren Erlös bestimmt. Das steht im Einklang mit § 10 Abs. 2 Satz 1 BewG a. F., nach dem der gemeine Wert durch den Preis bestimmt wird, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Für die Bewertung der verdeckten Gewinnausschüttung gilt auch, daß alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen sind (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BewG a. F.). Dagegen bestehen Bedenken gegen die Anwendung des § 10 Abs. 2 Satz 3 BewG a. F., der vorschreibt, daß ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse nicht zu berücksichtigen sind. Bei der Bewertung der verdeckten Gewinnausschüttung sind auch diese Umstände zu berücksichtigen, wenn sie ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter bei dem Geschäft mit einem Nichtgesellschafter in Betracht gezogen hätte.
Gilt somit der Begriff des gemeinen Werts nach dem Bewertungsgesetz für die verdeckte Gewinnausschüttung nur eingeschränkt, so können auch die AntBewR 1957 keine Verbindlichkeit für die Bewertung der verdeckten Gewinnausschüttung beanspruchen. Gewiß wird auch die Ermittlung des erzielbaren Erlöses für Anteile an einer Kapitalgesellschaft zum Zweck der Bewertung der verdeckten Gewinnausschüttung vom Vermögenswert und Ertragswert der Gesellschaft auszugehen haben. Im Streitfall ist aber die Besonderheit zu berücksichtigen, daß das Vermögen der Klägerin im wesentlichen aus bebauten Grundstücken besteht, die durch Vermietung genutzt werden und die auch nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes in der Regel mit dem Ertragswert zu bewerten sind (§ 33 BewDV a. F., § 78 BewG 1965). Das hat zur Folge, daß auch bei der Ermittlung des Wertes der verdeckten Gewinnausschüttungen durch Veräußerung der Anteile an der Klägerin unter Preis dem Ertragswert ein größeres Gewicht beizulegen ist, als dies nach den AntBewR 1957 geschieht. Das gilt um so mehr, als es sich bei dem Grundvermögen der Klägerin um langfristige Anlagen handelt, die nicht durch ihre Veräußerung, sondern durch ihre Nutzung im Wege der Vermietung auf den Wert der Anteile an der Klägerin durchschlagen.
Ist somit im Streitfall dem Ertragswert der Anteile der Klägerin der Vorrang vor dem Vermögenswert einzuräumen, so kommen damit einerseits die niedrigen Mieten, die die Klägerin einnimmt, andererseits die höheren Zinsen, die sie nach der Herabsetzung der Abgabeschuld nach § 99 Abs. 2 LAG zu zahlen hat, voll zur Geltung. Damit entfallen die Bedenken der Klägerin gegen den Ansatz der nach § 99 Abs. 2 LAG herabgesetzten Abgabeschuld bei der Ermittlung des Vermögenswerts.
Ohne Bindung an die AntBewR 1957 ist schließlich zu prüfen, wie weit die Höhe der jeweils veräußerten Anteile im Verhältnis zum gesamten Stammkapital der Klägerin Zuschläge oder Abschläge bei ihrer Bewertung rechtfertigt. Dadurch können sich im Streitfall für die beiden Empfänger der verdeckten Gewinnausschüttungen verschiedene Werte ergeben.
Fundstellen
BStBl II 1975, 306 |
BFHE 1975, 236 |