Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei der Veräußerung eines Mitunternehmerantells sind Schuldzinsen für betrieblich begründete zurückbehaltene Verbindlichkeiten nachträgliche Betriebsausgaben, soweit der Veräußerungserlös und der Verwertungserlös aus zurückbehaltenen Aktivwerten nicht zur Schuldentilgung ausreicht.
2. Die Schuldzinsen sind - darüber hinausgehend - auch noch dann und so lange nachträgliche Betriebsausgaben, als der Schuldentilgung Auszahlungshindernisse hinsichtlich des Veräußerungserlöses, Verwertungshindernisse hinsichtlich der zurückbehaltenen Aktivwerte oder Rückzahlungshindernisse hinsichtlich der früheren Betriebsschulden entgegenstehen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 24 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger (Ehemann) war ab 1. Februar 1972 Kommanditist der ... KG. Seine Einlage betrug 100 000 DM. Im Gesellschaftsvertrag war vorgesehen, daß im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters diesem das Kapital nicht sofort in voller Höhe, sondern in Raten auszuzahlen war.
Um seiner Einzahlungsverpflichtung nachzukommen, nahm der Kläger am 31. Oktober 1972 bei der A-Bank einen Kredit in Höhe von 100 000 DM auf (9,5 % Zinsen nebst 3 % Kreditprovision, monatlicher Abzahlungsbetrag 2 500 DM).
Der Kläger schied bereits am 1. Januar 1973 aus der KG aus. Sein Kapitalkonto betrug in diesem Zeitpunkt 71 975,29 DM (100 000 DM abzüglich Entnahmen 1972 5 500 DM abzüglich Verlustanteil 1972 22 524,71 DM). Der Kommanditanteil wurde von der W-GmbH zum Buchwert übernommen. Die KG wurde aufgelöst, ihr bisheriger Geschäftsbetrieb als Betriebsabteilung der W-GmbH fortgeführt. Die W-GmbH zahlte entsprechend der angeführten Bestimmung des Gesellschaftsvertrags den Betrag von 71 975,29 DM nicht aus. Es wurde vielmehr vereinbart, daß der Kläger der W-GmbH den Betrag als verzinsliches Darlehen gewährte. 1974 vereinnahmte der Kläger von der W-GmbH Zinsen in Höhe von 6 264 DM und zahlte seinerseits an die A-Bank Zinsen in Höhe von 8 990 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erfaßte bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger für 1974 die Zinseinnahmen von 6 264 DM als Einnahmen aus Kapitalvermögen und versagte einen Abzug der an die A-Bank gezahlten Zinsen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, die an die A-Bank gezahlten Zinsen seien Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Sie stünden in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Zinseinnahmen i. S. des § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der private Charakter des Darlehens an die W-GmbH sei nicht davon berührt worden, daß die Darlehenssumme aus einer gewerblichen Mitunternehmerbeteiligung stamme. Auch die Bankverpflichtung habe sich mit dem Ausscheiden des Klägers aus der KG in eine Privatschuld verwandelt. Die enge Beziehung, die zwischen Forderung und Schuld im Betriebsvermögen bestanden habe, bestehe jedoch fort.
Das FA macht mit der Revision geltend: Die Bankzinsen seien weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten. Das Bankdarlehen sei aufgenommen worden, um der Einlageverpflichtung bei der KG nachzukommen, also zwecks Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb. Mit dem Ausscheiden des Klägers aus der KG sei diese Einkunftsquelle entfallen und die Darlehensverbindlichkeit eine Privatschuld geworden. Die in 1974 gezahlten Darlehenszinsen stünden in keinem Zusammenhang mehr mit der erloschenen gewerblichen Einkunftsquelle. Es fehle ferner ein unmittelbarer Zusammenhang mit der am 1. Januar 1973 neu begründeten Einkunftsquelle Kapitalvermögen, so daß die Zinsen auch nicht Werbungskosten seien. Das FG hätte im übrigen die Werbungskosten um 300 DM, die bei der Veranlagung gemäß § 9a EStG bereits berücksichtigt worden seien, kürzen müssen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie sehen in den Zinszahlungen - anders als das FG - nachträgliche Betriebsausgaben und berufen sich auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Dezember 1980 I R 119/78 (BFHE 133, 22, BStBl II 1981, 460 ) und vom 19. Januar 1982 VIII R 150/79 (BFHE 135, 193, BStBl II 1982, 321 ).
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Beteiligten und das FG sind übereinstimmend davon ausgegangen, daß der Kläger seine Beteiligung an der KG am 1. Januar 1973 gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG an die W-GmbH veräußerte. Es könnten Bedenken bestehen, ob der Kläger Mitunternehmer der KG i. S. des § 15 (Abs. 1) Nr. 2 EStG war. Er war nur elf Monate an der KG beteiligt, erlitt in dieser Zeit einen Verlust, war seiner Einlageverpflichtung erst kurz vor seinem Ausscheiden nachgekommen und wurde zum Buchwert abgefunden. Die Mitunternehmerstellung des Klägers ergibt sich indessen unabhängig hiervon daraus, daß das Betriebs-FA der KG den Kläger in 1972 - verbindlich für die Beteiligten - als Mitunternehmer behandelt hat.
2. Der erkennende Senat hat für die Veräußerung eines ganzen Gewerbebetriebs nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeführt, daß die Schuldzinsen für betrieblich begründete zurückbehaltene Verbindlichkeiten nachträgliche Betriebsausgaben (§ 24 Nr. 2 EStG) sein können, soweit sie nicht auf Verbindlichkeiten entfallen, die durch den Veräußerungserlös und die Verwertung von zurückbehaltenen Wirtschaftsgütern abgedeckt werden konnten (BFHE 135, 193, BStBl II 1982, 321 ). Der erkennende Senat hat an die Rechtsprechung des I. Senats des BFH angeknüpft, der für den Fall der Betriebsaufgabe entschieden hat, daß die Zinszahlungen für betrieblich begründete und zurückbehaltene Verbindlichkeiten nachträgliche Betriebsausgaben sein können, soweit solche Verbindlichkeiten trotz Verwertung des Aktivvermögens nicht getilgt werden konnten (BFHE 133, 22, BStBl II 1981, 460 ; ferner Urteile vom 11. Dezember 1980 I R 61/79, BFHE 133, 25, BStBl II 1981, 461 ; I R 198/78, BFHE 133, 27, BStBl II 1981, 462 ; I R 174/78, BFHE 133, 29, BStBl II 1981, 463 ).
Diese Grundsätze gelten auch für die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Dem liegt wie in Veräußerungs- und Aufgabefällen, die sich auf einen Gesamtbetrieb beziehen, die Erwägung zugrunde, daß bei der Beendigung einer gewerblichen Tätigkeit die Schuldentilgung Vorrang vor einer privaten Bedürfnisbefriedigung hat. Wer sich anders verhält, muß sich so behandeln lassen, als ob er die erhaltenen und zurückbehaltenen Aktivwerte voll zur Schuldentilgung verwandt hätte. Nach demselben Prinzip wird in Fällen einer gesellschaftsrechtlichen Liquidation nur das nach Schuldentilgung verbliebene Aktivvermögen ausgekehrt und, falls dieses zur Schuldentilgung oder - sicherung nicht ausreicht, eine Nachschußpflicht angeordnet (§§ 734 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -, § 145 des Handelsgesetzbuches - HGB -).
Soweit der I. Senat in seinem Urteil vom 28. Januar 1981 I R 234/78 (BFHE 133, 30, BStBl II 1981, 464 ) eine andere Auffassung vertreten hatte, war er hiervon auf Anfrage des erkennenden Senats abgerückt (BFHE 135, 193, 197, BStBl II 1982, 321 unter 4). Der Vorbehalt, den der I. Senat hinsichtlich der Übernahme von Schulden von unterschiedlich haftenden Gesellschaftern gemacht hat, wird nicht berührt. Im Streitfall ist keine Gesellschaftsschuld zu beurteilen, die der beschränkten Kommanditistenhaftung des Klägers (§ 172 HGB) unterlegen hätte. Die hier zu beurteilende Bankschuld ist vielmehr eine Verbindlichkeit, die der Kläger unbeschränkt haftend außerhalb der KG in eigener Person begründete, um seiner gesellschaftsrechtlichen Einlageverpflichtung nachzukommen. Eine derartige Verbindlichkeit gehört, solange die Mitunternehmerstellung andauert, zum negativen Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters; die hierfür gezahlten Zinsen sind Sonderbetriebsausgaben (BFH-Urteile vom 6. Juli 1966 VI 124/65, BFHE 86, 578, BStBl III 1966, 584 ; vom 9. April 1981 IV R 178/80, BFHE 133, 293, 295, BStBl II 1981, 261).
3. Hiervon ausgehend, sind nachträgliche Betriebsausgaben zumindest die vom Kläger aufgewandten Schuldzinsen für den Teil des Bankdarlehens, der im Streitjahr den Erlös aus der Veräußerung der KG-Beteiligung überstieg. Der Streitfall weist jedoch eine Besonderheit auf, die einen weitergehenden Abzug der Schuldzinsen als nachträgliche Betriebsausgaben erlauben könnte. Nach dem Gesellschaftsvertrag, dessen Inhalt allerdings nicht im einzelnen festgestellt ist, durfte der Kläger bei seinem Ausscheiden nicht die Auszahlung des Guthabens von der KG bzw. der W-GmbH verlangen. Er könnte sonach nicht imstande gewesen sein, das Guthaben (= Veräußerungserlös) zur Tilgung der Bankschulden zu verwenden.
Bestehen hinsichtlich des Veräußerungserlöses Auszahlungshindernisse oder hinsichtlich des zurückbehaltenen Aktivvermögens Verwertungshindernisse oder hinsichtlich der früheren Betriebsschuld Rückzahlungshindernisse, entfällt bis zur Beseitigung der Hindernisse die Möglichkeit einer Schuldentilgung. Die von der Rechtsprechung unterstellte Verrechnung zwischen den früheren Betriebsschulden und den anläßlich der Veräußerung oder Aufgabe erlangten Aktivwerten kann nicht stattfinden. Der Steuerpflichtige muß daher so behandelt werden, als ob die nicht tilgbaren früheren Betriebsschulden ihren betrieblichen Charakter beibehalten, bis die Auszahlungs-, Verwertungsoder Rückzahlungshindernisse entfallen sind.
4. Das FG wird im zweiten Rechtsgang feststellen müssen, zu welchen Konditionen der Kläger sein Darlehen an die W-GmbH gewährte, ob der Gesellschaftsvertrag zu der Darlehensgewährung in der vereinbarten Form zwang und - falls nicht - ob eine vorzeitige Tilgung des Bankdarlehens aus Veräußerungserlösen möglich gewesen wäre. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG dargelegt, daß die Raten aus seinem Darlehen an die W-GmbH so bemessen waren wie seine Rückzahlungen an die A-Bank. Sollte sich diese Behauptung bestätigen, würde die Annahme naheliegen, daß die betriebliche Schuld an die A-Bank im Streitjahr im Rahmen der damals gegebenen rechtlichen Möglichkeiten getilgt wurde. In diesem Fall wären die an die A-Bank geleisteten Schuldzinsen nachträgliche Betriebsausgaben. Sollten Rückzahlungsbeträge aus dem Darlehen an die W-GmbH nicht zur Tilgung des Bankdarlehens verwandt worden sein, obwohl dies möglich gewesen wäre, wären die aufgewandten Zinsen insoweit keine nachträglichen Betriebsausgaben. Sie wären entgegen der Auffassung des FG aber auch keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Es würde der wirtschaftliche Zusammenhang zu den von der W-GmbH erzielten Zinseinnahmen fehlen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Die private Bedürfnisbefriedigung steht im Vordergrund. Der Werbungskostenpauschbetrag von 300 DM gemäß § 9a Nr. 2 EStG 1974 ist den Klägern zu belassen, weil keine höheren Werbungskosten angefallen sind.
Fundstellen
BStBl II 1985, 323 |
BFHE 1985, 120 |