Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Arzneiwaren
Leitsatz (NV)
1. Zur Tarifierung von "Arzneiwaren" (hier: Magnesiumpräparate).
2. Präparate, die nur der Behebung von Mangelzuständen oder der Vorbeugung gegen solche Zustände dienen, sind nicht für therapeutische oder prophylaktische Zweke geeignet und somit keine "Arzneiwaren" im zolltariflichen Sinne.
Normenkette
KN Pos. 3003, 3004 Anm. 1a, 2 zu Kap. 30
Tatbestand
Der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), Herstellerin der Produkte " ... " (Magnesium Asparat Hydrochlorid) -- MC -- und " ... " -- MV --, in Beuteln, war für Zwecke der Erlangung von Produktionserstattung nach der Verordnung (EWG) Nr. 1010/86 des Rates vom 25. März 1986 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 94/9) die Verwendung von Zucker zur Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen des Kapitels 30 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zollamtlich erlaubt worden. Produktionserstattungen wurden der Klägerin, die in den Anträgen auf Verwendungsüberwachung jeweils einen entsprechenden Verwendungszweck angegeben hatte -- in der Beendigungsanzeige die Herstellung von zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gemischten "anderen" Erzeugnissen, in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Unterposition 3004 9019 der Kombinierten Nomenklatur (KN) --, von dem beklagten und revisionsbeklagten Hauptzollamt (HZA) in den Jahren 1987 bis 1991 gewährt. Nachdem das HZA aufgrund einer Überprüfung zu der Auffassung gelangt war, daß Arzneiwaren nicht vorlägen, forderte es die gewährten Erstattungen zurück (Bescheid vom ... 1992, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom ... 1995).
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) billigte die der Rückforderung zugrundeliegende Tarifauffassung und führte aus, einreihungsbestimmend sei die Dosierung, die bei MC vor allem einen Magnesiummangel ausgleichen solle. Der Umstand, daß Magnesiummangel zu Herzerkrankungen führen könne, mache Magnesium noch nicht zum Arzneimittel. Das Erzeugnis sei in der vorliegenden Art der Darreichung -- ein bis drei Beutel -- in erster Linie als Ergänzungs lebensmittel anzusehen. Zolltariflich ohne Bedeutung sei seine Bezeichnung als (verschreibungsfähiges) "Arzneimittel" und seine Erhältlichkeit nur in Apotheken. Dasselbe gelte für MV, obwohl hier der Hinweis auf den Ausgleich von Ernährungsmängeln fehle und der Katalog der arzneilichen Indikationen erweitert sei. MV und MC unterschieden sich weder nach Herstellung und Zusammensetzung noch nach Darreichung und Dosierung.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision gegen dieses Urteil die darin vertretene Tarifauffassung. Das FG habe rechtsfehlerhaft allein auf Dosierung und Aufmachung abgestellt, also auf Kriterien, die nur der Abgrenzung zwischen den Positionen 3003 (Arzneiwaren, weder dosiert noch in Aufmachungen für den Einzelverkauf) und 3004 (dosiert oder ... ) dienten. Maßgebend sei indes die Beschaffenheit der Erzeugnisse mit ihrer therapeutischen und prophylaktischen Indikation bei Herzerkrankungen. MC werde ganz überwiegend verschrieben und sei sogar krankenkassenrechtlich erstattungsfähig. Beide Präparate würden nicht nur zur Behandlung von durch Magnesiummangel hervorgerufene Krankheiten verwendet, sondern auch zur Behandlung streßbedingter Herzerkrankungen. Arzneimittelrechtlich lägen Arzneimittel vor; für beide Präparate sei die (Nach-)Zulassung zu erwarten. Im übrigen spreche auch die Aufmachung für eine zolltarifliche Einstufung als Arzneiware (Indikationsstellung laut Beipackzettel; Aufdruck "Zur gezielten Magnesiumtherapie"; Apothekenpflicht; ärztliche Verschreibung; bei MV ausschließlich arzneiliche Indikationen). Ärztlich verordnet werde zudem vielfach eine weit über den Tagesbedarf hinausgehende Dosierung (bis zum Fünffachen der normalen Tagesdosis). Bloße Nahrungsergänzungen lägen, auch nach der besonderen Zusammensetzung, nicht vor.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Hilfsweise regt sie die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) an.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig, insbesondere zulassungsfrei statthaft gemäß § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die vom FG getroffene Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte ist ein Urteil in Zolltarifsachen, da sie aufgrund der zolltariflichen Beurteilung der von der Klägerin hergestellten Erzeugnisse -- keine erstattungsbegünstigten Arzneiwaren des Kapitels 30 -- erfolgt ist, mithin in Abhängigkeit von der zolltariflichen Einordnung (vgl. hierzu Senat, Beschluß vom 26. Februar 1991 VII R 41/89, BFHE 164, 5, BStBl II 1991, 526).
2. In der Sache führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die vom FG angegebene Begründung reicht für eine abschließende zolltarifliche Beurteilung, ob Arzneiwaren vorliegen oder nicht, nicht aus.
Arzneiwaren müssen therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken dienen (Vorschrift 1 Satz 1 zu Kapitel 30 GZT und -- ab 1988 -- Wortlaut der Positionen 3003, 3004 KN). Dies hat das FG für MC und MV verneint. Zur Begründung hat es zwar, wie der weitere Inhalt der Vorentscheidung ergibt, entgegen der Ansicht der Revision nicht nur auf Dosierung und Aufmachung abgestellt -- Abgrenzung zwischen den Positionen 3003 und 3004 KN --, sondern auch auf die Beschaffenheit der Erzeugnisse (als Er gänzungslebensmittel). Es fehlt jedoch insoweit an einer nachvollziehbaren Begründung. Hierin liegt ein Fehler der Rechtsanwendung, der, auch ohne besondere Revisionsrüge, vom Revisionsgericht zu beanstanden ist (vgl. hierzu etwa Bundes finanzhof, Urteil vom 25. Mai 1988 I R 225/82, BFHE 154, 7, 10, BStBl II 1988, 944, m. N.).
Für therapeutische oder prophylaktische Zwecke geeignete Erzeugnisse sind, falls dosiert oder für den Einzelverkauf zu diesen Zwecken aufgemacht (zum Begriff Senat, Urteil vom 24. August 1971 VII K 15/69, BFHE 103, 385, 387 f.), gleich, ob gemischt oder ungemischt (vgl. Vorschrift 1 Satz 3 zu Kapitel 30 GZT; Anmerkung 2 zu Kapitel 30 KN), als Arzneiwaren anzusehen (jetzt Position 3004 KN); die entsprechende Zolltarifposition hat Vorrang vor anderen in Betracht kommenden Positionen (Vorschrift 2 zu Abschn. VI GZT, Anmerkung 2 zu Abschn. VI KN). Aus den getroffenen Feststellungen (Darreichungsform in Beuteln; Verwendungsangaben gemäß Beipackzettel; vgl. zu letzterem Erläuterungen -- Erl -- GZT zu Tarifnummer 30.03 Teil I Rz. 22; Erl zu Position 3004 Harmonisiertes System -- HS -- Rz. 04.0) läßt sich schließen, daß die Erzeugnisse für den Einzelverkauf aufgemacht sind. So hatte sie auch die Klägerin angemeldet.
Die Frage, ob Arzneiwaren oder nicht erstattungsbegünstigte Ergänzungslebensmittel (Vorschrift 1 Satz 2 zu Kapitel 30 GZT, Anmerkung 1 a zu Kapitel 30 KN) vorliegen, ist nach der sich aus der Beschaffenheit ergebenden Verwendung der Erzeugnisse zu beurteilen. Dosierte oder für den Einzelverkauf aufgemachte Erzeugnisse sind Arzneiwaren, wenn sie, ihrer Beschaffenheit gemäß, in der Medizin zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gegen Krankheiten verwendet werden und sich diese Verwendung aus ihrer Aufmachung -- insbesondere Verwendungsangaben -- ergibt (ErlGZT, a. a. O., Rz. 1, 22; sinngleich ErlHS, a. a. O.). Als Arzneiwaren kommen auch Mittel mit Wirkung auf die Herzfunktion in Betracht, wobei auch allgemeinere Indikationsstellungen genügen können (EuGH, Urteil vom 14. Januar 1993 C-177/91, EuGHE 1993, I- 60, 63 f. -- Weißdorntropfen). Erfüllt ein solches Mittel die vorbezeichneten Anforderungen, so bleibt eine rein theoretische Verwendung als Lebensmittel außer Betracht (EuGH, Urteil vom 1. Juni 1995 C-459/93, EuGHE 1995, I-1394, 1401 -- Aminosäuren; vgl. im übrigen für dosierte bzw. für den Einzelverkauf aufgemachte Erzeugnisse Vorschrift 2 zu Abschn. VI GZT, Anmerkung 2 zu Abschn. VI KN).
Keine Eignung für therapeutische oder prophylaktische Zwecke besitzen Präparate, die nur der Behebung von Mangelzuständen oder der Vorbeugung gegen solche dienen. Mangeltherapie oder -prophylaxe, z. B. mit Vitaminen oder Mineralsalzen, ist keine medizinische Indikation (vgl. die Erläuterungen für Ergänzungslebensmittel, z. B. zu Position 3004 HS Rz. 20.0). Die im Fachhandel außerhalb von Apotheken erhältlichen Magnesiumzubereitungen (mit Kakao usw.) sind demzufolge keine Arzneiwaren im zolltariflichen Sinne. Das gilt auch, soweit derlei Erzeugnisse -- mittelbar -- mangelbedingten Krankheiten entgegenwirken sollen, denn Gesundheitsstörungen oder Krankheitszustände können aus allen möglichen Mangelerscheinungen erwachsen. Insoweit ist dem FG zu folgen, wenn es ein nur zur Behebung gewisser Mangelzustände (hier: Magnesiummangel) bestimmtes Präparat, mag es auch zugleich der Prophylaxe gegen mangelbedingte Krankheitszustände dienen, noch nicht als Arzneiware ansieht. Eine solche Ware liegt jedoch in einem dosierten oder für den Einzelverkauf aufgemachten Erzeugnis vor, das sowohl der Substitution bei einem Mangelzustand als auch der Therapie oder Prophylaxe gegen mangelunabhängige Krankheiten dient. Arzneimittelrechtliche Einstufungen sind -- auch dies hat das FG richtig erkannt -- für die Zolltarifierung nicht maßgebend (vgl. etwa ErlHS zu Kapitel 30 Rz. 01.0).
Bei Zugrundelegung dieser Beurteilungsmaßstäbe ergibt sich, daß die Vorinstanz ihr Ergebnis -- bloße Ergänzungslebensmittel -- nicht hinreichend begründet hat. Es fehlt eine genügende Auseinandersetzung mit den insbesondere durch Bezug auf die Beipackzettel festgestellten Verwendungshinweisen sowie -- bei MC -- mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Klägerin.
-- Bei MC ist als Indikation außer der Behandlung des durch Magnesiummangel bedingten Mangelsyndroms auch die Verhütung und Behandlung streßbedingter Herzerkrankungen (insbesondere Nekrosen) angegeben. Sollte diese Indikation unabhängig von Magnesiummangelzuständen bestehen -- was die Klägerin nach dem Tatbestand der Vorentscheidung schon im Klageverfahren behauptet und im Revisionsverfahren wiederholt hat --, so käme eine Einstufung als Arzneiware in Betracht. Insoweit fehlt eine Würdigung durch das FG.
-- Bei MV sind sogar mehrere Indikationen für Therapie und Prophylaxe angeführt, die für sich gesehen eine entsprechende Beurteilung (als Arzneiware) nahelegen könnten. Allerdings ist nicht eindeutig, inwieweit diese Indikationen nur mangelbedingte Störungen betreffen (z. B. Wadenkrämpfe). Auch hierzu hat sich die Vorinstanz nicht geäußert. Der Hinweis auf Entsprechungen zu dem Präparat MC stellt angesichts der unterschiedlichen Indikationen keine eigenständige Begründung dar.
3. Das FG wird im zweiten Rechtsgang unter Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte eine ergänzende Beurteilung zu treffen und neu zu entscheiden haben. Fragen der Auslegung von zolltariflichem Gemeinschaftsrecht ergeben sich für den Senat nicht. Sollte das FG Zweifel an der vom Senat zugrunde gelegten Rechtsauslegung hegen, so steht es ihm frei, seinerseits eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 424534 |
BFH/NV 1997, 914 |
LMuR 1997, 29 |