Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbarkeit unentgeltlicher Leistungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer: Verpflegung des Personals auf Personenschiffen, Ort der Verpflegungsleistung, Übernahme von Mehraufwand, Sachzuwendungen für den privaten Bereich, Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Die unentgeltliche Verpflegung des Bordpersonals auf Personenschiffen dient auch dann grundsätzlich dem privaten Bedarf des Personals und damit unternehmensfremden Zwecken, wenn der Unternehmer sie zur Gewährleistung des Betriebsablaufs auf den Schiffen als Gemeinschaftsverpflegung und zu bestimmten Essenszeiten bereitstellt.
2. Ort der Verpflegungsleistung ist gemäß § 3a Abs.1 UStG 1980 der Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt.
Orientierungssatz
1. Nur bei Übernahme von Mehraufwand, der aus Gründen des Unternehmens dem Arbeitnehmer entstehen würde, dient die Leistung des Unternehmers Zwecken, die nicht unternehmensfremd sind.
2. Das Urteil des EuGH vom 16.10.1997 Rs. C-258/95 zur Steuerbarkeit unentgeltlicher Beförderung der Arbeitnehmer von den Wohnungen zu den Arbeitsstellen durch den Arbeitgeber führt zu keinem anderen Ergebnis.
3. Die Steuerbarkeit unentgeltlicher Leistungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 ist auf Sachzuwendungen für den privaten, außerhalb des Dienstverhältnisses liegenden Bereich der Arbeitnehmer begrenzt.
4. Nach dem EuGH-Urteil vom 16.10.1997 Rs. C-258/95 ist die Frage der Steuerbarkeit der sowohl dem privaten Bedarf des Arbeitnehmers als auch den unternehmerischen Zwecken des Arbeitgebers dienenden Sachzuwendungen allein anhand der Kriterien des Art. 6 Abs. 2 der EWGRL 388/77 --also der gemeinschaftsrechtlichen Regelung des Eigenverbrauchs von Dienstleistungen-- zu prüfen. Einen Sondertatbestand wie den des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 kennt das Gemeinschaftsrecht nicht. Da sich die Anwendung dieser Sonderregelung jedenfalls im Streitfall als richtlinienkonform erweist, braucht der Senat auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht nicht weiter einzugehen.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 2; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. b, Nr. 2 S. 2 Buchst. b, § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 12 Abs. 2 Nr. 1, § 3a Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --eine Gesellschaft mit Sitz im Inland-- betreibt die Personenschiffahrt auf dem Rhein. Sie gewährte (auch) im Streitjahr 1980 dem Schiffspersonal mit Ausnahme einiger Lohnempfänger für die Dauer der Anwesenheit an Bord freie Verpflegung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte die Verpflegungsgewährung als steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Die Umsatzsteuer wurde anhand der Sachbezugswerte als Bemessungsgrundlage festgesetzt.
Die Klägerin vertrat demgegenüber die Auffassung, die Gewährung freier Verpflegung des Schiffspersonals sei eine nicht steuerbare betriebliche Sozialleistung. Unter genauer Schilderung des Arbeitsablaufs auf einem Kabinenschiff machte sie geltend: Das Personal habe keine Möglichkeit, sich bei Landaufenthalten oder an Bord individuell zu verpflegen. Weder dezentrale Kochstellen noch Kühleinrichtungen seien dafür vorhanden. Das Personal könne seine Mahlzeiten nach dem Betriebsablauf nur zu bestimmten Zeiten einnehmen. Die Bordverpflegung des Personals sei notwendig, um einen störungs- und risikofreien Betriebsablauf auf dem Schiff zu gewährleisten.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980. Sie führt im wesentlichen aus:
Nach richtlinienkonformer Auslegung der bezeichneten Vorschrift gemäß Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) solle die Nichtbesteuerung eines zu privaten Zwecken verwendeten Betriebsgegenstands verhindert werden. Da nach dem Urteil des Finanzgerichts (FG) die Gewährung der Verpflegung (als Lieferung von Speisen und Getränken) aber betrieblich notwendig sei, schließe dies eine Entnahme für unternehmensfremde Zwecke aus.
Entgegen der Auffassung des FG sei auch unerheblich, daß die Verpflegung unentgeltlich gewährt werde bzw. ob die Unentgeltlichkeit betrieblich veranlaßt sei (vgl. Abschn. 12 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien).
Diese Beurteilung werde durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Juli 1994 V R 21/92 (BFHE 175, 169, BStBl II 1994, 881) bestätigt. Wie die unberechnete Übernachtung in diesem Fall werde auch die unentgeltliche Verpflegung im Streitfall im überwiegend betrieblichen Interesse (betriebsnotwendig) gewährt.
Das FA tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 entfällt "die Steuerbarkeit ... nicht, wenn ... ein Unternehmer Lieferungen oder sonstige Leistungen an seine Arbeitnehmer ... auf Grund des Dienstverhältnisses ausführt, für die die Empfänger ... kein besonders berechnetes Entgelt aufwenden".
Der Senat hat die Steuerbarkeit unentgeltlicher Leistungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer nach dieser Vorschrift auf Sachzuwendungen für den privaten, außerhalb des Dienstverhältnisses liegenden Bereich der Arbeitnehmer begrenzt (vgl. Urteile vom 11. März 1988 V R 30/84 und V R 114/83, BFHE 153, 155 und 162, BStBl II 1988, 643 und 651; Beschluß vom 11. Mai 1995 V R 105/92, BFHE 178, 241).
2. Demgemäß führt der Arbeitgeber nach dem Senatsurteil in BFHE 175, 169, BStBl II 1994, 881 keinen i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 steuerbaren Umsatz aus, wenn er seinen Arbeitnehmern für Arbeiten an weit von deren Heimatorten entfernten Tätigkeitsstätten unberechnet Übernachtungsmöglichkeiten in gemieteten Zimmern stellt. Maßgeblich ist, daß der Arbeitgeber damit nicht den generellen Wohnbedarf der Arbeitnehmer, sondern einen durch die unternehmerische Tätigkeit (also für Zwecke des Unternehmens) hervorgerufen zusätzlichen Wohnbedarf deckte.
Die täglichen Mahlzeiten gehören zum normalen privaten Bedarf der Arbeitnehmer. Gewährt der Arbeitgeber den Arbeitnehmern die Verpflegung unentgeltlich, deckt er in erster Linie deren (typisch privaten) Bedarf. Einen durch besondere Unternehmensumstände hervorgerufenen Mehrbedarf an Verpflegung hat das FG im Streitfall nicht festgestellt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin führt die Feststellung durch das FG, für die Bordverpflegung bestehe eine betriebliche Notwendigkeit, nicht zum Überwiegen der betrieblichen Zwecke im Sinne der BFH-Rechtsprechung. Es bleibt vielmehr --wie in der Vielzahl der Fälle, in denen Unternehmen unterschiedlichster Wirtschaftszweige aus betrieblicher Notwendigkeit (wirtschaftliche Auslastung der Anlagen durch allenfalls kurze Pausen im Betriebsablauf) Maßnahmen zur Arbeitnehmerverpflegung treffen-- bei der Ausführung von Leistungen für den privaten Bedarf der Arbeitnehmer.
Das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 16. Oktober 1997 Rs. C-258/95 (Fillibeck, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1998, 61, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1997, 430) zur Steuerbarkeit unentgeltlicher Beförderung der Arbeitnehmer von den Wohnungen zu den Arbeitsstellen durch den Arbeitgeber (anhand der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG) führt zu keinem anderen Ergebnis. Der EuGH wägt --wie der BFH-- bei der Abgrenzung steuerbarer von nicht steuerbaren Sachzuwendungen die Umstände des Einzelfalls ab. Grundsätzlich dient nach dem EuGH-Urteil die unentgeltliche Beförderung mit einem betrieblichen Kfz durch den Arbeitgeber dem privaten Bedarf der Arbeitnehmer und damit unternehmensfremden Zwecken i.S. des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG. Nur wenn unter besonderen Umständen die Erfordernisse des Unternehmens es gebieten, daß der Arbeitgeber selbst die Beförderung übernimmt (z.B. die Tatsache, daß nur der Arbeitgeber ein geeignetes Verkehrsmittel bieten kann, oder bei Beförderungen an wechselnde Arbeitsstätten), kann der persönliche Vorteil, den der Arbeitnehmer dadurch hat, gegenüber dem Bedarf des Unternehmens als nebensächlich zurücktreten.
Das Urteil des EuGH zeigt ebenfalls, daß nur bei Übernahme von Mehraufwand, der aus Gründen des Unternehmens dem Arbeitnehmer entstehen würde, die Leistung des Unternehmers Zwecken dient, die nicht unternehmensfremd sind. Es handelt sich um allgemeine Kriterien, wie sie auch der BFH-Rechtsprechung zur Abgrenzung der Gewährung von unentgeltlichen oder verbilligten Mahlzeiten an Arbeitnehmer --als lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn oder lohnsteuerfreie, weil in ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse des Arbeitgebers erfolgte Zuwendung-- zugrunde liegen (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164).
3. Nach dem EuGH-Urteil ist die Frage der Steuerbarkeit der sowohl dem privaten Bedarf des Arbeitnehmers als auch den unternehmerischen Zwecken des Arbeitgebers dienenden Sachzuwendungen allein anhand der Kriterien des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG --also der gemeinschaftsrechtlichen Regelung des Eigenverbrauchs von Dienstleistungen-- zu prüfen. Einen Sondertatbestand wie den des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 kennt das Gemeinschaftsrecht nicht. Da sich die Anwendung dieser Sonderregelung jedenfalls im Streitfall als richtlinienkonform erweist, braucht der Senat auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht nicht weiter einzugehen.
4. Bei den Verpflegungsumsätzen handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 2. Mai 1996 Rs. C-231/94 --Faaborg-Gelting Linien--, UR 1996, 220, UVR 1996, 169) --entgegen der Beurteilung als Lieferung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980-- um sonstige Leistungen. Diese Umsätze sind nicht nach dem jeweiligen Ort der Leistung auf den in- oder ausländischen Streckenteilen, sondern am Sitz des Unternehmens der Klägerin im Inland/Erhebungsgebiet steuerbar (§ 3a Abs. 1 UStG 1980).
5. Ob die vom FA angesetzten Sachwerte (der Höhe nach) die gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1980 zutreffende Bemessungsgrundlage sind (die bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Kosten), ist aufgrund des Verböserungsverbots im Streitfall nicht zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 67322 |
BFH/NV 1998, 1444 |
BFH/NV 1998, 1444 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 589 |
BFHE 186, 154 |
BFHE 1999, 154 |
BB 1998, 1885 |
BB 1998, 1885 (Leitsatz) |
BB 1998, 2192 |
DB 1998, 2099 |
DStRE 1998, 723 |
DStRE 1998, 723-724 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1998, 919 |
HFR 1998, 1007 |
StE 1998, 565 |
UR 1998, 417 |