Leitsatz (amtlich)
Ehegatten können sich von einem gemeinsam gestellten Antrag auf Zusammenveranlagung auch noch im Rechtsbehelfsverfahren gegen den daraufhin ergehenden Einkommensteuerbescheid durch einen einseitigen Antrag auf getrennte Veranlagung lösen, sofern dieser Antrag nicht als wirtschaftlich oder steuerlich sinnlos ins Leere geht.
Normenkette
EStG § 26 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau beantragten ursprünglich in ihrer gemeinsam unterschriebenen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1974 die Zusammenveranlagung. Mit einem beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) am 4. Oktober 1976 eingegangenen Schreiben begehrte die Ehefrau jedoch die getrennte Veranlagung. Dennoch veranlagte das FA die Eheleute mit Bescheid vom 15. Oktober 1976 zusammen zur Einkommensteuer 1974. Aufgrund dieses Bescheides war eine Abschlußzahlung von 1 355 DM Einkommensteuer, 267 DM Ergänzungsabgabe und 280 DM Sparzulage zu entrichten. Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch beantragte die Ehefrau noch einmal die getrennte Veranlagung für das Streitjahr. Daraufhin hob das FA den Bescheid vom 15. Oktober 1976 ersatzlos auf und veranlagte die Eheleute durch Einkommensteuerbescheide vom 4. bzw. 23. Februar 1977 getrennt zur Einkommensteuer. Aufgrund dieser Bescheide erhielt die Ehefrau eine Erstattung von 751 DM. Der Kläger hatte dagegen eine Nachzahlung von 3 750 DM an Einkommensteuer, 271 DM an Ergänzungsabgabe und 187 DM an Sparzulage zu leisten.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage begehrte der Kläger die Aufhebung der vorgenannten Einkommensteuerbescheide.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 494 - EFG 1978, 494 - veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: Beide Ehegatten hätten das ihnen nach § 26 i. V. m. §§ 26a und 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zustehende Wahlrecht mit der Abgabe der gemeinsamen Einkommensteuererklärung nach § 26 Abs. 2 Satz 3 EStG ausgeübt. Die Ehefrau sei an ihre einmal getroffene Wahl gebunden gewesen, weil der gemeinsame Antrag auf Zusammenveranlagung auch nur gemeinsam zurückgenommen werden könne. Es liege zudem im Interesse der Veranlagungsarbeiten des FA, daß ein Ehepartner nicht einseitig von dem gemeinsamen Antrag auf Zusammenveranlagung loskommen könne. Daher sei es auch unerheblich, daß die Ehefrau die getrennte Veranlagung beantragt habe, bevor der Einkommensteuerbescheid vom 15. Oktober 1976 bestandskräftig geworden sei.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 26 EStG. Es ist der Auffassung, der Antrag auf getrennte Veranlagung könne trotz eines vorausgegangenen Antrags auf Zusammenveranlagung bis zu den nach der Abgabenordnung (AO 1977) vorgesehenen zeitlichen Grenzen für den Eintritt der Bestandskraft sowie die Aufhebung und Änderung von Steuerfestsetzungen wirksam gestellt werden. Denn weder könne ein Ehegatte die Zustimmung des anderen Ehegatten zur Zusammenveranlagung erzwingen (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. August 1977 VI R 61/75, BFHE 123, 172, BStBl II 1977, 870) noch sehe das Gesetz eine besondere Bindungswirkung des gemeinsam gestellten Antrags vor. Eine Grenze ergebe sich lediglich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. daraus, ob die Widerrufserklärung für die Besteuerung der eigenen Einkünfte des widerrufenden Ehegatten erheblich sei (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 8. März 1973 VI R 305/68, BFHE 109, 317, BStBl II 1973, 625 und den BFH-Beschluß vom 27. Februar 1976 VI B 66/75, BFHE 118, 160, BStBl II 1976, 384).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Das FG hat zu Unrecht ausgesprochen, daß die Ehefrau des Klägers ihren Antrag auf Zusammenveranlagung nicht einseitig habe widerrufen können. Ehegatten, die beide unbeschränkt steuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und bei denen diese Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraums vorgelegen haben, können zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen. Das Gesetz sieht für die Ausübung des Wahlrechts keine Frist vor und enthält auch keine Vorschrift über eine Bindung an die einmal getroffene Wahl. Daher hat der Senat entschieden, daß Eheleute während des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die getrennte Veranlagung eines Ehegatten auch dann wirksam die Zusammenveranlagung wählen können, wenn die getrennte Veranlagung des anderen Ehegatten bereits unanfechtbar geworden ist (Urteil vom 17. Mai 1977 VI R 243/74, BFHE 122, 290, BStBl II 1977, 605). In einem anderen Fall hat er die einseitige Lösung eines Ehegatten von der Zusammenveranlagung im Verfahren einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) nur deswegen nicht für zulässig erachtet, weil er hierin ein gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßendes, willkürliches Verhalten erblickt hat (BFHE 109, 317, BStBl II 1973, 625). Diesen Entscheidungen liegt die Auffassung zugrunde, daß die Ehegatten ihr Wahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit sogar des Berichtigungs-(Änderungs)bescheides ausüben und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Fristen jedenfalls grundsätzlich widerrufen können, weil das Gesetz jedem Ehegatten eine eigene Wahl über die Veranlagungsart zugesteht.
Diese Auffassung steht in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 26 Abs. 1 und 2 EStG, der eine Bindung der Eheleute an die einmal getroffene Wahl nicht vorsieht. Deswegen ist den Ausführungen des FG nicht zu folgen, durch die gemeinsam abgegebene Erklärung sei eine Bindung zwischen den Eheleuten eingetreten. Diese Auffassung findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze. Sie geht zudem daran vorbei, daß nach der weiten Fassung des Gesetzeswortlauts der Gesetzgeber den privaten Beziehungen der Ehepartner zueinander keinen Einfluß auf die Veranlagungsart zukommen lassen wollte. Dieses Ziel kann aber konsequent nur erreicht werden, wenn weder die Zustimmung des anderen Ehegatten zur Zusammenveranlagung erzwingbar ist (BFHE 123, 172, BStBl II 1977, 870) noch eine Bindung der Ehegatten untereinander an die einmal getroffene Wahl besteht.
Das Interesse an den Veranlagungsarbeiten des FA hat in diesem Zusammenhang außer Betracht zu bleiben. Die Behörde muß stets bis zur Unanfechtbarkeit des Bescheides oder gar des Änderungsbescheides mit neuen Anträgen und Angaben, die für die Besteuerung wesentlich sind, rechnen und diese der Veranlagung zugrunde legen. Hiervon können neue Anträge zur Veranlagungsart nicht ausgeschlossen sein.
Nach alledem sind die Ausführungen in Abschn. 174 Abs. 4 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR), nach denen ein Widerruf der Wahl der Veranlagungsart auch noch im Rechtsbehelfsverfahren grundsätzlich zulässig ist, eine zutreffende Auslegung des Gesetzes (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 12. Aufl. 1980, § 26 Rdnr. 26; Bühler/Paulick, Einkommensteuerrecht, Körperschaftsteuerrecht, 3. Aufl., § 26 EStG Rdnr. 2b).
Allerdings hat der Senat im Urteil in BFHE 109, 317, BStBl II 1973, 625 entschieden, daß im Rahmen einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO ein Ehegatte sich nur dann aus der bisherigen Zusammenveranlagung lösen kann, wenn gewichtige Gründe dies nach Treu und Glauben rechtfertigen, weil die genannte Vorschrift den Ehegatten kein Recht zur Willkür gebe. Er hat den Gesichtspunkt der Willkür auch in seinem Beschluß in BFHE 118, 160, BStBl II 1976, 384 in den Vordergrund gerückt und ausgesprochen, daß deswegen ein Antrag auf getrennte Veranlagung unter bestimmten Voraussetzungen unbeachtlich sein kann. Diese Rechtsprechung hat der Senat jedoch im Urteil in BFHE 123, 172, BStBl II 1977, 870 dahin gehend modifiziert, daß bei widerstreitenden Anträgen der Eheleute der einseitige Antrag des einen Ehegatten auf getrennte Veranlagung dann unwirksam ist, wenn dieser selbst keine eigenen - positiven oder negativen - Einkünfte hat, oder wenn sie so gering sind, daß sie weder zur Einkommensteuerveranlagung führen können noch einem Steuerabzug unterlegen haben. Der Antrag auf getrennte Veranlagung gehe, da er steuerlich und wirtschaftlich sinnlos sei, ins Leere.
Die letztgenannten Grundsätze haben auch zu gelten, wenn ein Ehegatte sich im Rechtsbehelfsverfahren oder - wie im Streitfall - sogar schon vor Erlaß des zusammenveranlagenden Bescheides einseitig von dem Antrag auf Zusammenveranlagung lösen will. Der Gesetzgeber hat - wie bereits dargelegt - den Ehegatten die Wahl der Veranlagungsart freigestellt. Er hat damit auch zu erkennen gegeben, daß familienrechtliche Beziehungen der Eheleute untereinander bei der Prüfung der Beachtlichkeit des Antrags auf getrennte Veranlagung keine Rolle spielen dürfen, weil sie ein unnötiges Eindringen in die Privatsphäre der Beteiligten erfordern. Geht somit der Antrag des zur getrennten Veranlagung wechselnden Ehegatten in dem oben aufgezeigten Sinn nicht ins Leere, dann ist er wirksam und beachtlich. Das FA muß in einem solchen Fall eine getrennte Veranlagung vornehmen.
Das angefochtene Urteil entspricht nicht diesen Grundsätzen, so daß es aufzuheben ist. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Ehefrau des Klägers hat aufgrund des Einkommensteuerbescheides 1974 vom 4. Februar 1977 eine Einkommensteuererstattung von 751 DM zu erhalten. Dagegen wäre sie nach dem Bescheid vom 15. Oktober 1976 Gesamtschuldnerin einer Abschlußzahlung von insgesamt über 1 700 DM gewesen. Ihr Antrag auf getrennte Veranlagung hatte für sie somit nicht unerhebliche steuerliche Auswirkungen und war daher weder steuerlich noch wirtschaftlich sinnlos. Demgemäß hat das FA in zutreffender Weise unter Beachtung dieses Antrags die getrennte Veranlagung durchgeführt.
Fundstellen
BStBl II 1982, 156 |
BFHE 1981, 412 |