Leitsatz (amtlich)
1. Nur für den Fall, daß der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt schriftlich ergangen ist, macht § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO den Beginn der Frist davon abhängig, daß eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist.
2. § 22 Satz 3 DVStBerG gestattet dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, das Prüfungsergebnis den Bewerbern mündlich zu eröffnen.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 1 S. 1; DVStBerG § 22 S. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) nahm an der Steuerberaterprüfung 1976 vor dem Prüfungsausschuß des Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagten) teil. Im Anschluß an den mündlichen Teil der Prüfung am 24. Januar 1977 wurde ihm mündlich eröffnet, daß er die Prüfung nicht bestanden habe. Mit der am 23. Januar 1978 erhobenen Klage begehrte er, die Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 24. Januar 1977 aufzuheben und den Prüfungsausschuß zu verpflichten, die Prüfung für bestanden zu erklären, hilfsweise, die Wiederholung der mündlichen Prüfung zu gestatten. Er hielt die Klage für zulässig mit der Begründung, nach der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 55 der Finanzgerichtsordnung (FGO) habe die Klagefrist noch nicht zu laufen begonnen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 11. Mai 1978 mit folgender Begründung ab:
Nach § 47 Abs. 1, § 54 Abs. 1 FGO i. V. m. § 349 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO), § 33 Abs. 1 Nr. 3 und § 44 Abs. 1 FGO müsse die Klage gegen Entscheidungen des Prüfungsausschusses innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Entsprechend der Niederschrift über die mündliche Prüfung sei dem Kläger die Entscheidung über das Nichtbestehen am 24. Januar 1977 mündlich bekanntgegeben worden. Die Klage sei jedoch erst am 23. Januar 1978 und somit verspätet bei Gericht eingegangen.
Die Monatsfrist habe mit der Bekanntgabe der Entscheidung zu laufen begonnen, obgleich dem Kläger keine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden sei. Das Fehlen einer solchen Belehrung hindere den Lauf der Frist nach dem ausdrücklichen und eindeutigen Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO nur bei schriftlich bekanntgegebenen Verwaltungsakten, wobei es allerdings nicht darauf ankomme, ob die einschlägigen Bestimmungen eine schriftliche Bekanntgabe vorsähen oder nicht. Mit dieser Auffassung folge es den Urteilen des FG Hamburg vom 22. November 1973 III 31/73 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 268 - EFG 1974, 268 -) und des FG Bremen vom 13. November 1974 II 53/74 (EFG 1975, 134). § 22 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes (DVStBerG) ordne auch für die Fälle, in denen ein Kandidat die Steuerberaterprüfung nicht bestanden habe, an, daß die Entscheidung im Anschluß an die Beratung zu eröffnen sei; eine Schriftform sei hierfür nicht vorgesehen. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß belastende Verwaltungsakte und insbesondere Prüfungsentscheidungen schriftlich bekanntzugeben seien, bestehe nicht.
Die Auffassung des FG Münster im Urteil vom 12. Juli 1977 VII 1607/74 A (EFG 1977, 618), aus der Sachregelung der §§ 20 und 22 DVStBerG und dem gesetzgeberischen Zweck des § 55 FGO sowie des § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) folge, daß auch bei mündlicher Bekanntgabe der Prüfungsentscheidung die Klagefrist erst mit der Erteilung der Rechtsbehelfsbelehrung beginne, sei unzutreffend.
Die Voraussetzungen des § 56 FGO für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist lägen nicht vor.
Mit der Revision macht der Kläger geltend:
Das FG habe den Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO falsch wiedergegeben. In dieser Vorschrift sei nicht von schriftlich bekanntgegebenen, sondern von schriftlich ergangenen Verwaltungsakten die Rede. Dadurch unterscheide sich diese Vorschrift wesentlich von anderen Verfahrensvorschriften, namentlich von solchen der Abgabenordnung (AO 1977), die sich mit der Schriftlichkeit von Verwaltungsakten befaßten. So heiße es in § 210 b AO und in § 157 AO 1977 jeweils, daß Steuerbescheide schriftlich zu erteilen seien. Aus dieser Formulierung werde deutlich, daß der Steuerbescheid nicht nur schriftlich abgefaßt werden, sondern dem Adressaten auch schriftlich zugehen müsse. Wenn § 55 FGO demgegenüber sich auf Verwaltungsakte beziehe, die schriftlich ergingen, so sei damit zum Ausdruck gebracht, daß diese Vorschrift sich auf zwei Arten von Verwaltungsakten beziehe, nämlich solche, die schriftlich niederzulegen und dem Adressaten schriftlich bekanntzugeben seien, und solche, die schriftlich abzufassen seien, jedoch nicht unbedingt auch schriftlich dem Empfänger bekanntgegeben werden müßten. Auf andere Weise wäre der unterschiedliche Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO einerseits und des § 210 b AO sowie des § 157 AO 1977 andererseits nicht zu erklären. Dies würde bedeuten, daß bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung die Frist für die Anfechtungsklage nur bei Verwaltungsakten in Lauf gesetzt werde, die nirgends schriftlich festgehalten würden. Damit wäre auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO Genüge getan. Denn diese Bestimmung habe im wesentlichen Bescheide der Zollbehörden an den Grenzübergangsstellen bei der Erhebung von Eingangsabgaben erfassen sollen. Die Entscheidung eines Prüfungsausschusses über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Steuerberaterprüfung könne derartigen Bescheiden, die im Massenverkehr der Grenzabfertigung ergingen, schlechterdings nicht gleichgestellt werden. Dies habe der Gesetzgeber auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Denn § 25 DVStBerG schreibe vor, daß über die Prüfung eine Niederschrift anzufertigen sei, die den Namen der Beteiligten, das Ergebnis der Prüfung und seine Bekanntgabe an die Bewerber sowie besondere Vorkommnisse während der Prüfung wiedergeben solle. Es bestehe kein Zweifel, daß das Ergebnis der Prüfung somit schriftlich in den Akten festzuhalten sei. Lediglich für die Bekanntgabe schreibe § 22 DVStBerG keine besondere Form vor. Es genüge also eine mündliche Bekanntgabe. Dies schließe bei richtiger Auslegung des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO indessen nicht aus, daß die Entscheidung des Prüfungsausschusses über das Bestehen der Prüfung ein schriftlich ergangener Verwaltungsakt sei.
Selbst wenn aber § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO dahin auszulegen wäre, daß sich diese Bestimmung nur auf Verwaltungsakte beziehe, die schriftlich abgefaßt und in dieser Form dem Adressaten übermittelt werden müßten, wäre eine analoge Anwendung auf Fälle der hier vorliegenden Art geboten. § 20 DVStBerG schreibe vor, daß die bestellende Behörde Bewerber, die die Prüfung nach § 19 Abs. 3 DVStBerG nicht bestanden hätten, zu bescheiden habe. Es bestehe kein Zweifel, daß dieser Bescheid schriftlich ergehen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sein müsse. Die Bestimmung werde dem Gewicht und der Bedeutung, die diese Entscheidung des Prüfungsausschusses für den Bewerber habe, gerecht. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, einen nach der mündlichen Prüfung über das Prüfungsergebnis erteilten Bescheid hinsichtlich des Laufes der Klagefrist anders zu behandeln als einen wegen des negativen Ausgangs des schriftlichen Teiles schon vorher erteilten Bescheid. Eine solche ungleiche Behandlung gleichgelagerter Sachverhalte könne nur vermieden werden, wenn § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO zumindest im Wege der Analogie auf Prüfungsentscheidungen im Sinne des § 22 DVStBerG angewandt werde.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat die am 23. Januar 1978 erhobene, gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses des Beklagten gerichtete Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Die Zulässigkeit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hing nicht gemäß § 44 Abs. 1 FGO von der Durchführung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens ab. Denn ein außergerichtlicher Rechtsbehelf war gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses des Beklagten nicht gegeben, weil es sich um einen Verwaltungsakt der obersten Finanzbehörde eines Landes handelte (vgl. § 349 Abs. 3 Nr. 1 AO 1977). Die Frist für die Erhebung der Klage betrug gemäß § 47 Abs. 1 FGO einen Monat und begann mit der Bekanntgabe der Entscheidung des Prüfungsausschusses am 24. Januar 1977 und endete am 24. Februar 1977.
Das FG hat zutreffend entschieden, daß dem Lauf der Frist das Fehlen einer schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrung nicht entgegengestanden hat. Nur für den Fall, daß der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt schriftlich ergangen ist, macht § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO den Beginn der Frist davon abhängig, daß eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses ist am 24. Januar 1977 als formloser Verwaltungsakt ergangen. Für ihr Zustandekommen waren erforderlich die Willensbildung der Ausschußmitglieder, die Beschlußfassung durch Abstimmung und die Verlautbarung des Beschlusses (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 14. Juli 1956 III ZR 308/54, BGHZ 21, 294). Die Verlautbarung lag darin, daß der Vorsitzende dem Kläger gemäß § 22 Satz 3 DVStBerG eröffnete, daß er die Prüfung nicht bestanden habe. Weder für die Beschlußfassung des Ausschusses noch für die Verlautbarung des Beschlusses war eine besondere Form vorgeschrieben.
§ 22 Satz 3 DVStBerG verlangt nur, daß der Vorsitzende nach der Beratung des Ausschusses über das Ergebnis der Prüfung den Bewerbern eröffnet, ob sie die Prüfung nach der Entscheidung des Ausschusses bestanden haben. Die Vorschrift gestattet dem Vorsitzenden, den Bewerbern das Ergebnis mündlich zu eröffnen.
Die Vorschriften der §§ 20 und 25 DVStBerG geben keinen Anlaß, den § 22 DVStBerG entgegen seinem Wortlaut dahin auszulegen, daß den Bewerbern über das Prüfungsergebnis schriftliche Bescheide zu erteilen seien. Nach § 20 DVStBerG hat die bestellende Behörde Bewerber, die den schriftlichen Teil der Prüfung nicht bestanden haben, "zu bescheiden". Eine bestimmte Form ist auch hier nicht ausdrücklich vorgeschrieben, so daß - entgegen der Auffassung des Klägers und des FG Münster im Urteil VII 1607/74 A - durchaus Zweifel bestehen, ob ein soloher Bescheid schriftlich ergehen muß. Aber selbst wenn man das annähme, könnten daraus keine Rückschlüsse auf die Form der Bekanntgabe nach § 22 DVStBerG gezogen werden. Beide Fälle unterscheiden sich in der für die Anwendung des § 55 FGO maßgeblichen Frage, ob der Bescheid schriftlich ergangen ist oder nicht. Ihre unterschiedliche Behandlung wäre daher sachgerecht. Die Vorschriften des § 25 DVStBerG bestimmen, daß über die Prüfung eine Niederschrift zu fertigen ist, aus der die Namen der Beteiligten, das Ergebnis der Prüfung und seine Bekanntgabe sowie besondere Vorkommnisse ersichtlich sein müssen, daß ein Auszug aus der Niederschrift zu den Akten des Bewerbers zu nehmen ist und daß die Klausurarbeiten bei der bestellenden Behörde mindestens 10 Jahre lang aufzubewahren sind. Das alles sind Maßnahmen, die nur den inneren Bereich der Verwaltung betreffen, jedoch keine sich an den Bewerber richtende Verwaltungsakte.
Der Umstand, daß die Prüfungsentscheidung für den betroffenen Bewerber große Bedeutung hat, spricht nicht gegen die Rechtmäßigkeit der sich aus § 22 DVStBerG und § 55 Abs. 1 FGO ergebenden Regelung. Die Prüfungsentscheidung kann nur darin bestehen, ob der Bewerber die Prüfung bestanden hat oder nicht. Denn sogar Noten werden nicht erteilt (§ 22 Satz 4 DVStBerG). Der mündliche Verwaltungsakt hat daher einen so einfachen und eindeutigen Inhalt, daß der betroffene Bewerber ohne weiteres beurteilen kann, ob er ihn belastet und welche Bedeutung das für ihn hat.
Durch die sich aus § 22 DVStBerG und § 55 Abs. 1 FGO ergebende Regelung, daß mit der Eröffnung der Prüfungsentscheidung die Klagefrist auch dann zu laufen beginnt, wenn dem betroffenen Bewerber keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist, wird der durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Rechtsschutzanspruch des Bewerbers nicht geschmälert. Die Regelung hindert den Bewerber, der sich durch die ihm eröffnete Prüfungsentscheidung in seinen Rechten verletzt fühlt, nicht, durch Erhebung der Klage den ihm durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Sie belasten den Bewerber nur mit dem Risiko, die Klagefrist zu versäumen, wenn er sich nicht selbst Gewißheit über ihren Lauf verschafft.
Aus den vom Kläger erwähnten Formvorschriften für Steuerbescheide in § 210 b AO und in § 157 AO 1977 kann für die Frage der Formbedürftigkeit der Entscheidungen des Prüfungsausschusses im Rahmen des Steuerberatungsrechts nichts hergeleitet werden. Es gibt schließlich auch keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, aus dem sich eine Formbedürftigkeit solcher Entscheidungen herleiten ließe.
Da die Regelung des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO über den Beginn der Frist bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung ausdrücklich auf den schriftlich ergangenen Verwaltungsakt bezogen ist, kann sie nicht analog auch auf einen mündlich ergangenen Verwaltungsakt angewandt werden.
Fundstellen
BStBl II 1979, 185 |
BFHE 1979, 375 |