Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Sonstiges Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Senat bleibt bei seinem um Urteil V 36/59 vom 29. September 1960 (HFR 1961 S. 19) eingenommenen Standpunkt, daß der Rechtsbehelf des Einspruchs mit rechtsverbindlicher Kraft grundsätzlich erst nach Vorliegen eines Steuerbescheids eingelegt werden kann und Vorbehalte bei der Abgabe der Steuererklärungen und bei der Leistung der Steuerzahlungen keine rechtlichen Wirkungen haben.
Zur Auslegung des Begriffs "offenbare Unrichtigkeit" im Sinne des § 92 Abs. 3 AO.
Das FA ist unter bestimmten Voraussetzungen an eine Absprache mit dem Steuerpflichtigen, die Veranlagungen "vorläufig" durchzuführen, gebunden. In besonders gelagerten Ausnahmefällen kann es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gerechtfertigt sein, von der unter 1. dargestellten Regel abzuweichen.
Normenkette
AO § 92 Abs. 3, § 92/2; BVerfGG §§ 78, 79 Abs. 2; UStG § 8; UStDB § 58
Tatbestand
Die Klägerin, zugleich Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -), vertreibt in ihren Geschäften u. a. selbsthergestellte Lebens- und Genußmittel. Sie wurde für die Veranlagungszeiträume 1952 bis 1957 gemäß § 8 UStG 1951 in Verbindung mit § 58 UStDB 1951 zur Hersteller-Einzelhändler- Zusatzsteuer herangezogen. Sie hatte in ihren monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen und in den Umsatzsteuererklärungen stets auch die Zusatzsteuern errechnet und sie durch Schecks an das Finanzamt (FA) bezahlt. Die Voranmeldungen und die Begleitschreiben zu den Schecks waren mit dem Hinweis versehen "Berichtigung mit Rücksicht auf § 58 UStDB vorbehalten". Die Jahreserklärungen für die Veranlagungszeiträume 1953 und 1954, auf die sich der vorliegende Rechtsstreit bezieht, waren als "vorläufig" bezeichnet. In den Anschreiben zu den Umsatzsteuerjahreserklärungen war die Bitte ausgesprochen, die Veranlagungen als "vorläufig" vorzunehmen, um sie erforderlichenfalls nachträglich noch berichtigen zu können. Außerdem war zwischen dem Bevollmächtigten der Stpfl. und dem zuständigen Sachbearbeiter des FA vereinbart worden, sämtliche Veranlagungen im Hinblick auf den wegen der Rechtsgültigkeit des § 58 UStDB 1951 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schwebenden Musterprozeß "vorläufig" durchzuführen.
Für 1953 erging dementsprechend am 6. Januar 1955 ein vorläufiger Umsatzsteuerbescheid, der zusammen mit den Umsatzsteuerbescheiden für 1949 bis 1952 auf Grund einer bei der Stpfl. durchgeführten Betriebsprüfung durch Sammelbescheid vom 6. Dezember 1955 berichtigt wurde. Für alle Jahre ergaben sich hierbei Sollminderungen zugunsten der Stpfl. Der Berichtigungsbescheid enthielt den Vermerk "Alle Veranlagungen sind endgültig". Gleichfalls unter dem 6. Dezember 1955 erging auf Grund der Ergebnisse der Betriebsprüfung der (erstmalige) Umsatzsteuerbescheid für 1954, der einen Vermerk über Vorläufigkeit oder Endgültigkeit nicht aufwies.
Nach dem Bekanntwerden des Urteils des BVerfG 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (BGBl 1958 I S. 154), durch die die Bestimmungen über die Hersteller-Einzelhändler-Zusatzsteuer (§ 8 UStG 1951, §§ 58 ff. UStDB 1951) für nichtig erklärt worden waren, beantragte die Stpfl. mit Schreiben vom 25. März 1958, ihr die Zusatzsteuern für die Jahre 1952 bis 1957 zu erstatten. Das FA lehnte den Antrag für die Jahre 1953 und 1954 mit der Begründung ab, die Veranlagungen für diese beiden Jahre seien rechtskräftig.
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Dagegen sah das Finanzgericht (FG) die Berufung (jetzt Klage), soweit sie das Jahr 1953 betrifft, als begründet an. Auf Grund der Aussage des im Berufungsverfahren als Zeuge vernommenen Steueramtmanns H, der seinerzeit die Berechnungsbogen für die Umsatzsteuerveranlagungen 1953 und 1954 sowie für die Berichtigungsveranlagungen 1949 bis 1953 als Sachbearbeiter ausgefüllt und abgezeichnet hatte, ist das FG zu der überzeugung gelangt, das FA habe bei der Berichtigungsveranlagung nur die Ergebnisse der Betriebsprüfung im Auge gehabt und dabei übersehen, daß die Frage der Hersteller-Einzelhändler-Zusatzsteuer, deretwegen der ursprüngliche Umsatzsteuerbescheid für 1953 für vorläufig erklärt worden war, noch offen war; das FA habe nur aus Versehen im Sammelberichtigungsbescheid vom 6. Dezember 1955 die Veranlagung für 1953 in vollem Umfang für endgültig erklärt. Hierin sei eine Schreib- und Rechenfehlern ähnliche offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 3 AO zu erblicken, die eine Richtigstellung des Sammelbescheides rechtfertige. Dies gelte nicht für die Veranlagung 1954. Denn abgesehen davon, daß schon die Möglichkeit eines Rechtsirrtums die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit ausschließe, sei dem Bescheid für 1954 kein "vorläufiger" Bescheid vorangegangen und bestehe für 1954 kein Zusammenhang mit den vorhergehenden Veranlagungen. Für 1954 kam daher das FG zur Zurückweisung der Berufung.
Gegen dieses Urteil haben FA und Stpfl. Rb. eingelegt. Das FA beantragt, die angefochtene Entscheidung, soweit sie den Veranlagungszeitraum 1953 betrifft, aufzuheben und die volle Endgültigkeit des Berichtigungsbescheides vom 6. Dezember 1955 für 1953 wiederherzustellen. Es ist der Ansicht, daß bei der Abfassung dieses Bescheides keine Schreib- oder Rechenfehlern ähnliche offenbare Unrichtigkeiten unterlaufen sind. Bei der gebotenen engen Auslegung des § 92 Abs. 3 AO könne es sich, da ein übertragungsfehler nicht vorliege, nur um einen Fehler bei der Willensbildung (nicht bei der Willenserklärung) handeln, der nach ständigen Rechtsprechung nicht unter diese Vorschrift falle.
Die Stpfl. beantragt im Ergebnis, nicht nur den Berichtigungsbescheid vom 6. Dezember 1955 bezüglich des Veranlagungszeitraums 1953, sondern auch den Umsatzsteuerbescheid für 1954 vom gleichen Tage hinsichtlich der Zusatzsteuer für vorläufig zu erklären. Sie wendet sich gegen die Annahme des FA, § 92 Abs. 3 AO könne nicht angewandt werden. Darüber hinaus führt sie im wesentlichen aus, in den jahrelang bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärungen im Hinblick auf das schwebende Verfahren über die Rechtsgültigkeit des § 58 UStDB 1951 gemachten Vorbehalte und in der Bezeichnung der Umsatzsteuererklärungen als "vorläufig" habe sich ihr Wille zur Rechtsmitteleinlegung kundgetan. Die in der Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuervorauszahlung alsbald nach dem Ergehen der Bescheide vom 6. Dezember 1955 erklärten Vorbehalte seien unter diesen Umständen fristgerecht eingelegte Einsprüche gewesen. Die hiervon abweichende Rechtsprechung des Senats bedürfe der überprüfung. Die Berufung des FA auf die Rechtskraft der Bescheide vom 6. Dezember 1955 verstoße außerdem gegen Treu und Glauben. Das FA habe zugesichert gehabt, die Bescheide nur "vorläufig" zu erlassen. Unter diesen Umständen hätte das FA sie, die Stpfl., auf die Notwendigkeit, gegen die Bescheide formell Einspruch einzulegen, hinweisen müssen. Da die Bescheide auf Grund einer zu ihren Gunsten ausgegangenen Betriebsprüfung ergangen seien, in der das zusatzsteuerpflichtig mit keinem Wort erwähnt worden sei, habe sie die Veranlagungen hinsichtlich der Zusatzsteuer weiterhin als "vorläufig" ansehen können. Das Unterlassen eines aufklärenden Hinweises seitens des FA verstoße gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs und des Vertrauensschutzes.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rbn., die gemäß § 184 Abs. 2 Nr. 1 FGO als Revisionen zu behandeln sind, ergibt folgendes:
Das BVerfG hat gemäß § 78 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) durch Urteil 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (a. a. O.) im Ergebnis die Vorschriften über die Hersteller-Einzelhändler-Zusatzsteuer für nichtig erklärt. Nach § 79 Abs. 2 BVerfGG bleiben aber grundsätzlich die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Zutreffend sind daher die Parteien und die Vorinstanz davon ausgegangen, daß sich das oben angegebene Urteil des BVerfG auf die Veranlagungen der Stpfl. zur Hersteller-Einzelhändler-Zusatzsteuer für 1953 und 1954 nur dann auswirken kann, wenn die Bescheide vom 6. Dezember 1955 entweder (1.) rechtswirksam angefochten worden sind oder (2.) hinsichtlich ihrer Endgültigkeit wegen einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinn des § 92 Abs. 3 AO berichtigt werden müssen oder (3.) gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen.
Der Senat hat im Urteil V 36/59 vom 29. September 1960 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961 S. 19) entschieden, daß der Rechtsbehelf des Einspruchs mit rechtsverbindlicher Kraft erst nach Vorliegen eines beschwerdefähigen Steuerbescheides eingelegt werden kann und Vorbehalte bei der Abgabe der Steuererklärungen und bei der Leistung der Steuerzahlungen keine rechtlichen Wirkungen haben. Der Senat bleibt dabei, daß die vom Gesetz vorgeschriebenen Erklärungen und Zahlungen vom Steuerpflichtigen nicht an Bedingungen geknüpft werden können. Eines näheren Eingehens hierauf bedarf es im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen nicht.
Die Annahme des FG, dem FA sei beim Berichtigungsbescheid für 1953 vom 6. Dezember 1955 ein Versehen unterlaufen, ist nicht zu beanstanden. Der Steueramtmann H hat bei seiner Vernehmung durch das FG erklärt, er denke es sich so, daß der Vermerk über die Endgültigkeit der Veranlagungen im Zuge der Auswertung des Betriebsprüfungsberichts gemacht und hierbei die Frage der Zusatzsteuer übersehen worden sei. Wahrscheinlich sei nicht beabsichtigt gewesen, hinsichtlich der Zusatzsteuer eine neue Lage zu schaffen und die Stpfl. zu zwingen, insoweit nunmehr ein Rechtsmittel einzulegen. Möglicherweise hätte er, wenn er an die Zusatzsteuer gedacht hätte, auch den Berechnungsbogen 1954 mit dem Vermerk "vorläufig" versehen.
Der Begriff "offenbare Unrichtigkeit" im Sinne des § 92 Abs. 3 AO wird unterschiedlich ausgelegt. Der IV. Senat des BFH hat es in Anlehnung an die zu § 319 ZPO ergangene Rechtsprechung des Reichsgerichts darauf abgestellt, ob ein Fehler bei der Bildung des Entscheidungswillens oder bei dessen Erklärung vorliegt. Nur Fehler bei der Willenserklärung könnten nach § 92 Abs. 3 AO behoben werden (vgl. BFH-Urteile IV 320/53 U vom 18. Februar 1954, BStBl 1954 III S. 133, Slg. Bd. 58 S. 585; IV 44/53 U vom 1. Juli 1954, BStBl 1954 III S. 265, Slg. Bd. 59 S. 146). Geht man von dieser Unterscheidung aus, so ist festzustellen, daß die zuständigen Beamten des FA den Willen, die Umsatzsteuerveranlagungen der Stpfl. - mindestens soweit sie die Zusatzsteuer betrafen - "vorläufig" durchzuführen, nicht aufgegeben hatten. Man kann es auch so ausdrücken: Bei der Anfertigung des Berichtigungsbescheides vom 6. Dezember 1955 war der Willensentschluß gefaßt worden, auf Grund der bei der Betriebsprüfung zugunsten der Stpfl. getroffenen Feststellungen die Veranlagung bezüglich der allgemeinen Umsatzsteuer, nicht aber bezüglich der Zusatzsteuer (an die nicht gedacht worden war), "endgültig" durchzuführen. Die Willenserklärung im Bescheid stimmte mit diesem Willensentschluß nicht überein, sondern ging darüber hinaus.
Die Auslegung durch den IV. Senat ist aber auf Kritik gestoßen (vgl. BFH-Urteile I 270/60 U vom 17. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 144, Slg. Bd. 72 S. 392; III 39/60 U vom 17. März 1961, BStBl III S. 229, Slg. Bd. 72 S. 625). Es wird u. a. darauf hingewiesen, daß auch die in § 92 Abs. 3 AO angeführten Rechenfehler in der Willensbildung ihren Ursprung haben könnten (BFH-Urteil I 61/61 U vom 4. September 1961, BStBl 1961 III S. 502, Slg. Bd. 73 S. 649, und das dort aufgeführte Schrifttum). Von anderer Seite wird eine stärkere Einengung des Begriffs "offenbare Unrichtigkeit" gefordert und die Ansicht vertreten, daß darunter nur rein "mechanische Versehen" (Fehler beim Ablesen von Tabellen, übertragungsfehler und dergleichen) fallen (vgl. Becker- Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., Anm. 5 zu § 92 AO; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 92 AO). Außer der Möglichkeit eines Rechtsirrtums - die allgemein als Grund für die Nichtanwendbarkeit der streitigen Vorschrift angesehen wird, schließe auch das übersehen einer Tatsache, wenn es auf einem Fehler des überlegens, Schlußfolgerns oder Urteilens beruhe, eine Berichtigung nach § 92 Abs. 3 AO aus. Schränkt man den Begriff der offenbaren Unrichtigkeit so stark ein, so wird zweifelhaft, ob die Erinnerungslücke eines Sachbearbeiters noch darunter fällt. Auch kann man bezweifeln, ob im Streitfall das Versehen "offenbar" (d. h. durchschaubar, erkennbar, eindeutig, augenfällig) war; der Fehler ist erst durch die Vernehmung des Zeugen H offenkundig geworden. Diese Fragen brauchen aber nicht abschließend entschieden zu werden, weil andere Gesichtspunkte, wenn auch nicht zu dem gleichen, so doch zu einem ähnlichen Ergebnis führen.
Zutreffend weist die Stpfl. auf die Grundsätze von Treu und Glauben, vor allem des Vertrauensschutzes, hin.
Mit Recht bemängelt die Stpfl., daß das FG den Inhalt der Akten, insbesondere die Aussagen des Zeugen H, nicht zutreffend würdigt, wenn es annimmt, eine verbindliche Zusage bezüglich der Vorläufigkeit der Umsatzsteuerbescheide sei nicht gegeben worden, der Sachbearbeiter habe eigenmächtig gehandelt. H hat u. a. erklärt, er glaube sagen zu können, daß vereinbart worden sei, sämtliche Bescheide im Hinblick auf die Zusatzsteuer nur vorläufig zu erlassen. Er hat zwar an anderen Stellen diese Aussage abgeschwächt. Da er aber der Hauptbeteiligte war, wird man dies nicht zuungunsten der Stpfl. auswerten dürfen. Der Zeuge hat weiter bekundet, wenn ein Bescheid "vorläufig" ergangen sei, so sei dies stets nach Rücksprache und im Einverständnis mit dem zuständigen Sachgebietsleiter bzw. dem Vorsteher des FA geschehen. Offensichtlich hat H seinen Sachgebietsleiter von der Absprache mit dem Bevollmächtigten der Stpfl. unterrichtet, und der Sachgebietsleiter hat sich damit einverstanden erklärt, was durch den vorläufigen Umsatzsteuerbescheid für 1953 vom 6. Januar 1955 auch nach außen hin zum Ausdruck gekommen ist. Dadurch hat die Absprache die Eigenschaft einer bloß unverbindlichen Meinungsäußerung (vgl. BFH-Urteil VI 269/60 S vom 4. August 1961, BStBl 1961 III S. 562, Slg. Bd. 73 S. 813) verloren, zumal die Absicht bestand, durch die Vorläufigkeit der Bescheide die Einlegung von Rechtsmitteln zu vermeiden. Auf diese Absprache aber hat die Stpfl. vertraut und infolgedessen organisatorische Maßnahmen zur Sicherstellung einer genauen steuerlichen Prüfung auch zu ihren Gunsten ergangener Berichtigungsbescheide unterlassen.
Wenn man dies aber nicht für ausreichend halten will, um einen Verstoß gegen Treu und Glauben anzunehmen, so kommt noch ein Weiteres hinzu: Nachdem die Stpfl. jahrelang den Vorbehalt der Rechtsgültigkeit der Hersteller-Einzelhändler-Zusatzsteuer erklärt und auch nach dem Ergehen der Bescheide vom 6. Dezember 1955, insbesondere auch während des Laufens der Rechtsmittelfrist nicht aufgehört hatte, diesen Vorbehalt zu machen, hätte das FA auf Grund der ihm obliegenden Fürsorgepflicht (vgl. BFH-Urteil VI 59/61 U vom 25. August 1961, BStBl 1961 III S. 546, Slg. Bd. 73 S. 768) die Stpfl. auf die Notwendigkeit einer formellen Rechtsmitteleinlegung hinweisen müssen. Der Senat hat zwar im o. a. Urteil V 36/59 vom 29. September 1960 klargestellt, daß das FA in der Regel nicht verpflichtet ist, die Steuerpflichtigen auf die rechtliche Bedeutungslosigkeit solcher Vorbehalte aufmerksam zu machen. Er hat aber durchblicken lassen, daß es in besonders gelagerten Ausnahmefällen anders sein könne. Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Der Stpfl. war die Vorläufigkeit der Umsatzsteuerbescheide im Hinblick auf das ungewisse Schicksal der Hersteller-Einzelhändler-Zusatzsteuer zugesagt worden, man war für 1953 entsprechend verfahren, die Vorläufigkeit war im Berichtigungsbescheid vom 6. Dezember 1955 hinsichtlich der Zusatzsteuer nur versehentlich widerrufen worden und der Bescheid war infolge des Hinweises auf die Betriebsprüfung nicht völlig klar. Die Buchhaltungsabteilung der Stpfl. hatte infolgedessen ihre überprüfung auf die Ergebnisse der Betriebsprüfung beschränkt und nicht an die Zusatzsteuer gedacht. Das mag - wie das FA hervorhebt - zum Teil auf einen Organisationsmangel im Unternehmen der Stpfl. zurückzuführen sein. Aber die zuständigen Beamten des FA hatten denselben Fehler gemacht. Außerdem hätten sie durch die jahrelang wiederholten und auch während der Einspruchsfrist andauernden Vorbehalte der Stpfl. hellhörig werden müssen. Es wäre in hohem Maße unbefriedigend, wenn die Endgültigkeit des Berichtigungsbescheides für 1953 hinsichtlich der Zusatzsteuer Bestand hätte und die Stpfl. die auf Grund des vom BVerfG für ungültig erklärten § 58 UStDB 1951 gezahlte Hersteller- Einzelhändler-Zusatzsteuer nicht zurückerhielte, obwohl das FA nach der Aussage des Zeugen H aller Wahrscheinlichkeit nach auf Grund der zugunsten der Stpfl. ausgefallenen Betriebsprüfung die Endgültigkeit der Veranlagung 1953 nur versehentlich ausgesprochen bzw. auf die Zusatzsteuer ausgedehnt hatte. Auch wenn die Voraussetzungen einer (verbindlichen) Zusicherung nicht vorliegen, kann ein Verhalten des FA nach dem Grundsatz von Treu und Glauben Rechtsfolgen besonders dann haben, wenn dem Steuerpflichtigen hierdurch ein Nachteil entstanden ist (BFH-Urteil VI 269/60 S vom 4. August 1961, a. a. O., Rechtssatz Nr. 3).
Es besteht kein Anlaß, den Veranlagungszeitraum 1954 von diesen Erwägungen auszuschließen. Die Ausführungen des FG hierzu sind nicht folgerichtig. Es ist nicht ersichtlich, warum zwar bei der Abfassung des Berichtigungsbescheides für 1953, nicht aber bei der Abfassung des erstmaligen Bescheides für 1954 die Möglichkeit eines Rechtsirrtums auszuschließen ist. Beide Bescheide sind am selben Tag (5. Dezember 1955) von demselben Sachbearbeiter und demselben Sachgebietsleiter abgezeichnet worden. Auch der Bescheid für 1954 nimmt auf den Betriebsprüfungsbericht Bezug. Eine Aufnahme der Veranlagung für 1954 in den Sammelberichtigungsbescheid verbot sich nur deshalb, weil der Bescheid für 1954 erstmalig erging. Das Versehen des FA war in beiden Fällen dasselbe. Vor allem treffen die obigen Ausführungen über Treu und Glauben ohne Unterschied für beide Bescheide vom 6. Dezember 1955 zu.
Für 1953 war daher die Vorentscheidung mit der Maßgabe zu bestätigen, daß das FA aus dem Umsatzsteuerberichtigungsbescheid vom 6. Dezember 1955 hinsichtlich der Zusatzsteuer von ... DM einen Steueranspruch nicht geltend machen kann. Für 1954 waren die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Auch für diesen Veranlagungszeitraum ergeht die Entscheidung dahin, daß das FA aus dem Umsatzsteuerbescheid vom 6. Dezember 1955 hinsichtlich der Zusatzsteuer von ... DM einen Steueranspruch nicht geltend machen kann.
Der Senat legt den Antrag der Stpfl. im Revisionsverfahren dahin aus, daß diese Feststellungen von ihr begehrt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 412069 |
BStBl III 1966, 515 |
BFHE 1966, 333 |
BFHE 86, 333 |