Leitsatz (amtlich)
Der Nutzungswert einer im eigenen Hause befindlichen Wohnung, die der Eigentümer des Hauses ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Personen ganz oder teilweise unentgeltlich zur Nutzung überläßt, ist vom Überlassenden zu versteuern.
Normenkette
EStG § 12 Nr. 2, § 21 Abs. 2
Tatbestand
In dem vom Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) vor dem Finanzgericht (FG) geführten Einkommensteuerrechtsstreit, der die Jahre 1960 bis 1963 betrat, war eine Reihe von Punkten streitig gewesen. Das FG hat die berichtigten Steuerbescheide 1960 bis 1962 (vom 26. Januar 1966) und die Einspruchsentscheidung (vom 3. Mai 1966), soweit sie sich auf diese Streitjahre bezieht, aufgehoben, die im Steuerbescheid 1963 (ebenfalls vom 26. Januar 1966) festgesetzte Steuer unter Änderung des Bescheides und der Einspruchsentscheidung, soweit sie sich auf dieses Jahr bezieht, auf 46 696 DM herabgesetzt; im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) form- und fristgerecht Revision eingelegt. Bei seiner Revision geht es ihm nur noch um zwei der insgesamt behandelten Streitpunkte, zu denen das FG, dessen Entscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1972 S. 121 veröffentlicht ist, folgendes ausgeführt hat:
1. Wie das FA laut Betriebsprüfungsbericht vom 29. April 1965 festgestellt habe, habe der Kläger seiner Tochter und deren Familie seit dem 1. Dezember 1960 in einem ihm gehörigen Hause eine Wohnung zum Mietpreis von 250 DM monatlich überlassen, deren ortsübliche Miete 330 DM (laut Einspruchsentscheidung: 496 DM) monatlich betrage. Dennoch könne der Unterschiedsbetrag – entgegen der Auffassung des FA – dem Kläger nicht nach § 12 Nr. 2 EStG als Einkunft aus Vermietung und Verpachtung zugerechnet werden. Die Voraussetzungen der Vorschrift des § 21 Abs. 2 EStG seien in der Person des Klägers nicht erfüllt; eine freiwillige Zuwendung oder eine Zuwendung an eine dem Kläger oder seinem Ehegatten gegenüber unterhaltsberechtigten Person liege nicht vor, da nicht unterstellt werden dürfe, daß der Kläger die Wohnung bei Überlassung an einen Dritten zu einem höheren Mietzins vermietet haben würde (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 26. September 1969 VI R 64/67, BFHE 97, 347, BStBl II 1970, 177). Das FG schließe sich der älteren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) an. Der neueren Rechtsprechung des RFH und der des BFH, nach der die Vorschrift des § 12 Nr. 2 EStG der des § 21 Abs. 2 EStG vorgehen solle (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1969 VI R 72/68, BFHE 97, 537, BStBl II 1970, 207) folge es nicht; diese Auffassung sei mit dem Gesetz nicht vereinbar. Was zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gehöre, sei in § 21 EStG abschließend geregelt. Diese Vorschritt erlaube es nicht, einen Nutzungswert bei demjenigen zu erfassen, der eine Wohnung einem anderen ganz oder teilweise unentgeltlich überlasse.
Die in § 21 Abs. 2 (1. Alternative) EStG gebrauchten Begriffe „eigenes Haus” und „Wohnung” bezögen sich allein auf den Steuerpflichtigen. Der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus (Eigenwohnung) werde seit je der Einkommensteuer unterworfen, weil das Wohnbedürfnis allgemein sei und der Eigentümer im Vergleich zum Mieter Aufwendungen für die Wohnung erspare (Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 3. Dezember 1958 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3, BStBl I 1959, 68, zu B II 1). Sinn und Zweck der Vorschrift rechtfertigten es danach nicht, den Nutzungswert einer einem anderen überlassenen Eigenwohnung beim Eigentümer zu erfassen, verlangten vielmehr seine Erfassung bei demjenigen, dem diese Wohnung ganz oder teilweise unentgeltlich überlassen worden sei. Das gelte insbesondere dann, wenn Sinn und Zweck dieser Vorschritt die Erfassung ersparter eigener Mietaufwendungen sei (so BFH-Urteile vom 6. Juli 1966 VI 148/65, BFHE 86, 676, BStBl III 1966, 622, und vom 12. September 1969 VI R 333/67, BFHE 96, 523, BStBl II 1969, 706); erspare der überlassende Geld, das er sonst zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses einer ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Person hätte aufwenden müssen, so werde diese Ersparnis jedenfalls durch § 21 Abs. 2 EStG nicht erfaßt. Sehe man dagegen – mit dem BVerfG – den Sinn und Zweck der Vorschrift in der Erfassung des Gebrauchsvorteils, so könne erst recht nichts anderes gelten.
2. Soweit das FA Provisionszahlungen des Klägers mangels Benennung der Empfänger als nichtabzugsfähig behandelt habe (§ 205 a AO), müsse es den Sachverhalt als bekannt gegen sich gelten lassen (Verletzung der Ermittlungspflicht). Dem FA sei ausweislich des Betriebsprüfungsberichts über die Vorprüfung bekannt gewesen, daß der Kläger in den Vorjahren (1954 bis 1959) entsprechende Aufwendungen geltend gemacht habe. Er habe in dem zur Zeit der Veranlagung für das Streitjahr (1960) noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren seine Rechtsauffassung weiterverfolgt und in seiner der Bilanz zum 31. Dezember 1960 beigegebenen „Aufteilung der Kosten 1960” Provisionen in etwa gleicher Höhe wie in den Vorjahren (mit 3 250 DM) ausgewiesen. Dem FA hätten sich danach bei Durchführung der Veranlagung Zweifel an der Abzugsfähigkeit aufdrängen und zu entsprechenden Ermittlungen Anlaß geben müssen.
3. Die noch verbleibenden Korrekturen – unterstellt, daß insoweit neue Tatsachen im Sinne von § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben seien – rechtfertigten für sich gesehen keine Berichtigung der ursprünglichen Veranlagungen für die Streitjahre 1960 bis 1962.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt das FA aus:
Im ersten Streitpunkt weiche die angefochtene Entscheidung, wie das FG auch selbst ausgeführt habe, von der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 8. Februar 1957 VI 27/56 U, BFHE 64, 550, BStBl III 1957, 207, und VI R 72/68) zur Auslegung der Vorschriften der §§ 12 Nr. 2 und 21 Abs. 2 EStG ab. Im zweiten Streitpunkt könne eine Verletzung der Ermittlungspflicht nicht anerkannt werden; der Kläger sei, wenn er in seiner „Aufstellung der Kosten 1960” Aufwendungen für Provisionen ohne jede Erläuterung gemacht habe, seiner Erklärungspflicht nicht in einer Weise nachgekommen, die den dem FA seitens des FG gemachten Vorwurf rechtfertige. – Im übrigen habe das FG die Grenze, die es der Möglichkeit der Wiederaufrollung der Veranlagungen 1960 bis 1962 gezogen habe, zu eng gesetzt.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die vom FG erneut aufgeworfene Frage, wem der Wert einer dem Nutzenden ganz oder teilweise unentgeltlich zur Nutzung überlassenen Wohnung steuerrechtlich zuzurechnen sei (dem Überlassenden oder dem Nutzenden), ist in ständiger Rechtsprechung für Fälle wie den vorliegenden dahin beantwortet worden, daß die Vorschrift des § 12 Nr. 2 EStG der des § 21 Abs. 2 EStG vorgehe (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 20. November 1973 VIII R 256/72, BFHE 110, 561, BStBl II 1974, 163).
Der Kläger ist seiner Tochter gegenüber nach § 1601 BGB objektiv unterhaltspflichtig. Auf die primäre Haftung des Ehemannes (§ 1608 BGB) und auf die subjektive Seite der Unterhaltspflicht (Bedürftigkeit der Berechtigten: § 1602 BGB) kommt es für die Auslegung der Vorschrift des § 12 Nr. 2 EStG nach ständiger Rechtsprechung nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 1970 VI R 94/69, BFHE 100, 456, BStBl II 1971, 99, mit weiterer Rechtsprechung). Wollte man anders entscheiden, würden die Finanzbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit in jedem Einzelfalle zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe nach den obwaltenden Verhältnissen eine Unterhaltsleistung berechtigt und angemessen sei (vgl. auch Bericht der Einkommensteuerkommission „Untersuchungen zum ESt-Recht”, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 7, S. 169).
Das Vorliegen einer objektiven Unterhaltspflicht läßt nach § 12 Nr. 2 EStG die Abzugsfähigkeit jedweder Leistung des Steuerpflichtigen an eine ihm oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigte Person sowie an deren Ehegatten entfallen (so für die Überlassung einer Wohnung bereits das BFH-Urteil vom 2. März 1951 IV 149/50 U, BFHE 55, 233, BStBl III 1951, 87, ferner das BFH-Urteil vom 11. Januar 1957 VI 5/54 U, BFHE 64, 177, BStBl III 1957, 68, das schon im einzelnen zu den auch im vorliegenden Streitfall vom FG erhobenen Einwendungen Stellung genommen hat, sowie VI R 72/68). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Da die Vorschrift des § 12 Nr. 2 EStG bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens schlechthin, d. h. hinsichtlich aller Einkunftsarten verbindlich ist, kann der Vorschrift des § 21 Abs. 2 EStG ihr gegenüber kein Vorrang eingeräumt werden, wie das FG dies will.
2. Im zweiten Streitpunkt braucht der Senat über die Revision des FA nicht zu entscheiden, da die – bei anderer (richtiger) Beurteilung des ersten Streitpunkts offenbar auch vom FG für gegeben gehaltene – Wiederaufrollung der Veranlagungen 1960 bis 1962 die Berichtigung auch insoweit ermöglicht (BFH-Urteil vom 14. November 1968 V 191/65, BFHE 94, 168, BStBl II 1969, 120).
3. Die Sache geht deshalb an das FG zurück, damit dieses zur Frage der steuerlichen Auswirkung nunmehr auch zu jenen Korrekturen des Prüfers Stellung nehmen kann, die es angesichts seiner Entscheidung bisher für nicht gewichtig genug hielt, die Berichtigung der ursprünglichen Bescheide 1960 bis 1962 zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 514573 |
BFHE 1974, 336 |