Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur (Klein-)Unternehmereigenschaft einer Beteiligungsgesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Nach § 19 Abs. 2 UStG 1980 kann der Unternehmer dem FA bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erklären, daß er auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG verzichtet. Die Steuerfestsetzung kann auch in einer Steueranmeldung bestehen.
2. Zur Frage, ob eine GmbH, die an einer KG beteiligt ist, deren Geschäfte führt und einer anderen GmbH einen Kredit gewährt, Unternehmerin ist.
3. Auch eine Erwerbsgesellschaft kann einen nichtunternehmerischen Bereich haben. Dieser ist ihr aber nicht wie einer Privatperson vorgegeben.
4. Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der 6. EG-Richtlinie gilt als wirtschaftliche Tätigkeit auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen und nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen erfaßt. Diese Vorschrift ist weit auszulegen.
Normenkette
UStG 1980 §§ 2, 19; EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist persönlich haftende Gesellschafterin der . . . -GmbH & Co. KG (im folgenden: KG) und deren alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin. Neben Beteiligungserträgen aus der KG flossen der Klägerin im Streitjahr 1984 . . . DM Zinsen aus einer Darlehensgewährung an die . . . GmbH (im folgenden: GmbH) zu. Das Darlehen war im wesentlichen aus dem voll eingezahlten Stammkapital von . . . DM geleistet worden.
Die Klägerin reichte im Dezember 1985 eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1984 ein. Hierin erklärte sie steuerpflichtige Umsätze von . . . DM sowie eine darauf entfallende Umsatzsteuer von . . . DM. Außerdem machte sie Vorsteuerbeträge in Höhe von . . . DM geltend. In einem Begleitbrief teilte sie mit, sie habe für die Gewährung des Kredits an die GmbH nach § 9 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 nachträglich zur Umsatzsteuerpflicht optiert.
Mit Bescheid vom 14. Februar 1986 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Umsatzsteuer für 1984 auf 0 DM fest; erläuternd bemerkte das FA, die Klägerin sei mit ihrer Geschäftsführertätigkeit kein Unternehmer i.S. des Umsatzsteuergesetzes.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es ging davon aus, die Klägerin habe wirksam auf die Nichterhebung der Umsatzsteuer (§ 19 Abs. 1 UStG 1980) und die Steuerfreiheit der Zinseinnahmen (§ 4 Nr.8 Buchst. a UStG 1980) verzichtet (§ 9 Abs. 1, § 19 Abs. 2 UStG 1980). Es gewährte deshalb auch den begehrten Vorsteuerabzug. Zur Begründung führte das FG aus, die Klägerin habe unwidersprochen vorgetragen, die Verwaltungs- und Buchhaltungskosten seien im wesentlichen durch die Vereinnahmung der Zinsen verursacht. Aber selbst wenn dem nicht zu folgen wäre, sei nach § 15 Abs. 2 UStG 1980 nur die Steuer für Leistungen, die zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet würden, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, nicht jedoch die Steuer für Leistungen, die mit nicht steuerbaren Tätigkeiten zusammenhingen; hierzu zähle auch die Geschäftsführertätigkeit.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision.
Das FA meint, die Klägerin sei nicht bereits durch die Darlehenshingabe an eine ihr konzernmäßig verbundene GmbH Unternehmerin (Hinweis auf Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Februar 1973 V R 2/70, BFHE 107, 494, BStBl II 1973, 172, und vom 11. Oktober 1973 VR 14/73, BFHE 110, 439, BStBl II 1974, 47). Es handle sich um die Nutzung von Eigenem. Das FG hätte feststellen müssen, inwieweit die Klägerin über die Nutzung von Eigenem hinaus eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet oder zu entfalten beabsichtigt habe.
Jedenfalls sei bei allen Unternehmen - gleich welcher Rechts- und Organisationsform - ein Nebeneinander umsatzsteuerrechtlich relevanter und irrelevanter Bereiche gegeben (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1984 V R 25/76, BFHE 142, 524, BStBl II 1985, 176). Für die Geschäftsführertätigkeit der Klägerin sei die Unternehmereigenschaft zu verneinen (Hinweis auf BFH-Urteil vom 17. Juli 1980 V R 5/72, BFHE 131, 114, BStBl II 1980, 622).
Soweit die streitbefangenen Vorsteuerbeträge mit der Geschäftsführertätigkeit der Klägerin im Zusammenhang stünden, sei ihr Abzug nach § 15 Abs. 1 UStG ausgeschlossen; das FG habe nicht festgestellt, inwieweit die Vorsteuerbeträge auf Leistungen entfielen, die für den nichtunternehmerischen Bereich der Klägerin ausgeführt oder verwendet worden seien. Außerdem lägen noch steuerfrei belassene Umsätze an die . . . Bank vor; das FG habe außer acht gelassen, ob und inwieweit die Vorsteuerbeträge mit diesen Umsätzen im Zusammenhang stünden und nach § 15 Abs. 2 UStG vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen seien.
Die Behauptung des FG, die Klägerin habe unwidersprochen vorgetragen, die Verwaltungs- und Buchhaltungskosten seien im wesentlichen durch die Vereinnahmung der Zinsen verursacht, sei unrichtig und verdeutliche, daß das FG seine Überzeugung nicht gemäß § 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gezogen habe. Bereits mit Schriftsatz vom 21. April 1987 habe es (das FA) darauf hingewiesen, daß die geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht im Zusammenhang mit der Kreditgewährung, sondern der Geschäftsführertätigkeit stünden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr.2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen nicht seine Annahme, die Klägerin habe wirksam auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 und 2 UStG 1980 verzichtet und es lägen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG 1980 für den begehrten Vorsteuerabzug vor.
1. Aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht beurteilen, ob die Klägerin, selbst wenn sie Kleinunternehmerin i.S. des § 19 UStG 1980 sein sollte, wirksam auf die Nichtbesteuerung ihrer Umsätze verzichtet hat.
Nach § 19 Abs. 1 UStG 1980 wird die von Kleinunternehmern geschuldete Umsatzsteuer unter den im Gesetz genannten Bedingungen nicht erhoben. Nach § 19 Abs. 2 UStG 1980 kann der Unternehmer dem FA bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG 1980) erklären, daß er auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG 1980 verzichtet. Unter Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung ist die formelle Bestandskraft der ersten Steuerfestsetzung zu verstehen, die auch in einer Steueranmeldung bestehen kann (BFH-Urteil vom 19. Dezember 1985 V R 167/82, BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420; Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 19 Anm.65 m.w.N.).
Nach dem Urteil des FG ist die Verzichtserklärung nach § 19 Abs. 2 UStG 1980 in der Abgabe der berichtigten Steuererklärung für 1984 im Dezember 1985 zu sehen. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, ob dieser berichtigten Steuererklärung eine Steuerfestsetzung oder eine Steuererklärung vorangegangen ist, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (vgl. § 168 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Der Senat kann deshalb nicht beurteilen, ob die Klägerin im Dezember 1985 noch auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG 1980 verzichten konnte.
2. Scheitert der Verzicht auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG 1980 nicht bereits an einer unanfechtbaren Steuerfestsetzung, wird das FG im zweiten Rechtsgang erneut zu prüfen haben,a) ob die Klägerin Unternehmerin i.S. der §§ 2, 15 und 19 UStG 1980 war und
b) ob die Leistungen, für die sie den Vorsteuerabzug geltend macht, gemäß § 15 Abs. 1 Nr.1 UStG 1980 bereits im Streitjahr 1984 ausgeführt und in Rechnung gestellt waren.
Zu a): Nach § 2 Abs. 1 UStG 1980 ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfaßt die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980). Für die Frage, ob jemand nachhaltig tätig ist, ist nach dem Senatsurteil vom 18. Juli 1991 V R 86/87 (BFHE 165, 116, BStBl II 1991, 776) das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend. Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung kommt der Intensität und Gewichtigkeit der Tätigkeiten der Klägerin eine entscheidende Bedeutung für ihre Unternehmereigenschaft zu. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß zwar auch eine Erwerbsgesellschaft - wie die Klägerin - einen nichtunternehmerischen Bereich haben kann, daß ihr dieser aber nicht wie einer Privatperson vorgegeben ist (BFH in BFHE 142, 524, BStBl II 1985, 176). Die Klägerin ist nur dann Unternehmerin, wenn bei ihr eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 UStG 1980 vorliegt, die der Senat bislang bei einem bloßen ,,Einsammeln von Nutzungen" aus einem Kapitalbestand verneint hat (vgl. einerseits zur ,,privaten Kapitalansammlung" BFH-Urteil vom 15. Januar 1987 V R 3/87, BFHE 149, 272, BStBl II 1987, 513 m.w.N., und andererseits zur Steuerbarkeit der Kreditgewährung durch eine Staatsbank und Girozentrale BFH-Urteil vom 21. Juli 1988 V R 201/83, BFHE 154, 261).
Da mit dem UStG 1980 das deutsche Umsatzsteuerrecht an die 6. Richtlinie des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (im folgenden: 6. EG-Richtlinie) angepaßt werden sollte, ist zur Auslegung des § 2 UStG 1980 auch Art. 4 dieser Richtlinie heranzuziehen. Danach gilt als Steuerpflichtiger, wer eine der in Art. 4 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig, zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Neben den in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie genannten Tätigkeiten gilt als wirtschaftliche Tätigkeit auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen erfaßt (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 6. EG-Richtlinie). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften (EuGH) ist diese Vorschrift weit auszulegen (vgl. für die Nutzung eines Grundstücks durch Einräumung eines Erbbaurechts EuGH-Urteil vom 4. Dezember 1990 Rs.C 186/89, EuGHE I 1990, 4363, und für die Tätigkeiten einer Holding EuGH-Urteil vom 20. Juni 1991 Rs.C 60/90, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1991 C 194/6). Nach dem zuletzt genannten Urteil hat eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Beteiligung an anderen Unternehmen ist, und die sich nicht unmittelbar oder mittelbar in die Geschäftsführung dieser Unternehmen einmischt, nicht die Eigenschaft eines Mehrwertsteuerpflichtigen. Ggf. wird das FG zu prüfen haben, inwieweit die Grundsätze dieser Entscheidung mit denen des BFH-Urteils vom 17. Juli 1980 V R 5/72 (BFHE 131, 114, BStBl II 1980, 622) vereinbar sind, das die Geschäftsführertätigkeit einer GmbH ihrem nichtunternehmerischen Bereich zugeordnet hatte.
Zu b): Zur Beantwortung der Frage, ob die Leistungen, für die die Klägerin den Vorsteuerabzug geltend macht, gemäß § 15 Abs. 1 Nr.1 UStG 1980 bereits im Streitjahr 1984 ausgeführt und in Rechnung gestellt waren, wird das FG feststellen müssen, um welche Leistungen es überhaupt geht und wann sie in Rechnung gestellt wurden.
3. Da die Revision des FA bereits aus den zu II. 1. genannten Gründen begründet ist, kommt es auf die vom FA erhobene Verfahrensrüge nicht mehr an.
Fundstellen
Haufe-Index 418650 |
BFH/NV 1993, 202 |