Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung Verbrauchsteuern
Leitsatz (amtlich)
Ordnet der Gesetzgeber anläßlich der Erhöhung einer Verbrauchsteuer die Nachversteuerung solcher verbrauchsteuerpflichtiger Erzeugnisse an, die den Herstellungsbetrieb bereits verlassen haben, so kann im Rahmen der speziellen Verbrauchsteueraufsicht nach § 194 Abs. 2 AO die Vorlage der Geschäftsbücher und Schriftstücke über den Absatz der Erzeugnisse auch für Zwecke der Nachversteuerung verlangt werden.
Normenkette
AO § 194 Abs. 2; SchaumwStG § 12; HSG Art. 20 §§ 1, Art. 20/2
Tatbestand
Auf Grund von Anordnungen des Bundesministers der Finanzen (BdF) und des Hauptzollamts (HZA), die wegen der erforderlichen Nachversteuerung von Schaumwein auf Grund des Haushaltssicherungsgesetzes vom 20. Dezember 1965 (BGBl I, 2065) ergangen waren, wollte der Vertreter des zuständigen Oberbeamten des Steueraufsichtsdienstes bei der Klägerin, die einen Schaumweinherstellungsbetrieb besitzt, deren Geschäftsbücher einsehen, um Feststellungen über den Absatz besonders großer Schaumweinmengen zu treffen. Nachdem die Klägerin die Einsicht in die Geschäftsbücher verweigert hatte, forderte das HZA sie durch Verfügung vom 5. Januar 1966 auf, dem Oberbeamten des Steueraufsichtsdienstes ihre "Geschäftsbücher und die Schriftstücke über den Absatz an Schaumwein zur Einsichtnahme vorzulegen", damit festgestellt werden könne, "an welche Abnehmer" besonders große und über das übliche Maß hinausgehende Mengen an Schaumwein geliefert worden seien". Für den Weigerungsfall drohte es ein Erzwingungsgeld von 100 DM an. Die Klägerin kam der Aufforderung nicht nach. Sie erhob am 11. Januar Beschwerde und beantragte Aussetzung der Vollziehung der Verfügung. Den Antrag lehnte das HZA durch Verfügung vom 12. Januar ab. Durch Verfügung vom 14. Januar setzte das HZA das angedrohte Erzwingungsgeld fest und drohte für den Fall der weiteren Weigerung ein Erzwingungsgeld von 1.000 DM an. Die Klägerin erhob auch gegen die Verfügungen vom 12. und 14. Januar Beschwerde.
Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerden als unbegründet zurück. Auf die Klage hiergegen hob das Finanzgericht (FG) die Beschwerdeentscheidung und die Verfügungen vom 5., 12. und 14. Januar 1966 durch Urteil vom 30. März 1966 III 102/66 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1966, 360) auf.
Der Vertreter des BdF, der zugleich das HZA als Revisionskläger vertrat, führte in der mündlichen Verhandlung in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen folgendes aus:
§ 194 AO regele, wie sich aus der überschrift des Abschnitts ergebe, die Steueraufsicht. Danach sei der Inhaber eines Herstellungsbetriebes zur Vorlage der Bücher und Schriftstücke über den Absatz steuerpflichtiger Erzeugnisse verpflichtet. Die Verwaltung könne sich auch im Rahmen der normalen Steueraufsicht nicht mit der Durchsicht der Anschreibungen über die aus dem Betrieb entfernten Mengen begnügen, sondern müsse auf die Einsicht in die Unterlagen über die Abnehmer als die Quellen für die Mengenkontrolle bestehen. Das gelte besonders für die Jahreswende 1965/1966 wegen der notwendigen Nachprüfung der Nachversteuerung von Schaumwein, zu der u. a. auch Inhaber von Herstellungsbetrieben wegen der Anlage von Außenlagern verpflichtet gewesen seien. Im Streitfall komme hinzu, daß die Klägerin in ihrem bei den Akten befindlichen Schreiben vom 17. Dezember 1966 an den BdF erklärt habe, sie weigere sich, die Namen ihrer Abnehmer preiszugeben. § 201 AO verpflichte die Finanzbehörden darüber zu wachen, daß nicht Steuereinnahmen verkürzt würden. Bei der Erfüllung dieser Verpflichtung bei einem Steuerpflichtigen anfallendes Material könne auch gegenüber anderen Steuerpflichtigen verwertet werden. Die nach § 194 AO auszuübende Steueraufsicht erstrecke sich auch auf die Nachsteuer von Schaumwein; diese sei Schaumweinsteuer. Da es unmöglich gewesen sei, bei etwa 200.000 Steuerpflichtigen Nachforschungen anzustellen, sei die Nachprüfung des Absatzes bei Herstellungsbetrieben das verhältnismäßige Mittel gewesen. Auch sei die Vorlage der Unterlagen über die Abnehmer der Erzeugnisse nicht unzumutbar gewesen.
Der Vertreter des HZA beantragte, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie erhob im wesentlichen die nachstehenden rechtlichen Einwendungen gegen die angefochtenen Verfügungen:
Die Revision habe § 194 Abs. 2 AO mit den Vorschriften über die Auskunftspflicht Dritter verquickt. § 194 AO solle diese nach den neueren einschlägigen Kommentaren nur ergänzen. Die Nachschau sei auf die aufsichtspflichtigen Betriebe beschränkt. § 184 AO könne keine Anwendung finden, da er nur Waren betreffe, deren Abgabe an den Verbraucher eine Steuerpflicht begründe. Unterlagen über den Absatz bedeuten nicht Unterlagen über die Abnehmer. § 201 AO sei, sofern er eine allgemeine Gehorsamspflicht enthalte, verfassungswidrig; er sei aus der Zeit der Not geboren. Ein belastender Verwaltungsakt könne nur ergehen, wenn seine Voraussetzungen konkret im Gesetz bestimmt seien. Es gebe keine umfassende Betriebsprüfungspflicht zu Lasten eines Dritten. Abs. 1 a. a. O. sei keine Generalklausel. Er sehe nur von der Voraussetzung eines begründeten Verdachts ab, es müsse aber eine bestimmte Person genannt werden, gegen die sich die Ermittlungen richteten.
Entscheidungsgründe
Der Revision war der Erfolg nicht zu versagen.
Nach § 12 des Schaumweinsteuergesetzes (SchaumwStG) unterliegen Betriebe, die, wie der Betrieb der Klägerin, Schaumwein herstellen, der Steueraufsicht. Die daraus folgenden Verpflichtungen der Betriebsinhaber und die Befugnisse der Finanzverwaltung ergeben sich aus den §§ 190 ff. AO. Nach § 194 Abs. 2 AO sind den Oberbeamten des Aufsichtsdienstes die Geschäftsbücher und die Schriftstücke über die Herstellung und den Absatz von steuerpflichtigen Erzeugnissen auf Erfordern zur Einsicht vorzulegen. Wenn die Vorinstanz meint, daß diese Verpflichtung für die Klägerin nicht bestanden habe, weil die spezielle Steueraufsicht auf Grund eines Verbrauchsteuergesetzes nur Tatsachen und Vorgänge zum Gegenstand haben könne, die für die Besteuerung nach diesem Gesetz, hier dem SchaumwStG, in Betracht kämen, die Ermittlung der Abnehmer sich im Streitfall aber auf einen Steuertatbestand beziehe, der durch das Haushaltssicherungsgesetz vom 20. Dezember 1965 geschaffen worden sei, kann ihr hierin nicht gefolgt werden.
Durch Art. 20 § 1 des Haushaltssicherungsgesetzes sind durch änderung des § 2 SchaumwStG die darin festgelegten Steuersätze ab 1. Januar 1966 erhöht worden, während durch Art. 20 § 2 des Haushaltssicherungsgesetzes die Nachversteuerung von Schaumwein und schaumweinähnlichen Getränken, die sich zu Beginn des 1. Januar 1966 außerhalb eines Herstellungsbetriebes im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz eines Herstellers oder Händlers befanden, angeordnet wurde. Damit wurde die Erhöhung der Schaumweinsteuer auch auf den vorgenannten Kreis schaumweinsteuerpflichtige Erzeugnisse, die sich nicht mehr im Betriebe des Herstellers befanden, erstreckt. Die Anforderung des nachzuerhebenden Betrages, d. h. der Differenz zwischen dem ursprünglichen Steuerbetrag und der eingetretenen Erhöhung war Nacherhebung von Schaumweinsteuer. Daran ändert nichts, daß zum Zwecke der Durchführung dieser Nacherhebung, da der normale Steuerentstehungstatbestand für die Schaumweinsteuer nicht mehr verwirklicht werden konnte, der Gesetzgeber einen besonderen Entstehungstatbestand und den Steuerschuldner im Wege einer besonderen Vorschrift bestimmen mußte. Es handelte sich also bei der Nachversteuerung nicht um die Erhebung einer andersartigen Steuer, sondern um die Nacherhebung von Schaumweinsteuer. Daher unterlagen die Betriebe auch hinsichtlich der von ihnen hergestellten nachsteuerpflichtigen Erzeugnisse der speziellen Steueraufsicht des SchaumwStG (§ 12 SchaumwStG). Damit aber war der Hersteller nach § 194 Abs. 2 AO verpflichtet, zum Zwecke der Nachversteuerung der von ihm hergestellten und abgesetzten Erzeugnisse den Oberbeamten des Steueraufsichtsdienstes die Geschäftsbücher und Schriftstücke über Herstellung und Absatz dieser steuerpflichtigen Erzeugnisse auf Erfordern zur Einsicht vorzulegen. Denn die Verbrauchsteueraufsicht hat gerade Herstellung und Weg der Erzeugnisse zum Gegenstand, da die Steuer auf der Ware ruht, wie in den Worten "steuerpflichtige Erzeugnisse" zum Ausdruck kommt; so ist auch in § 121 AO davon die Rede, daß steuerpflichtige Erzeugnisse und zollpflichtige Waren ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter für den Betrag der darauf ruhenden Steuern haften, und können schließlich nach § 414 AO Erzeugnisse, Waren und andere Sachen, auf die sich die Hinterziehung von Verbrauchsteuer oder Zoll, der Bannbruch oder die Steuerhehlerei bezieht, eingezogen werden. Die Steueraufsicht richtet sich also bei verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnissen nicht ausschließlich gegen den - gewöhnlich allerdings als Steuerschuldner in Betracht kommenden - Inhaber des Herstellungsbetriebes und beschränkt sich deshalb auch nicht auf die die Nachprüfung, inwieweit Steuerschulden in seiner Person entstanden sind. Sie dient vielmehr vor allem auch der überwachung der steuerpflichtigen Erzeugnisse, auf denen Abgaben ruhen; das muß um so mehr gelten, wenn es sich um die Nachversteuerung von Erzeugnissen handelt, deren steuerliche Erfassung mit dem Verlassen des Herstellungsbetriebes nicht abgeschlossen ist, auch wenn für die Nachversteuerung eine andere Person als der Hersteller Steuerschuldner ist. Man kann hier nicht zwischen dem Steuerpflichtigen und Dritten in der Weise unterscheiden, daß der Inhaber des Herstellungsbetriebes hinsichtlich der Schaumweinsteuer Steuerpflichtiger, hinsichtlich der Nachversteuerung aber - soweit er nicht auch hier Steuerschuldner ist - Dritter sei mit der Folge, daß Maßnahmen der Steueraufsicht, die sich auf die nachsteuerpflichtigen Warenmengen richten, im überwachungspflichtigen Betrieb nur unter den Voraussetzungen statthaft wären, unter denen Maßnahmen gegen Dritte zulässig sind. In den die spezielle Steueraufsicht betreffenden Vorschriften tritt auch der Unterschied zwischen Steuerpflichtigen und Dritten, der in den Vorschriften über das Ermittlungsverfahren zu beobachten ist, nicht in Erscheinung. Auch das weist darauf hin, daß es hier um die Steueraufsicht im Betriebe und über die Erzeugnisse geht. Die im Gesetz vorgesehene Verpflichtung zur Vorlage der Geschäftsbücher und Schriftstücke über den Absatz der Erzeugnisse ist daher auch nicht insoweit ausgeschlossen, als die Nachsteuerschuld nach Art. 20 § 2 des Haushaltssicherungsgesetzes in der Person eines anderen als des Inhabers des Herstellungsbetriebes entsteht. Vielmehr kann der Absatz der steuerpflichtigen Erzeugnisse auch nachgeprüft werden, um feststellen zu können, inwieweit für sie die Nachsteuer entstehen kann und wo die dafür haftende Ware verblieben ist, ob sie versteuert und damit von der auf ihr ruhenden Haftung frei geworden oder eine Versteuerung unterblieben ist. Da also das Verlangen der Verwaltung auf Vorlage der Geschäftsbücher und Schriftstücke über den Absatz steuerpflichtiger Erzeugnisse auf Grund des § 194 Abs. 2 AO gerechtfertigt war und für einen Mißbrauch dieser Befugnis, wie ihn die Vorinstanz annimmt, kein Anhaltspunkt gegeben ist, bedarf es keines weiteren Eingehens auf die Ausführungen des Verfahrensbeteiligten über das Vorhandensein oder Fehlen sonstiger Rechtsgrundlagen für die angefochtenen Vorlageersuchen des HZA.
Fundstellen
Haufe-Index 412445 |
BStBl III 1967, 218 |
BFHE 1967, 543 |
BFHE 87, 543 |