Entscheidungsstichwort (Thema)
Abänderungsmöglichkeit von Beschlüssen, die mit sofortiger Beschwerde anfechtbar sind, durch das Insolvenzgericht von Amts wegen innerhalb der Beschwerdefrist. Abtretungserklärung des Schuldners nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO als Prozeßhandlung (prozessuale Theorie)
Leitsatz (amtlich)
a) Beschlüsse des Insolvenzgerichts, die mit der sofortigen Beschwerde angreifbar sind, können grundsätzlich innerhalb laufender Beschwerdefrist von Amts wegen geändert werden.
b) Die Abtretungserklärung des Schuldners gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO ist vorrangig als Prozesshandlung zu verstehen; sie ist im Zweifel so auszulegen, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung unter den jeweils gültigen gesetzlichen Bedingungen anstrebt.
Normenkette
InsO §§ 4, 287 Abs. 2 S. 1; ZPO §§ 318, 329, 572 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Beschluss vom 14.04.2004; Aktenzeichen 2 T 37/04) |
AG Bad Kreuznach (Beschluss vom 04.12.2003; Aktenzeichen 3 IK 2/02) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Bad Kreuznach vom 14.4.2004 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Gründe
[1]I.
Der Schuldner beantragte mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters am 17.1.2002 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen. Gleichzeitig beantragte er Restschuldbefreiung. Dem Antrag war eine Erklärung beigefügt, in der der Schuldner entsprechend der bis 30.11.2001 geltenden Fassung des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO für den Fall der Ankündigung der Restschuldbefreiung seine pfändbaren Forderungen aus einem Dienstverhältnis für die Dauer von sieben Jahren nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtrat.
[2]Mit Beschluss vom 5.11.2003 kündigte das AG - Insolvenzgericht - die Restschuldbefreiung an. Hierzu wird in dem Beschluss weiter ausgeführt:
"Auf den Treuhänder gehen die pfändbaren Forderungen des Schuldners auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an dessen Stelle tretende laufende Bezüge nach Maßgabe der vorliegenden Abtretungserklärung für die Dauer der Laufzeit über.
Die Laufzeit beginnt mit der Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens und beträgt sechs Jahre."
[3]Mit Beschluss vom 12.11.2003 hob das AG - Insolvenzgericht - den Beschluss vom 5.11.2003 von Amts wegen auf und fasste ihn neu; die Neufassung weicht von der Erstfassung nur insoweit ab, als zur Laufzeit nunmehr bestimmt wird:
"Die Laufzeit beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (23.7.2002) und beträgt sechs (6) Jahre."
[4]Die gegen den Beschluss vom 12.11.2003 erhobene sofortige Beschwerde der Gläubiger blieb ohne Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde wenden sie sich weiterhin gegen die Aufhebung des Beschlusses vom 5.11.2003 von Amts wegen.
[5]II.
Die statthafte (§ 289 Abs. 2 Satz 1, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
[6]Die Rechtsbeschwerde wendet sich erfolglos gegen die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Beschluss des Insolvenzgerichts gem. § 289 Abs. 1 Satz 2, § 291 InsO sei hinsichtlich der Angabe der Laufzeit der Abtretungserklärung während laufender Beschwerdefrist von Amts wegen abänderbar gewesen.
[7]1. Beschlüsse des Insolvenzgerichts, die mit der sofortigen Beschwerde angreifbar sind, können grundsätzlich innerhalb laufender Beschwerdefrist auch von Amts wegen geändert werden.
[8]a) Die überwiegende Meinung im neueren Schrifttum bejaht bei Beschlüssen, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, eine Änderungsbefugnis auch von Amts wegen bis zur Unanfechtbarkeit des Beschlusses (vgl. Hk-ZPO/Saenger, § 329 Rz. 19; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 64. Aufl., § 329 Rz. 16 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 27. Aufl., § 329 Rz. 12; Zimmermann, ZPO 7. Aufl., § 329 Rz. 11; MünchKomm/ZPO/Lipp, 2. Aufl. Aktualisierungsband ZPO-Reform, Vor § 567 Rz. 9 ff., § 572 Rz. 6; für insolvenzrechtliche Beschlüsse FK-InsO/Schmerbach, 4. Aufl., § 7 Rz. 31e; einschränkend MünchKomm/InsO/Ganter, § 6 Rz. 88). Begründet wird dies überwiegend mit der Abhilfemöglichkeit des Erstgerichts bei eingelegter Beschwerde nach § 572 Abs. 1 ZPO. Nach anderer Meinung (vgl. Musielak, ZPO 4. Aufl., § 329 Rz. 15; Jaeger/Gerhardt, InsO § 6 Rz. 38) sollen dagegen Beschlüsse, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, im Interesse des Vertrauens der betroffenen Partei auf den Bestand der vom Gericht erlassenen Entscheidung nur abgeändert werden können, wenn sie angefochten sind. Nach vermittelnder Auffassung (Zöller/Vollkommer, ZPO 25. Aufl., § 318 Rz. 8) ist eine Abänderbarkeit von Amts wegen gegeben, sofern der Beschluss ebenfalls von Amts wegen ergangen ist.
[9]b) Die überwiegende Auffassung ist für den Bereich der Insolvenzordnung richtig. Für das Insolvenzverfahren gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Dem Umstand, dass § 318 ZPO in § 329 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht genannt wird, kann entnommen werden, dass Beschlüsse das erlassende Gericht vor Ablauf der Beschwerdefrist im Zweifel nicht binden (vgl. MünchKomm/ZPO/Lipp, a.a.O. Vor § 567 Rz. 9), solange es noch mit dem Gegenstand des Beschlusses befasst ist (vgl. Stein-Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 329 Rz. 13). Der von der Mindermeinung bemühte Vertrauensschutzgedanke kann bis zu diesem Zeitpunkt keine Geltung beanspruchen: denn bis zum Ablauf der Beschwerdefrist muss ein durch den Beschluss begünstigter Verfahrensbeteiligter ohnehin damit rechnen, dass ein anderer Beteiligter Rechtsmittel einlegt. Geschieht dies nicht, sondern ändert das Insolvenzgericht seinen Beschluss während der laufenden Rechtsmittelfrist von Amts wegen zum Nachteil eines Beteiligten, kann dieser seinerseits sofortige Beschwerde gegen den Änderungsbeschluss einlegen.
[10]Das über § 4 InsO auch für die Insolvenzrechtsbeschwerde geltende Verbot der reformatio in peius, das aus den §§ 528 Satz 2, 557 Abs. 1, 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgeleitet wird, hindert eine Abänderung des Beschlusses von Amts wegen binnen laufender Rechtsmittelfrist nicht. Es besagt lediglich, dass das Beschwerdegericht - und auch das Erstgericht nach Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. BGHZ 159, 122, 124 f.) - die Entscheidung nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern darf, wenn nur dieser Beschwerde eingelegt hat. Ist keine Beschwerde eingelegt, sondern hat das Ausgangsgericht in ansonsten zulässiger Weise seine Entscheidung korrigiert, kommt das Verbot auch dann nicht zur Anwendung, wenn durch die Änderung die Rechtsstellung eines Verfahrensbeteiligten verschlechtert wird.
[11]2. Das Insolvenzgericht durfte den Beschluss in Bezug auf die Angabe der Laufzeit der Abtretung von Amts wegen ändern, weil die im ersten Beschluss angegebene Laufzeit unzutreffend war.
[12]a) Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss der Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 InsO keine Aussage zur Laufzeit der Abtretungserklärung enthalten. Die Angabe der durch § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO vorgegebenen Laufzeit wird lediglich im Interesse der Rechtsklarheit für wünschenswert gehalten (vgl. HK-InsO/Landfermann, 4. Aufl., § 291 Rz. 9; MünchKomm/InsO/Stephan, § 291 Rz. 15; FK-InsO/Ahrens, a.a.O. § 291 Rz. 12). Kommt nach Art. 107 EGInsO noch eine auf fünf Jahre verkürzte Laufzeit in Betracht, wird eine Verpflichtung des Insolvenzgerichts zur Festlegung der Laufzeit im Beschluss angenommen, weil die Gläubiger und der Schuldner einen Anspruch auf Klarheit über die Dauer der Wohlverhaltensperiode hätten (vgl. MünchKomm/InsO/Stephan, § 287 Rz. 67; FK-InsO/Ahrens, a.a.O.). Welchen Charakter die Bestimmung der Laufzeit in diesem Fall hat, kann offen bleiben. Jedenfalls im Regelfall ist die Angabe zur Laufzeit im Ankündigungsbeschluss lediglich ein Hinweis auf die bestehende Gesetzeslage.
[13]b) Die Abtretungserklärung des Schuldners gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO ist vorrangig als Prozesshandlung zu verstehen.
[14]aa) Ein Teil der insolvenzrechtlichen Literatur deutet die Abtretungserklärung als materiell-rechtliche Erklärung, die zu einem Abtretungsvertrag mit dem Treuhänder führt, sobald dieser gem. § 291 Abs. 2 InsO vom Gericht bestellt worden ist, und mit der Übernahme des Amtes konkludent sein Einverständnis mit dem Abtretungsangebot erklärt hat (vgl. HK-InsO/Landfermann, a.a.O. § 287 Rz. 16; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl., § 287 Rz. 38 f.; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 287 Rz. 5; Römermann in Nerlich/Römermann, InsO § 287 Rz. 29; einschränkend Braun/Buck, InsO 2. Aufl., § 287 Rz. 20). Nach anderer Meinung handelt es sich vorrangig um eine prozessuale Erklärung des Schuldners, die eine besondere Voraussetzung für die Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens darstellt. Danach findet der Rechtsübergang nach § 291 Abs. 2 InsO als gesetzlich angeordnete Folge der Treuhänderbestellung durch das Insolvenzgericht und dessen Amtsübernahme statt (vgl. FK-InsO/Ahrens, a.a.O. § 287 Rz. 19 ff., 27 ff.; MünchKomm/InsO/Stephan, § 287 Rz. 34, § 291 Rz. 33; Smid/Haarmeyer, InsO 2. Aufl., § 287 Rz. 10).
[15]bb) Die letztgenannte Auffassung verdient den Vorzug. Zwar begreift auch die Begründung zum Regierungsentwurf der Insolvenzordnung (BT-Drucks. 12/2443, 189) die Abtretung als materiell-rechtlichen Vertrag gem. § 398 BGB. Einer solchen Sichtweise stehen jedoch durchgreifende Einwände entgegen. Da die Abtretungserklärung ggü. dem Gericht abgegeben wird, nicht ggü. dem regelmäßig noch gar nicht bestimmten Treuhänder, müsste sie als Blankozession und das Gericht als Erklärungsbote angesehen werden. Der Zugang und die konkludente Annahme des Angebots auf Abschluss des Abtretungsvertrages durch den Treuhänder kann nur generell fingiert werden. Um bei einem Wechsel in der Person des Treuhänders den Übergang der Bezüge auf den neuen Treuhänder zu gewährleisten, müsste die Abtretungserklärung zudem als Angebot zum Abschluss einer unbestimmten Anzahl von Verträgen ausgelegt werden. Diese konstruktiven Schwierigkeiten werden von vornherein vermieden, wenn man die Abtretungserklärung als an das Insolvenzgericht adressierte und von diesem auszulegende Prozesserklärung ansieht.
[16]Darüber hinaus spricht für die prozessuale Theorie, dass der Schuldner eine rechtsgeschäftliche Erklärung wegen Willensmängeln anfechten und damit der Zession die Grundlage entziehen könnte. Die materiell-rechtliche Auffassung vermag auch weder befriedigend zu erklären, warum der Schuldner noch nach dem Beschluss gem. § 291 InsO im Zeitraum der Wohlverhaltensperiode jederzeit einseitig von der Abtretung Abstand nehmen kann, wenn er - aus welchen Gründen auch immer - auf die Restschuldbefreiung verzichten will, noch auf welche Weise nach der Abberufung oder dem Tod des Treuhänders sein Nachfolger in dessen Rechtsstellung einrückt. Ebenso wenig verträgt es sich mit einer vertraglichen Konstruktion, dass die Abtretung nach § 299 InsO bei Versagung der Restschuldbefreiung durch das Insolvenzgericht in den Fällen der §§ 296 bis 298 InsO endet; dasselbe gilt, wenn es dem Schuldner gelingt, seine sämtlichen Verbindlichkeiten vorzeitig zu tilgen.
[17]Auch nach der prozessualen Theorie genießen frühere Abtretungen im Umfang des § 114 Abs. 1 InsO den Vorrang. Die Abtretungserklärung entfaltet unbestreitbar auch materiell-rechtliche Konsequenzen, die jedoch ggü. den verfahrensrechtlichen Wirkungen in den Hintergrund treten (vgl. FK-InsO/Ahrens, a.a.O. Rz. 27).
[18]Nur die prozessuale Theorie ermöglicht schließlich auch eine angemessene Auslegung der Abtretungserklärung des Schuldners, weil Adressat bei dieser Betrachtungsweise nicht der Treuhänder, sondern das Insolvenzgericht ist.
[19]c) Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die Partei mit einer Prozesserklärung das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschl. v. 22.5.1995 - II ZB 2/95, NJW-RR 1995, 1183 f.; Urt. v. 24.11.1999 - XII ZR 94/98, NJW-RR 2000, 1446; Zöller/Greger, a.a.O. Vor § 128 Rz. 25). Dementsprechend ist eine Erklärung, die hinsichtlich des Umfangs der abgetretenen Forderungen oder der Laufzeit der Abtretung über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht, so auszulegen, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung unter den jeweils gültigen gesetzlichen Bedingungen anstrebt (vgl. FK-InsO/Ahrens, a.a.O. § 287 Rz. 33, 88). Daher findet der Übergang der Forderungen nach § 291 Abs. 2 InsO als Folge der gerichtlichen Treuhänderbestellung auch dann nur in dem gesetzlich vorgegebenen Umfang statt, wenn der Schuldner in seiner Abtretungserklärung eine längere Laufzeit angibt. Denn es ist anzunehmen, dass er die der geltenden Rechtslage entsprechende Abtretungserklärung abgeben wollte und bei Kenntnis der Gesetzesänderung auch abgegeben hätte.
Fundstellen