Leitsatz (amtlich)
Eine Vereinbarung, nach der im Falle der Auflösung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis die Gesellschaft in der Weise auseinandergesetzt werden soll, daß das Praxisinventar geteilt wird und die Gesellschafter, ohne irgendwelchen Beschränkungen zu unterliegen, auch in Zukunft Patienten der früheren Praxis behandeln dürfen, ist grundsätzlich nicht sittenwidrig.
Normenkette
BGB § § 732 ff., § 138
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Zwischenurteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. November 1992 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 1991 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte hatte bereits seit mehreren Jahren die von seinem Vater übernommene orthopädische Praxis geführt, als er zum 1. Juli 1984 den Kläger als Partner aufnahm. Nach Auseinandersetzungen zwischen den Parteien kündigte der Beklagte im Dezember 1988 den Gemeinschaftspraxisvertrag zum Jahresende 1989; einvernehmlich wurde später der Zeitpunkt für die Beendigung der Zusammenarbeit auf den 30. September 1989 vorverlegt. Der Kläger ist seit Anfang 1990 auf seinem Fachgebiet der arthroskopischen Chirurgie als Abteilungsleiter in einem F.'er Krankenhaus tätig; er hält dort auch eine Sprechstunde für ambulante Patienten ab. Der Beklagte hingegen führt in den gemieteten Räumen seines Elternhauses seine orthopädische Praxis wieder allein, nimmt aber seitdem nur noch Privatpatienten zur Behandlung an. Das Praxisinventar ist geteilt worden, der Kläger ist aus den Verpflichtungen des bestehenden Mietvertrages über die Praxisräume entlassen worden, und die Parteien haben sich hinsichtlich der Abwicklung eines gemeinsam geschuldeten Kredits geeinigt. Die Patienten sind über die Beendigung der Gemeinschaftspraxis und unter Angabe von Sprechzeiten und Telefonnummer darüber unterrichtet worden, daß der Kläger künftig seine Tätigkeit als Krankenhausarzt mit ambulanter Sprechstunde fortsetzt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ihm über die getroffenen Regelungen hinaus ein Abfindungsanspruch in Höhe der Hälfte des Praxiswertes zusteht. Den geforderten Betrag von 450.000,– DM hat er auf der Grundlage der in den letzten drei Jahren erzielten Bruttoumsätze ermittelt. Er hat gemeint, die vertraglichen Regelungen über die Abfindung, nach denen die Praxiseinrichtung geteilt wird und jeder Gesellschafter um die Patienten der Gemeinschaftspraxis werben kann, weitere Ansprüche aber nicht bestehen, seien auf sein Ausscheiden nicht anwendbar, jedenfalls seien sie nach § 138 BGB unwirksam. Hilfsweise hat er seine Klageforderung auf einen Bereicherungsanspruch wegen Nichterreichung des beabsichtigten Zwecks gestützt. Er habe nämlich allein in der Erwartung, gleichberechtigter Partner zu werden, auf einen Teil des Gewinns zugunsten des Beklagten für viereinhalb Jahre verzichtet, wegen der von dem Beklagten ausgesprochenen Kündigung sei dieser Zweck nicht verwirklicht worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat sie durch das angefochtene Zwischenurteil dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des die Klage abweisenden erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger kann den geltend gemachten Betrag weder als Abfindung noch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung des Beklagten verlangen.
I.
Das Berufungsgericht hat seine dem Klagebegehren dem Grunde nach stattgebende Entscheidung damit begründet, daß der Kläger aus der von den beiden Ärzten geführten Gesellschaft ausgeschieden sei, der Beklagte das Gesellschaftsvermögen übernommen habe und der in § 12 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrages vorgesehene Ausschluß eines Abfindungsanspruchs wegen Verstoßes gegen § 138 BGB unwirksam sei. Dies beruht, wie die Revision mit Recht rügt, auf Rechtsirrtum.
1. Zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, daß § 12 des Gesellschaftsvertrages alle Fälle der Beendigung der Zusammenarbeit der Parteien betrifft. Dies hat das Oberlandesgericht ohne Rechtsfehler aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck der gesellschaftsvertraglichen Regelungen hergeleitet. § 13 regelt entgegen der Meinung des Klägers lediglich die einzuhaltende Frist und die Form einer Kündigung der auf unbestimmte Zeit geschlossenen Gesellschaft und legt zusätzlich fest, daß für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 1986 eine Kündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich sein sollte. Die Folgen der Abgabe einer solchen Kündigungserklärung sind hingegen in § 12 Nr. 1 und Nr. 2 des Vertrages abschließend geregelt. Während § 12 Nr. 1 bestimmt, wie zu verfahren ist, wenn die Zusammenarbeit der Parteien bis zum 31. Dezember 1988 – sei es durch Tod eines Partners, durch Ausscheiden des Beklagten aus dem Arztberuf, durch Auflösungsbeschluß oder durch Kündigung – beendet wird, betrifft § 12 Nr. 2 die anschließende Zeit, wenn nämlich der Kläger nach § 2 Nrn. 1 und 3 sowie § 5 Nr. 3 des Vertrages gleichberechtigter Partner geworden ist. Allein diese Bestimmung ist im vorliegenden Fall heranzuziehen, weil die von dem Beklagten ausgesprochene Kündigung erst zum 31. Dezember 1989 wirksam werden und die Zusammenarbeit der Parteien beenden konnte. Inhaltlich unterscheidet § 12 Nr. 2 zwischen den Fällen, daß nach der Beendigung der Gemeinschaftspraxis einer der Partner allein den Arztberuf ausübt (Abs. 3) und daß beide Partner weiter als Ärzte, wenn auch jeder für sich, tätig sind (Abs. 1 und 2). Die differenzierenden Regelungen für beide Fallgestaltungen, daß nämlich im ersten Fall der verbleibende Partner die Praxis fortführt, während in dem anderen Fall u. a. geregelt ist, daß der Beklagte die in seinem Elternhaus gelegenen Praxisräume allein weiternutzen kann, im übrigen aber das Gesellschaftsvermögen geteilt wird, zeigen, daß alle denkbaren, zusammengefaßt als „Ausscheiden” bezeichneten Beendigungsgründe von diesen Regelungen des Gesellschaftsvertrages erfaßt sein sollten.
2. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht jedoch in seiner weiteren Annahme, es liege ein Fall der Übernahme des Gesellschaftsvermögens durch den Beklagten vor, der ihn zur Zahlung einer Abfindung an den Kläger nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichte.
Für den Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer BGB-Gesellschaft kann allerdings vereinbart werden, daß der andere die „Gesellschaft fortsetzt”, indem er das Gesellschaftsvermögen als Gesamtrechtsnachfolger übernimmt (vgl. Münchener Kommentar z. BGB/Ulmer, 2. Aufl. § 736 Rdn. 6. § 730 Rdn. 57). Die Rechte des Ausgeschiedenen bestimmen sich dann nach §§ 738–740 BGB. Ein solches Übernahmerecht ist dem Beklagten indessen durch den hier allein einschlägigen § 12 Nr. 2 Abs. 1 und 2 des Gesellschaftsvertrages nicht eingeräumt worden. Dies kann der Senat, da die Auslegung des Berufungsgerichts fehlerhaft ist und weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen, selbst aussprechen (st. Rspr. vgl. BGHZ 96, 141, 144; Sen. Urt. v. 27. Mai 1991 – II ZR 164/90). Ein Übernahmerecht enthält der Gesellschaftsvertrag (von den durch Zeitablauf gegenstandslos gewordenen Bestimmungen in § 12 Nr. 1 abgesehen) allein für den Fall, daß die Zusammenarbeit der Parteien in der Weise endet, daß einer der Partner stirbt oder arbeitsunfähig wird (Abs. 3 aaO). Dagegen ist für alle übrigen Fälle der Beendigung der Zusammenarbeit der Parteien eine andere abschließende (§ 12 Nr. 2 letzter Satz) Regelung getroffen worden: der Beklagte darf die – im Hause seiner Eltern befindlichen – Praxisräume übernehmen und hat den Kläger gleichzeitig von allen Verpflichtungen aus dem Mietverhältnis freizustellen; alle Gegenstände der Praxiseinrichtung werden geteilt, wobei Verkehrswerte zugrunde zu legen sind; jeder Gesellschafter kann – was das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet hat – ohne Einschränkung versuchen, die Patienten der bisherigen Gemeinschaftspraxis auch nach der Trennung für sich allein zu gewinnen und an sich zu binden (§ 12 Nr. 2 Abs. 1 und 2). Die Parteien selbst sind auch von einem Übernahmerecht nicht ausgegangen. Dies wird auch daran deutlich, daß sie entsprechend den in § 12 Nr. 2 Abs. 1 und 2 niedergelegten Bestimmungen nicht nur Abreden über die Freistellung des Klägers aus den Mietvertragspflichten getroffen und das Praxisinventar geteilt haben, sondern daß nicht der Beklagte das gemeinsam aufgenommene Darlehen allein getilgt hat, wie dies einer Übernahme der Praxis entspräche, vielmehr insofern auch der Kläger für die Zeit nach der Auflösung der Gesellschaft Verpflichtungen übernommen hat.
3. Kann danach mangels einer Übernahme des früheren Gesellschaftsvermögens durch den Beklagten der Kläger eine Abfindung nach § 738 BGB nicht fordern (vgl. Sen. Urt. v. 14. Januar 1980 – II ZR 218/78, WM 1980, 496, 497), so kann es nur darum gehen, ob der Kläger nach Auflösung der Gesellschaft und durchgeführter Auseinandersetzung hinsichtlich der Praxiseinrichtung und der -schulden einen weiteren Auseinandersetzungsanspruch gegen den Beklagten hat. Ein solcher Anspruch ist in § 12 Nr. 2 letzter Satz des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich ausgeschlossen.
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts, das diese Frage im Rahmen des von ihm bejahten Abfindungsanspruchs geprüft hat, ist die vereinbarte Auseinandersetzungsregelung nicht sittenwidrig. Wie der Senat bereits für Anwaltssozietäten ausgesprochen hat, wird der bis zu seinem Ausscheiden am Gewinn beteiligte Sozius durch das Recht, anteilig Mandate mitzunehmen und sich damit die Grundlage für seine weitere Existenz als Anwalt zu erhalten, in der einer Anwaltssozietät angemessenen Weise abgefunden (Urt. v. 28. Mai 1979 – II ZR 217/78, WM 1979, 1064, 1065; vgl. auch Urt. v. 15. Januar 1990 – II ZR 14/89, ZIP 1990, 1200, 1201). Für eine in Form einer BGB-Gesellschaft geführte Arztpraxis kann nichts anderes gelten. Wenn hier die Praxiseinrichtung hälftig geteilt wird und jeder Partner die Möglichkeit hat, seine ärztliche Tätigkeit ohne jede Einschränkung fortzusetzen, und zu diesem Zweck die bisherigen Patienten besonders ansprechen kann, dann wird der Wert der Praxis zwischen den Gesellschaftern nicht in einer völlig unangemessenen und sogar zur Anwendbarkeit des § 138 BGB führenden Weise geteilt. Die Parteien haben durch diese Form der Auseinandersetzung den berufstypischen Gegebenheiten bei der Auflösung einer partnerschaftlich betriebenen Arztpraxis Rechnung getragen. Der Wert, den eine solche Praxis über ihre Einrichtungsgegenstände hinaus hat, wird im wesentlichen durch die persönliche Beziehung zwischen den Patienten und den sie behandelnden Ärzten bestimmt. Darf ohne irgendwelche wettbewerbliche Beschränkungen jeder der Partner das von ihm zu seinen Patienten aufgebaute Vertrauensverhältnis in der Weise für sich wirtschaftlich nutzbar machen, daß er die ärztliche Betreuung dieser Patienten auch nach der Auflösung der Gemeinschaftspraxis fortsetzt, dann ist damit seinen berechtigten Interessen, an dem bisherigen wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft auch in Zukunft teilhaben zu können, Rechnung getragen. Der Besonderheit des Arzt/Patienten-Verhältnisses entspricht dieses Vorgehen auch deswegen, weil die ärztlichen Leistungen höchstpersönlich zu erbringen sind und aus zeitlichen und physischen Gründen nicht beliebig ausgeweitet werden können. Schließlich ist – im Unterschied zu einer gewerblich tätigen Gesellschaft – eine in Form einer BGB-Gesellschaft geführte Arztpraxis auch von der Besonderheit geprägt, daß man schon allgemein nicht davon ausgehen kann, Patienten würden den bisher konsultierten Arzt auch in Zukunft stets aufsuchen; erst recht gilt bei Fachärzten wie den Parteien, die sich in besonderer Weise auf Kniegelenksoperationen spezialisiert haben, daß die Fluktuation sehr groß und eine sich in einem Geschäftswert niederschlagende Bindung eines Patientenstammes weniger leicht zu erwarten ist.
Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung wiegt bei der hier getroffenen Auseinandersetzungsvereinbarung auch der Vorteil des Beklagten, seine ärztliche Tätigkeit in denselben, von seinen Eltern angemieteten Räumen fortsetzen zu können, nicht so schwer, daß dadurch die Regelung sittenwidrig werden könnte. Hierin liegt kein unverhältnismäßiger Vorteil etwa in dem Sinn, daß der Beklagte – ähnlich wie es der Senat für einen gänzlich unvergleichbaren Fall eines Alleinvertriebsrechts entschieden hat (Urt. v. 14. Januar 1980 WM 1980 aaO) – zu Lasten des Klägers den gesamten Wert des „Unternehmens” an sich gebracht hätte. Vor allem erscheint es nicht einleuchtend, daß Patienten, die einer arthroskopischen Kniegelenksbehandlung bedürfen, allein wegen der Entfernung von nur acht Kilometern zwischen der bisherigen Gemeinschaftspraxis und der Klinik, in der der Kläger nunmehr tätig ist, diesen nicht konsultieren sollten. Obendrein hat der Beklagte – wie unstreitig ist – sich nach der Trennung der Parteien auf die Behandlung von privat versicherten Patienten beschränkt und kann schon deswegen nicht den gesamten Wert der bisherigen Praxis an sich gebracht haben. Deswegen bleibt es bei dem Grundsatz, daß die Teilung der Sachwerte und die – rechtlich nicht beschränkte – Möglichkeit der Mitnahme von Patienten oder Mandanten im Regelfall die angemessene Art der Auseinandersetzung einer in Form einer BGB-Gesellschaft betriebenen Gemeinschaftspraxis von Ärzten oder einer Sozietät von Rechtsanwälten ist.
4. Insbesondere der von dem Berufungsgericht und der Revision angeführte Gedanke der „Hinauskündigung” rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Eine Hinauskündigung läge nur vor, wenn der Beklagte ein Übernahme recht hätte (Münchener Kommentar z. BGB/Ulmer aaO § 737 Rdn. 5). Allenfalls dann käme es darauf an, ob ein solches Vorgehen ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich ist. Darum geht es hier jedoch nicht; der Beklagte hat vielmehr von dem beiden Gesellschaftern gleichermaßen zustehenden Recht (§ 723 Abs. 1, 3 BGB) Gebrauch gemacht, die Gesellschaft zu kündigen.
II.
Der Kläger kann sein Begehren auch nicht auf die Vorschriften über den Ausgleich einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) stützen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf ein ihm zustehendes Recht der Vertragsanfechtung wegen Irrtums oder wegen arglistiger Täuschung verweist, geht dies schon wegen der Versäumung der Anfechtungsfristen fehl.
Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch aus § 812 BGB wegen Zweckverfehlung besteht nicht. Der Kläger hat den von ihm angeblich mit der Hinnahme eines geringeren Gewinnanteils – das macht unstreitig in viereinhalb Jahren einen Betrag von 450.000,– DM aus – verfolgten Zweck erreicht, weil er ab 1. Januar 1989 gleichberechtigter Gesellschafter geworden ist mit der Folge, daß er nicht nur im Jahre 1989 die Hälfte des Gewinns bezogen hat, sondern an allen Praxisgegenständen, auch soweit sie bis Ende 1988 im Alleineigentum des Beklagten standen, ideell hälftig Gesamthandseigentum erlangt hat.
Unterschriften
Boujong, Röhricht, Dr. Henze, Dr. Goette, Dr. Greger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.12.1993 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 1994, 1036 |
NJW 1994, 796 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1994, 378 |