Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichten des Steuerberaters sowie des Geschäftsführers einer GmbH bei Gefahr der Insolvenzreife
Leitsatz (amtlich)
a) Das steuerberatende Dauermandat von einer GmbH begründet bei üblichem Zuschnitt keine Pflicht, die Mandantin bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überprüfung in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen, ob Insolvenzreife besteht.
b) Eine entsprechende drittschützende Pflicht trifft den steuerlichen Berater auch gegenüber dem Geschäftsführer der Gesellschaft nicht.
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine – möglicherweise auch drittschützende – Haftung des Steuerberaters für einen Insolvenzverschleppungsschaden kann nur eintreten, wenn er ausdrücklich mit der Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens beauftragt war.
2. Dem Steuerberater ist es aufgrund der Erstreckung seines Berufsbildes auf „eine wirtschaftsberatende, gutachtliche oder treuhänderische Tätigkeit sowie die Erteilung von Bescheinigungen über die Beachtung steuerrechtlicher Vorschriften in Vermögensübersichten und Erfolgsrechnungen” grundsätzlich gestattet, entsprechende Aufgaben wahrzunehmen, wenn er den Auftrag dazu hat. Ein Konflikt zu § 5 Abs. 1 RDG tritt nicht ein, denn die Insolvenz- und die Sanierungsberatung gehört als Nebenleistung zum Berufsbild des Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers. Deshalb ist diese berufsrechtlich zulässige Sonderberatung aber noch nicht Inhalt eines jeden steuerlichen Dauermandats.
3. Weist die Handelsbilanz der GmbH eine Überschuldung aus, hat deren Geschäftsführer eine Überschuldungsprüfung selbst vorzunehmen oder gesondert in Auftrag zu geben. Auf den Steuerberater der Gesellschaft, den im Rahmen eines allgemeinen Mandats die Pflicht zur steuerlichen Beratung der Gesellschaft trifft, kann er diese Aufgabe nicht ohne besonderen Auftrag abwälzen.
Normenkette
BGB § 675; GmbHG a.F. § 64 Abs. 2; StBerG § 57 Abs. 3 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Im Umfang der Zulassung durch das Berufungsgericht wird die Revision des Klägers gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Köln vom 23.2.2012 zurückgewiesen. Die weitergehende Revision wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist der Verwalter in dem am 10.5.2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der C. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), die von dem Beklagten steuerlich beraten worden war und von dem Geschäftsführer B. (nachfolgend: Zedent) geleitet wurde.
Rz. 2
Die Schuldnerin befand sich schon im Jahr 2005 in der Krise. Um den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, stellte der Zedent der Gesellschaft ein Darlehen über insgesamt 80.000 EUR zur Verfügung. Hierüber informierte er im Dezember 2005 den Beklagten. Dieser riet ihm, hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs einen Rangrücktritt zu erklären. Am 26.1.2006 besprachen der Zedent und der Beklagte die Bilanz der Schuldnerin für das Jahr 2004. Am selben Tag gab der Zedent die vom Beklagten angeregte Rangrücktrittserklärung ab und erklärte zusätzlich den Rangrücktritt für die Rückgewähr von Sicherheiten, die er in der Vergangenheit der Schuldnerin zur Verfügung gestellt hatte. Die unter dem 6.2.2006 erstellte Bilanz der Schuldnerin für das Jahr 2004 wies einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 73.121,63 EUR aus.
Rz. 3
Am 29.9.2006 veräußerte der Zedent seine Anteile an der Schuldnerin. Diese stellte am 5.12.2006 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach der Verfahrenseröffnung forderte der Kläger den Zedenten auf, wegen Kreditrückführungen auf dem Geschäftskonto der Schuldnerin zwischen dem 26.1.2006 und dem 1.9.2006i.H.v. insgesamt 265.372,03 EUR Schadensersatz zu leisten, weil dieser die Rückführung des Kredits trotz der Überschuldung der Gesellschaft zugelassen habe. Der Zedent konnte den Betrag nicht zahlen. Er schloss mit dem Kläger am 25.8.2009 einen Vergleich, durch den er u.a. seine Ansprüche gegen den Beklagten aus steuerlicher Beratung an den Kläger abtrat.
Rz. 4
Gestützt auf diese Abtretung verlangt der Kläger unter Anrechnung eines hälftigen Mitverschuldens des Zedenten Schadensersatz i.H.v. 132.686,01 EUR. Er meint, der Beklagte habe es - zuletzt bei der Unterredung am 26.1.2006 - schuldhaft unterlassen, auf eine mögliche Überschuldung der Gesellschaft und die Pflicht des Zedenten, die Überschuldung prüfen zu lassen, hinzuweisen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zu der Frage zugelassenen Revision, ob der Geschäftsführer einer GmbH in den Schutzbereich des zwischen der Gesellschaft und dem Steuerberater geschlossenen Beratungsvertrages einbezogen sei, soweit die insolvenzrechtliche Innenhaftung des Geschäftsführers in Rede stehe, verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision des Klägers ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht, dessen Urteil mehrfach (vgl. DStR 2012, 923; NZG 2012, 504; Stbg 2012, 327; DStRE 2012, 970) veröffentlicht ist, hat gemeint, eine Inanspruchnahme des Beklagten aus abgetretenem Recht scheide aus, weil diesen keine Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem Zedenten treffe. Auf einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag könne sich der Kläger nicht stützen. Es habe sich nicht um eine Beratungsleistung gegenüber dem Zedenten, sondern um eine solche gegenüber der GmbH gehandelt. Jedenfalls erschöpften sich die Pflichten des Beklagten in dem erteilten Rat. Eine Verpflichtung zur weiteren Aufklärung des Zedenten könne aus einem solchen Vertrag nicht hergeleitet werden. Der Kläger habe nicht hinreichend dargelegt, dass der Zedent den Beklagten Ende des Jahres 2005 oder Anfang des Jahres 2006 überhaupt zu einer Einschätzung dazu aufgefordert habe, ob die GmbH überschuldet und aus diesem Grund etwas zu veranlassen sei.
Rz. 7
Die Voraussetzungen eines Anspruchs des Zedenten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter seien ebenfalls nicht gegeben. Der Zedent sei nicht in den Schutzbereich des Steuerberatervertrages zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten einbezogen gewesen. Zwar komme eine solche Einbeziehung in Betracht, wenn aufgrund einer fehlerhaften Beratung durch den Steuerberater das Risiko einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers nach §§ 191, 219 AO bestehe oder der Steuerberater wegen unrichtiger Angaben in der Steuererklärung für eine gegen den Geschäftsführer verhängte Geldstrafe wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung haften müsse (vgl. BGH, Urt. v. 13.10.2011 - IX ZR 193/10, ZInsO 2011, 2274). Vorliegend fehle es aber an der Schutzwürdigkeit des Zedenten und der Zumutbarkeit der Haftungserweiterung für den Beklagten, der seine Leistungen vorrangig im Interesse der Gesellschaft zu erbringen habe. Deren Geschäftsführer sei zur eigenverantwortlichen Prüfung der Überschuldung verpflichtet, soweit er Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit entgegen § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. leiste. Dem steuerlichen Berater der Gesellschaft sei das Risiko, für solche Zahlungen haften zu müssen, nicht zumutbar. Es fehle auch an einer Pflichtverletzung des Beklagten. Aus dem Umstand, dass er bei Vorlage der Bilanz für das Jahr 2004 zutreffend über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft informiert und der Zedent auf die Feststellung des Fehlbetrages durch die Abgabe von Rangrücktrittserklärungen reagiert habe, sei zu entnehmen, dass dem Zedenten die Überschuldungssituation bewusst gewesen sei.
II.
Rz. 8
Die Revision ist zulässig, soweit sie die Haftung der Beklagten wegen Verletzung einer drittschützenden Pflicht bei der steuerlichen Beratung der GmbH erreichen will. Im Übrigen ist sie mangels einer Zulassung unstatthaft und damit unzulässig (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat die Revision beschränkt auf die Frage zugelassen, ob der Geschäftsführer einer GmbH in den Schutzbereich des zwischen der Gesellschaft und dem Steuerberater geschlossenen Beratungsvertrages einbezogen ist, soweit es um die Haftung des Geschäftsführers wegen der Verletzung der Pflicht gem. § 64 Satz 1 GmbHG (entsprechend § 64 Abs. 2 GmbHG a.F.) gegenüber der Gesellschaft geht. Dies ergibt sich, was ausreichend ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.7.2004 - VI ZR 273/03, NJW 2004, 3176, 3177; v. 16.9.2009 - VIII ZR 243/08, BGHZ 182, 241 Rz. 11; v. 27.9.2011 - II ZR 221/09, ZIP 2011, 2491 Rz. 18), aus den Urteilsgründen. Die Zulassungsfrage betrifft lediglich einen an den Kläger abgetretenen Anspruch des Zedenten aus einer möglichen Verletzung der drittschützenden Pflichten des mit der Schuldnerin bestehenden Beratervertrages. Ansprüche aus dem von dem Kläger behaupteten Auskunftsvertrag zwischen dem Zedenten und dem Beklagten werden von dieser Frage nicht berührt. Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf einen abtrennbaren Teil eines prozessualen Anspruchs ist möglich (BGH, Urt. v. 23.9.2003 - XI ZR 135/02, NJW 2003, 3703; vom 16.9.2009, a.a.O.; v. 12.5.2010 - VIII ZR 96/09, NJW 2010, 3015 Rz. 21; Ackermann in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 543 Rz. 4 f.; Hk-ZPO/Kayser/Koch, 5. Aufl., § 543 Rz. 60; Krüger in MünchKomm/ZPO,4. Aufl., § 543 Rz. 35; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 543 Rz. 11; Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 543 Rz. 22).
Rz. 10
Bezieht sich die Rechtsfrage, zu deren Klärung das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, wie hier auf einen abtrennbaren Teil des Streitstoffs, ist die Zulassungsentscheidung so auszulegen, dass das Berufungsgericht die Revision lediglich beschränkt auf diesen Teil des Streitgegenstands zugelassen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 - II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rz. 4). Deshalb ist die Revision als unzulässig zu verwerfen, soweit sie Ansprüche des Klägers aus einem Beratungsvertrag des Zedenten mit dem Beklagten weiterverfolgt.
III.
Rz. 11
Im Umfang der Zulassung bleibt die Revision des Klägers ohne Erfolg. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 12
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Beklagte aus dem mit der Schuldnerin abgeschlossenen Beratervertrag nicht die Pflicht hatte, die Schuldnerin auf eine möglicherweise bestehende insolvenzrechtliche Überschuldung und die Pflicht des Geschäftsführers, eine Überschuldungsprüfung in Auftrag zu geben, hinzuweisen.
Rz. 13
a) Der Beklagte hatte für die Schuldnerin seit deren Gründung 2001 fortlaufend die monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen, die Lohnabrechnungen der Mitarbeiter, die Meldungen an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger, die Jahresabschlüsse und die Bilanzen zu fertigen und diese bei den Prüfungen der genannten Stellen zu unterstützen. Diese Tätigkeiten sind nach ihrem Gesamtbild als Wahrnehmung der allgemeinen steuerlichen Interessen des Auftraggebers einzustufen. Im Streitfall hat die Schuldnerin dem Beklagten aber nicht den ausdrücklichen Auftrag erteilt, die GmbH in der Frage des Bestehens einer Insolvenzantragspflicht zu beraten. Die Pflicht zum Hinweis auf die Erforderlichkeit einer Überprüfung der Insolvenzantragsvoraussetzungen ergibt sich aber auch nicht aus der Verletzung einer allgemeinen Vertragspflicht.
Rz. 14
Welche Aufgaben der Steuerberater zu erfüllen hat, richtet sich nach Inhalt und Umfang des erteilten Mandats (BGH, Urt. v. 4.3.1987 - IVa ZR 222/85, WM 1987, 661, 662; v. 26.1.1995 - IX ZR 10/94, BGHZ 128, 358, 361). Der Steuerberater ist verpflichtet, sich mit den steuerrechtlichen Punkten zu befassen, die zur pflichtgemäßen Erledigung des ihm erteilten Auftrags zu beachten sind. Nur in den hierdurch gezogenen Grenzen des Dauermandats hat er den Auftraggeber auch ungefragt über die bei der Bearbeitung auftauchenden steuerrechtlichen Fragen zu belehren (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.1966 - VII ZR 132/64, WM 1967, 72, 73; v. 6.12.1979 - VII ZR 19/79, WM 1980, 308, 309; vom 26.1.1995, a.a.O.). Zu den vertraglichen Nebenpflichten des Steuerberaters gehört es, den Mandanten vor Schaden zu bewahren (§ 242 BGB) und auf Fehlentscheidungen, die für ihn offen zutage liegen, hinzuweisen (BGH, Urt. v. 7.5.1991 - IX ZR 188/90, WM 1991, 1303, 1304; vom 26.1.1995, a.a.O., 362; vom 21.7.2005 - IX ZR 6/02, WM 2005, 1904, 1905 unter B. I. 1.a; Vill in Zugehör/G.Fischer/Vill/D.Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rz. 550 ff.).
Rz. 15
b) Gemessen an diesen Grundsätzen war es nicht Aufgabe des mit der allgemeinen steuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass es die Pflicht des Geschäftsführers ist, eine Überprüfung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, ob Insolvenzreife eingetreten ist und ggf. gem. § 15a InsO Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden muss. Anders als bei einem ausdrücklichen Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens (vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2012 - IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rz. 9 ff.) besteht eine solche Pflicht bei einem allgemeinen steuerrechtlichen Mandat nicht. Sie würde die Verantwortlichkeit des Beraters, sich mit den steuerrechtlichen Angelegenheiten zu befassen, erheblich erweitern. Der Berater müsste dann trotz der Beschränkung seiner Hauptpflichten auf die steuerrechtliche Beratung (vgl. § 33 StBerG und BGH, Urt. v. 14.6.2012, a.a.O., Rz. 10 f.) auch die allgemeine wirtschaftsrechtliche Beratung, zu der die Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen zu zählen ist, im Blick haben und der Gesellschaft neben steuerrechtlichen Ratschlägen ohne besonderen Auftrag auch insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Hinweise erteilen.
Rz. 16
c) Die Unterdeckung in der im Rahmen des Steuerberaters erstellten Bilanz kann zwar einen indiziellen Hinweis auf die möglicherweise drohende oder bereits eingetretene Überschuldung geben, sie weist diese aber nicht aus (Pape, in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, § 19 Rz. 53; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 19 Rz. 10). Festgestellt werden kann die Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO nur durch Aufstellung einer Überschuldungsbilanz, die anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als die vom Steuerberater zu fertigende Bilanz. Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist deshalb aus der Handelsbilanz auch nicht ohne Weiteres zu entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.4.2008 - II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rz. 8; v. 8.3.2012 - IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 17
aa) Im Hinblick auf die rechtlich komplexe Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Überschuldung i.S.d. § 19 InsO vorliegt (vgl. HmbKomm-InsO/Schröder, 4. Aufl., § 19 Rz. 12 ff.; MünchKomm/InsO/Drukarcyk/Schüler, 2. Aufl., § 19 Rz. 52 ff.; Pape, a.a.O., Rz. 34 ff.; Sikora in Pape/Uhländer, InsO, § 19 Rz. 9 ff.; Uhlenbruck, a.a.O., Rz. 28 ff.), hätte sich der Steuerberater mit schwierigen Rechtsfragen zu befassen, die für ihn - auch im Fall der Feststellung einer Unterdeckung in der Handelsbilanz - in aller Regel nicht offen zutage liegen. Ihm kann deshalb nicht die Pflicht auferlegt werden, auf bloßen äußeren Verdacht hin den Hinweis zu erteilen, die Gesellschaft sei möglicherweise überschuldet i.S.d. § 19 InsO, oder ohne konkreten Auftrag zunächst eine Fortführungsprognose zu erstellen (vgl. Pape, a.a.O., Rz. 37 ff.; Sikora, a.a.O., Rz. 16 ff.) und sodann - je nach Ergebnis dieser Prognose - eine Prüfung der rechnerischen Überschuldung nach Fortführungs- oder Zerschlagungswerten (vgl. Pape, a.a.O., Rz. 52 ff.; Sikora, a.a.O., Rz. 28 ff.) vorzunehmen.
Rz. 18
Die Erkenntnis der Überschuldung setzt vielmehr voraus, dass weitere Untersuchungen - etwa hinsichtlich des Vorhandenseins von stillen Reserven und der bestehenden Fortführungsaussichten - angestellt werden, die für den Steuerberater nicht ohne Weiteres aus dessen Kenntnis der steuerlichen Situation des Unternehmens folgen. So sind bei der Erstellung der Fortführungsprognose des § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO, die nach der Aufhebung des § 6 Abs. 3 FMStG durch Art. 18 des Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5.12.2012 (BGBl. I, 2418) auf Dauer ausreicht, um eine rechnerische Überschuldung zu überwinden (vgl. Pape, a.a.O., Rz. 34), subjektive und prognostische Elemente zu berücksichtigen, die sich dem Steuerberater im Rahmen seines allgemeinen Mandats nicht ohne Weiteres erschließen. Ob Fortführungswilligkeit der Beteiligten besteht, ein umsetzbarer Finanzplan gegeben ist und ein schlüssiges und realisierbares Unternehmenskonzept für die Zukunft vorliegt (vgl. Pape, a.a.O., Rz. 37 ff.), kann der Steuerberater den Erkenntnissen, die er bei Wahrnehmung des allgemeinen Mandats gewinnt, nicht entnehmen. Für ihn wird nur die bilanzielle Überschuldung offenbar, die nicht einmal ausreicht, um eine rechnerische Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 InsO erkennbar zu machen.
Rz. 19
bb) Die im Schrifttum mehrheitlich und vereinzelt auch in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, der Steuerberater habe im Rahmen seiner Vertragspflichten zur Beratung und Schadensverhütung kraft seines überlegenen Wissens den Geschäftsführer einer GmbH darüber aufzuklären, dass er verpflichtet sei, zur Klärung der Insolvenzreife eine Überschuldungsbilanz aufzustellen und bei Feststellung der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft fristgerecht zu beantragen, wenn Überschuldung der Gesellschaft gem. § 19 Abs. 2 InsO unmittelbar drohe oder bereits eingetreten sei (vgl. LG Wuppertal, ZInsO 2011, 1997, 1998 f.; LG Saarbrücken, ZInsO 2012, 330, 337; Hölzle, DStR 2003, 2075; Gräfe, DStR 2010, 618 ff.; Mutschler, DStR 2012, 539, 540; Reck, ZInsO 2000, 121, 122; Schmittmann, StuB 2009, 696; Sundermeier/Gruber, DStR 2000, 929; Wagner/Zabel, NZI 2008, 660; Zugehör, NZI 2008, 652, 653; K. Schmidt in Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl., Rz. 1.182; Gräfe in Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Aufl., Rz. 291 Stichwort: Überschuldung), ist mit der Beschränkung der Pflichten des Steuerberaters auf die steuerliche Beratung bei einem allgemeinen steuerrechtlichen Mandat nicht in Übereinstimmung zu bringen. Auch aus der vertraglichen Nebenpflicht, den Mandanten vor Schaden zu bewahren, ergibt sich nicht die Verpflichtung des Steuerberaters, auf einen möglicherweise bestehenden Anlass zur Prüfung der Insolvenzreife hinzuweisen. Die Annahme, den Steuerberater treffe eine Hinweispflicht kraft seines überlegenen Wissens (vgl. Mutschler, a.a.O.) oder seiner besonderen Autorität (vgl. K. Schmidt, a.a.O.), ist nicht gerechtfertigt. Ein überlegenes Wissen im Hinblick auf eine drohende Überschuldung des Unternehmens im Fall einer bilanziellen Überschuldung hat der Steuerberater durch seine Aufgabe, Jahresabschlüsse zu fertigen, nicht. Sein Wissen steht vielmehr hinter dem des Geschäftsführers zurück, der nicht nur die reinen Zahlen kennt, sondern auch die für eine Fortführungsprognose maßgeblichen weiteren Umstände. Der Geschäftsführer muss beurteilen, ob er das Unternehmen in seiner bisherigen Form fortführen kann. Dass der äußere Anlass für eine Überschuldungsprüfung gegeben ist, kann er ohne Weiteres aus der Handelsbilanz, vorausgesetzt diese ist zutreffend erstellt, entnehmen, wenn diese eine Unterdeckung aufweist. Eine - möglicherweise auch drittschützende - Haftung des Steuerberaters für einen Insolvenzverschleppungsschaden kann deshalb nur eintreten, wenn dieser ausdrücklich mit der Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens beauftragt ist (BGH, Urt. v. 14.6.2012 - IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rz. 9 ff.).
Rz. 20
Dem Steuerberater ist aufgrund der Erstreckung seines Berufsbildes gem. § 57 Abs. 3 Nr. 3 StBerG auf "eine wirtschaftsberatende, gutachtliche oder treuhänderische Tätigkeit sowie die Erteilung von Bescheinigungen über die Beachtung steuerrechtlicher Vorschriften in Vermögensübersichten und Erfolgsrechnungen" grundsätzlich gestattet, entsprechende Aufgaben wahrzunehmen, wenn er den Auftrag dazu hat (vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2012, a.a.O., Rz. 10). Ein Konflikt zu § 5 Abs. 1 RDG tritt nicht ein, denn die Insolvenz- und die Sanierungsberatung gehört als Nebenleistung zum Berufsbild des Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers (Gräfe, DStR 2010, 618, 619). Deshalb ist diese berufsrechtlich zulässige Sonderberatung aber noch nicht Inhalt jedes steuerlichen Dauermandats.
Rz. 21
Zutreffend sind die Entscheidungen und Literaturmeinungen, die eine Hinweis- und Warnpflicht des Steuerberaters auf die Pflichten bei möglicher Insolvenzreife im Falle eines allgemeinen Mandats ablehnen (vgl. OLG Celle, ZInsO 2011, 1004; ZIP 2012, 2353; OLG Schleswig, GI 1993, 373, 378 f.; LG Koblenz, DStRE 2010, 647 ff.; Hoth, ZInsO 2011, 1009; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, Rz. 101). Es ist originäre Aufgabe des Geschäftsführers, die Zahlungsfähigkeit und eine etwaige Überschuldung des von ihm geleiteten Unternehmens im Auge zu behalten und auf eventuelle Anzeichen für eine Insolvenzreife zu reagieren (OLG Celle, ZInsO 2011, 1004, 1005). Der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH verpflichtet, für eine Organisation zu sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht; verfügt er selbst nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, muss er sich ggf. fachkundig beraten lassen (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199; v. 20.2.1995 - II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, 561; v. 14.5.2007 - II ZR 48/06, ZInsO 2007, 660 Rz. 16; v. 27.3.2012 - II ZR 171/10, ZInsO 2012, 1177, Rz. 15; v. 19.6.2012 - II ZR 243/11, ZInsO 2012, 1536 Rz. 11). Weist die Handelsbilanz der Gesellschaft eine Überschuldung aus, hat er nach diesen Grundsätzen eine Überschuldungsprüfung selbst vorzunehmen oder gesondert in Auftrag zu geben. Auf den Steuerberater der Gesellschaft, den im Rahmen eines allgemeinen Mandats die Pflicht zur steuerlichen Beratung der Gesellschaft trifft, kann er diese Aufgabe nicht ohne besonderen Auftrag abwälzen.
Rz. 22
d) Das Urteil des BGH vom 18.2.1987 (IVa ZR 232/85, GmbHR 1987, 463), demzufolge ein Steuerberater aus positiver Vertragsverletzung wegen verspäteter Stellung eines Konkursantrags wegen Überschuldung zum Schadensersatz verpflichtet sein kann, steht dieser Entscheidung nicht entgegen. In dem Verfahren aus dem Jahre 1987 ging es nicht um eine Schadensersatzpflicht des Beraters wegen des unterlassenen Hinweises auf eine möglicherweise bestehende Insolvenzantragspflicht. Dort war Grund für die Haftung des Steuerberaters vielmehr die fehlerhafte Erstellung der Bilanz, welche die bestehende rechnerische Überschuldung nicht erkennen ließ. Der Beratungsfehler lag mithin nicht in einer unterlassenen Warnung von einer möglicherweise bestehenden Insolvenzreife, sondern in der Schlechterfüllung des Auftrags, die Bilanz anzufertigen. Auf dieser fehlerhaften Grundlage konnte auch der Geschäftsführer der Auftraggeberin keine sachgerechten Entschließungen fassen.
Rz. 23
e) Soweit der Beklagte dem Zedenten im Dezember 2005 auf Nachfrage den Rat erteilt hat, hinsichtlich der Rückzahlung des der Schuldnerin zur Verfügung gestellten Kredits eine Rangrücktrittserklärung abzugeben und der Zedent diesem Rat im Januar 2006 gefolgt ist, kann hieraus eine Haftung des Beklagten nicht abgeleitet werden. Die Empfehlung, eine entsprechende Erklärung abzugeben, welcher der Zedent ohne nähere Erkundigung nach deren Sinn und Zweck gefolgt sein will, war richtig; Rangrücktritte werden typischerweise im Zusammenhang mit einer drohenden Insolvenz zur Abwendung einer rechnerischen Überschuldung vorgenommen (vgl. BGH, Urt. v. 8.1.2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 273). Der Rücktritt war unter Umständen geeignet die bestehende Unterkapitalisierung zu beseitigen. Dass der Beklagte den Zedenten mit seiner Empfehlung in die Irre geführt und bei diesem die fehlerhafte Vorstellung hervorgerufen habe, er brauche sich um die Frage der Überschuldung nicht mehr zu kümmern, weil mit der Abgabe der Erklärungen am 26.1.2006 alles getan sei, um der Pflicht zur Überprüfung der möglicherweise gegebenen Insolvenzreife der Schuldnerin zu genügen, hat der Kläger selbst nicht vorgetragen. Dieser stützt seine Klage vielmehr auf die Behauptung, der Beklagte habe es gänzlich unterlassen, den Zedenten auf die bestehende Insolvenzgefahr aufmerksam zu machen. Der Vorwurf, der Beklagte habe außerhalb der Grenzen seines Mandats die Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch den Zedenten verursacht, weil er diesem fälschlich den Eindruck vermittelt habe, der sich aus der Bilanz für das Jahr 2004 ergebende Anlass, eine Überschuldungsprüfung vorzunehmen, habe sich erledigt, kann dem Beklagten nicht gemacht werden. Dieser Anlass bestand nach dem eigenen Vorbringen des Klägers ungeachtet der erklärten Rangrücktritte weiter.
Rz. 24
2. Eine Einbeziehung des Zedenten in den Schutzbereich des Steuerberatervertrages zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten, die zur Entstehung abtretbarer Ansprüche aus Beratungsverschulden im Zusammenhang mit einer Insolvenzverschleppungshaftung führen könnten, kommt nicht in Betracht.
Rz. 25
a) Ein Dritter kann dann in den Schutzbereich vertraglicher Pflichten einbezogen sein, wenn der geschützte Dritte mit der Hauptleistung des Schutzpflichtigen bestimmungsgemäß in Berührung kommt, zu dieser Leistungsnähe ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags hinzutritt und dem Schutzpflichtigen die Einbeziehung Dritter in sein vertragliches Haftungsrisiko erkennbar ist. Außerdem muss der Dritte für diese Haftungserstreckung selbst schutzwürdig sein (vgl. BGH, Urt. v. 2.7.1996 - X ZR 104/94, BGHZ 133, 168, 173; v. 7.5.2009 - III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 Rz. 17; v. 13.10.2011 - IX ZR 193/10, ZInsO 2011, 2274 Rz. 6). Schutzwirkungen zugunsten Dritter werden insb. bei solchen Verträgen angenommen, mit denen der Auftraggeber von einer Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt (z.B. öffentlich bestellter Sachverständiger, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater), ein Gutachten oder eine gutachtliche Äußerung bestellt, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen (BGH, Urt. v. 2.4.1998 - III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, 260 f.; v. 14.6.2012 - IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rz. 18).
Rz. 26
b) Eine Einbeziehung des Geschäftsführers in den Schutzbereich des Vertrags zwischen der Gesellschaft und dem Steuerberater kann hiernach zwar nicht generell verneint werden. Der Geschäftsführer kommt bestimmungsgemäß mit dem Vertrag in Berührung und für den Steuerberater, bei dem es sich grundsätzlich um eine Person handelt, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt, ist ohne Weiteres erkennbar, dass die Prüfung der Überschuldung für den Geschäftsführer rechtliche Wirkungen hat (zur Einbeziehung des Geschäftsführers in den ausdrücklichen Prüfauftrag des Steuerberaters vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2012, a.a.O., Rz. 27 ff.).
Rz. 27
Vorliegend fehlt aber schon eine Hinweis- und Warnpflicht des Beraters gegenüber seiner Auftraggeberin, so dass eine Haftung des Beklagten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bereits daran scheitert, dass den Beklagten aus dem mit der GmbH abgeschlossenen allgemeinen Steuerberatungsvertrag keine Schutzpflichten hinsichtlich der Aufklärung über eine möglicherweise bestehende Insolvenzantragspflicht treffen. Dies ergibt die Auslegung der vertraglichen Pflichten, die den Steuerberater aus einem allgemeinen steuerrechtlichen Beratungsmandat treffen. Die drittschützenden Pflichten aus einem solchen Vertrag können nicht weiter reichen als die dem Berater gegenüber seiner eigentlichen Vertragspartei obliegenden Warn- und Hinweispflichten. Der Dritte, der selbst keine vertraglichen Beziehungen zu dem Berater hat, kann nicht erwarten, dass dieser ihn über Gefahren und mögliche Risiken aufklärt, auf die er im Rahmen seines allgemeinen Mandats nicht hinzuweisen hat. Diese Pflichtenlage ist nur dann anders zu beurteilen, wenn der Berater ausdrücklich damit beauftragt ist, eine Überprüfung der Insolvenzreife vorzunehmen, denn hier wird die Feststellung, ob ein Insolvenzgrund vorliegt oder auszuschließen ist, dem Auftraggeber schon bei Erfüllung der Hauptpflicht geschuldet.
Rz. 28
c) Die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte Belehrungsbedürftigkeit der Auftraggeberin, von welcher der Berater grundsätzlich auch dann auszugehen hat, wenn es um die Beratung einer rechtlich und wirtschaftlich erfahrenen Person geht, die möglicherweise auch selbst über einschlägige Kenntnisse verfügt (vgl. BGH, Urt. v. 15.4.2010 - IX ZR 189/09, WM 2010, 993 Rz. 14; vom 14.6.2012, a.a.O., Rz. 37, jeweils m.w.N.), begründet die Haftung des Beklagten nicht. Nur wenn die insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Beratung als Haupt- oder Nebenaufgaben zum Vertragsinhalt des Steuerberaters gehört, kann mit einem Teil der Rechtsprechung erwogen werden, ob eine Hinweispflicht des Beraters dann entfällt, wenn der Geschäftsführer sich der bestehenden Insolvenzgefahr bereits bewusst ist (vgl. OLG Celle, ZInsO 2011, 1004; ZIP 2012, 2353; OLG Schleswig, GI 1993, 373, 381 f, bestätigt durch BGH, Beschl. v. 24.2.1994 - IX ZR 126/93, unveröffentlicht; LG Koblenz, DStRE 2010, 647 f.).
Fundstellen
Haufe-Index 3706217 |
BFH/NV 2013, 1213 |
DB 2013, 6 |
DB 2013, 928 |
DStR 2013, 1151 |
DStRE 2013, 1081 |
HFR 2013, 746 |