Leitsatz (amtlich)
Das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 166 Abs. 2 InsO erstreckt sich nicht auf einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Drittschuldner unter Verzicht auf die Rücknahme hinterlegten Forderungserlös.
Normenkette
InsO § 166 Abs. 2; BGB § 378
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 12.07.2004; Aktenzeichen 31 U 67/04) |
LG Hagen (Urteil vom 19.02.2004; Aktenzeichen 4 O 207/03) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 31. Zivilsenats des OLG Hamm v. 12.7.2004 und das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Hagen v. 19.2.2004 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin hatte am 24.5.2000 Globalabtretungen zu Gunsten der Sparkasse I. und der Sparkasse H. unterzeichnet. Am 11.1.2001 trat sie Ansprüche gegen eine I. GmbH (fortan: Drittschuldnerin) an die Beklagten ab. Am 23.3.2001 wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt; der Kläger wurde zum vorläufigen Verwalter bestellt. Am 25.4.2001 hinterlegte die Drittschuldnerin zu Gunsten der Schuldnerin, der Beklagten und der beiden Sparkassen unter Verzicht auf die Rückgabe einen Betrag von 28.934,75 DM. Am 1.6.2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.
Der Kläger verlangt von den Beklagten unter Berufung auf sein Verwertungsrecht aus § 166 Abs. 2 InsO, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an ihn sowie die Feststellung, dass die Beklagten v. 1.3.2003 an zur Zahlung von Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzgl. der von der Hinterlegungsstelle gezahlten Zinsen verpflichtet sind. Das LG hat die Beklagten unter Abweisung der weiter gehenden Klage zur Bewilligung der Freigabe verurteilt. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung des Klägers auch die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Zinsen festgestellt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Anspruch des Klägers auf Einwilligung in die Auszahlung des hinterlegten Betrages folge aus § 166 Abs. 2 InsO. Bei Hinterlegung unter Verzicht auf die Rücknahme trete Erfüllung erst mit der Auskehrung des hinterlegten Betrages an den wahren Gläubiger ein. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei dies noch nicht der Fall gewesen. Damit hätten auch die Sicherungszessionen noch fortgewirkt. Die Vorschrift des § 166 Abs. 2 InsO wolle dem Insolvenzverwalter ermöglichen, das Vermögen des Schuldners zusammenzuziehen, etwaige Absonderungsrechte zu prüfen und bevorrechtigte Gläubiger zu befriedigen. Diese Interessenlage bestehe auch bei Prätendentenstreitigkeiten. Der Kläger habe auch Anspruch auf Verzugszinsen, weil die Weigerung der Beklagten, der Auszahlung des Geldes an den Kläger zuzustimmen, die bislang unterbliebene Auszahlung zumindest mit verursacht habe.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 166 Abs. 2 InsO erstreckt sich nicht auf einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 378 BGB unter Verzicht auf die Rücknahme hinterlegten Forderungserlös.
1. Gemäß § 166 Abs. 2 InsO darf der Verwalter eine Forderung einziehen oder in anderer Weise verwerten, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat. Voraussetzung ist, dass die sicherungshalber abgetretene Forderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch besteht. Die dem Verwalter durch § 166 Abs. 2 InsO eingeräumte vorrangige Verfügungs- und Einziehungsbefugnis beginnt erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urt. v. 15.5.2003 - IX ZR 218/02, MDR 2003, 1259 = BGHReport 2003, 1042 = WM 2003, 1367). Dem vorläufigen Insolvenzverwalter sind Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahmen aus eigenem Recht i.d.R. nicht gestattet (BGH v. 6.4.2000 - IX ZR 422/98, BGHZ 144, 192 [199] = MDR 2000, 848; Urt. v. 15.5.2003 - IX ZR 218/02, MDR 2003, 1259 = BGHReport 2003, 1042 = WM 2003, 1367). Das gilt auch für den vorliegenden Fall.
2. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war die abgetretene Forderung, die Grundlage der Hinterlegung war, bereits erloschen. Gemäß § 372 BGB kann der Schuldner einer Geldforderung die zu ihrer Tilgung erforderlichen Geldbeträge bei der Hinterlegungsstelle des zuständigen AG hinterlegen, wenn er infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewissheit über die Person des Gläubigers nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann. Ist die Rücknahme der hinterlegten Sache ausgeschlossen, so wird der Schuldner durch die Hinterlegung von seiner Verbindlichkeit in gleicher Weise befreit, wie wenn er zur Zeit der Hinterlegung an den Gläubiger geleistet hätte (§ 378 BGB). Voraussetzung ist, dass der Schuldner - auch - den richtigen Gläubiger als Empfangsberechtigten benannt hatte (BGH, Urt. v. 10.12.2004 - V ZR 340/03, BGHReport 2005, 553 = MDR 2005, 652 = WM 2005, 1136 [1138]). Gleichzeitig erlischt die Forderung des Gläubigers (BGH, Urt. v. 10.12.2004 - V ZR 340/03, BGHReport 2005, 553 = MDR 2005, 652 = WM 2005, 1136 [1138]; Urt. v. 8.12.1988 - IX ZR 12/88, MDR 1989, 349 = NJW-RR 1989, 200; Wenzel in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 378 Rz. 6; Staudinger/Olzen, 2000, § 378 Rz. 8; Erman/H. P. Westermann, BGB, 11. Aufl., § 378 Rz. 1). Die Entscheidung RG HRR 1931 Nr. 683, auf die sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht beruft, betraf die Sondervorschrift des § 14 AufwG, die eine nach außen erkennbare "Annahme" der Leistung durch den Gläubiger voraussetzte.
3. Sinn und Zweck des § 166 Abs. 2 InsO rechtfertigen keine Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift auf den Fall einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten Hinterlegung unter Verzicht auf die Rücknahme.
a) Die Insolvenzordnung hat das Recht zur Verwertung beweglicher Sachen im Besitz des Insolvenzverwalters und zur Sicherung abgetretener Forderungen beim Insolvenzverwalter konzentriert (§ 166 InsO). Dadurch soll die Herauslösung des Sicherungsgutes aus dem "technisch organisatorischen Verbund des Schuldnervermögens" durch einzelne Gläubiger verhindert werden (BT-Drucks. 12/2443, 79 zu gg). Etwa vorhandene Chancen für eine zeitweilige oder dauernde Fortführung des Unternehmens des Schuldners sollen so erhalten bleiben; zugleich soll dem Insolvenzverwalter ermöglicht werden, durch eine gemeinsame Verwertung zusammengehörender, aber für unterschiedliche Gläubiger belasteter Gegenstände einen höheren Verwertungserlös zu erzielen (BT-Drucks. 12/2443, 178). Ähnliche Überlegungen gelten für die Verwertung der zur Sicherung abgetretenen Forderungen des Schuldners (BGH, Urt. v. 11.7.2002 - IX ZR 262/01, BGHReport 2003, 101 = MDR 2002, 1393 = WM 2002, 1797 [1799], unter c). Oft wird der Verwalter überdies Unterlagen des Schuldners besitzen, die ihm die Einziehung der Forderung ermöglichen. Der gesicherte Gläubiger ist dagegen ohne Unterstützung des Insolvenzverwalters häufig nicht in der Lage, die zur Sicherheit an ihn abgetretene Forderung festzustellen und möglichen Einwendungen des Drittschuldners entgegen zu treten (BT-Drucks. 12/2443, 178).
b) Im Falle einer Hinterlegung unter Verzicht auf die Rücknahme hat die Verwertung der Forderung demgegenüber bereits stattgefunden. Die Forderung des gesicherten Gläubigers ist durch die Hinterlegung des geschuldeten Betrages erfüllt worden. Mit der Erfüllung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die Masse jegliche Verwertungsrechte verloren. Bereicherungsrechtliche Ausgleichsforderungen, die aus der Erfüllung folgen könnten, werden von § 166 Abs. 2 InsO nicht erfasst (BGH, Urt. v. 15.5.2003 - IX ZR 218/02, MDR 2003, 1259 = BGHReport 2003, 1042 = WM 2003, 1367 f.). Der hinterlegte Erlös kann nicht dem Organisationsverbund des schuldnerischen Unternehmens zugerechnet werden, der vor dem Zugriff Einzelner geschützt werden muss. Vielmehr geht es nur noch um die Verteilung des Erlöses, eines Geldbetrages also, der nicht der Masse, sondern Dritten zusteht. Absprachen der Prätendenten über die Verteilung können auch dann getroffen werden, wenn sich der Erlös nicht auf dem Konto des Verwalters befindet, sondern beim zuständigen AG hinterlegt bleibt. Die Gefahr, dass der Drittschuldner sich auf die fehlende Aktivlegitimation des jeweiligen Anspruchsstellers beruft, besteht jedenfalls nicht mehr.
c) Eine erweiternde Auslegung des § 166 Abs. 2 InsO ist schließlich auch nicht im Hinblick auf den Kostenbeitrag des § 171 InsO angezeigt, den der Verwalter anderenfalls verlangen könnte und der ihm nun entgeht. Für sicherungshalber abgetretene Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung ausgeglichen worden sind, gebühren der Masse grundsätzlich keine Verwertungskosten. Absonderungsberechtigte Gläubiger werden erst mit der Insolvenzeröffnung förmlich in das Verfahren eingebunden. Vorher bleiben sie im Allgemeinen selbst dann einziehungsberechtigt, wenn das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt hat (BGH, Urt. v. 20.2.2003 - IX ZR 81/02, BGHReport 2003, 569 m. Anm. Ringstmeier = WM 2003, 694 [696 f.]; Urt. v. 20.11.2003 - IX ZR 259/02, MDR 2004, 413 = BGHReport 2004, 336 = ZIP 2004, 42). Das gilt auch im vorliegenden Fall. Verwertungskosten können nicht mehr anfallen. Die in §§ 170, 171 InsO vorgesehenen Beiträge sollen jedoch allein dazu dienen, die Insolvenzmasse von den Kosten zu entlasten, die für die Feststellung der Rechtslage sowie für die Verwertung der Gegenstände anfallen. Steht fest, dass die Gläubigergesamtheit durch die Verwertung nicht mit Aufwendungen belastet worden ist, besteht kein Anspruch der Masse auf Abführung der Verwertungspauschale (BGH, Urt. v. 20.11.2003 - IX ZR 259/02, MDR 2004, 413 = BGHReport 2004, 336 = ZIP 2004, 42 [43]). Der Verwalter wird zwar Wirksamkeit und Reichweite der konkurrierenden Abtretungen zu prüfen haben. Das allein rechtfertigt eine direkte oder analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO jedoch nicht.
4. Ist der Kläger nicht berechtigt, die Einwilligung der Beklagten zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an sich zu verlangen, steht ihm auch kein Anspruch auf Verzugszinsen zu.
III.
Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 143, 131 Abs. 1 Ziff. 2 und 3, § 132 Abs. 2 InsO sind nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht erfüllt. Die Abtretung der Forderung gegen die Drittschuldnerin am 11.1.2001 hat wegen der vorrangigen Globalzessionen, deren Wirksamkeit der Kläger nicht in Zweifel zieht, nicht zu einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (§ 129 Abs. 1 InsO) geführt. Entgegen der Ansicht des Klägers stellt der Umstand, dass der Masse ein Anspruch auf Kostenbeiträge entgeht, keine Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO dar (BGH, Urt. v. 20.11.2003 - IX ZR 259/02, MDR 2004, 413 = BGHReport 2004, 336 = ZIP 2004, 42 [44]).
2. Der Kläger hat auch die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 2 BGB nicht schlüssig dargelegt. Er hat zwar darauf hingewiesen, dass er die ggü. der Abtretung an die Beklagten vorrangigen Globalzessionen anfechtungsrechtlich angegriffen habe, soweit die innerhalb der Frist des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Rechnung gestellte Forderung gegen die Drittschuldnerin betroffen sei. Dass er insoweit tatsächlich Anfechtungsklagen gegen die beiden Sparkassen erhoben habe, hat er jedoch nicht behauptet.
IV.
Da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, hat der Senat selbst eine Sachentscheidung zu treffen (563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1464207 |
DStZ 2006, 136 |