Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für auf den Schadenersatzanspruch anzurechnenden Vorteil bei einer Steuerersparnis
Leitsatz (amtlich)
1. Ein auf den Schadensersatzanspruch eines Geschädigten anzurechnender Vorteil ist auch dann vorhanden, wenn und soweit infolge der Schädigung von dem Geschädigten an sich geschuldete Steuern weggefallen sind.
2. Ein solcher Vorteil ist jedoch zu verneinen, wenn diesem Steuervorteil ein Nachzahlungsanspruch des Finanzamtes gegenübersteht. Das gilt auch, wenn dieser Nachzahlungsanspruch später dadurch entfällt, daß er infolge Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden kann.
Normenkette
BGB §§ 242, 249; EStG 1969 § 24; AO §§ 222-223, 144; StBerG § 33
Tatbestand
Der Kläger und sein Bruder E. B. waren Inhaber einer in Form einer offenen Handelsgesellschaft gegründeten Hausmaklerfirma. Nach § 5 des Gesellschaftsvertrags waren beide am Gewinn je hälftig beteiligt. Nach § 8 sollte nach dem Tode eines Gesellschafters der andere das Geschäft allein übernehmen; jedoch sollte bei Ableben von E. B. dessen Witwe noch 6 Jahre lang am Gewinn beteiligt sein, und zwar in den ersten 2 Jahren mit 40%, in den nächsten 2 Jahren mit 30% und in den letzten 2 Jahren mit 25% „der Herrn E. B. zustehenden Hälfte des Gewinns der Firma B. & Co”.
Nach dem Tode von E. B. im Jahre 1956 führte der Kläger das Geschäft allein weiter. Die Beklagte, die schon seit Jahren die Firma steuerlich beriet, stellte weiterhin für den Kläger die Bilanzen, Steuererklärungen sowie die Gewinn- und Verlustrechnungen auf und errechnete auch die Gewinnanteile des Klägers und der Witwe B.. Dabei errechnete sie mehrere Jahre lang den Gewinnanteil der Witwe B. aus dem Gesamtgewinn der Firma, statt wie in § 8 des Gesellschaftsvertrags vorgesehen, nur aus der Hälfte des Gewinns. Der Kläger hat demzufolge seit dem Tode seines Bruders an die Witwe B. über 94.000 DM bezahlt statt nur 47.275,97 DM, wie sie ihr zugestanden hätten.
Wegen dieser Überzahlungen hat der Kläger einen Schadensersatzanspruch von 20.000 DM (Teilbetrag) gegen die Beklagte geltend gemacht. Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
I. Die Beklagte hat, was sie selbst nicht mehr bestreitet, den § 8 des Gesellschaftsvertrags falsch ausgelegt und infolgedessen einen zu hohen Gewinnanteil der Witwe B. errechnet. Unstreitig hat diese dadurch etwa 47.000 DM zuviel ausbezahlt erhalten.
Das Berufungsgericht sieht darin eine schuldhafte Verletzung des zwischen den Parteien geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags (positive Vertragsverletzung), die für die Überzahlung an die Witwe B. ursächlich gewesen sei. Die Beklagte habe daher dem Kläger in Höhe der Überzahlung Schadensersatz zu leisten. …
II. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten ist nicht begründet.
1.-8. …
9. Die Beklagte macht schließlich noch geltend, der Kläger habe durch die Überzahlungen an seine Schwägerin 19.178,70 DM an Steuern erspart. Das Berufungsgericht habe insoweit zu Unrecht einen Vorteilsausgleich verneint.
Die Rüge ist nicht begründet.
a) Nicht gefolgt werden kann allerdings der Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Berücksichtigung einer etwaigen Steuerersparnis schon deshalb entfallen müßte, weil es sich insoweit um öffentlichrechtliche Ansprüche des Fiskus handle. Ist, wie hier, ein adäquater Zusammenhang zwischen dem schadenstiftenden Ereignis und dem Vorteil zu bejahen, so kann es keinen Unterschied machen, ob letzterer auf privat- oder auf öffentlichrechtlicher Grundlage beruht. Es ist deshalb auch im Grundsatz an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VI ZR 310/62 vom 5. Juli 1963; VIII ZR 27/65 vom 10. April 1967 – LM Nr 12 zu § 249 (Hd) BGB = NJW 1967, 1462 – mw Nachw) festzuhalten, daß ein auf den Schaden anzurechnender Vorteil auch dann gegeben ist, wenn infolge der Schädigung die von dem Geschädigten an sich geschuldeten Steuern weggefallen oder gemindert sind.
b) Ein Wegfall oder eine Minderung der Steuerschuld sind jedoch dann nicht eingetreten, wenn und soweit das Finanzamt berechtigt und verpflichtet ist, die zu wenig abgeführten Steuern nachzufordern. Dem Steuervorteil des Geschädigten steht in diesem Fall als Nachteil der öffentlichrechtliche Anspruch des Finanzamts auf Nachzahlung der Steuern entgegen.
c) Die Voraussetzungen für einen solchen Wegfall des Steuervorteils sind hier gegeben.
aa) Entgegen der von dem Berufungsgericht vertretenen Auffassung kann eine Nachforderung des Finanzamts allerdings nicht auf die Bestimmung des § 24 EStG gestützt werden. § 24 Abs. 1a EStG schafft keinen zusätzlichen Besteuerungstatbestand, sondern knüpft an die Bestimmung des § 2 Abs. 3 EStG an. Danach sollen als Einkünfte im Sinne dieser Bestimmung auch Entschädigungen angesehen werden, die als Ersatz für entgangene Einnahmen gewährt worden sind (vgl. dazu aus der Rechtsprechung des BFH: BStBl 1960 III 72 – Entschädigung bei Mindererlös aus zwangsweisem Gemüseanbau; 1965 III 480 – Entschädigung für entgangene Einnahmen aus einer aufgegebenen Omnibuslinie; 1966 III 91 – Zahlungen für den Wegfall des Rechts auf Alleinverkauf; 1961 III 100 – Entschädigung für Ernteverluste; 1957 III 164 und 1960 III 87 – Ersatzleistungen für Verdienstausfall anläßlich von Unfällen).
Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben. Anders als in den angeführten Entscheidungen zielt der hier erhobene Schadensersatzanspruch nicht auf Ersatz für entgangene Einnahmen. Eingenommen hat vielmehr der Kläger den Gewinn aus der Tätigkeit seiner Einzelfirma, wie er sich aus den Gewinn- und Verlustrechnungen ergab. Wenn er daher ohne Rechtsgrund an seine Schwägerin zuviel bezahlt hat, so bedeutet das nicht eine steuerlich zu berücksichtigende Schmälerung seines Gewinns, also seiner Einnahmen, sondern eine irrtümlich unrichtige Verwendung dieser Einnahmen. Deshalb kann auch nicht gesagt werden, daß dem Kläger durch die Überzahlungen Einnahmen entgangen sind und der Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte oder ein etwaiger Bereicherungsanspruch gegen seine Schwägerin eine Entschädigung für entgangene Einnahmen im Sinne des § 24 EStG wäre.
bb) Wohl aber steht dem Steuervorteil des Klägers ein Anspruch des Finanzamts auf Berichtigung der ergangenen Bescheide und auf Nachzahlung der zu wenig bezahlten Steuern gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1, § 223 AbgO entgegen. Nach diesen Vorschriften ist eine Berichtigung und Nachforderung vorgeschrieben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen, und wenn die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Die Voraussetzungen hierfür sind – wenn einmal von der Frage der Verjährung abgesehen wird – bei dem gegebenen Tatbestand vorhanden. „Neu” im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AbgO ist auch eine Tatsache, die bei der ursprünglichen Veranlagung zwar schon vorhanden war, von der das Finanzamt jedoch bei Erlaß des Bescheides keine Kenntnis hatte; nicht „neu” ist sie, wenn es sie zwar nicht kannte, bei ausreichender Erfüllung seiner amtlichen Ermittlungspflicht diese Kenntnis aber hätte erlangen können (Kühn, AbgO 8. Aufl Anm 5b aa) und bb) zu § 222; Becker/Riewald/Korte, AbgO 9. Aufl. Anm. 3d 8 zu § 222, mit Entscheidungsnachweisen). Der Gesellschaftsvertrag ist als eine solche „neue Tatsache” im Sinne der obengenannten Vorschrift anzusehen. Er war, wie sich aus den vom Berufungsgericht beigezogenen Steuerunterlagen des Klägers ergibt, dessen Steuererklärungen nicht beigefügt worden; die Parteien haben auch nichts Gegenteiliges vorgetragen. Das Finanzamt hat von dem Vertrag erst anläßlich der Steuerprüfung 1964 Kenntnis erhalten. Nach Auffassung des Senats brauchte das Finanzamt ihn vorher auch nicht unbedingt anzufordern, sondern konnte sich ohne Verletzung seiner Ermittlungspflicht auf die Angaben der Beklagten verlassen, zumal diese, wie dem Finanzamt bekannt war, schon Jahre lang für die frühere offene Handelsgesellschaft und den Kläger als Steuerhelferin tätig gewesen war und es sich um verhältnismäßig einfach gelagerte Rechtsverhältnisse handelte, deren richtige Beurteilung der fachlich vorgebildeten Beklagten zugetraut werden konnte.
Es ist daher davon auszugehen, daß dem Steuervorteil des Klägers ein Anspruch des Finanzamts auf Nachzahlung gemäß §§ 222, 223 AbgO in gleicher Höhe entgegensteht, der einen auf den Schadensersatzanspruch anzurechnenden Vorteil ausschließt.
cc) Dieser Nachzahlungsanspruch würde allerdings entfallen, wenn und soweit er wegen Verjährung von dem Finanzamt nicht mehr geltendgemacht werden kann. Nach dem gemäß Art. 5 AOÄG hier maßgebenden § 144 AbgO aF beträgt die Verjährungsfrist für Einkommensteuern 5 Jahre. Sie beginnt nach § 145 Abs. 1 AbgO aF in Verbindung mit § 3 Abs. 5 Nr. 1c StAnpG mit dem Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums zu laufen. Nach § 147 Abs. 1 AbgO aF wird die Verjährung jedoch unter anderem durch jede Handlung unterbrochen, die das zuständige Finanzamt zur Feststellung des Anspruchs oder des Verpflichteten vornimmt. Als eine solche Handlung ist die im Jahre 1964 vorgenommene Steuerprüfung anzusehen. Es spricht demnach viel dafür, daß durch diese Steuerprüfung die Verjährung der Nachzahlungsansprüche aus den Veranlagungszeiträumen seit 1959, vermutlich aber auch für die vorhergegangenen Jahre unterbrochen worden ist.
Einer endgültigen Feststellung hierzu bedarf es jedoch nicht. Denn selbst wenn und soweit die Nachzahlungsforderungen des Finanzamtes etwa verjährt sein sollten, könnte die Beklagte hieraus nichts für sich herleiten. Selbst wenn nämlich infolge Ablaufs der Verjährungsfrist (also mindestens nach 5 Jahren) der dem Steuervorteil des Klägers entgegenstehende Nachteil einer Nachforderung entfallen sein sollte, so wäre diese nachträgliche Schadensentwicklung von dem schädigenden Ereignis und seinen Folgen so weit entfernt, daß sie nicht mehr als Vorteil auf den bisher in voller Höhe vorhandenen Schaden angerechnet werden könnte. Es wäre auch vom Ergebnis aus gesehen unbillig, daß ein solcher erst durch die Verjährung neu entstehende Vorteil dem Schädiger zugutekommen sollte. Der Grund, warum der Geschädigte sich auf seinen Schaden den durch das Schadensereignis gleichzeitig erzielten Vorteil anrechnen lassen muß, liegt darin, daß er aus dem Schadensereignis keinen Gewinn ziehen soll. Deshalb ist es auch berechtigt, eine Steuerersparnis auf den Schaden anzurechnen, soweit eine Steuerschuld weder entstanden ist noch entstehen wird. Wenn aber – wie hier – ein vorhandener oder in Aussicht stehender Steueranspruch infolge Verjährung (oder aber auch aus einem anderen Grunde) entfällt oder sich vermindert, so geht dieser Vorteil zu Lasten des Steuerfiskus. In einem solchen Falle würde aber der Schädiger, wenn man zu seinen Gunsten die Voraussetzungen einer Vorteilsanrechnung bejahen wollte, aus der Verjährung des Steueranspruchs ebenso wie der Geschädigte einen unberechtigten Gewinn ziehen. Dann erscheint es aber angemessen, nicht dem Schädiger, sondern dem Geschädigten den Genuß dieses Gewinns zuzubilligen.
dd) Nichts anderes würde sich übrigens ergeben, wenn man – der Auffassung des Berufungsgerichts folgend – das Recht des Finanzamts auf Nachforderung auf den § 24 Abs. 1a EStG stützen würde. Auch hier steht dem Steuervorteil der Anspruch des Finanzamts auf Nachzahlung der Steuer gegenüber. Allerdings besteht hier – anders als im Falle der Nachforderung gemäß §§ 222, 223 AbgO – die Möglichkeit, daß dieser Nachzahlungsanspruch geringer (schwerlich höher) ist als der zunächst erlangte Steuervorteil (vgl. § 34 EStG). Da die hierzu erforderlichen Feststellungen aber erst auf Grund des nach Bezahlung des Schadensbetrags zu erlassenden Steuerbescheides getroffen werden könnten, wäre der Geschädigte, wenn man seine Steuerersparnis auf den Schaden voll anrechnete, darauf angewiesen, sich insoweit auf eine Feststellungsklage zu beschränken und sich mit der Möglichkeit einer späteren Nachforderung bei dem Schuldner zu begnügen, die er bei Erfüllung ebenfalls wieder versteuern müßte, was zu einem erneuten Nachforderungsanspruch führen würde, – ein Vorgang, der sich dann noch weiterhin wiederholen könnte. Das kann dem Geschädigten aber nicht zugemutet werden. Eine solche Lösung wäre im übrigen auch höchst unpraktikabel. Der Senat folgt daher auch in diesem Punkt der oben angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs LM Nr 12 zu § 249 (Hd) BGB = NJW 1967, 1462, nach der der dem Schädiger anzurechnende Steuervorteil grundsätzlich durch die den Geschädigten nach § 24 Abs. 1a EStG treffende Steuerpflicht aufgewogen wird, ohne daß die Beträge im Einzelfall festgestellt zu werden brauchen.
Fundstellen
Haufe-Index 2078689 |
BGHZ, 132 |