Leitsatz (amtlich)
Der Eintrag in die Tabelle bewirkt lediglich die positive Feststellung des Anspruchs in angemeldeter Höhe; eine negative Feststellung jenseits der Anmeldung folgt daraus nicht.
Normenkette
InsO § 178 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des LG Dortmund vom 7.12.2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
O. (fortan: Schuldnerin) führte bei der beklagten Bank ein Girokonto. Mit Schreiben vom 14.6.2002 räumte diese ihr einen Überziehungskredit von 5.000 EUR ein. Ab März 2005 ließ die Beklagte keine Verfügung mehr über das Girokonto zu; ausgenommen waren Belastungen mit eigenen Forderungen. Das Konto stand zum 20.3.2005 mit 3.281,78 EUR im Soll. Am 23.3.2005 wurden dem Konto 239,99 EUR und am 31.3.2005 weitere 1.500 EUR gutgeschrieben. Zwischen diesen beiden Gutschriften belastete die Beklagte das Konto mit einer Tilgungsrate i.H.v. 3.195,53 EUR eines an die Schuldnerin ausgereichten Darlehens sowie mit Zinsen und Kontoführungskosten i.H.v. 106,93 EUR. Am 19.4.2005 betrug der negative Tagessaldo auf dem Girokonto 4.844,28 EUR. Der Überziehungskredit war nicht gekündigt.
Rz. 2
Am 19.4.2005 beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss vom 27.5.2005 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und bestellte die Klägerin zur Insolvenzverwalterin. Die Beklagte meldete am 9.6.2005 ihre Forderung aus dem Girokonto i.H.v. 4.844,28 EUR nebst Kosten und Zinsen zur Tabelle an; diese wurde antragsgemäß in Höhe des Ausfalls zur Tabelle festgestellt.
Rz. 3
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Auszahlung der beiden Gutschriftbeträge nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten in Anspruch. Das AG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, das LG hat ihre Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Die Beklagte will mit der Revision die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision bleibt ohne Erfolg. Die Vordergerichte haben richtig entschieden.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Auskehr der beiden gutgeschriebenen Beträge aus §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO. Die Verrechnung der beiden Gutschriften im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags sei eine unzulässige Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Die Befriedigung der eigenen Forderung hätte die Beklagte zu dieser Zeit nicht in dieser Art beanspruchen dürfen, weil sie einen fälligen Anspruch auf Rückführung des Überziehungskredits nicht gehabt und Verfügungen der Schuldnerin mit Ausnahme von Belastungen zu ihren Gunsten nicht mehr zugelassen habe. § 178 Abs. 3 InsO stehe der Geltendmachung dieser Forderungen nicht entgegen. Rechtskräftig sei mit dem Tabelleneintrag nur festgestellt, dass die Beklagte gegen die Schuldnerin eine Forderung aus dem Girovertrag in Höhe des festgestellten Betrages habe. Eine Rechtskrafterstreckung darauf, dass eine festgestellte Forderung nicht höher als angemeldet sei, lasse sich § 178 Abs. 3 InsO auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht entnehmen.
II.
Rz. 6
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung stand.
Rz. 7
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskehr der dem Girokonto der Schuldnerin gutgeschriebenen Beträge i.H.v. 1.739,99 EUR gem. § 667 BGB aufgrund des zwischen der Schuldnerin und der beklagten Bank zustande gekommenen Girovertrages.
Rz. 8
a) Die Verrechnung der Gutschriften mit den Gegenforderungen durch die Beklagte war gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO von Gesetzes wegen unwirksam. Auch wenn diese Regelung nur von "Aufrechnung" spricht, findet sie auch auf Verrechnungen im Bankkontokorrent Anwendung. Der maßgebende Zeitpunkt nach § 140 Abs. 1 InsO bestimmt sich nach dem Entstehen des Gegenseitigkeitsverhältnisses (BGH, Urt. v. 17.7.2008 - IX ZR 148/07, NZI 2008, 547 Rz. 8 ff.). Die Verrechnungslagen sind hier im letzten Monat vor Antragstellung entstanden. In dieser Zeit gingen die Zahlungen auf dem Kontokorrentkonto der Schuldnerin ein und begründeten ihre Ansprüche auf Gutschrift. Demgegenüber war der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredits nicht fällig, weil der Überziehungskredit nicht gekündigt war und der in Anspruch genommene Betrag den eingeräumten Kredit nicht überstiegen hat. Die Beklagte hat deswegen durch die Verrechnung eine inkongruente Deckung unter Benachteiligung der Gesamtheit der Gläubiger (§ 129 Abs. 1 InsO) erhalten, deren Anfechtbarkeit sich aus § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ergibt (vgl. BGH, Urt. v. 7.5.2009 - IX ZR 140/08, NZI 2009, 436 Rz. 8 f, 12; v. 7.7.2011 - IX ZR 100/10, NZI 2011, 675 Rz. 6).
Rz. 9
Die Anfechtbarkeit der Verrechnungen, welche die Beklagte im Rahmen des der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredits vorgenommen hat, ist nicht gem. § 142 InsO eingeschränkt. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entgegennahme der Gutschriften durch die Duldung von Verfügungen ausgeglichen wird, die der Bankkunde zur Tilgung der Forderung von Fremdgläubigern trifft. Belastungsbuchungen, die eigene Forderungen der Bank betreffen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (BGH, Urt. v. 11.10.2007 - IX ZR 195/04, NZI 2008, 175 Rz. 6; vom 7.5.2009, a.a.O., Rz. 12).
Rz. 10
b) Die Beklagte hat nicht deswegen, weil sie ihre tatsächlich bestehende Darlehensforderung nur teilweise, nämlich gekürzt um die Gutschriften i.H.v. insgesamt 1.739,99 EUR, angemeldet hat und es insoweit gem. § 178 Abs. 1 InsO zur Feststellung der unvollständig angemeldeten Forderung gekommen ist, ihre nicht angemeldete Restforderung verloren. Gemäß § 177 Abs. 1 Satz 3 InsO können Anmeldungen nachträglich geändert werden (vgl. Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 177 Rz. 12 ff.). Dabei gibt es weder für die Änderungsmeldung noch für die Forderungsanmeldung eine Ausschlussfrist. Sie sind bis zum Schlusstermin möglich (HK-InsO/Depré, 6. Aufl., § 177 Rz. 1). In das Schlussverteilungsverzeichnis ist eine nachträglich angemeldete und festgestellte Forderung aufzunehmen, § 188 InsO (Uhlenbruck, a.a.O., § 188 Rz. 6). Insoweit nimmt sie an der Schlussverteilung teil.
Rz. 11
Im Anwendungsbereich des § 96 InsO folgt dies schon daraus, dass die Herstellung der Aufrechnungs- oder Verrechnungslage auch ohne eine Erklärung des Insolvenzverwalters für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes unwirksam ist. Außerhalb des § 96 InsO lebt eine Forderung gem. § 144 Abs. 1 InsO nach wirksamer Anfechtung der Erfüllung und Vollzug der Rückgewähr rückwirkend als Insolvenzforderung wieder auf, und zwar in der Gestalt, die sie vor der Erfüllung hatte (HK-InsO/Kreft, a.a.O., § 144 Rz. 3). Diese Forderung kann zur Tabelle angemeldet werden.
Rz. 12
c) Aus § 178 Abs. 3 InsO ergibt sich nichts anderes.
Rz. 13
aa) Allerdings bewirkt die Eintragung in die Insolvenztabelle nach den zu § 322 ZPO entwickelten Grundsätzen in gleichem Umfang Rechtskraft zwischen den Parteien, wie es bei einem rechtskräftigen Urteil der Fall ist. Doch würde ein solches nur einen Teil der Forderung feststellendes Urteil weder die Gläubigerin hindern, ihre noch nicht angemeldete Teilforderung nachträglich anzumelden, noch wäre rechtskräftig über die Wirksamkeit der Verrechnungen entschieden. Das Feststellungsurteil wäre gem. § 322 Abs. 1 ZPO nur insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch erkannt ist. Dies wäre nur bezüglich des als Insolvenzforderung festgestellten Saldos der Fall, nicht aber auch bezüglich der einzelnen in die Saldoabrechnung eingegangenen Gutschriften und Belastungen (vgl. RGZ 27, 91 [92 f.];) BGH, Urt. v. 20.1.2004 - XI ZR 69/02, WM 2004, 466 [467]). Über den weitergehenden Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des Kontokorrentkredits, der bisher nicht angemeldet war, ist ohnehin wie bei einer Teilklage weder zusprechend noch aberkennend entschieden. Mit ihrer Klage machte die Klägerin deswegen auch nicht das kontradiktorische Gegenteil dessen geltend, was in dem gedachten Feststellungsurteil rechtskräftig festgestellt wäre. Aus § 322 Abs. 2 ZPO kann schon deswegen nichts im Sinne der Beklagten hergeleitet werden, weil die Vorschrift auf Gegenforderungen, die lediglich als Rechnungsposten im Rahmen einer Abrechnung in Betracht kommen, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar ist (BGH, a.a.O., 467 f.).
Rz. 14
bb) Die Vorschrift des § 178 Abs. 3 InsO hat keine weiterreichenden Wirkungen. Für diese gibt es keinen Anhalt. Aus § 144 Abs. 1 InsO und der vom Gesetz eröffneten Möglichkeit der nachträglichen Forderungsanmeldung folgt, dass es für eine erweiternde Auslegung des § 178 Abs. 3 InsO auch kein Bedürfnis gibt.
Rz. 15
2. Die Nebenforderungen (Zinsen, vorgerichtliche Kosten) beruhen auf § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGH, Urt. v. 1.2.2007 - IX ZR 96/04, BGHZ 171, 38 Rz. 11 ff.), §§ 286, 288 BGB.
Fundstellen
Haufe-Index 2936678 |
HFR 2012, 669 |