Leitsatz (amtlich)
a) Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit in § 435 HGB erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine "Leute" in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzen.
b) Bei einer Betriebsorganisation des Spediteurs/Frachtführers, die Ein- und Ausgangskontrollen beim Umschlag von Transportgütern nicht durchgängig vorsieht, ist im Regelfall der Vorwurf eines leichtfertigen Verhaltens gerechtfertigt, weil es sich bei diesen Kontrollen um elementare Vorkehrungen gegen Verlust von Ware handelt.
c) Ein Spediteur/Frachtführer, der elementare Sorgfaltspflichten vernachlässigt (hier: Die Durchführung von ausreichenden Ausgangskontrollen), handelt im Allgemeinen in dem Bewusstsein, dass es auf Grund des Mangels dieser Vorkehrungen zu einem Schadenseintritt kommen kann.
Normenkette
HGB § 435
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Köln v. 19.6.2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Transportversicherer der B. GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin) in Achern. Sie nimmt das beklagte Speditionsunternehmen aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte Ende Februar 1999 zu festen Kosten mit der Besorgung des Transports einer Computeranlage im Wert von 66.000 DM von Achern nach Hannover. Die Sendung wurde einem von der Beklagten beauftragten Nahverkehrsunternehmer am 1.3.1999 übergeben. Dieser sollte das Gut zunächst im Depot der Beklagten in Herbolzheim abliefern. Von dort sollte es zum Zentrallager der Beklagten in Dietzenbach gebracht und anschließend über ihr Depot in Hannover an die Empfängerin ausgeliefert werden. Die Sendung hat die Empfängerin nicht erreicht. Wo sie abhanden gekommen ist, konnte nicht geklärt werden.
Die Klägerin hat an ihre Versicherungsnehmerin für den Verlust eine Entschädigung i.H.v. 66.000 DM gezahlt. Von diesem Betrag hat die Beklagte der Klägerin lediglich 729 DM erstattet.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den eingetretenen Verlust unbeschränkt. Die Beklagte könne sich weder auf eine gesetzliche noch auf die in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehene Haftungsbeschränkung berufen, da sie den Geschehensablauf nicht ausreichend habe darlegen können. Die Beklagte habe leichtfertig gehandelt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 65.271 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat zur Handhabung ihrer Betriebsorganisation bei der Abwicklung von Versandaufträgen insb. Folgendes vorgetragen:
Ein Nahverkehrsunternehmer hole die Sendung beim Kunden ab und bringe sie zum jeweiligen Abgangsdepot. Nach der Entladung würden die Sendungsdaten erfasst und über ihren Zentralrechner an das jeweilige Empfangsdepot bzw. Umschlagzentrum übermittelt. Anschließend erfolge die Verladung der Packstücke für die Fernverkehrsbeförderung in Kofferwechselbrücken, die dann verschlossen und verplombt würden. Dabei werde nicht positiv anhand einer Packliste geprüft, ob eine Sendung in eine bestimmte Kofferwechselbrücke verbracht worden sei. Der Umschlag werde vielmehr nach dem sog. Negativsystem durchgeführt. Danach sei für jeden Arbeitstag vorgeschrieben, dass kein Packstück zurückbleiben dürfe. Dementsprechend führten ihre Mitarbeiter nach Abschluss der Nahverkehrsentladung und der Beladung der Kofferwechselbrücken für die Fernverkehrsbeförderung täglich einen "Lagersturz" durch, bei dem die gesamte Umschlaghalle planmäßig nach liegen gebliebenen Sendungen abgesucht werde. Gefundene Sendungen würden in das EDV-System eingegeben und deren Absender und Empfänger unterrichtet.
Ihr organisatorisch geschlossenes System, das durch weitere Sicherheitseinrichtungen (Umzäunung des Depots, strikte Eingangskontrollen von betriebsfremden Personen, Ausweispflicht, stichprobenartige Überprüfung der Nahverkehrsfahrzeuge) ergänzt werde, führe dazu, dass nahezu 100 % aller ihr, der Beklagten, übergebenen Sendungen ordnungsgemäß an den Empfänger ausgeliefert würden.
Die streitgegenständliche in Verlust geratene Sendung sei in ihrem Depot in Herbolzheim abgeliefert worden. Ein Verlust der Sendung auf der Fernverkehrsstrecke könne ausgeschlossen werden, da sie schon nicht in ihrem Umschlagsdepot in Dietzenbach eingetroffen sei. Auch in anderen Depots habe die Sendung nicht aufgefunden werden können. Der Verlust sei daher wahrscheinlich bereits in ihrem Depot in Herbolzheim eingetreten. Als Ursache für eine Fehlleitung der Sendung komme ein der Versicherungsnehmerin zuzurechnender Markierungsfehler in Betracht, da die Versenderin den vorgedruckten Versandauftrag umgeschrieben habe. Denkbar sei aber auch eine kriminelle Umgehung ihres Systems durch den Fahrer des Nah- oder Fernverkehrsunternehmens, ohne dass sie, die Beklagte, dies behaupten könne oder wolle.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie habe ihrer Einlassungsobliegenheit genügt. Ihr Vortrag zum Ablauf ihrer Betriebsorganisation rechtfertige nicht den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens i.S.v. § 435 HGB.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben (OLG Köln TranspR 2001, 407 ff.).
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
A. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe aus übergegangenem Recht (§ 67 VVG) ihrer Versicherungsnehmerin gem. §§ 425 Abs. 1, 429 Abs. 1, 435, 459 HGB ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte zu, ohne dass sich die Beklagte auf gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Haftungsbegrenzungen berufen könne. Die Beklagte hafte gem. § 435 HGB für den Verlust der Ware unbeschränkt, weil dieser - wie das Berufungsgericht näher ausgeführt hat - leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden wahrscheinlich eintreten werde, herbeigeführt worden sei. Für das Verhalten ihrer Leute und anderer Personen, deren sich die Beklagte bei der Ausführung der Beförderung bedient habe, habe die Beklagte gem. § 428 HGB in gleichem Umfang wie für eigenes Verschulden einzustehen.
B. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
I. Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung der Beklagten nach § 425 HGB bejaht.
Es ist dabei zutreffend und von der Revision auch unbeanstandet davon ausgegangen, dass die Beklagte von der Versicherungsnehmerin der Klägerin als Fixkostenspediteurin i.S.v. § 459 HGB beauftragt worden ist und dass sich ihre Haftung daher grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers (§§ 425 ff. HGB) und - bei wirksamer vertraglicher Einbeziehung - ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen beurteilt, soweit diese mit den in § 449 Abs. 2 HGB enthaltenen Regelungen in Einklang stehen (vgl. dazu BGH v. 23.1.2003 - I ZR 174/00, BGHZ 153, 308 [310 f.] = MDR 2003, 639 = BGHReport 2003, 431).
II. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte für den streitgegenständlichen Schaden gem. § 435 HGB unbeschränkt.
Nach § 435 HGB gelten die in diesem Unterabschnitt und im Frachtvertrag vorgesehenen Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine der in § 428 HGB genannten Personen vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 435 HGB einen gegenüber der groben Fahrlässigkeit strengeren Haftungsmaßstab in die gesetzliche Regelung einführen wollen, so dass nicht jede grobe Fahrlässigkeit auch ein leichtfertiges Verhalten darstelle. Ein solcher besonders schwerer Fall der groben Fahrlässigkeit sei im Streitfall gegeben. Die Beklagte gehe selbst davon aus, dass die in ihrer Obhut abhanden gekommene Sendung in ihrem Lager in Herbolzheim in Verlust geraten sein müsse. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, in diesem Lager für ein lückenloses Kontrollsystem zu sorgen, das den Verbleib der Sendung hätte aufklären können. Das angewandte "Negativsystem" verhindere es gerade nicht, dass ein Verlust von Sendungen zunächst unentdeckt bleibe. Die Beklagte habe keinen ausreichenden Überblick über den Inhalt der beladenen Wechselbrücken sowie den Lauf und Verbleib der ein- und ausgehenden Sendungen gehabt mit der Folge, dass nach einer außer Kontrolle geratenen Sendung nicht systematisch habe gesucht werden können. Erst eine wirksame Ein- und Ausgangskontrolle hätte die gebotenen Nachforschungen ermöglicht. Dieses hohe Risiko sei die Beklagte bewusst eingegangen.
Die Beklagte bzw. die für sie tätigen Personen hätten auch in dem Bewusstsein gehandelt, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Dieses subjektive Tatbestandsmerkmal setze voraus, dass das Risiko eines Schadenseintritts bei der gehandhabten Betriebsorganisation hoch oder nahe liegend sei. Es komme darauf an, ob ein Geschehen vorliege, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Entscheidung gelange, dass es "noch einmal gut gegangen" sei. Das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts könne schon dann festgestellt werden, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten sei, diese Folgerung rechtfertige. Ausgehend von dem besonders schwer wiegenden Organisationsverschulden der Beklagten stehe zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Beklagten das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts vorgelegen habe. Die Beklagte habe - wie sie selbst vortrage - zur Vermeidung von Kosten bewusst auf eine lückenlose Kontrolle verzichtet.
Umstände, die gegen die Schadensursächlichkeit des Organisationsmangels sprechen könnten, habe die Beklagte nicht dargelegt.
2. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision stand.
Die tatrichterliche Beurteilung der Frage, ob eine bewusste Leichtfertigkeit i.S.v. § 435 HGB vorliegt, ist durch das Revisionsgericht nur in eingeschränktem Maße nachprüfbar. Die Prüfung muss sich darauf beschränken, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der bewussten Leichtfertigkeit verkannt hat oder ob Verstöße gegen § 286 ZPO, gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze vorliegen (vgl. zur groben Fahrlässigkeit BGH v. 15.11.2001 - I ZR 158/99, BGHZ 149, 337 [345] = BGHReport 2002, 633 = MDR 2002, 956;, Urt. v. 13.2.2003 - I ZR 128/00, BGHReport 2003, 658 = MDR 2003, 1001 = TranspR 2003, 255 [257] = VersR 2003, 1017). Solche Rechtsfehler lässt das Berufungsurteil nicht erkennen.
a) Die auf Grund des Transportrechtsreformgesetzes v. 25.6.1998 (BGBl. I, 1588) mit Wirkung v. 1.7.1998 in Kraft getretene Neufassung des § 435 HGB ist Ausdruck des schon bis dahin im gesamten Transportrecht geltenden Prinzips, dass dem Frachtführer die ihm wegen vertragstypischer Risiken eingeräumten Haftungsprivilegien nicht zugute kommen sollen, wenn ihn oder eine Person, deren er sich bei der Ausführung der Beförderung bedient, ein qualifiziertes Verschulden, also ein über die einfache Fahrlässigkeit hinausgehender Verschuldensvorwurf, trifft (vgl. § 430 Abs. 3 HGB a.F.; § 607a Abs. 4, § 660 Abs. 3 HGB, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 CMR, Art. 44 CIM, Art. 25 WA 1955; s. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/8445, 71).
b) Der Verschuldensmaßstab des § 435 HGB, der - wenn nicht Vorsatz gegeben ist - neben der Leichtfertigkeit das Bewusstsein voraussetzt, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, ist an den Wortlaut deutscher Übersetzungen internationaler Transportrechtsübereinkommen (u.a. Art. 25 WA 1955) angelehnt. Der Begriff der Leichtfertigkeit bezweckt einen möglichst weit gehenden Einklang des deutschen Transportrechts mit dem internationalen Recht (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/8445, 72). Der Gesetzgeber ist dabei von dem Bedeutungsgehalt ausgegangen, der dem Begriff schon bisher in der deutschen Rechtsprechung zu Art. 25 WA 1955 zukam (vgl. BT-Drucks. 13/8445, 72). Dem entsprechend muss die Auslegung des neuen Verschuldensbegriffs in erster Linie diesem Verständnis entnommen werden (vgl. Fremuth in Fremuth/Thume, Transportrecht, § 435 HGB Rz. 12; Thume, TranspR 2002, 1 [2]; Starck in Festgabe für Herber, 2000, S. 128, 131 f.; a.A. Koller, Transportrecht, 5. Aufl., § 435 HGB Rz. 6, 12).
Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine "Leute" in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzen (vgl. BGH, Urt. v. 12.1.1982 - VI ZR 286/80, MDR 1982, 570 = TranspR 1982, 100 [101] = VersR 1982, 369; v. 21.9.2000 - I ZR 135/98, BGHZ 145, 170 [183] = MDR 2001, 577 = BGHReport 2001, 5). Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein allerdings nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt. Es bleibt der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten, ob das Handeln nach dem äußeren Ablauf des zu beurteilenden Geschehens vom Bewusstsein getragen wurde, dass der Eintritt eines Schadens mit Wahrscheinlichkeit drohe (vgl. BGH v. 16.2.1979 - I ZR 97/77, BGHZ 74, 162 [168 f.]; v. 21.9.2000 - I ZR 135/98, BGHZ 145, 170 [186] = MDR 2001, 577 = BGHReport 2001, 5). Dabei sind in erster Linie Erfahrungssätze heranzuziehen. Zudem kann der Schluss auf das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auch im Rahmen typischer Geschehensabläufe nahe liegen (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00, BGHReport 2003, 1405 = MDR 2004, 220 = TranspR 2003, 467 [470 f.]; Urt. v. 9.10.2003 - I ZR 275/00, BGHReport 2004, 771 = TranspR 2004, 175 [177]; Urt. v. 23.10.2003 - I ZR 55/01, BGHReport 2004, 375 = Umdr. S. 11).
Von diesem Verständnis des Verschuldensmaßstabs der bewussten Leichtfertigkeit ist - wie die Revision nicht verkennt - auch das Berufungsgericht ausgegangen.
c) Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht im Streitfall das Vorliegen einer bewussten Leichtfertigkeit i.S.v. § 435 HGB bejaht hat, halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht den Vorwurf qualifizierten Verschuldens nicht aus einer unzureichenden Erfüllung der Einlassungsobliegenheit der Beklagten hergeleitet. Fehl geht daher die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die (sekundäre) Darlegungslast der Beklagten überspannt. Das Berufungsgericht hat den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens ersichtlich nur aus der eigenen Darstellung der Organisation im Betrieb der Beklagten hergeleitet, wonach es jedenfalls in ihrem Lager in Herbolzheim an einer wirksamen Ausgangskontrolle fehle. Die Formulierungen des Berufungsgerichts, die Beklagte habe ihrer Einlassungspflicht nicht genügt und ihr allgemein gehaltener Vortrag reiche nicht aus, um den Schluss auf ein leichtfertiges Organisationsverschulden auszuräumen, mögen für sich allein genommen zwar missverständlich sein. Aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe wird jedoch hinreichend deutlich, dass nicht der fehlende Sachvortrag der Beklagten zu ihrer Betriebsorganisation der tragende Grund für das vom Berufungsgericht angenommene bewusst leichtfertige Organisationsverschulden gewesen ist, sondern das sich aus dem Vortrag der Beklagten selbst ergebende Fehlen einer wirksamen Ausgangskontrolle im Lager Herbolzheim.
d) Dem Berufungsgericht sind bei der Anwendung des Verschuldensmaßstabs der bewussten Leichtfertigkeit im Streitfall keine Rechtsfehler unterlaufen.
aa) Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich beim Umschlag von Transportgütern, wie er hier in Rede steht, um einen besonders schadensanfälligen Bereich handelt, der deshalb so organisiert werden muss, dass in der Regel Ein- und Ausgang der Güter kontrolliert werden, damit Fehlbestände frühzeitig festgehalten werden können. Denn ohne ausreichende Ein- und Ausgangskontrollen, die im Regelfall einen körperlichen Abgleich der papier- bzw. EDV-mäßig erfassten Ware erfordern, kann ein verlässlicher Überblick über Lauf und Verbleib der in den einzelnen Umschlagstationen ein- und abgehenden Güter nicht gewonnen werden mit der Folge, dass der Eintritt eines Schadens und der Schadensbereich in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht nicht eingegrenzt werden können. Das Erfordernis von Schnittstellenkontrollen wird noch verstärkt, wenn - wie im Streitfall - rechtlich selbstständige Drittunternehmen in die Erbringung der Transportleistung eingebunden sind. Deshalb ist in der Rechtsprechung zu § 429 Abs. 1 HGB a.F. von einem grob fahrlässigen Verschulden ausgegangen worden, wenn der Spediteur den schadensanfälligen Umschlag ohne ausreichende Ein- und Ausgangskontrollen organisiert (vgl. BGH v. 4.5.1995 - I ZR 70/93, BGHZ 129, 345 [351] = MDR 1996, 269; v. 15.11.2001 - I ZR 158/99, BGHZ 149, 337 [347 f.] = BGHReport 2002, 633 = MDR 2002, 956, m.w.N.; Urt. v. 13.2.2003 - I ZR 128/00, BGHReport 2003, 658 = MDR 2003, 1001 = TranspR 2003, 255 [257] = VersR 2003, 1017).
bb) Auch die in § 435 HGB geforderte Leichtfertigkeit des Frachtführers oder seiner "Leute" kann sich aus einer mangelhaften Organisation des Betriebsablaufs ergeben, die keinen hinreichenden Schutz der zu befördernden Frachtgüter gewährleistet und sich in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzt (vgl. BGH v. 21.9.2000 - I ZR 135/98, BGHZ 145, 170 [183] = MDR 2001, 577 = BGHReport 2001, 5, m.w.N. zu Art. 25 WA 1955). Bei einer Betriebsorganisation, die Ein- und Ausgangskontrollen beim Umschlag von Transportgütern nicht durchgängig vorsieht, ist im Regelfall der Vorwurf eines leichtfertigen Verhaltens gerechtfertigt, weil es sich bei diesen Maßnahmen um elementare Vorkehrungen gegen Verlust von Ware handelt.
cc) Entgegen der Auffassung der Revision besteht keine ausreichende Ausgangskontrolle, wenn die Beklagte - wie sie selbst vorgetragen hat - lediglich eine Eingangskontrolle im Abgangsdepot in Herbolzheim und eine Ausgangskontrolle im Empfangsdepot in Hannover durchführt. Auch die tägliche Durchführung eines "Lagersturzes" (sog. Negativsystem) in allen Depots und Umschlagzentren der Beklagten sowie die Beförderung des Frachtgutes auf der Fernverkehrsstrecke in verplombten Kofferwechselbrücken gewährleisten keine ausreichende Kontrolle des Warenumschlags. Die Beklagte räumt die Möglichkeit von Fehlverladungen, die erst im Empfangsdepot festgestellt werden, bei ihrem System selbst ein.
Aus der Möglichkeit von Fehlverladungen ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision nicht nur eine Verzögerung der Auslieferung, sondern es folgt daraus auch ein erhöhtes Verlustrisiko. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass eine Fehlverladung zu einer Auslieferung an einen falschen Empfänger führen könne und ein Empfänger, der mehr bekomme, als er nach dem Frachtbrief zu erhalten habe, dies nicht immer reklamiere. Die Ausgangskontrolle im Empfangsdepot kann die Ausgangskontrolle im Abgangsdepot schon deshalb nicht ersetzen, weil die Beklagte bei einer solchen Kontrolle des Warenumschlags den Bereich des Schadenseintritts in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht nicht hinreichend eingrenzen und nach einer verloren gegangenen Sendung daher nicht gezielt suchen kann. Dementsprechend hat sie es selbst lediglich für wahrscheinlich gehalten, dass der Verlust der Sendung bereits in ihrem Abgangsdepot in Herbolzheim eingetreten sein müsse. Andererseits konnte sie aber auch nicht ausschließen, dass die Sendung in ihrem Umschlagsdepot in Dietzenbach oder in ihrem Empfangsdepot in Hannover verloren gegangen ist. Hätte die Beklagte in ihrem Abgangsdepot Herbolzheim eine wirksame Ausgangskontrolle durchgeführt, wäre ein in diesem Depot eingetretener Verlust zeitnah entdeckt worden und hätte die Suche nach der abhanden gekommenen Sendung gezielt auf dieses Depot und die im maßgeblichen Zeitraum am Warenumschlag in diesem Depot Beteiligten beschränkt werden können.
Ohne Erfolg macht die Revision auch geltend, dass eine systematische Suche nach außer Kontrolle geratenen Sendungen durch die EDV-mäßige Vernetzung sämtlicher Depots und Umschlagzentren möglich sei. Die Beklagte hat zu dem streitgegenständlichen Verlustfall lediglich vorgetragen, dass eine zentral gesteuerte Suchmeldung in allen ihren Depots und Umschlagzentren mit negativem Ergebnis durchgeführt worden sei. Da der Eingang der Sendung bereits in ihrem zentralen Umschlagsdepot in Dietzenbach nicht habe festgestellt werden können und ein Verlust von Sendungen auf der Fernverkehrsstrecke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne, sei der Verlust der Sendung "wahrscheinlich" bereits in ihrem Depot in Herbolzheim eingetreten. Damit räumt die Beklagte selbst ein, dass durch ihr EDV-System nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, wo genau der Verlust der Sendung eingetreten ist, um dort eine gezielte Suche zu ermöglichen. Vielmehr bleibt ihr bei ihrem System, in dem lediglich eine Eingangskontrolle im Abgangsdepot und eine Ausgangskontrolle im Empfangsdepot durchgeführt wird, nur die Möglichkeit, eine Suche in allen ihren Depots und Umschlagzentren und somit gerade keine gezielte Suche in einem bestimmten Depot oder Umschlagzentrum zu veranlassen.
Der Vortrag der Beklagten, sie habe eine Zertifizierung nach der ISO-Norm 9002 durchgeführt, steht der Annahme eines leichtfertigen Organisationsverschuldens schon deshalb nicht entgegen, weil diese DIN-Vorschrift keine spezifischen Anforderungen an die Sorgfalt des Spediteurs beim Warenumschlag, sondern lediglich allgemeine Merkmale eines effektiven Qualitätsmanagementsystems regelt, sodass die Erteilung des Zertifikats nicht den Rückschluss auf einen ausreichenden Schutz des Frachtgutes vor Verlust zulässt.
e) Entgegen der Ansicht der Revision ist es revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aus der Organisation des Warenumschlags durch die Beklagte auf deren Bewusstsein geschlossen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Wer wie im Streitfall elementare Sorgfaltsvorkehrungen unterlässt, handelt in dem Bewusstsein, dass es auf Grund des Mangels dieser Vorkehrungen zu einem Schadenseintritt kommen kann. Wer also eine Ein- oder Ausgangskontrolle unterlässt, obwohl er weiß oder hätte wissen müssen, dass es darauf entscheidend ankommt, hat das Bewusstsein, es werde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden an dem anvertrauten Gut entstehen (vgl. BGH v. 16.2.1979 - I ZR 97/77, BGHZ 74, 162 [172]).
aa) Die von der Beklagten behauptete, im Verhältnis zu der Anzahl der bei ihr umgeschlagenen Sendungen geringe Schadensquote von 0,1 bis 0,2 o/oo sowie die behauptete Aufklärungsquote von 99 % bei Fehlleitungen von Sendungen widerlegen für sich allein nicht die Annahme des Bewusstseins der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Dies folgt schon daraus, dass die Beklagte verpflichtet ist, jeglichem Verlust des in ihre Obhut gelangten Gutes durch geeignete und ausreichende Sicherheitsvorkehrungen entgegenzuwirken. Aus der geringen Schadensquote und der hohen Aufklärungsquote ergeben sich im Übrigen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass im hier maßgeblichen Zeitraum keine schwer wiegenden Mängel in der theoretischen oder praktischen Durchführung der Organisation der Beklagten vorgelegen haben (vgl. BGH, Urt. v. 25.9.1997 - I ZR 156/95, MDR 1998, 788 = TranspR 1998, 262 [264 f.] = VersR 1998, 657; Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00, BGHReport 2003, 1405 = MDR 2004, 220 = TranspR 2003, 467 [471]; Urt. v. 9.10.2003 - I ZR 275/00, BGHReport 2004, 771 = TranspR 2004, 175 [177]; Urt. v. 23.10.2003 - I ZR 55/01, BGHReport 2004, 375 = Umdr. S. 11 f.).
bb) In der Rechtsprechung und Literatur wird die Auffassung vertreten, die erforderliche Wahrscheinlichkeit sei ein mittlerer Grad von Gewissheit, der zwischen Möglichkeit und absoluter Gewissheit angesiedelt sei. Das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sei daher quantitativ in dem Sinne zu bestimmen, dass die Wahrscheinlichkeit erst anzunehmen sei, wenn die Möglichkeit, dass das Schadensereignis eintrete, mehr als 50 % betrage, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts also größer sei als die des Nichteintritts (vgl. OLG Frankfurt VersR 1981, 164 [165]; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 25 WA 1955 Rz. 30; Giemulla in Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Art. 25 WA Rz. 45; Gass in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 435 Rz. 3; Fremuth in Fremuth/Thume, Transportrecht, § 435 HGB Rz. 16; Thume, TranspR 2002, 1 [3]; Neumann, TranspR 2002, 413 [416]; vgl. auch: Seyffert, Die Haftung des ausführenden Frachtführers im neuen deutschen Frachtrecht, S. 130).
Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden. Hierauf kommt es im Fall der Verletzung elementarer Sorgfaltsvorkehrungen in der Organisation eines Betriebs aber auch nicht an, weil schon die Kenntnis des grob mangelhaften Betriebsablaufs das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts einschließt.
Es ist daher entgegen der Auffassung der Revision weder erfahrungswidrig noch verstößt es gegen Denkgesetze, wenn das Berufungsgericht trotz der von der Beklagten behaupteten geringen Schadens- und hohen Aufklärungsquote aufgrund der beim Warenumschlag bei der Beklagten bestehenden Kontrollücken auf deren Bewusstsein geschlossen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.
C. Danach war die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen