Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherungsabtretung von Forderungen gegen Automobilkonzern. Verrechnungskonto von Boni und Prämien und Verbindlichkeiten. Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen
Leitsatz (amtlich)
Die Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen und des kausalen Schlusssaldos aus dem Kontokorrent führt nicht zum Rechtserwerb des Abtretungsempfängers, wenn die Kontokorrentabrede erst mit der Insolvenzeröffnung erlischt (Aufgabe von BGHZ 70, 86).
Normenkette
InsO §§ 91, 116; HGB § 355
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Köln vom 30.4.2008 aufgehoben, soweit es zu seinem Nachteil ergangen ist. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 18. Zivilkammer des LG Köln vom 18.10.2007 abgeändert und die Beklagte verurteilt, unter Einbeziehung des bereits zugesprochenen Betrages an den Kläger insgesamt 87.272,32 EUR nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.12.2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Im Verfahren zur Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen der Schuldnerin erlegte das AG ihr am 21.1.2003 ein allgemeines Verfügungsverbot auf und bestellte in der Person des Klägers einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Am 1.4.2003 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt.
[2] Die Schuldnerin führte ein Autohaus, welches Kraftfahrzeuge der Beklagten, Rechtsnachfolgerin der F. AG, vertrieb. Die Schuldnerin bediente sich zur Einkaufsfinanzierung der F. Bank, an welche sie ihre derzeitigen und künftigen Forderungen gegen die F. AG mit einem Rahmenvertrag vom 27.2.2002 zur Sicherung abtrat. Diese Forderungen der Schuldnerin, die insb. aus Boni und Prämien entstanden, erfasste die Rechtsvorgängerin der Beklagten auf einem Verrechnungskonto, in welches auch Verbindlichkeiten der Schuldnerin aus Warenlieferungen, Werbungskostenzuschüssen und anderen Gründen eingestellt wurden.
[3] Am 10.1.2003 legte die F. Bank die Sicherungsabtretung der Schuldnerin ggü. der F. AG offen und bat um Überweisung des Guthabens der Schuldnerin auf eines ihrer Konten, was die Rechtsvorgängerin der Beklagten am 28.3.2003 - nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes - i.H.v. 71.467,97 EUR veranlasste. Noch im März 2003 erteilte die Beklagte der Schuldnerin einen Rechnungsabschluss des fortgeführten Kontokorrents, der auch Ausdruck in dem Kontoauszug der Beklagten vom 7.4.2003 durch den Hinweis auf "geschlossene Positionen vom 28.3.2003" fand.
[4] Am 15.9.2004 wies das nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der F. AG weiter geführte Verrechnungskonto der Schuldnerin erneut ein Guthaben von 15.804,35 EUR aus, wobei die ältesten Rechnungen der Schuldnerin vom 1.4.2003 datierten. Die Beklagte hat diesen Betrag nicht ausgeglichen und sich darauf berufen, dass schlüssiger Vortrag des Klägers zu den einzelnen Forderungen des Kontokorrents fehle.
[5] Das LG hat die Beklagte zur Zahlung von 15.804,35 EUR nebst Zinsen nach dem Stande des Kontokorrents vom 15.9.2004 verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Die wechselseitigen Rechtsmittel nach Maßgabe der erstinstanzlichen Beschwer hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht in diesem Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Berufungsantrag weiter, soweit er unterlegen ist. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Anschlussrevision weiterhin die vollumfängliche Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
[6] Die Revision ist begründet; die Anschlussrevision nicht.
I.
[7] Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe das Guthaben der Schuldnerin entsprechend dem Rechnungsabschluss vom März 2003 durch Überweisung von 71.467,97 EUR an die F. Bank vor Insolvenzeröffnung schuldbefreiend ausgeglichen. Durch den Rechnungsabschluss habe eine abstrakte Saldoforderung begründet werden sollen, deren Anerkenntnis hier zumindest konkludent dadurch erfolgt sei, dass nunmehr das in dem nachfolgenden Kontoauszug ausgewiesene "Guthaben" eingefordert werde. Die F. Bank habe durch die Vorausabtretung der Schuldnerin vom 27.2.2002 die Inhaberschaft der künftigen Forderungen erlangt, die bis zur Insolvenzeröffnung zugunsten der Zedentin ggü. der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin entstanden seien. Die Vorausabtretung sei durch die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes vom 21.1.2003 nicht berührt worden. Die Masse sei vor Verlusten, die durch Vorausabtretung künftiger Forderungen eintreten, trotz Anordnung einer Verfügungsbeschränkung nur durch die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung geschützt; denn das Entstehen der im voraus abgetretenen Forderung gehöre nicht mehr zum Verfügungstatbestand. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens könne dagegen ein Abtretungsempfänger zu Lasten der Masse keine vom Schuldner im Voraus abgetretene Forderung mehr erwerben. Der Rechnungsabschluss, den die Rechtsvorgängerin der Beklagten am 15.9.2004 erstellt habe, beruhe auf einer konkludenten Kontokorrentabrede mit dem Kläger und rechtfertige den zusprechenden Teil des landgerichtlichen Urteils.
II.
[8] Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Diese nimmt die ursprüngliche Wirksamkeit der zwischen Schuldnerin und F. Bank 2002 vereinbarten Globalabtretung hin, meint aber, das der Schuldnerin am 21.1.2003 vor Erteilung des Rechnungsabschlusses auferlegte allgemeine Verfügungsverbot habe dem Rechtsübergang an die Abtretungsempfängerin entgegengestanden. Das erweist sich im Ergebnis als zutreffend.
[9] Das Berufungsgericht hat den Inhalt der Abreden zwischen der Schuldnerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten revisionsrechtlich bindend als echtes kaufmännisches Kontokorrent (§ 355 HGB) ausgelegt. Eine Verfahrensrüge gegen diese Feststellung ist nicht erhoben worden. Die Schuldnerin selbst war nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes gem. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 24, 81 InsO nicht mehr im Stande, einen schuldumschaffenden Rechnungsabschluss der Beklagten anzuerkennen und damit eine neue Saldoforderung zu begründen. Die in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen, die durch das Saldoanerkenntnis untergegangen wären (vgl. BGHZ 141, 116 [120 m.w.N.]), waren grundsätzlich nicht selbständig abtretbar, solange die Kontokorrentbindung zwischen den Beteiligten bestand. Das gilt auch für die kausale Forderung auf den Schlusssaldo aus dem Kontokorrent. Die Vorausabtretung dieser Forderungen scheiterte mithin an der weiterwirkenden Kontokorrentbindung (vgl. BGHZ 58, 257 [260]; 70, 86, 92; 73, 259, 263 unter I. 3.; 170, 206, 213 Rz. 19).
[10] Die Kontokorrentabrede zwischen der Schuldnerin und der Beklagten erlosch erst nach den §§ 115, 116 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. BGHZ 70, 86 [93]; 157, 350, 356 a.E. f; 170, 206, 213 Rz. 19). Gleichzeitig wirkte jedoch bereits die Beschränkung des § 91 InsO, nach welcher an den Gegenständen der Insolvenzmasse - hier den bisher kontokorrentgebundenen Einzelforderungen und dem kausalen Schlusssaldo - Rechte nicht wirksam erworben werden können. Der masseschützende Zweck des § 91 InsO setzt das Wort "nach" des Gesetzestextes in Beziehung zu dem gesamten Verfahren, welches mit dem Eröffnungsbeschluss beginnt. Es wäre deshalb zweckwidrig, wenn aus diesem Zeitraum der Zeitpunkt des Beginns als juristische Sekunde ausgeschlossen bliebe (Canaris, Handelsrecht 24. Aufl., § 25 Rz. 53; vgl. auch Jaeger/Henckel/Windel, § 91 Rz. 60 bei Fn. 226; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rz. 10.24).
[11] Der Senat gibt damit die vereinzelt gebliebene Entscheidung des früher für das Konkursrecht zuständigen VIII. Zivilsenats vom 7.12.1977 (BGHZ 70, 86 [94 f.]; zustimmend Breuer in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 91 Rz. 27; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 91 Rz. 35 f.; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl., § 91 Rz. 21; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 3. Aufl., § 91 Rz. 13; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 91 Rz. 14; Nerlich/Römermann/Wittkowski, InsO § 91 Rz. 19; Hess, Insolvenzrecht § 91 Rz. 44; Smid, InsO, 2. Aufl., § 91 Rz. 5; mit anderer Begründung auch Jaeger/Windel, InsO § 91 Rz. 60), nach welcher der kausale Saldoanspruch aus dem mit der Konkurseröffnung beendeten Kontokorrent ggü. dem Erwerbsverbot des § 15 KO konkursfest sein sollte, für den Anwendungsbereich des § 91 InsO auf. Die vorbezeichnete Auslegung von § 15 KO steht nicht in Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung, welche das Erwerbsverbot des § 91 InsO nur dann zurücktreten lässt, wenn der Dritte bereits vor der Insolvenzeröffnung eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der ihm abgetretenen oder verpfändeten Forderung erlangt hat (BGHZ 167, 363, 365 Rz. 6; BGH, Urt. v. 8.1.2009 - IX ZR 217/07ZIP 2009, 380, 382 Rz. 28). Über eine solche Position verfügte die F. Bank bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin nicht. Der allein entscheidende (starke) vorläufige Insolvenzverwalter der Schuldnerin und die Beklagte, welche die laufende Rechnung fortgeführt haben, konnten vielmehr bis zur Beendigung des Kontokorrents durch weitere Verfügungen innerhalb desselben einen kausalen Saldoanspruch der Schuldnerin beseitigen (anders die Annahme in BGHZ 70, 86, 95 unten).
[12] Hat der Kläger nachträglich, wie das Berufungsgericht annimmt, durch die Klageerhebung dem Rechnungsabschluss von Ende März 2003 zugestimmt, ändert sich daran nichts. Die konkludente Genehmigung des Klägers brachte den Anerkenntnisvertrag über den Rechnungsabschluss von Ende März 2003 erst mit ihrer Erteilung zustande. Der Kläger hat keine schon vorliegende Erklärung nachträglich als Dritter gem. §§ 182 Abs. 1, 184 Abs. 1 BGB genehmigt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 15.1.2009 - IX ZR 237/07ZIP 2009, 485, 486 Rz. 13). Vor der Insolvenzeröffnung hätte insoweit nur der allein entscheidende vorläufige Insolvenzverwalter handeln können, zu dessen Verhalten nichts vorgetragen und vom Berufungsgericht nichts festgestellt worden ist. Es kommt also nicht in Betracht, dass die abstrakte Saldoforderung des Rechnungsabschlusses von Ende März 2003 durch Genehmigung des Klägers bereits vor der Insolvenzeröffnung als entstanden gilt und dann trotz der Verfügungsbeschränkung gem. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 24, 81 InsO von der F. Bank möglicherweise auch hätte erworben werden können. Die Streitfrage, die das Berufungsgericht zur Zulassung der Revision bewogen hat, ob die Grundsätze von BGHZ 135, 140, 144 (vgl. auch BGHZ 174, 297, 305 Rz. 27) auf die Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach der Insolvenzordnung zu übertragen sind (bejahend etwa Ganter in MünchKomm/InsO, 2. Aufl. Vor §§ 49-52 Rz. 31; verneinend Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 24 Rz. 2 f.; kritisch auch Kirchhof in HK/InsO, InsO, 5. Aufl., § 24 Rz. 8), ist demnach nicht entscheidungserheblich.
[13] Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und die Klageforderung nach § 91 InsO vollen Umfanges der Masse zusteht, ist das Berufungsurteil im Umfange des klägerischen Unterliegens aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Erkenntnisses insoweit antragsgemäß zu verurteilen.
III.
[14] Die Anschlussrevision bleibt ohne Erfolg.
[15] 1. Die Anschlussrevision ist nach § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO dann, wenn die Revision für den Revisionsbeklagten nicht zugelassen worden ist, jedenfalls unter der Voraussetzung statthaft, dass sie einen Anspruch zur Überprüfung stellt, welcher mit dem Streitgegenstand der Hauptrevision in unmittelbarem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang steht (BGH, Urt. v. 5.12.2006 - X ZR 165/03NJW 2007, 997, 998 Rz. 6; zum alten Recht vgl. bereits BGHZ 148, 156 [159 f.]; s. außerdem BGH, Urt. v. 30.9.2003 - XI ZR 232/02WM 2003, 2286 [2287]; BGHZ 155, 189 [191 f.]; BGH, Urt. v. 23.11.2005 - XII ZR 51/03NJW 2006, 1794). Dieser Zusammenhang zwischen den Forderungen des Klägers aus den Rechnungsabschlüssen vom März 2003 und vom 15.9.2004 liegt vor.
[16] 2. Die Beklagte beanstandet die Annahme des Berufungsgerichts, der Rechnungsabschluss ihrer Rechtsvorgängerin vom 15.9.2004 beruhe auf einer konkludenten Kontokorrentabrede mit dem Kläger. Ihre hiergegen erhobene Feststellungsrüge greift jedoch nicht durch. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin haben unbeschadet der Folgen des § 116 InsO die laufende Rechnung mit der Schuldnerin auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einseitig fortgeführt und der Kläger hat diese Verfahrensweise genehmigt, indem er sich den Rechnungsabschluss vom 15.9.2004 als Klagegrundlage zu eigen gemacht hat. Infolge der Kontokorrentbindung kommt es nicht mehr darauf an, ob bereits die ersten in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen der Schuldnerin zugunsten der Masse entstanden sind.
[17] 3. Den Zinsausspruch des Berufungsurteils kann die Anschließung nicht mehr wegen unbestimmter Mahnung des Klägers angreifen, weil die Beklagte mit entsprechendem Sachvortrag in der Berufungsinstanz den geltend gemachten Verzugszinsen nicht entgegengetreten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2194940 |
BGHZ 2010, 362 |
BB 2009, 2053 |
DB 2009, 1760 |