Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG
Normenkette
EStG § 7b; GG Art. 20
Tenor
§ 7b Absatz 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Artikels I Nummer 6 des Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl I S. 473) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand
A.
I.
Das Zweite Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20. April 1949 (WiGBl S. 69) fügte in das Einkommensteuergesetz (EStG) den Paragraphen 7b ein, der für Wohngebäude eine gegenüber der normalen, in § 7 EStG geregelten Absetzung für Abnutzung wesentlich günstigere Abschreibungsmöglichkeit vorsah. Damit sollte ein steuerlicher Anreiz für den Wohnungsbau geschaffen werden. Die Vorschrift wurde durch mehrere Änderungen in den Jahren 1950, 1953 und 1954 zugunsten der Steuerpflichtigen verbessert und lautete in der Fassung des Einkommensteuergesetzes vom 13. November 1957 (BGBl I S. 1793) in ihrem Absatz 1 wie folgt:
§ 7b
Erhöhte Absetzungen für Wohngebäude
(1) Bei Gebäuden, die
- nach dem 31. Dezember 1948, aber vor dem 1. Januar 1953 errichtet worden sind und zu mehr als 80 vom Hundert Wohnzwecken dienen oder
- nach dem 31. Dezember 1952 errichtet worden sind und zu mehr als 66⅔ vom Hundert Wohnzwecken dienen,
können abweichend von § 7 im Jahr der Herstellung und in dem darauffolgenden Jahr auf Antrag je 10 vom Hundert der Herstellungskosten abgesetzt werden. Ferner können in den darauffolgenden zehn Jahren an Stelle der nach § 7 zu bemessenden Absetzung für Abnutzung jeweils bis zu 3 vom Hundert der Herstellungskosten abgesetzt werden. Nach Ablauf dieser zehn Jahre bemessen sich die Absetzungen für Abnutzung nach dem dann noch vorhandenen Restwert und der Restnutzungsdauer des Gebäudes. Den Herstellungskosten eines Gebäudes werden die Aufwendungen gleichgestellt, die nach dem 31. Dezember 1948 zum Wiederaufbau eines durch Kriegseinwirkung ganz oder teilweise zerstörten Gebäudes gemacht werden, wenn dieses Gebäude ohne den Wiederaufbau nicht mehr oder nicht mehr voll zu Wohnzwecken verwendet werden kann.
Durch Abschnitt I Art. 1 Nr. 6 Buchst. a, bb des am 23. Juli 1958 verkündeten und am darauffolgenden Tag in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl I S. 473) – Steueränderungsgesetz 1958 oder StÄndG 1958 – wurde dem Absatz 1 des § 7 b EStG folgender Satz 5 angefügt:
Bei Ein- und Zweifamilienhäusern, die nach dem 31. Dezember 1958 errichtet werden, sind die Sätze 1 bis 4 auf den Teil der Herstellungskosten, der 120 000 Deutsche Mark übersteigt, nicht anzuwenden.
Der Deutsche Bundestag hat das Steueränderungsgesetz 1958 am 20. Juni 1958 in dritter Lesung beschlossen. Die Zustimmung des Bundesrats gemäß Art. 84 Abs. 1 GG wurde am 4. Juli 1958 erteilt.
II.
1. Der Steuerpflichtige X. plante im Winter 1957/58 den Bau eines Einfamilienhauses. Am 10. April 1958 schloß er den Architektenvertrag ab. Die Baugenehmigung wurde am 20. Juni 1958 erteilt. Das Wohnhaus wurde mit einem Herstellungsaufwand von 239 130,54 DM im Jahre 1959 bezugsfertig. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1959 machte X. die erhöhte Absetzung für Abnutzung gemäß § 7b EStG in Höhe von 10 v. H. der gesamten Herstellungskosten geltend. Das Finanzamt anerkannte jedoch gemäß § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1958 bei der Einkommensteuerveranlagung und auf den Einspruch des Steuerpflichtigen auch in der Einspruchsentscheidung lediglich eine erhöhte Absetzung für Abnutzung in Höhe von 10 v. H. aus 120 000 DM. Dagegen legte der Steuerpflichtige Berufung zum Finanzgericht ein. Zur Begründung führte er aus, die Beschränkung der erhöhten Absetzung für Abnutzung nach § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG bei Ein- und Zweifamilienhäusern auf einen Betrag von 120 000 DM der Herstellungskosten sei verfassungswidrig, da sie auf einem rückwirkend belastenden Steuergesetz beruhe.
2. Der Steuerpflichtige Y. hatte im Jahre 1951 ein Einfamilienhaus erbaut. Im Herbst 1957 plante er, das Gebäude aufzustocken. Im November 1957 fertigte der Architekt die Bauzeichnungen. Die Baugenehmigung wurde am 6. Dezember 1957 beantragt und am 28. Januar 1958 erteilt. Die im April 1958 begonnenen Bauarbeiten waren zwar Ende 1958 zum größten Teil abgeschlossen; der Neubau wurde aber erst im Jahre 1959 endgültig bezugsfertig. In den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1959 und 1960 beantragte Y. die Anerkennung der erhöhten Absetzung für Abnutzung gemäß § 7b EStG für 10 v. H. der gesamten Herstellungskosten des Aufbaus in Höhe von 192 272,09 DM. Das Finanzamt ließ jedoch bei der Veranlagung und im Einspruchsverfahren lediglich eine erhöhte Absetzung für Abnutzung von 10 v. H. aus 120 000 DM gemäß § 7b Abs. 2 EStG i.V.m. § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1958 zu.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung führte der Steuerpflichtige aus, die Beschränkung der Steuervergünstigung des § 7 b EStG durch das Steueränderungsgesetz 1958 sei als rückwirkende Steuererhöhung verfassungswidrig.
3. Durch zwei im wesentlichen gleichlautend begründete Beschlüsse hat das Finanzgericht die beiden Berufungsverfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit des § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG mit dem Grundgesetz beantragt. Es meint, der neue Satz 5 des § 7 b Abs. 1 EStG sei ein rückwirkend belastendes Steuergesetz und verstoße deshalb gegen Art. 2 und Art. 20 Abs. 3 GG. Die Regelung sei zwar unbedenklich, soweit Bauherren nach der Verkündung des Steueränderungsgesetzes 1958, also nach dem 23. Juli 1958, mit dem Bau begonnen hätten. Anders seien jedoch diejenigen Fälle zu beurteilen, in denen mit dem Bau eines nach dem 31. Dezember 1958 bezugsfertig gewordenen Ein- oder Zweifamilienhauses vor dem 23. Juli 1958 begonnen worden sei. Diese Bauherren seien bei ihren Baumaßnahmen von dem ohne Einschränkung geltenden § 7b EStG ausgegangen und hätten jedenfalls für ihr begonnenes Bauvorhaben auf seinen Fortbestand vertrauen dürfen. Der Einwand des Finanzamts, die beiden Berufungsführer hätten die Einschränkung des § 7b EStG berücksichtigen können, weil die geplante Gesetzesänderung bei Baubeginn bereits bekannt war, sei unbegründet. Weder eine dem Bürger bekannte Absicht der Regierung noch die bloße Einbringung einer Gesetzesvorlage beim Bundestag rechtfertige die Rückwirkung eines Gesetzes auf einen vor dem Beschluß des Parlaments liegenden Zeitpunkt.
III.
1. Der Bundesminister der Finanzen hält die vom Finanzgericht vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken für unbegründet.
a) Die Steuervergünstigung des § 7b EStG sei durch das Steueränderungsgesetz 1958 lediglich für die Zukunft eingeschränkt worden. Eine Rückwirkung enthalte die Neuregelung deshalb nicht. Der Gesetzgeber sei nicht gezwungen, Steuervergünstigungen, die er aus wirtschafts- oder sozialpolitischen Lenkungsgründen gewährt habe, auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn diese Gründe weggefallen seien.
b) Halte man die Anwendung des § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG auf diejenigen Fälle, in denen mit dem Bau eines Ein- oder Zweifamilienhauses vor Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes 1958 begonnen wurde, für verfassungswidrig, so könne dieses Ergebnis dadurch vermieden werden, daß man mit dem Finanzgericht Nürnberg (Urteil vom 30. Januar 1963, EFG 63, 543) die Worte „errichtet werden” dahin auslege, daß darunter der Beginn der Herstellung zu verstehen sei.
2. Der Bundesfinanzhof ist mit dem Finanzgericht und in Übereinstimmung mit Abschnitt 58 Abs. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 1958 der Auffassung, der Ausdruck „errichten” in § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG sei gleichbedeutend mit „fertigstellen” oder „bezugsfertig werden”. Die vom Finanzgericht gegen § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken teilt er jedoch nicht, weil die zu beurteilende Norm sich keine unzulässige Rückwirkung beilege.
a) Die Absetzung für Abnutzung sei Ausdruck des Wertverzehrs, der durch die Benutzung eines Wirtschaftsgutes eintritt, und könne deshalb erst in Anspruch genommen werden, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand in Benutzung genommen habe. Für Gebäude entstehe der Anspruch auf Absetzung für Abnutzung somit erst, wenn sie bezugsfertig geworden seien. Bei der Änderung von Abschreibungssätzen vor der Fertigstellung des Gebäudes könne es sich also nicht um eine echte Rückwirkung handeln, weil zu diesem Zeitpunkt noch kein Anspruch auf die Absetzung für Abnutzung entstanden sei.
b) Der Gesetzgeber habe mit der Regelung in § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG auch nicht die Grenzen überschritten, die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für solche Gesetze ergäben, die sich auf steuerliche Tatbestände erstreckten, deren Verwirklichung bereits begonnen habe. Der Gesetzgeber habe den Bauherren noch eine Frist von fast einem halben Jahr für die Fertigstellung laufender Bauvorhaben gewährt, bei deren Einhaltung die Steuervergünstigung in der alten Form belassen worden sei. Es bedeute keine Verletzung des Vertrauensschutzes, wenn der Gesetzgeber es von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr für vertretbar gehalten habe, Luxusbauten auf Kosten der Allgemeinheit zu begünstigen, und wenn er deshalb die betreffenden Bauherren gezwungen habe, ihre bereits begonnenen Bauvorhaben darauf zu überprüfen, ob sie innerhalb der neu gesteckten Grenzen eingeschränkt oder nach Möglichkeit noch vor dem Jahresende 1958 fertiggestellt werden sollten. Eine solche Einschränkung unter gleichzeitiger angemessener Fristsetzung halte sich innerhalb der Grenzen, die der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers durch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gesetzt seien.
3. X. hat noch auf folgendes hingewiesen: Als im Frühjahr 1958 die Absicht der gesetzgebenden Organe, die Absetzungsmöglichkeit nach § 7 b EStG einzuschränken, bekanntgeworden sei, seien die Vorarbeiten für sein Bauvorhaben so weit fortgeschritten gewesen, daß die Pläne ohne erhebliche zusätzliche Aufwendungen nicht mehr hätten geändert werden können. Die damaligen Beschäftigungsverhältnisse in der Bauwirtschaft hätten es auch nicht zugelassen, in der vom Gesetzgeber viel zu kurz bemessenen Frist bis zum Jahresende das Bauvorhaben fertigzustellen, um noch in den Genuß der vollen Abschreibungsberechtigung zu kommen. Er sei in seinem Vertrauen auf die bestehende Gesetzeslage verletzt, weil ihn der Gesetzgeber durch die erhöhte Abschreibungsmöglichkeit nach § 7 b EStG zunächst zu erheblichen finanziellen Aufwendungen für den Wohnungsbau veranlaßt, dann aber durch die plötzliche Gesetzesänderung diesen Aufwendungen die steuerliche Wirksamkeit entzogen habe.
IV.
Den Verfahren ist kein Verfassungsorgan beigetreten Da die beiden Verfahren dieselbe Rechtsfrage betreffen, sind sie zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Die Vorlage ist zulässig. Die Verfassungsmäßigkeit des § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1958 ist für das vorlegende Gericht entscheidungserheblich. Verstößt die zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellte Norm gegen das Grundgesetz, so muß das Finanzgericht den Berufungen insoweit stattgeben, als die Rechtsmittelführer die Anerkennung der erhöhten Absetzung für Abnutzung für die gesamten Herstellungskosten begehren. Ist die Vorschrift dagegen mit dem Grundgesetz vereinbar, so müssen die Berufungen insoweit zurückgewiesen werden.
II.
§ 7b Abs. 1 Satz 5 EStG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Das vorlegende Gericht versteht unter „errichteten” Wohngebäuden im Sinne des § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG solche, die bewohnbar gemacht, also fertiggestellt worden sind. Diese Auslegung entspricht der Systematik der §§ 7 und 7b EStG (vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. April 1954, BStBl III S. 175) und ist deshalb der verfassungsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen.
1. Der Gesetzgeber verletzt in der Regel das Gebot der Rechtssicherheit, wenn er das Abgabenrecht zum Nachteil der Steuerpflichtigen rückwirkend ändert (BVerfGE 13, 261 ff). Das ist aber nur der Fall, wenn er an abgeschlossene Tatbestände ungünstigere Rechtsfolgen knüpft, als es das bisherige Recht getan hat. Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG ist kein rückwirkendes Gesetz.
Abschnitt I Art. 1 Nr. 6 Buchst. a, bb StÄndG 1958 ändert nicht das Einkommensteuerrecht für das laufende Veranlagungsjahr 1958 und für die in diesem Zeitraum schon verwirklichten oder noch zu verwirklichenden Tatbestände. Die Bestimmung entzieht den Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen des § 7 b Abs. 1 EStG in der bis dahin geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 1958 erfüllt haben, die Vorteile und Vergünstigungen dieser Vorschrift auch nicht für die Zukunft. Sie verschlechtert die Rechtslage gegenüber dem bis dahin geltenden Rechtszustand erstmals für das Steuerjahr 1959, und zwar nur für diejenigen Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen der Absetzung für Abnutzung erst nach dem Ablauf des Veranlagungsjahres 1958 erfüllt haben, und auch dann nur insoweit, als beim Bau von Ein- oder Zweifamilienwohnhäusern die Bausumme von 120 000 DM überschritten worden ist. Soweit es sich also um die laufende Veranlagungsperiode 1958 für die Einkommensteuer handelte, hat die Norm in das durch das bisherige Recht geregelte Verhältnis zwischen dem Staatsbürger und dem Fiskus nicht eingegriffen. Abgeschlossene Veranlagungsperioden hat das Gesetz nicht berührt. Für künftige Veranlagungsperioden konnte es neues Recht setzen, ohne Rückwirkung zu beanspruchen.
Das Gesetz hat jedoch für die Gruppe von Steuerpflichtigen eine benachteiligende Bedeutung gehabt, die vor der Verabschiedung der Änderung des § 7 b EStG durch den Deutschen Bundestag (– also vor dem 20. Juni 1958 –) auf das geltende Recht vertraut und Ein- oder Zweifamilienhäuser mit einem Kostenaufwand von mehr als 120 000 DM geplant oder zu bauen begonnen hatten, die Gebäude aber erst nach dem 31. Dezember 1958 fertigstellen konnten. Zum Zeitpunkt ihrer Dispositionen rechneten sie damit, daß sie nach dem damals geltenden Recht die Vergünstigungen des § 7b Abs. 1 Sätze 1 bis 4 EStG für die gesamte Bausumme in Anspruch nehmen dürften, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen für die Absetzung für Abnutzung gegeben sein würden. Im Zeitpunkt der Fertigstellung der Häuser aber galt für sie die Einschränkung des § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG. Auch soweit das Steueränderungsgesetz 1958 derartige Fälle betrifft, ist es kein rückwirkendes Gesetz. Es regelt, bezogen auf diese Fälle, nicht abgeschlossene Tatbestände; es ergreift nur Bauvorhaben, die bereits begonnen worden waren, aber erst nach dem 31. Dezember 1958 – frühestens also im Veranlagungsjahr 1959 – vollendet wurden. Darauf kommt es aber entscheidend an, da § 7 b Abs. 1 Satz 1 EStG für die erstmalige Bewilligung der Absetzung für Abnutzung auf die Fertigstellung eines Gebäudes abstellt.
2. § 7 b Abs. 1 Satz 5 EStG verstößt auch nicht aus anderen Gründen gegen das Rechtsstaatsprinzip.
Aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes ergeben sich zwar sachliche Grenzen auch für solche Gesetze, die ihre Wirkung auf Steuertatbestände erstrecken, deren Verwirklichung bereits begonnen hat, aber noch nicht beendet ist (BVerfGE 13, 274 [278] und 13, 279 [283]). Diese Grenzen sind hier jedoch nicht überschritten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip die Notwendigkeit, das Vertrauen des Bürgers auf geltendes Recht zu schützen. Das Vertrauen, das der Staatsbürger dem ordnungsgemäß gesetzten Recht entgegenbringen darf, ermöglicht es ihm, auf längere Zeit zu planen und zu disponieren, also auf die Beständigkeit und Berechenbarkeit des Rechts zu bauen. In diesem Vertrauen wird der Bürger getäuscht, wenn der Gesetzgeber an zurückliegende oder in der Entwicklung befindliche Tatbestände andere, und zwar ungünstigere Folgen knüpft als diejenigen, auf welche sich der Betroffene bei seinen Dispositionen hatte einrichten dürfen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn seine Dispositionen nicht mehr abänderbar sind.
Der Gesetzgeber kann aber triftige Gründe haben, bestehende Rechtslagen zu ändern, auch wenn er dabei auf Tatbestände einwirken muß, die sich in der Entwicklung befinden und die im Vertrauen auf eine bestehende günstige Rechtslage geplant wurden. Ein Vertrauensschutz kommt jedenfalls dort nicht in Frage, wo das Vertrauen sachlich nicht gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 13, 261 [271 f]).
Angesichts der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft kann der Bürger nicht darauf vertrauen, daß der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibt (BVerfGE 13, 274 [278]). Er kann aber auch nicht darauf vertrauen, daß der Gesetzgeber steuerliche Vergünstigungen, die er bisher mit Rücksicht auf bestimmte Tatsachen oder Umstände, insbesondere aus konjunkturpolitischen Erwägungen, gewährt hat, immer und uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrechterhalten werde. Waren die Tatbestände, an die die gesetzliche Regelung anknüpft, erst in der Entwicklung begriffen, so ist eine Verschlechterung der Rechtsposition der Steuerpflichtigen durch Entzug der Vergünstigungen oder durch ihre Schmälerung in gewissen Grenzen vertretbar, auch wenn sie auf Dispositionen beruhten, die im Vertrauen auf bisher geltendes Recht getroffen worden waren.
Die aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes sich ergebenden Schranken für solche Gesetze, die auf noch nicht abgeschlossene, in der Entwicklung befindliche Tatbestände einwirken, sind im vorliegenden Falle nicht mißachtet. Die Einschränkung von Steuervergünstigungen für Wohnungsbauten mit einem Kostenaufwand von mehr als 120 000 DM sowie das Ziel, die Konjunktur auf dem Baumarkt zu beeinflussen, sind sachgerecht.
Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß die Neuregelung vermeidbare Härten zur Folge hatte, die diejenigen trifft, die ein umfangreiches Bauvorhaben bis zum 31. Dezember 1958 nicht vollenden konnten, obwohl es schon vor dem 20. Juni 1958 geplant oder begonnen worden war. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die optimale Lösung gefunden hat. Es kann nur darüber befinden, ob die verfassungsrechtlichen Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit eingehalten sind. § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG hat eine Frist zur Umstellung auf das neue Recht von beinahe 6 Monaten gewährt und die Vergünstigungen des § 7b EStG bis zur Bausumme von 120 000 DM aufrechterhalten. Damit ist dem Erfordernis des Vertrauensschutzes ausreichend Rechnung getragen worden.
3. § 7b Abs. 1 Satz 5 EStG verletzt auch nicht den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
§ 7b Abs. 1 EStG unterscheidet bei der Berechnung des steuerbaren Einkommens hinsichtlich der Absetzbarkeit von Herstellungskosten für Ein- und Zweifamilienhäuser zwischen solchen Gebäuden, die bis zum 31. Dezember 1958, und anderen, die erst nach diesem Zeitpunkt errichtet worden sind. Bei den ersteren sind Absetzungen zugelassen, die sich aus einem bestimmten Prozentsatz der gesamten Bausumme, ohne Rücksicht auf ihre Höhe ergeben. Bei den letzteren werden dagegen Herstellungskosten nicht berücksichtigt, die den Betrag von 120 000 DM übersteigen. Diese Differenzierung ist jedoch nicht willkürlich. Der Gleichheitssatz nötigt den Gesetzgeber nicht, auf die Einführung eines Termins zu verzichten, bis zu dem die geplanten Bauvorhaben fertiggestellt sein mußten, damit die bisherigen Steuervergünstigungen noch in Anspruch genommen werden konnten.
§ 7b Abs. 1 Satz 5 EStG ist demnach mit dem Grundgesetz vereinbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1049567 |
BStBl I 1964, 539 |