Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidungserheblichkeit bei Gerichtsvorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Entscheidungserheblichkeit bei Gerichtsvorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG (hier: § 26c EStG 1957).
Normenkette
GG Art. 3, 100, 6; EStG § 26c
Tatbestand
I.
1. Nach der Übergangsregelung für die Ehegattenbesteuerung, die durch das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 848) eingeführt worden ist, werden Ehegatten grundsätzlich getrennt zur Einkommensteuer veranlagt (§ 26 Abs. 1 Satz 1); sie fallen dabei in die Steuerklasse I (§ 32a Satz 1). Auf Antrag werden sie zusammen veranlagt (§ 26 Abs. 1 Satz 2), wobei ihre Einkünfte zusammengerechnet werden (§ 26b) und die Steuerklasse II der Besteuerung zugrunde gelegt wird (§ 32). Entsprechend den für frühere Veranlagungszeiträume in Geltung gewesenen Vorschriften scheiden bestimmte Einkünfte aus der Zusammenveranlagung aus: nach § 26c für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1954 die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Ehefrau in einem dem Ehemann fremden Betrieb, es sei denn, daß die Ehegatten die Einbeziehung dieser Einkünfte in die Zusammenveranlagung beantragen. Bei der eingeschränkten Veranlagung nach § 26c fallen beide Ehegatten in die Steuerklasse II.
Die Bestimmungen über die Veranlagung von Ehegatten gelten nach Maßgabe näherer Vorschriften für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 (§ 26 Abs. 2).
Der Bundesminister der Finanzen hat auf Grund gesetzlicher Ermächtigung das Einkommensteuergesetz am 13. November 1957 in neuer Fassung bekanntgemacht – EStG 1957 – (BGBl I S. 1793).
2. Den Vorlagebeschlüssen liegen folgende Sachverhalte zugrunde:
Die Eheleute S. wurden für das Jahr 1951 auf Grund des § 26 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 17. Januar 1952 – EStG 1951 – (BGBl I S. 33) vom Finanzamt X. zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann, ein Verwaltungsoberinspektor i. R., bezog Ruhegehalt, seine Ehefrau hatte Einkünfte aus ihrem Einzelhandelsgeschäft. Nach erfolglosem Einspruch legten die Eheleute Berufung gegen ihre Zusammenveranlagung ein. Auf Antrag des Finanzgerichts München erklärte das Bundesverfassungsgericht im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG den § 26 EStG 1951 für nichtig (BVerfGE 6, 55).
Nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 26. Juli 1957 stellten die Eheleute S. Anträge, die dahin zu verstehen sind, sie in der Weise zusammen zu veranlagen, daß – über den Wortlaut des § 26c EStG 1957 hinaus – die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Ehemannes in einem der Ehefrau fremden Betrieb bei der Zusammenveranlagung ausscheiden. Sie sind der Auffassung, daß die einseitige Begünstigung von Einkünften der Ehefrau gegen das Grundgesetz verstoße.
- Der Rechtsbeistand und Steuerberater Z. aus Y. hatte in seiner Einkommensteuererklärung 1953 die getrennte Veranlagung seiner Einkünfte und der Einkünfte seiner Ehefrau aus nichtselbständiger Arbeit beantragt. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts war die Ehefrau im Büro, ihres Ehemannes tätig und ist hierfür entsprechend entlohnt worden. Das Finanzamt Y. veranlagte nach § 26 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 15. September 1953 (BGBl I S. 1355) die Eheleute Z. zusammen. Hiergegen legte Z. Sprungberufung ein. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 26. Juli 1957 beantragte er die Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau in der Weise, daß, ihr Arbeitseinkommen aus der Zusammenveranlagung ausscheiden sollte. Er ist der Auffassung, daß § 26c EStG 1957 verfassungswidrig sei, weil danach nur die Einkünfte der Ehefrau aus nichtselbständiger Arbeit in einem dem Ehemann fremden Betrieb aus der Zusammenveranlagung ausscheiden.
3. Nach Ansicht des Finanzgerichts München verstößt § 26c EStG 1957 gegen den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 (BVerfGE 6, 55) und verletzt Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 und 2 GG. Durch zwei Beschlüsse vom 29. April 1958 hat es die beiden Berufungsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Akten dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes für die Berufungsführer entweder die getrennte Veranlagung oder ihre vollständige Zusammenveranlagung (§ 26b EStG 1957) in Betracht komme. Zwar würden Ehegatten durch die getrennte Veranlagung nicht schlechter gestellt als Unverheiratete. Das Grundgesetz sei aber verletzt, weil § 26c EStG 1957 eine eingeschränkte Zusammenveranlagung nur zu Gunsten der Ehefrau vorsehe.
4. Der Bundesminister der Finanzen, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält die Vorlagen für unzulässig. Der Bayerische Ministerpräsident bezeichnet § 26c EStG 1957 als vereinbar mit dem Grundgesetz. Die Berufungsführer vor dem Finanzgericht halten die Vorschrift für verfassungswidrig.
Der Präsident des Bundesfinanzhofs hat zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 26c EStG 1957 Äußerungen des nach der Geschäftsordnung zur Entscheidung über die Sache zuständigen VI. Senats sowie des I. und IV. Senats vorgelegt. Die Senate sind übereinstimmend der Auffassung, daß die zur Prüfung stehende Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil kein zum Beitritt Berechtigter dem Verfahren beigetreten ist.
2. Die beiden Vorlagen des Finanzgerichts sind unzulässig, weil die Beschlüsse den Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG nicht entsprechen.
Nach Art. 100 Abs. 1 GG kann ein Gericht einen Normenkontrollantrag nur stellen, wenn es seine Entscheidung auf die Vorschrift ankommt, die nach seiner Ansicht verfassungswidrig ist. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit einer zur Prüfung gestellten Norm die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 7, 171 [175]). Dieser Grundsatz kann aber hier schon deshalb nicht Platz greifen, weil das Finanzgericht seine Auffassung über die Entscheidungserheblichkeit des § 26c EStG 1957 nicht dargelegt hat und weil sie auch nicht dem Zusammenhang der Gründe der Vorlagebeschlüsse entnommen werden kann.
Die Entscheidung des Finanzgerichts über die beiden Berufungen hängt nicht davon ab, ob die zur Prüfung stehende Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder nicht; denn den gestellten Anträgen kann das Finanzgericht weder in dem einen noch in dem anderen Fall entsprechen. Steht nämlich § 26c EStG 1957 mit dem Grundgesetz in Einklang, so sind die Eheleute nach § 26a EStG 1957 getrennt zu veranlagen, sofern sie nicht ihre (uneingeschränkte) Zusammenveranlagung beantragen. Ist dagegen § 26c EStG 1957 mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, so gilt dasselbe, weil die Vorschrift mit der Feststellung ihrer Nichtigkeit (§ 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG) nicht mehr anwendbar ist. Etwas anderes könnte dann gelten, wenn sich die Nichtigkeit auf einen Teil des § 26c EStG 1957 beschränken ließe und die Entscheidung des Finanzgerichts im Hinblick auf den verfassungsmäßigen Inhalt der Vorschrift dann anders lauten würde. Das ist aber nicht der Fall.
§ 26c EStG 1957 enthält eine einheitliche Regelung, die von der Zusammenrechnung sämtlicher Einkünfte der Ehegatten bei der Zusammenveranlagung (§ 26b) bestimmte Einkünfte der Ehefrau herausnimmt, und zwar nur Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit in einem dem Ehemann fremden Betrieb. Die Vorschrift differenziert also nach dem Geschlecht, nach der Einkunftsart und nach der Person des Arbeitgebers. Wenn diese Regelung, wie das Finanzgericht annimmt, gegen Art. 3 Abs. 1 und 2 sowie gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen sollte, so hätte dies die Nichtigkeit der Vorschrift im ganzen zur Folge, da sie sich nicht in Teilinhalte zerlegen läßt.
Sollte der Gesetzgeber durch eine der in § 26c EStG 1957 getroffenen Differenzierungen den allgemeinen Gleichheitssatz oder eine seiner Konkretisierungen verletzt haben, so könnte die Gleichheit nur dadurch wieder hergestellt werden, daß die Begünstigung auf den Ehemann und auf sämtliche Einkünfte der Ehefrau, einschließlich ihrer Einkünfte, aus nichtselbständiger Arbeit in einem Betrieb des Ehemannes ausgedehnt würde. Eine solche Entscheidung kann vom Bundesverfassungsgericht nicht getroffen werden, weil es hierdurch die Grenzen der rechtsprechenden Gewalt überschreiten und sich an die Stelle des Gesetzgebers setzen würde. Enthält nämlich eine Vorschrift unter Verletzung des Gleichheitssatzes eine begünstigende Regelung, so kann das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die Gleichheit nicht dadurch wieder herstellen, daß es selbst an Stelle des Gesetzgebers einen neuen Gesetzeswortlaut festlegt, der auch die nicht berücksichtigte Gruppe mit umfaßt (BVerfGE 8, 28 [36]). Denn der Gesetzgeber hätte möglicherweise § 26c EStG 1957 überhaupt nicht erlassen, wenn er bei dem Erlaß des Gesetzes vom 26. Juli 1957 die Möglichkeit eines Konflikts mit dem Gleichheitssatz erkannt hätte. Das Bundesverfassungsgericht würde unzulässigerweise in die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen, wenn es eine Einschränkung der Begünstigungsnorm aufheben und damit den Kreis der begünstigten Personen erweitern würde.
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage läßt sich schließlich nicht damit begründen, daß der Gesetzesgeber nach Feststellung der Nichtigkeit der zur Prüfung gestellten Norm zum Erlaß einer Regelung verpflichtet sei, die grundsätzlich dem § 26c EStG 1957 entspricht, die benachteiligenden Unterscheidungen aber beseitigt. Eine solche Verpflichtung des Gesetzgebers besteht nicht. Er kann dann frei darüber bestimmen, in welcher Weise er dem Gleichheitssatz Rechnung tragen will.
Fundstellen
Haufe-Index 1029488 |
BStBl I 1959, 208 |