Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfung der Entscheidungseheblichkeit einer Vorlagefrage. kein abgabenfreier Bezug von Schmierölen und Schmierstoffen für Schiffe von Seebestattungsunternehmen
Leitsatz (amtlich)
Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle geht das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit zwar von der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts aus, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist. Verfassungsrechtliche Vorfragen hingegen unterliegen in vollem Umfang der Prüfung und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Leitsatz (redaktionell)
1. § 25 Abs. 1 ZG vom 14. Juni 1961 (BGBl. I S. 737) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 1970 (BGBI. I S. 529) sowie § 7 Abs. 3 Satz 1 MinöStG vom 20. Dezember 1963 (BGBl. I S. 1004) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Oktober 1978 (BGBI. I S. 1669), geändert durch Gesetz vom 12. September 1980 (BGBI. I S. 1695), und § 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG vom 26. November 1979 (BGBl. I S. 1953), die letzteren in Verbindung mit § 25 Abs. 1 ZG verstoßen nicht gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
2. Der Ausschluß von Seebestattungsunternehmen vom abgabenfreien Bezug von Schmierölen und Schmierstoffen für ihre Schiffe ist verfassungskonform.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1 S. 2, Art. 100 Abs. 1; ZG § 25 Abs. 1 Fassung: 1970-05-18; MinöStG § 7 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1980-09-12; UStG § 5 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1979-11-26; AZO § 72 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1979-09-14; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Hamburg (Beschluss vom 16.09.1983; Aktenzeichen IV 77/82 S-H) |
Gründe
A.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob § 25 Abs. 1 Zollgesetz (ZG) vom 14. Juni 1961 (BGBl. I S. 737) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 1970 (BGBI. I S. 529) sowie § 7 Abs. 3 Satz 1 Mineralölsteuergesetz (MinöStG) vom 20. Dezember 1963 (BGBl. I S. 1004) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Oktober 1978 (BGBI. I S. 1669), geändert durch Gesetz vom 12. September 1980 (BGBI. I S. 1695), und § 5 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) vom 26. November 1979 (BGBl. I S. 1953), die letzteren in Verbindung mit § 25 Abs. 1 ZG, gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen.
I.
§ 24 ZG ermächtigt den Bundesminister der Finanzen, durch Rechtsverordnung Zollfreiheit für bestimmte Waren anzuordnen, soweit dadurch nicht unangemessene Zollvorteile entstehen (Außertarifliche Zollfreiheit). Darüber hinaus wird der Minister durch § 25 ZG in die Lage versetzt, durch Rechtsverordnung Zollfreiheit aus besonderen Gründen zu gewähren. § 25 Abs. 1 ZG lautet:
Der Bundesminister der Finanzen kann zur Förderung der Luftfahrt und der Schiffahrt durch Rechtsverordnung Betriebsstoffe auch in anderen Fällen als denen des § 24 vom Zoll befreien, wenn sie unter zollamtlicher Überwachung für Luftfahrzeuge oder Schiffe verwendet werden.
Auf diese Ermächtigung nehmen § 7 Abs. 3 Satz 1 MinöStG und § 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG Bezug:
§ 7 Abs. 3 Satz 1 MinöStG
Durch Rechtsverordnung kann, soweit dadurch nicht unangemessene Steuervorteile entstehen, Steuerfreiheit für Mineralöl unter den Voraussetzungen angeordnet werden, unter denen es bei einer Einfuhr in das Zollgebiet nach § 24 Abs. 1 oder nach § 25 Abs. 1 des Zollgesetzes vom Zoll befreit werden kann oder bisher befreit werden konnte.
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG
Der Bundesminister der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf,
- unter den sinngemäß anzuwendenden Voraussetzungen der §§ 24, 25 Abs. 1 und 3 und des § 40 des Zollgesetzes Steuerfreiheit oder Steuerermäßigung anordnen, soweit dadurch keine unangemessenen Steuervorteile entstehen.
- ….
II.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Firma X. Seebestattungsgesellschaft, begehrt die Aufhebung eines Bescheides des Beklagten, des Hauptzollamtes …l, vom 29. Dezember 1981. Mit dem Bescheid hatte der Beklagte eine Bewilligung vom 14. November 1975 widerrufen, die der Klägerin erlaubt hatte, Gasöl sowie Schmieröl und Schmierfett ohne Mengenbegrenzung zu Motorenantrieb, Heizen und Schmieren abgabenfrei an Bord der Motoryacht „Y” zu verwenden. Diese Abgabenvergünstigung stützte sich auf § 72 Abs. 1 Allgemeine Zollverordnung (AZO) i.d.F. vom 14. September 1979 (BGBl. I S. 1589), § 1 Abs. 1 Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsordnung (EUStBefrO) sowie § 9 Abs. 2 Mineralölsteuer-Durchführungsverordnung (MinöStDV). Den Widerruf der Erlaubnis begründete der Beklagte mit der am 1. Januar 1982 in Kraft tretenden Neufassung des § 72 Abs. 1 AZO (im folgenden: AZO 1982), wonach Schiffsbetriebsstoffe für Seebestattungsunternehmen nicht mehr abgabenfrei verwendet werden dürfen.
§ 72 Abs. 1 AZO lautete in der Neufassung durch die Verordnung vom 9. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1377):
Betriebsstoffe für Schiffe
(1) Zollfrei sind unter zollamtlicher Überwachung Schweröle und Schmierstoffe, die ausschließlich auf in der gewerblichen Schiffahrt und bei damit verbundenen Hilfstätigkeiten wie Lotsen-, Schlepper- und ähnlichen Diensten oder im Werkverkehr eingesetzten Schiffen, auf Behörden- und Kriegsschiffen, auf Schiffen des Seenotrettungsdienstes sowie auf Schiffen der Haupterwerbsfischerei zum Motorenantrieb, zum Heizen oder zum Schmieren verwendet werden. Das gilt nicht für
- Hotelschiffe, Wohnschiffe, Therapieschiffe, Schiffe von Schiffsfotografen, Schiffsmalern, Bestattungsunternehmen und zu ähnlichen Zwecken eingesetzte Schiffe,
- schwimmende Arbeitsgeräte wie Bagger, Kräne und Getreideheber,
Wasserfahrzeuge, die
- zur wassersportlichen Schulung eingesetzt sind, wie Schiffe von Yacht-, Navigations-, Tauch- und anderen Wassersportschulen,
- zur Ausübung des Wassersports einem Dritten überlassen werden, ohne Rücksicht darauf, von wem sie geführt werden.
2. Nach Ansicht der Klägerin verletzt der Ausschluß von Seebestattungsunternehmen aus der Abgabenbegünstigung für Schiffsbetriebsstoffe durch § 72 Abs. 1 AZO 1982 den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Seebestattungsunternehmen beförderten gewerblich Personen und Güter auf See und unterschieden sich damit nicht von sonstigen Schiffahrtsunternehmen, die Güter oder Personen beförderten.
Der Beklagte hält § 72 Abs. 1 AZO 1982 für verfassungsgemäß. Der Bundesminister der Finanzen begründete in einer Stellungnahme im Ausgangsverfahren den Ausschluß von Seebestattungsunternehmen aus dem begünstigten Bereich der typischen gewerblichen Schiffahrt damit, daß in Landfahrzeugen, die bei Bestattungen eingesetzt würden, ebenfalls nur belastete Mineralöle verwendet werden dürften und daß der Unternehmenszweck von Seebestattungsunternehmen mit dem eines Schiffahrtsunternehmens nicht übereinstimme.
3. Das Finanzgericht Hamburg hat das Verfahren durch Beschluß vom 16. September 1983 – berichtigt durch Beschluß vom 12. Dezember 1984 – gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften der §§ 25 Abs. 1 ZG, 7 Abs. 3 Satz 1 MinöStG und 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG, die letzteren in Verbindung mit § 25 Abs. 1 ZG, insofern gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verstießen, als in ihnen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung nicht bestimmt seien.
a) Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlage hat das Gericht ausgeführt:
(1) Wenn die genannten Bestimmungen verfassungsgemäß seien, sei der Klage stattzugeben. Zwar sei dann für § 72 Abs. 1 AZO 1982 eine wirksame Ermächtigungsgrundlage vorhanden, so daß die Klägerin nach dem Wortlaut des § 72 Abs. 1 AZO 1982 von dem steuerbegünstigten Bezug von Schmierölen und Schmierstoffen für ihr Schiff ausgeschlossen wäre. Dieser Ausschluß verstoße aber mangels eines sachlich einleuchtenden Grundes gegen Art. 3 Abs. 1 GG mit der Folge, daß das Gericht berechtigt sei, die Steuerbegünstigung auf Schiffsbetriebsstoffe für Schiffe von Seebestattungsunternehmen zu erstrecken.
Bei Transportleistungen der Seebestattungsunternehmen handele es sich wie bei den durch § 72 Abs. 1 AZO 1982 begünstigten Unternehmen um gewerbliche Schiffahrt. Der Vergleich mit Landbestattungsunternehmen gehe bereits deshalb fehl, weil der Zweck der Ermächtigungsnorm gerade darin bestehe, Seetransporte gegenüber Landtransporten steuerlich zu begünstigen. Da der Verordnungsgeber sich entschieden habe, die gewerbliche Schiffahrt zu begünstigen und Gründe für eine Ungleichbehandlung von Seebestattungsunternehmen nicht erkennbar seien, erfordere die Systematik die Einbeziehung der Seebestattungsunternehmen in die Begünstigungsnorm.
Das Gericht könne die Vergünstigung auch entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch eine eigene Entscheidung auf die Seebestattungsunternehmen erstrecken; denn es sei mit Sicherheit davon auszugehen, daß der Verordnungsgeber – bei Kenntnis des Verstoßes gegen Art. 3 GG – die Vergünstigung auf Seebestattungsunternehmen erstreckt hätte.
(2) Dagegen müsse das Gericht im Falle der Ungültigkeit der Ermächtigungsnormen die Klage abweisen, weil es an einer gültigen Ermächtigungsgrundlage für die einschlägigen Rechtsverordnungen fehle.
b) Die Verfassungswidrigkeit der §§ 25 Abs. 1 ZG, 7 Abs. 3 Satz 1 MinöStG und 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG – die letzteren in Verbindung mit § 25 Abs. 1 ZG – ergebe sich aus folgenden Erwägungen:
(1) § 25 Abs. 1 ZG lasse dem Verordnungsgeber einen zu weiten Spielraum hinsichtlich der Begriffe Schiffahrt und Betriebsstoffe. Schiffahrt könne neben der gewerblichen Schiffahrt auch die privat genutzten Schiffe umfassen. Das zeige sich u.a. daran, daß § 72 AZO bis 1979 auch privat genutzte Schiffe erfaßt habe. Weiter überlasse die Ermächtigungsnorm dem Verordnungsgeber die Entscheidung, ob nur Dieselkraftstoff oder auch Benzin abgabenfrei verwendet werden dürfe. Gerade im Bereich des Schiffsverkehrs im Zollgebiet – eine Ermächtigung für die Zollbefreiung des grenzüberschreitenden Schiffsverkehrs enthalte § 24 Abs. 1 Nr. 1c ZG – eröffne sich für den Verordnungsgeber ein unbeschränkter Spielraum für die Ausgestaltung der Steuervergünstigung. Schließlich fehle es in der Ermächtigungsnorm auch an einem Programm, in welchem Umfang Steuervergünstigungen gewährt werden sollten.
Diese Einwände gälten auch für § 7 Abs. 3 Satz 1 MinöStG und § 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Dem Verordnungsgeber werde in § 7 Abs. 3 Satz 1 MinöStG zudem kein Rahmen für seine Entscheidung gesteckt, wann ein Steuervorteil unangemessen sei.
(2) Wegen dieser Unbestimmtheit verstießen die Ermächtigungsnormen gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wie ihn das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 20. Oktober 1981 interpretiert habe (BVerfGE 58, 257 ≪277≫). Sie genügten zudem nicht dem Vorbehalt des Gesetzes im Sinne der Wesentlichkeitstheorie. Diese müsse auch für den Bereich der Steuervergünstigungen Anwendung finden. Das ergebe sich sowohl aus Art. 110 Abs. 1 und 2 GG als auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, dem Demokratieprinzip und dem Parlamentsvorbehalt für die staatliche Wirtschaftsführung. Außerdem bedeute jede Steuervergünstigung für eine Gruppe von Steuerpflichtigen bei einem im wesentlichen als feststehend zu erachtenden staatlichen Mittelbedarf eine zusätzliche Belastung der übrigen Steuerpflichtigen.
III.
Zu dem Vorlagebeschluß haben sich der Bundesminister der Finanzen namens Bundesregierung und der Bundesfinanzhof geäußert. Sie halten die Ermächtigungsnormen für verfassungsmäßig.
1. a) Der Bundesminister der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig, weil der Ausgang des Prozesses vor dem Finanzgericht Hamburg von der Gültigkeit oder Ungültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsnorm nicht abhänge. Zwar sei für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage grundsätzlich der Rechtsstandpunkt des vorlegenden Gerichts maßgeblich; anders verhalte es sich jedoch dann, wenn diese Rechtsauffassung wie hier offensichtlich unhaltbar sei. Offensichtlich unhaltbar sei sowohl die Auffassung, es gebe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG keine sachlich einleuchtenden Gründe dafür, die Betriebsstoffe für Schiffe von Seebestattungsunternehmen von der Abgabenfreiheit des § 72 Abs. 1 Satz 1 AZO 1982 auszunehmen, als auch die Auffassung, das Finanzgericht sei befugt, bei Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG von sich aus die Befreiung des § 72 Abs. 1 Satz 1 AZO 1982 auf Seebestattungsunternehmen zu erstrecken.
Der vom Verordnungsgeber vorgenommenen Differenzierung liege der sachlich einleuchtende, mit der hier interessierenden Ermächtigungsnorm seit jeher verfolgte Zweck zugrunde, Abgabenbefreiung nur zu gewähren, wenn sich anderenfalls Wettbewerbsverzerrungen zwischen der in- und ausländischen Schiffahrt ergäben. Bei Seebestattungsunternehmen und den anderen nach § 72 Abs. 1 Satz 2 AZO 1982 von der Abgabenbefreiung ausgenommenen Schiffsverwendungen fehle typischerweise die Konkurrenz mit ausländischen Schiffahrtsunternehmen. Der Tätigkeitsbereich dieser Unternehmen konzentriere sich weitgehend auf bestimmte heimische Standorte.
Das Finanzgericht könne die Befreiung des § 72 Abs. 1 Satz 1 AZO 1982 schon deshalb nicht entsprechend der von ihm herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – deren Übertragbarkeit auf Fachgerichte offen bleiben könne – auf Seebestattungsunternehmen erstrecken, weil nicht ein Unterlassen, sondern ein auf den Ausschluß von Bestattungsunternehmen gerichtetes aktives Tun des Verordnungsgebers zu der vom Finanzgericht beanstandeten Regelung geführt habe. Ebensowenig könne unterstellt werden, daß der Verordnungsgeber die Abgabenbefreiung mit Sicherheit auf Seebestattungsunternehmen erstreckt hätte, wenn er Kenntnis von dem angeblichen Verfassungsverstoß gehabt hätte.
b) Der Bundesminister der Finanzen hält die Vorlage auch für unbegründet. Das „Programm” und die inneren Grenzen der dem Verordnungsgeber eingeräumten Regelungsbefugnis ergäben sich aus der seit jeher maßgebenden gesetzgeberischen Zielsetzung der Abgabenfreiheit für Schiffsbetriebsstoffe: der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen in- und ausländischer gewerblicher Schiffahrt als Folge unterschiedlicher Abgabenbelastung. Nach Grund und Höhe unangemessen seien Steuervorteile, die sich weder mit der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen in- und ausländischer Schiffahrt noch mit dem Erfordernis verwaltungspraktikabler und deshalb typisierender Regelung rechtfertigen ließen.
Es spreche auch nicht gegen die Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage, daß der Verordnungsgeber die private Sport- und Erholungsschiffahrt erst 1979 von der Abgabenbefreiung ausgenommen habe. Diese konkretisierende Eingrenzung sei vielmehr auf die gewachsene wirtschaftliche Bedeutung der privaten Schiffahrt zurückzuführen. Die Notwendigkeit mehrfacher Änderungen der Allgemeinen Zollordnung mache deutlich, daß hier im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein vielgestaltiger, häufigen Änderungen unterworfener Sachverhalt vorliege. In solchen Fällen seien bisher geringere Anforderungen an die Bestimmtheit von Verordnungsermächtigungen gestellt worden.
Zudem seien die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Ermächtigung von der Grundrechtsrelevanz der Regelung abhängig: Bei Ermächtigungen zu steuerbegünstigenden Verwaltungsakten seien die Anforderungen an das Maß der gesetzlichen Bestimmtheit geringer als bei Eingriffsermächtigungen.
2. Nach Auffassung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs entsprechen die streitigen Ermächtigungsnormen den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Intensität und Grundrechtsrelevanz der in Frage kommenden Maßnahmen hätten keinen hohen Stellenwert. Beziehe sich zudem eine Ermächtigung wie im vorliegenden Fall auf einen Sachbereich, der bereits durch eine Verordnung geregelt gewesen sei, so gehe der Gesetzgeber, wenn er nichts anderes zum Ausdruck bringe, in der Regel davon aus, daß der Verordnungsgeber sich an den bisherigen Grundsätzen orientieren werde. Es entspreche internationalem Brauch und dem Gesichtspunkt der Praktikabilität, daß Seeschiffe ihre Betriebsstoffe abgabenfrei bunkern könnten. Daraus und aus der Entstehungsgeschichte des § 25 Abs. 1 ZG ergäben sich mit hinreichender Deutlichkeit Ziel und Programm der Ermächtigung: Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und praktikable Regelungen zu erhalten, habe weitgehend Abgabenfreiheit gewährt werden sollen. Andererseits habe die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers nur in dem Umfang durchbrochen werden sollen, der nach den erwähnten Umständen unumgänglich sei, um unangemessene Steuervorteile zu vermeiden.
Für die Ausgestaltung der Regelung im einzelnen stehe dem Verordnungsgeber ein relativ großer Ermessensspielraum zur Verfügung. Das gelte um so mehr, als geringere Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung zu stellen seien, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – um vielgestaltige, sich häufig ändernde Sachverhalte handele.
B.
Die Vorlage ist unzulässig.
I.
Da das Verfahren der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Ziel dient, eine verfassungsmäßige Entscheidung in einem konkreten Rechtsstreit zu gewährleisten, muß die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm entscheidungserheblich sein. Bei der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit geht das Bundesverfassungsgericht regelmäßig von der Rechtsauffassung aus, die das vorlegende Gericht in der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erforderlichen Begründung dargelegt hat. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts offensichtlich unhaltbar ist oder wenn sie von der Beurteilung verfassungsrechtlicher Fragen abhängt. Verfassungsrechtliche Vorfragen unterliegen in vollem Umfang der Prüfung und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 46, 268 E2843; 48, 29 1381; 63, 1 ≪27≫).
II.
1. Das vorlegende Gericht hat die Entscheidungserheblichkeit seiner Vorlage damit begründet, daß der Ausschluß von Seebestattungsunternehmen vom abgabenfreien Bezug von Schmierölen und Schmierstoffen für ihre Schiffe mangels eines sachlich einleuchtenden Grundes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Hierbei handelt es sich um die Beurteilung einer verfassungsrechtlichen Frage, die in vollem Umfang der Prüfung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt.
a) Nach Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber zwar gehalten, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart verschieden zu behandeln. Hierbei verbleibt ihm aber ein weiter Gestaltungsspielraum. Dessen Grenzen sind erst überschritten, wenn für die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind (vgl. BVerfGE 38, 1 ≪17≫; 46, 50 ≪62≫; 50, 142 ≪162≫).
Dieser Maßstab gilt für die normsetzende Exekutive entsprechend, wenn auch der dem Verordnungsgeber zukommende Gestaltungsspielraum enger ist, weil nur in dem von der gesetzlichen Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen gegeben (Art. 80 Abs. 1 GG). In diesem Rahmen muß er nach dem Gleichheitssatz im wohlverstandenen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung handeln und hat sich von sachfremden Erwägungen freizuhalten (BVerfGE 58, 68 ≪79≫; st. Rspr.).
b) Die vom vorlegenden Gericht beanstandete Vorschrift des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AZO 1982 wird diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben gerecht. Ihre sachliche Rechtfertigung ergibt sich aus der verfassungsrechtlich unbedenklichen Zielsetzung der Gesamtregelung des § 72 AZO 1982, mit der sie in Einklang steht:
Der Abgabenbefreiung des § 72 AZO 1982 liegt entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Hamburg nicht der Zweck zugrunde, Seetransporte gegenüber Landtransporten zu begünstigen. Die Regelung verfolgt vielmehr – wie der Bundesminister der Finanzen in seiner Äußerung zum Vorlagebeschluß dargelegt hat – den Zweck, Wettbewerbsverzerrungen zwischen in- und ausländischer Schiffahrt zu vermeiden. Dieser Zweck ergibt sich aus der Fassung des Ausnahmetatbestandes des § 72 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AZO 1982: Neben den Seebestattungsunternehmen sind dort unter anderem Hotelschiffe, Wohnschiffe, Therapieschiffe, Schiffe von Schiffsfotografen, schwimmende Arbeitsgeräte und Wasserfahrzeuge, die zur wassersportlichen Schulung eingesetzt sind oder zur Ausübung des Wassersports einem Dritten überlassen werden, als von der Zollbefreiung ausgenommen aufgeführt. Sie alle stehen nicht mit ausländischer Konkurrenz im Wettbewerb und können insoweit nicht Opfer von Wettbewerbsverzerrungen werden.
Der mit dieser Regelung vom Verordnungsgeber verfolgte Zweck ist keineswegs willkürlich; er liegt auch im Rahmen seiner gegenüber der des Gesetzgebers begrenzteren Gestaltungsfreiheit und ist sachlich einleuchtend. Der Verordnungsgeber hat ihn auch sachgerecht durchgeführt. Diesem Zweck fügt sich ein, auch Seebestattungsunternehmen von der Abgabenbefreiung auszuschließen.
2. Verstößt der Ausschluß von Seebestattungsunternehmen von der Abgabenbefreiung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, entfällt auch die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage. Das Finanzgericht muß die Klage unabhängig von der Gültigkeit der vorgelegten Ermächtigungsnormen in jedem Fall abweisen, weil es an einer Rechtsgrundlage für eine Abgabenbefreiung der Klägerin fehlt.
Fundstellen
Haufe-Index 1586435 |
BVerfGE, 150 |
BVerfGE, 161 |