Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit, Körperschaftsteuer-Vorauszahlung, Besteuerungsoption, Dividendenausschüttung, Tochtergesellschaft, EU-Auslandsmuttergesellschaft, Niederlassungsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
1.Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) steht steuerrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats wie denen der Ausgangsverfahren entgegen, die den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften die Möglichkeit geben, für eine Besteuerungsregelung zu optieren, kraft deren sie auf Dividenden, die sie ihrer Muttergesellschaftzahlen, keine Körperschaftsteuer-Vorauszahlung entrichten müssen, wenn die Muttergesellschaft ebenfalls in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässig ist, wohl aber dann, wenn sie ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.
2.Ist eine in einem Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft verpflichtet, für die ihrer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft gezahlten Dividenden eine Körperschaftsteuer-Vorauszahlung zu entrichten, während die Tochtergesellschaften von im ersten Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaften unter vergleichbaren Umständen für eine Besteuerung optieren konnten, die sie von dieser Verpflichtung befreit, so müssen die gebietsansässigen Tochtergesellschaften und ihre gebietsfremden Muttergesellschaften nach Artikel 52 EG-Vertrag über einen effektiven Rechtsbehelf verfügen, um Erstattung oder Entschädigung für die durch die Steuervorauszahung der Tochtergesellschaften entstandene finanzielle Einbuße zu erlangen, der ein entsprechender Vorteil des betreffenden Mitgliedstaats gegenübersteht.
Es stellt für sich allein keinen Grund dar, diesen Rechtsbehelf abzuweisen, dass er allein die Zahlung der Zinsen zum Gegenstand hat, die die durch die fehlende Verfügbarkeit der vorzeitig gezahlten Beträge entstandene finanzielle Einbuße ausmachen.
Mangels einer Gemeinschaftsregelung ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der betreffenden Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten derartiger Rechtsbehelfe einschließlich von Nebenfragen wie der Zahlung von Zinsen zu regeln. Jedoch dürfen solche Vorschriften die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
3.Das Gemeinschaftsrecht verbietet es dem nationalen Gericht, einen Anspruch, den eine gebietsansässige Tochtergesellschaft und ihre gebietsfremde Muttergesellschaft bei ihm auf Erstattung oder Entschädigung für die finanzielle Einbuße geltend gemacht haben, die sie wegen der Körperschaftsteuer-Vorauszahlung der Tochtergesellschaft erlitten haben, allein deshalb zurückzuweisen oder zu kürzen, weil diese Gesellschaften bei den Steuerbehörden die Anwendung der Besteuerungsregelung, kraft deren die Tochtergesellchaft von der Verpflichtung zur Vorauszahlung befreit gewesen wäre, nicht beantragt und somit die ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ausgeschöpft haben, um unter Berufung auf den Vorrang und die unmittelbare Wirkung des Gemeinschaftsrechts gegen die ablehnenden Entscheidungen der Steuerbehörden vorzugehen, obwohl das nationale Recht die gebietsansässigen Tochtergesellschaften und ihre gebietsfremden Muttergesellschaften sowieso von dieser Besteuerungsregelung ausschloss.
Normenkette
EG Art. 12 (früher Art. 6 EGVtr), Art. 43 (früher Art. 52 EGVtr); EGVtr Art. 48, 56 (jetzt Art. 46 EG)
Beteiligte
Metallgesellschaft Ltd u. a |
Commissioners of Inland Revenue |
Tatbestand
Niederlassungsfreiheit - Freier Kapitalverkehr - Körperschaftsteuer-Vorauszahlung auf die Gewinne, die eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausschüttet - Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat - Verletzung des Gemeinschaftsrechts - Erstattungsklage oder Schadensersatzklage - Zinsen
In den verbundenen Rechtssachen C-397/98 und C-410/98
betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Metallgesellschaft Ltd u. a. (C-397/98),
Hoechst AG,
Hoechst (UK) Ltd (C-410/98)
gegen
Commissioners of Inland Revenue,
HM Attorney General
vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 6 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 43 EG), 58 EG-Vertrag (jetzt Artikel 48 EG) und/oder 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. La Pergola sowie der Richter M. Wathelet (Berichterstatter), D. A. O. Edward, P. Jann und L. Sevón,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-der Metallgesellschaft Ltd u. a., vertreten durch J. Gardiner, QC, und F. Fitzpatrick, barrister, beauftragt durch Slaughter and May, solicitors
-der Hoechst AG und der Hoechst (UK) Ltd, vertreten durch M. Barnes, QC, ...