Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung der Wertsteigerung von Wertpapieren, Steuerflucht, Wohnsitzverlagerung ins Ausland, Niederlassungsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
Der in Artikel 52 EG-Vertrag verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Vorbeugung gegen die Steuerflucht eine Regelung wie die in Artikel 167bis CGI vorgesehene einzuführen, wonach latente Wertsteigerungen besteuert werden, wenn ein Steuerpflichtiger seinen steuerlichen Wohnsitz ins Ausland verlegt.
Normenkette
EG Art. 43 (früher Art. 52 EGVtr); EWGVtr Art. 52
Beteiligte
Hughes de Lasteyrie du Saillant |
Ministère de l'Économie, des Finances et de l'Industrie |
Verfahrensgang
Conseil d' Etat (Frankreich) (Entscheidung vom 14.12.2001) |
Tatbestand
"Niederlassungsfreiheit - Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) - Steuerrecht - Verlegung des steuerlichen Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat - Modalitäten der Besteuerung der Wertsteigerungen von Wertpapieren"
In der Rechtssache C-9/02
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom französischen Conseil d'État in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Hughes de Lasteyrie du Saillant
gegen
Ministère de l'Économie, des Finances et de l'Industrie
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer),
unter Mitwirkung des Richters C.W.A.Timmermans (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter A.La Pergola und S.von Bahr,
Generalanwalt: J.Mischo,Kanzler: H.A.Rühl, Hauptverwaltungsrat,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-
von Hughes de Lasteyrie du Saillant, vertreten durch E.Ginter, avocat,
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der französischen Regierung, vertreten durch G.de Bergues, F.Alabrune und P.Boussaroque als Bevollmächtigte,
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der dänischen Regierung, vertreten durch J.Bering Liisberg als Bevollmächtigten,
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der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D.Plessing und M.Lumma als Bevollmächtigte,
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der niederländischen Regierung, vertreten durch H.G.Sevenster als Bevollmächtigte,
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der portugiesischen Regierung, vertreten durch L.Fernandes und A.Seiça Neves als Bevollmächtigte,
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der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R.Lyal und C.Giolito als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Hughes de Lasteyrie du Saillant, vertreten durch E.Ginter und B.Michaud, avocats, der französischen Regierung, vertreten durch P.Boussaroque und J.-L.Gautier als Bevollmächtigte, der niederländischen Regierung, vertreten durch S.Terstal als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch R.Lyal und C.Giolito, in der Sitzung vom 13. Februar 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. März 2003,
folgendes
Urteil
1
Der Conseil d'État hat mit Entscheidung vom 14. Dezember 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Januar 2002, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Hughes de Lasteyrie du Saillant (im Folgenden: Kläger) und dem Ministère de l'Économie, des Finances et de l'Industrie (Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Industrie) wegen der Besteuerung noch nicht realisierter Wertsteigerungen von Wertpapieren, die erfolgt, wenn ein Steuerpflichtiger seinen steuerlichen Wohnsitz ins Ausland verlegt.
Rechtlicher Rahmen
3
Artikel 24 der Loi Nr. 98/1266 portant loi de finances pour 1999 (Finanzgesetz für 1999) vom 30. Dezember 1998 (JORF vom 31.Dezember 1998, S.20050) bestimmt in seiner zum Zeitpunkt des Erlasses des Décret Nr. 99-590 portant application de l'article 24 de la loi de finances pour 1999 relatif aux modalités d'imposition de certaines plus-values de valeurs mobilières en cas de transfert du domicile fiscal hors de France (Dekret zur Durchführung von Artikel 24 des Finanzgesetzes für 1999 über die Modalitäten der Besteuerung bestimmter Wertsteigerungen von Wertpapieren bei der Verlegung des steuerlichen Wohnsitzes ins Ausland) vom 6. Juli 1999 (JORF vom 13.Juli 1999, S.10407) geltenden Fassung:
"I. …
II. Folgender Artikel 167bis wird in den Code général des impôts eingefügt:
'Artikel 167bis
I.-1. Steuerpflichtige, die ihren steuerlichen Wohnsitz während der letzten zehn Jahre mindestens sechs Jahre in Frankreich hatten, werden zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, hinsichtlich der Wertsteigerungen besteuert, die für ihre in Artikel 160 genannten Gesellschaftsrechte festgestellt wurden.
2. Die festgestellte Wertsteigerung wird bestimmt aus der Differenz zwischen dem nach den Vorschriften der Artikel 758 und 855 Tbis ermittelten Wert der Gesellschaftsrechte im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland und dem vom Steuerpflichtigen entrich...