Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, Wärmelieferung, Leistungen von Wohnungseigentümergemeinschaften an ihre Mitglieder
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 135 Abs. 1 Buchst. l
Beteiligte
Finanzamt Villingen-Schwenningen |
Verfahrensgang
Tenor
Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Lieferung von Wärme durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft an die Eigentümer, die Mitglieder dieser Gemeinschaft sind, von der Mehrwertsteuer befreit ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 12. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2019, in dem Verfahren
WEG Tevesstraße
gegen
Finanzamt Villingen-Schwenningen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer, der Richter N. Wahl und F. Biltgen (Berichterstatter) sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und L. Mantl als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. September 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 (ABl. 2010, L 10, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft WEG Tevesstraße (im Folgenden: WEG Tevesstraße), bestehend aus einer GmbH, einer Behörde sowie einer Gemeinde, und dem Finanzamt Villingen-Schwenningen (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt) wegen der Festsetzung des für das Jahr 2012 vorgenommenen Vorsteuerabzugs betreffend die Anschaffungs- und Betriebskosten eines Blockheizkraftwerks.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt”.
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rz. 5
In Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Als ‚Lieferung von Gegenständen’ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.”
Rz. 6
Art. 15 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt sind Elektrizität, Gas, Wärme oder Kälte und ähnliche Sachen.”
Rz. 7
Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
l) Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.”
Rz. 8
Art. 136 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
- die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine auf Grund der Artikel 132, 135, 371, 375, 376, 377, des Artikels 378 Absatz 2, des Artikels 379 Absatz 2 sowie der Artikel 380 bis 390 von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Recht auf Vorsteuerabzug bestanden hat;
- die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung gemäß Artikel 176 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war.”
Deutsches Recht
Rz. 9
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I, S. 386) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: UStG) bestimmt:
„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. Die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt...