Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzüberschreitende Personenbeförderungen. ausländische Unternehmer. Vereinfachung der Steuererhebung. Verzicht auf Steuererhebung bei einem Jahresumsatz bis 22.000 Euro. Österreich. Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie. Vereinfachte Modalitäten für die Besteuerung und Steuererhebung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 18 Absätze 1 Buchstabe a und 2 sowie 22 Absätze 3 bis 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verstoßen, dass sie nicht in Österreich ansässigen Steuerpflichtigen, die Personenbeförderungen in Österreich durchführen, gestattet, keine Steuererklärungen einzureichen und den Netto-Mehrwertsteuerbetrag nicht zu zahlen, wenn ihr in Österreich erzielter Jahresumsatz unter 22 000 Euro liegt, in diesem Fall davon ausgeht, dass der Betrag der geschuldeten Mehrwertsteuer gleich dem der abziehbaren Mehrwertsteuer ist, und die Anwendung der vereinfachten Regelung dadurch bedingt hat, dass diese Steuer in den Rechnungen oder in den an ihre Stelle tretenden Dokumenten nicht ausgewiesen wird.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Republik Österreich trägt die Kosten des Verfahrens.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2, Art. 22 Abs. 3-5
Beteiligte
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Personenbeförderung tätige Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ‐ In Österreich erzielter Jahresumsatz, der 22 000 Euro nicht übersteigt ‐ Vereinfachte Modalitäten für die Besteuerung und Steuererhebung“
In der Rechtssache C-128/05
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 18. März 2005,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Republik Österreich, zunächst vertreten durch H. Dossi, dann durch M. Fruhmann als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J.-P. Puissochet, A. Borg Barthet (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. April 2006
folgendes
Urteil
1
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragt mit ihrer Klage die Feststellung, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 2, 6, 9 Absatz 2 Buchstabe b, 17, 18 und 22 Absätze 3 bis 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) verstoßen hat, dass sie nicht in Österreich ansässigen Steuerpflichtigen, die Personenbeförderungen in Österreich durchführen, gestattet, keine Steuererklärungen einzureichen und den Netto-Mehrwertsteuerbetrag nicht zu zahlen, wenn ihr in Österreich erzielter Jahresumsatz unter 22 000 Euro liegt, in diesem Fall davon ausgeht, dass der Betrag der geschuldeten Mehrwertsteuer gleich dem der abziehbaren Mehrwertsteuer ist, und die Anwendung der vereinfachten Regelung dadurch bedingt hat, dass diese Steuer in den Rechnungen oder in den an ihre Stelle tretenden Dokumenten nicht ausgewiesen wird.
Rechtlicher Rahmen
Die Sechste Richtlinie
2
Nach Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen alle Dienstleistungen, die in einem Mitgliedstaat gegen Entgelt ausgeführt werden, der Mehrwertsteuer.
3
Nach Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie gilt „[a]ls Dienstleistung … jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist“.
4
Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe b dieser Richtlinie bestimmt, dass „als Ort einer Beförderungsleistung der Ort [gilt], an dem die Beförderung nach Maßgabe der zurückgelegten Beförderungsstrecke jeweils stattfindet“.
5
Die Artikel 17 und 18 der Sechsten Richtlinie legen die Regeln für die Entstehung, den Umfang und die Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug fest, das der Grundpfeiler des Mehrwertsteuersystems ist.
6
Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a sieht des Näheren vor, dass der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, „über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen“ muss. Nach Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 wird „[d]er Vorsteuerabzug … vom Steue...