Entscheidungsstichwort (Thema)
Drei-Tages-Frist nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO greift nicht ein, wenn Aufgabe zur Post nicht mit Ausgangsvermerk des FA übereinstimmt
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Begründundung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO reicht ein abweichender Eingangsvermerk allein nicht aus.
2. Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO greift nicht ein, wenn fest steht, dass die Sendung nicht am Tag des Ausgangsvermerks des FA, sondern erst am Folgetag durch einen privaten Briefdienstleister der Deutschen Post AG übergeben wurde.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 47 Abs. 1 S. 2, § 96 Abs. 1, § 97
Tenor
1. Die Klage ist rechtzeitig erhoben worden.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Tatbestand
Durch Zwischenurteil ist zu klären, ob die Anfechtungsklage innerhalb der Klagefrist erhoben wurde.
Die Klägerin ist eine ein Baugewerbe betreibende Kommanditgesellschaft.
Aufgrund einer Betriebsprüfung änderte der Beklagte (das Finanzamt – FA) mit Bescheiden vom 20. April 2011 die von der Klägerin angefochtenen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 2005 bis 2007, die Gewerbesteuermessbescheide 2005 bis 2007 und die Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2005 und zum 31. Dezember 2006.
Am 11. April 2011 erließ das FA ferner für 2008 einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15 Abs. 4 EStG.
Am 17. Mai 2011 legte die Klägerin gegen die Bescheide wegen
- gesonderter und einheitlicher Feststellung der Einkünfte 2005 bis 2008,
- gesonderter Feststellung der vortragsfähigen Gewerbeverluste zum 31. Dezember 2005 und zum 31. Dezember 2006 sowie
- Gewerbesteuermessbetrag 2005 und 2006
Einsprüche ein.
Mit am gleichen Tag formlos zur Post gegebener und an den Bevollmächtigten der Klägerin adressierter einheitlicher Einspruchsentscheidung vom 11. August 2011 wies das FA die Einsprüche als unzulässig (Gewerbesteuermessbescheid 2005) bzw. unbegründet (alle anderen Bescheide) zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde nach dem durch Namenzeichen des Bearbeiters bestätigten Absendevermerk am 11. August 2011 zur Post aufgegeben. Ausweislich eines handschriftlichen Vermerks auf der dem Gericht in Kopie vorgelegten Einspruchsentscheidung vom 11. August 2011 („Eing. 16. August 2011”) sei diese dem Bevollmächtigten der Klägerin am 16. August 2011 zugegangen.
Mit Fax-Schreiben vom 16. September 2011 erhob die Klägerin Anfechtungsklage gegen die Bescheide wegen
- Gewerbesteuermessbetrag 2006,
- gesonderter und einheitlicher Feststellung der Einkünfte 2005 bis 2008 sowie
- gesonderter Feststellung der vortragsfähigen Gewerbeverluste zum 31. Dezember 2005 und zum 31. Dezember 2006,
die sie mit Schreiben vom 21. November 2011 begründete.
Das FA tritt der Klage entgegen. Zur Begründung trägt es mit Schriftsatz vom 16. Januar 2012 vor, die Klage sei unzulässig, weil sie nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden sei.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2012 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die Übernahme der anwaltlichen Vertretung der Klägerin. Am 13. Dezember 2012 wurde ihm antragsgemäß Akteneinsicht gewährt.
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2011 2 V 3348/11 hat der Senat den Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide als unzulässig abgelehnt.
Am 17. Januar 2013 führte der Berichterstatter einen Erörterungstermin durch, an dem weder die Klägerin noch ihr Prozessbevollmächtigter teilnahmen. Der Beklagte übergab eine Sendungsübersicht der Firma X, nach dem die Einspruchsentscheidung am 11. August 2012 bei X eingegangen ist. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 29. Januar 2013 ließ die Klägerin ausführen, der Zeitpunkt der Zustellung der Einspruchsentscheidung könne vom Beklagten nicht nachgewiesen werden. Es spreche viel dafür, dass durch die Weitergabe der Sendung an die Deutsche Post AG die üblichen Zustellzeiten nicht eingehalten worden seien. Deshalb könne im Streitfall auch die Dreitagesvermutung nicht angewandt werden.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 6. Februar 2013 (AS. 68) und der Beklagte mit Schreiben vom 20. Februar 2013 auf eine mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Die fernmündlicher Auskunft von X (Tel. xxx) ergab:
- Die Angabe auf der Sendungsübersicht „keine Straße” bedeutet, dass sich die Empfängeranschrift außerhalb des Zustellbereichs von X befindet.
- Die Sendung mit der Nummer xxx xxxxx xxx ist am 11. August 2011 bei X in Y (Sortierzentrum) eingegangen und am 12. August 2011 (Y) zur Weiterbeförderung an die Deutsche Post AG in Y übergeben worden.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die dem Senat vorliegenden Steuerakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist rechtzeitig erhoben worden.
Der Senat macht von der Möglichkeit...