Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammenveranlagung im EU-Ausland ansässiger Ehegatten trotz Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG durch den einzelnen Ehegatten
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch wenn zwei in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Ehegatten jeweils isoliert für einen Ehegatten gesehen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG nicht erfüllen, sind bei der Überprüfung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG die Einkünfte der Ehegatten gem. § 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG zusammen zu rechnen und kann sich durch eine Zusammenrechnung der Einkünfte ein Anspruch der Ehegatten auf Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und somit auf Zusammenveranlagung ergeben.
2. § 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG bezieht sich auf § 1a Abs. 1 EStG und modifiziert die Grundvoraussetzung (unbeschränkte Steuerpflicht) im Fall des § 1 Abs. 3 EStG.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 3 Sätze 1-2, § 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 3, § 26 Abs. 1 S. 1
Tenor
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2012 und des Bescheids über Einkommensteuer für 2008 vom 19. November 2012, den Kläger gemäß § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz – EStG – als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln und ihn zusammen mit seiner Ehefrau zu veranlagen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Beschluss:
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Bemessung der Einkommensteuer nach dem sog. Splittingtarif für Eheleute.
Der Kläger ist polnischer Staatsbürger, ist mit Frau B. verheiratet und lebte im Streitjahr 2008 in C. (Polen). Vom 01. Mai 2008 bis zum 05. August 2008 war der Kläger in D. als Arbeitnehmer für die E. S.A. (Betriebsstätte F.) tätig. Er erzielte aus dieser Beschäftigung einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 8.321 EUR. Vom Bruttoarbeitslohn wurden 1.376 EUR Lohnsteuer einbehalten.
Am 25. Januar 2011 übermittelte der Kläger seine Steuererklärung für das Streitjahr an den Beklagten und beantragte die Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau. Der Steuererklärung fügte der Kläger eine Bescheinigung EU/EWR bei, aus der sich polnische Einkünfte in Höhe von 24.508,96 PLN für den Kläger und in Höhe von 0,00 PLN für die Ehefrau ergaben. Zu einer Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau in Polen liegen dem Gericht keine Informationen vor.
Mit Bescheid vom 14. Februar 2011 lehnte der Beklagte eine Veranlagung für 2008 ab, da der Beklagte nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei. Hiergegen richtete sich der fristgerechte Einspruch des Klägers. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2012 als unbegründet zurück, da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG nicht vorliegen würden. Der Kläger sei nur beschränkt steuerpflichtig. Die Einkünfte des Klägers würden nicht zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer liegen bzw. liegen auch nicht unterhalb des Grundfreibetrags, der er nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates zu kürzen sei. Die ausländischen Einkünfte würden umgerechnet 7.067 EUR betragen. Nach der Ländergruppeneinteilung sei der Grundfreibetrag für Polen nur in Höhe von 50 %, entspricht 3.832 EUR anzusetzen (7.664 EUR × 50 %). Eine Zusammenveranlagung der Ehefrau mit dem Kläger nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG komme nicht in Betracht, da hierfür der Kläger zunächst als unbeschränkt steuerpflichtig qualifizieren müsste.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 10. August 2012. In der mündlichen Verhandlung verwies der Kläger auf die Entscheidung des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Az. 1 K 385/11 vom 15. Januar 2014). In diesem Fall sei ein gleich gelagerter Fall positiv entschieden worden. Eine Revision sei nunmehr anhängig (Bundesfinanzhof, Az.: I R 16/14).
Im Laufe des Klageverfahrens erließ der Beklagte am 19. November 2012 erstmals einen Bescheid über Einkommensteuer 2008. Der Veranlagung legte er inländische Einkünfte in Höhe von 7.401 EUR (8.321 EUR Bruttoarbeitslohn abzüglich Arbeitnehmer-Pauschbetrag), Sonderausgaben in Höhe von 1.700 EUR sowie dem Progressionsvorbehalt unterliegende steuerfreie Einkünfte in Höhe von 7.067 EUR zugrunde. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer auf 444 EUR fest und erstattete die übersteigende Lohnsteuer in Höhe von 932 EUR.
Der Kläger beantragt,
- unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Februar 2011, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2012, geändert durch Bescheid vom 19. November 2012, den Kläger zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer 2008 zu veranlagen und die Einkommensteuer auf 0,00 EUR festzusetzen sowie
- hilfsweise, die Zulassung der Revision und
- die Hinzuziehung des steuerlichen Beraters im Einspruchsverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
- das Verfahren in Hinsicht auf die anhängige Revision beim Bundesfinanzhof, Az. I R 16/14 ruhend zu stellen,
- hilfsweise, die Klage abzuweisen,
- hilfsweise, die Zulassung der Revision.
Der Beklagte verweist auf seine Einspruchsentscheidung.
D...