Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Klageerweiterung. Besteuerung von Wertpapierveräußerungsgeschäften ab 1999. Einkommensteuerliche Behandlung von Einkünften aus dem taggleichen An- und Verkauf von Aktien (sog. day-trading) eines gelernten Bankkaufmanns
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Klageerweiterung nach Ablauf der Klagefrist ist nur dann verspätet, wenn eine Teilanfechtung Teilbestandskraft hinsichtlich des nicht angefochtenen Teils ausgelöst hat.
2. Teilbestandskraft eines Steuerbescheids tritt nicht schon dadurch ein, dass ein bezifferter Klageantrag gestellt wird.
3. Für Veranlagungszeiträume ab 1999 bestand kein verfassungswidriges Vollzugsdefizit bei der Besteuerung von Wertpapierveräußerungsgeschäften, die im Rahmen eines gewerblichen Wertpapierhandels oder privater Vermögensverwaltung getätigt wurden.
4. Die von einem gelernten Bankkaufmann im Echtzeithandel getätigten taggleichen An- und Verkäufe von Wertpapieren „day-trading”), bei denen es sich überwiegend um sogenannte Leergeschäfte handelte, haben trotz der großen Anzahl der Kauf- und Verkaufaufträge im Streitfall den Rahmen privater Vermögensverwaltung nicht verlassen, da der Steuerpflichtige ausschließlich im eigenen Namen und für eigene Rechnung tätig geworden ist und seine Orders über Depotbanken bzw. Onlinebroker platziert hat.
5. Das Day-trading-Geschäft ist nicht als eine für die private Vermögensverwaltung ungewöhnliche Verhaltensweise anzusehen.
6. Allein die beim Erwerb von Wertpapieren bestehende alsbaldige Veräußerungsabsicht führt für sich genommen noch nicht zur Gewerblichkeit.
Normenkette
EStG 1997 § 15 Abs. 2 S. 1, § 23 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 4; GewStG 1999 § 2 Abs. 1; FGO § 47 Abs. 1, § 65 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Der Gewerbesteuerbescheid 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2003 wird aufgehoben.
Abweichend von dem Einkommensteuerbescheid 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2003 wird die Einkommensteuer 1999 unter Berücksichtigung eines Gewinns in Höhe von 874.548,–DM als sonstige Einkünfte festgesetzt. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 7/10, dem Beklagten zu 3/10 auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht dieser vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist im Wesentlichen, ob gewerbliche Einkünfte vorliegen.
Der 1972 geborene zwischenzeitlich verheiratete Kläger ist gelernter Bankkaufmann. Im Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 31. März 2000 war er als angestellter Bankkaufmann für die A AG (seit 13. Juli 1999 umfirmiert in B AG) mit einer frei einteilbaren Wochenarbeitszeit von zunächst 30 und später 25 Stunden tätig. Hieraus erzielte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Bruttoarbeitslöhne 1998: 96.586,–DM; 1999: 156.284,–DM und 2000: 57.741,–DM). Zu seinem Aufgabengebiet gehörte es, am Morgen eines Börsentages Aktiengesellschaften herauszusuchen, deren Aktien hohe Marktschwankungen aufwiesen und den Marktteilnehmern aufzuzeigen, auf welchen Gründen dies beruhte. Des Weiteren war der Kläger dafür verantwortlich, die Händler zu Börsenbeginn mit den neusten Unternehmensnachrichten zu versorgen. Aufgrund seiner guten Computerkenntnisse wurde der Kläger ferner im Bereich des Handels von Wertpapieren zu gerechneten Kursen zur Ermittlung der börsentäglich jeweils einmal festzustellenden Kassakurse (auch Einheitskurde genant) eingesetzt. Die für eine Vielzahl festzustellenden Einheitskurse waren von ihm in Excel-Listen einzuarbeiten. Auf diese Weise war es den Händlern möglich die im … gehandelten Effekten in ausländischer Währung in die Heimatwährung umzurechnen und sich einen Überblick über die Werthaltigkeit der entsprechenden Aktien zu verschaffen. Darüber hinaus war der Kläger dafür zuständig, auch bei Wertpapieren, die in engen Märkten gehandelt wurden, die Kurse börsentäglich festzustellen und die nicht direkt im Orderbuch eingehenden telefonisch erteilten Ordergeschäfte der Händler zu erfassen. Zudem fungierte er als Sprachmittler zwischen der IT-Abteilung und dem Effektenhandel. Aufgrund seiner guten Englischkenntnisse in Wort und Schrift unterstützte er englische Geschäftspartner bei deren geschäftlichen Transaktionen.
Seit 1998 ging der Kläger außerdem dem Studium der Rechtswissenschaften nach.
Seit Juni 1999 begann der Kläger im Zimmer seines elterlichen Haushalts in größerem Umfang Wertpapieran- und verkäufe zu tätigen. Das Geschäftskonzept des Klägers beruhte darauf, auf Börsenplätzen in Deutschland (Frankfurt am Main, Hamburg, Düsseldorf, München, Hannover, Stuttgart und Bremen), den Computerbörsen in New York (der National Association of Securities Dealer Au...