Entscheidungsstichwort (Thema)
Hemmung der Festsetzungsverjährung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden. Rückübertragung eines Rechtsstreits auf den Senat gem. § 6 Abs. 3 FGO
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit Urteil vom 21.2.2013 hat der BFH (Az.: V R 27/11) entschieden, dass Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO nur dann bewirken, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer bekanntgegeben (nach abweichendem Leitsatz erlassen) worden sind.
2. Durch das – der Kommentarliteratur entgegenstehende – Urteil hat die Rechtssache der Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei außersteuerlichen Grundlagenbescheiden (hier: Bescheinigung des Landesverwaltungsamtes, dass der Musikschulunterricht die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG erfüllt) grundsätzliche Bedeutung erlangt und weist nunmehr besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf, so dass gem. § 6 Abs. 3 S. 1 FGO der Einzelrichter den Rechtsstreit auf den Senat zurück übertragen kann.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 179ff., § 171 Abs. 10; UStG § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb; FGO § 6 Abs. 3 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tenor
Der Rechtsstreit wird auf den Senat zurückübertragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin betrieb eine Musikschule.
Die nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuererklärung der Klägerin für 1992 ging beim Beklagten im Jahre 1993, die ebenfalls nicht zustimmungsbedürftige Jahreserklärung für 1993 in 1995, die nicht zustimmungsbedürftige Jahreserklärung für 1994 in 1995, die wiederum nicht zustimmungsbedürftige für 1995 in 1996, die nicht zustimmungsbedürftige für 1996 in 1997, die nicht zustimmungsbedürftige für 1997 in 1998 und die nicht zustimmungsbedürftige für 1998 in 1999.
Mit Bescheid vom 05. März 2010 bescheinigte das Landesverwaltungsamt … der Klägerin auf deren Antrag vom 18. Februar 2010 hin, dass die von ihr durchgeführte musikalische Früherziehung sowie der von ihr durchgeführte Instrumental-Unterricht in der Zeit vom 19. Oktober 1991 bis zu einem spezifizierten nach den Streitjahren liegenden Datum i.S.d. § 4 Nr. 21 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb UStG unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck der beruflichen Bildung dienten, indem sie auf einen Beruf oder eine vor eine juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiteten.
Den am 01. April 2010 beim Beklagten eingegangenen Antrag der Klägerin auf Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 1992, 1993, 1994, 1995, 1996, 1997 und 1998 i.S. einer Steuerfestsetzung auf jeweils 0,– EUR lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Juni 2010 ab.
Zwar versandte er an die Klägerin antragsgemäße Änderungsbescheide die als Bescheidsdatum den 30. April 2010 trugen, der Klägerin ging jedoch zumindest zeitgleich die schriftliche Mitteilung des Beklagten zu, die Bescheide seien unwirksam, da ihre Bekanntgabe nicht gewollt sei.
Der Beklagte führte aus, einer Änderung stehe die Verwirkung entgegen. Es sei darauf abzustellen, dass der Verpflichtete infolge längerer Untätigkeit des Anspruchsberechtigten tatsächlich darauf vertraut habe, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden und sich auf die Nichtgeltendmachung eingerichtet habe. Die Verwirkung bilde einen besonderen Anwendungsbereich des Grundsatzes von Treu und Glauben, sie bewirke ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium), das durch Unterlassen oder Untätigkeit ausgelöst werde. Habe ein Steuerpflichtiger eine Steuerbefreiung über viele Jahre hinweg nicht geltend gemacht, so könne die Finanzbehörde berechtigterweise davon ausgehen, dass keine Änderungen der Steuerfestsetzung beantragt würden, der Änderungsanspruch sei verwirkt.
Der hiergegen gerichtete Einspruch ging beim Beklagten am 20. Juli 2010 ein. Die Klägerin führte aus, sie habe erst einen Anwalt einschalten müssen, um das Landesverwaltungsamt zur Ausstellung der Bescheinigung zu bewegen. Anderen Steuerpflichtigen sei die Steuerbefreiung in parallel gelagerten Fällen mit Rückwirkung gewährt worden. Der Beklagte könne sich nicht auf eine erst nach den Streitjahren ergangene Verwaltungsanweisung stützen.
Den Einspruch wies der Beklagte unter dem 19. Januar 2011 als unbegründet zurück. Er führte aus, nach einer von der Rechtsprechung entwickelten Definition sei Verwirkung gegeben, wenn ein am Steuerschuldverhältnis Beteiligter es nach ein gewissen Zeit als illoyal empfinden müsse, wenn die Gegenseite noch ein Recht geltend mache. Durch konkludentes Handeln müsse ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sein. Der Anspruchsberechtigte müsse aufgrund des Vertrauenstatbestands Dispositionen getroffen haben.
Die hiergegen gerichtete Klage ist beim Gericht am 18. Februar 2011 eingegangen.
Mit der Klage begehrt die Klägerin den Bescheid vom 30. Juni 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten...