Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache i.S.d. § 173 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Die Änderung eines Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nur dann mangels Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache ausgeschlossen, wenn die Behörde in Kenntnis des vollen Sachverhalts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht anders entschieden hätte; die Finanzbehörde trägt insoweit die Feststellungslast.
- Die nach dem BFH Urteil vom 14. September 2005 VI R 148/98 (BStBl II 2006, 532) unzutreffende Einbeziehung des Nachteilsausgleichs bei Zukunftssicherungsleistungen anlässlich des Wechsels der Zusatzversorgungskasse in den zu versteuernden Arbeitslohn stellt bei nachträglichem Bekanntwerden eine rechtserhebliche neue Tatsache dar, wenn diese Zusammensetzung des versteuerten Arbeitslohns weder für den Stpfl. noch das Finanzamt erkennbar war und zum Zeitpunkt der Einkommensteuerveranlagung eine einschlägige Rechtsprechung des BFH sowie bindende Verwaltungsanweisungen oder sonstige – dem Veranlagungssachbearbeiter zugängliche – Anhaltspunkte für eine gegenteilige Rechtsauffassung der Finanzverwaltung fehlten.
- Es kann davon ausgegangen werden, dass eine einschlägige Kurzinformation der OFD zur Einkommensteuer bei Prüfung der maßgeblichen Rechtsfrage vom Bearbeiter des Veranlagungsbezirks beachtet worden wäre; eine Mitteilung für den Lohnsteueraußendienst reicht hingegen hierfür nicht aus.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 19
Streitjahr(e)
2001, 2002, 2003, 2004
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache im Sinne des § 173 Abgabenordnung AO.
Die Kläger werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hat als Beschäftigter der Stadtsparkasse F Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung erworben. Im Rahmen der Umstellung des Altersversorgungssystems wechselte die Stadtsparkasse F zum 1. Januar 2001 zur Zusatzversorgungskasse Z (VK Z). Anlässlich dieses Wechsels musste die Stadtsparkasse neben der allgemeinen Umlage in Höhe von 4,25 % einen sog. „Nachteilsausgleich” in Höhe von 2,15 % entrichten, den sie auf den Lohnsteuerkarten des Klägers als Teil des Arbeitslohns erfasste. Auf die Lohnsteuerkarten als Bestandteile der Steuerakten wird verwiesen.
Zu der steuerlichen Behandlung des sog. Nachteilsausgleichs erging am 5. Dezember 2001 eine Mitteilung der Oberfinanzdirektion Düsseldorf OFD für den Lohnsteueraußendienst (Nr. 12/2001) und am 28. Juni 2004 eine Kurzinformation Einkommensteuer der OFD (Nr. 043/2004). In den Schreiben wird die Rechtsauffassung vertreten, die Ausgleichszahlungen seien als Arbeitslohn anzusehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 67 und 68 der Gerichtsakten verwiesen wird.
In den Einkommensteuerbescheiden für 2001 vom 23. September 2002, für 2002 vom 5. Dezember 2003, für 2003 vom 12. Januar 2005 und für 2004 vom 1. August 2005 wurden die (Sonder-)Zahlungen des Nachteilsausgleichs als Arbeitslohn des Klägers versteuert.
Von der Einbeziehung des Nachteilsausgleichs in seinen Arbeitslohn erfuhr der Kläger erstmals auf Grund einer „Allgemeinen Information” der Stadtsparkasse vom 15. März 2006. Zeitgleich teilte der Arbeitgeber dem Kläger mit, dass die Versteuerung fehlerhaft gewesen sei, wie sich aus dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs BFH vom 14. September 2005 VI R 148/98 (Bundessteuerblatt BStBl II 2006, 532) ergebe.
Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 23. Dezember 2006, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide der Jahre 2001 bis 2004 wegen der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache der lohnsteuerlichen Erfassung der Sonderumlage nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dahingehend zu ändern, dass die zu Unrecht erfolgte Besteuerung dieser Sonderzahlungen an die VK Z als Arbeitslohn rückgängig gemacht werde.
Der Beklagte (das Finanzamt FA ) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO seien nicht erfüllt; die neue Tatsache sei nicht rechtserheblich, weil auch bei früherer Kenntnis von der Lohnversteuerung keine andere Entscheidung getroffen worden wäre.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, die Ausgleichszahlungen des Arbeitsgebers an die VK Z stellten keinen Arbeitslohn dar. Der BFH habe entschieden, dass Sonderzahlungen eines Arbeitsgebers an Zusatzversorgungskassen, die anlässlich der Systemumstellungen auf das Kapitaldeckungsverfahren, der Überführung einer Mitarbeiterversorgung an eine andere Zusatzversorgungskasse oder anlässlich seines Ausscheidens aus der Versorgungsanstalt des Bundes oder der Länder geleistet würden, nicht zu Arbeitslohn bei aktiven Arbeitnehmern führten (Urteile vom 14. September 2005 VI R 32/04, BStBl II 2006, 500 und VI R 14...