Entscheidungsstichwort (Thema)
Finanzverfassungsrecht: Vorlage des KernbrStG an das BVerfG
Leitsatz (amtlich)
1. Der 4. Senats des Finanzgerichts Hamburg legt das KernbrStG dem BVerfG zur Prüfung vor, weil er der Überzeugung ist, die Kernbrennstoffsteuer sei keine Verbrauchsteuer im Sinne des Grundgesetzes und das KernbrStG damit formell verfassungswidrig, weil dem Bund die Gesetzgebungskompetenz fehle.
2. Für neue Steuern setzt die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2, 106 Nr. 2 GG voraus, dass sie dem Typus herkömmlicher Verbrauchsteuern entsprechen. Nur für Steuern, die bei Schaffung der Finanzverfassung herkömmlich den Verbrauchsteuern zugeordnet wurden, ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz aus ihrer Herkömmlichkeit.
3. Eine Steuer ist nicht allein deswegen eine Verbrauchsteuer, weil sie dem Typus der Verbrauchsteuer ähnlicher ist als den anderen in Art. 106 GG genannten Steuerarten. Der Bund hat kein Recht, neue Steuern zu erfinden, jedenfalls nicht ohne Beteiligung des Bundesrats.
4. Die kompetenzrechtliche Zuordnung einer Steuer erfolgt nach drei Gesichtspunkten, nämlich nach Steuertatbestand, Steuermaßstab und wirtschaftlicher Auswirkung der Steuer, wobei die Belastung privater Konsumenten die wirtschaftliche Wirkung der Verbrauchsteuer und damit zentrales und typusprägendes Kriterium zur ihrer Unterscheidung von anderen Steuern ist.
5. Sofern eine Steuer - dem Typus herkömmlicher Verbrauchsteuern entsprechend - indirekt beim Verkäufer oder Hersteller eines Gutes erhoben wird, erfolgt die Belastung des privaten Konsumenten durch den Vorgang der "Abwälzung" - gegebenenfalls auch bei einer Verbrauchsbesteuerung reiner Produktionsmittel.
6. Die kalkulatorische Abwälzbarkeit ist nicht mehr als ein widerlegliches Indiz dafür, dass die Steuerlast den privaten Konsumenten erreicht; als bloße Möglichkeit des Steuerschuldners, sich von der Steuer zu entlasten, ist sie zur kompetenzrechtlichen Unterscheidung der Verbrauchsteuern von anderen Steuern nicht hinreichend.
7. Von einer zur verbrauchsteuerlichen Belastung des privaten Konsumenten eines Gutes führenden - funktionalen - Abwälzung kann grundsätzlich nicht gesprochen werden, wenn nicht die Gesamtheit der Erzeuger dieses Gutes, sondern bloß ein Teil von ihnen eine Steuer auf ein von ihnen verwendetes Produktionsmittel zu entrichten hat.
8. Der Charakter einer Verbrauchsteuer ergibt sich jedenfalls dann nicht aus der Intention des Gesetzgebers, wenn er selbst nicht davon ausgeht, dass die Steuer zu einer Belastung der privaten Konsumenten führt, sondern darauf zielt, Gewinne gewerblicher Unternehmen abzuschöpfen.
Normenkette
GG Art. 72 Abs. 2, Art. 105 Abs. 2, 2a, 3, Art. 106, 106 Abs. 1 Nr. 2; BranntwMonG § 103; KernbrStG Allgemein
Nachgehend
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Kernbrennstoffsteueranmeldungen, wobei zwischen den Beteiligten kein Streit besteht über die zutreffende Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1804 - KernbrStG -), sondern ausschließlich über die Frage, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz selbst rechtmäßig ist.
A.
1. Die Klägerin betreibt von den neun gegenwärtig in Deutschland noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken ... das streitgegenständliche Kernkraftwerk in X. Sie ist im Besitz der dafür erforderlichen atomrechtlichen Genehmigung.
Am ... 2011 löste die Klägerin in dem Reaktor des Kernkraftwerks X eine sich selbsttragende Kettenreaktion aus, indem sie in den Kernreaktor Brennelemente einsetzte. ...
2. Die Klägerin reichte beim Beklagten eine Steueranmeldung gemäß § 6 Abs. 1 KernbrStG ... ein, in der sie einen Steuerbetrag von EUR ... errechnete.
3. Die Klägerin erhob ... beim Finanzgericht (FG) Hamburg Sprungklage gegen die Steueranmeldung ... (Az. 4 K 124/11 ). Aufgrund fehlender Zustimmung des Beklagten wurde die Klage sodann gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 FGO als Einspruch behandelt, den der Beklagte in der Folge mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2011 zurückwies.
4. Auf Antrag vom 26.07.2011 hatte der vorlegende Senat der Klägerin mit Beschluss vom 16.09.2011 (FG Hamburg, 4 V 133/11 , EFG 2011, 2103 ) aufgrund ernsthafter Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit die Vollziehung der streitgegenständlichen Steueranmeldung aufgehoben. Im Beschwerdeverfahren hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 09.03.2012 (VII B 171/11 , BFHE 236, 206 , BStBl II 2012, 418 ) den Beschluss vom 16.09.2011 auf und lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab.
B. Die Klägerin hat am 30.11 .2011 Klage erhoben.
In finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht weist die Klägerin zunächst darauf hin, dass umstritten sei, ob in Bezug auf die Kernbrennstoffsteuer überhaupt eine Steuer im rechtlichen Sinn vorliege. Die Klägerin macht sodann geltend, die Kernbrennstoffsteuer sei formell verfassungswidrig, denn dem Bund fehle es an der Gesetzgebungskompetenz, weil es sich jedenfalls nicht um eine Verbrauchsteuer handele. Außerdem sei ...