Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerlicher Wohnsitz durch Innehabung einer sog. "Stand-by-Wohnung"
Leitsatz (amtlich)
Zur Erfüllung des Wohnungsbegriffs des § 8 AO ist ein qualitativer Mindeststandard der Räumlichkeiten nicht erforderlich.
Eine Stand-by-Wohnung kann trotz Fremdmöblierung und ihres minimalen Ausstattungsstandards den Wohnungsbegriff des § 8 AO erfüllen und zum Bewohnen geeignet sein.
Normenkette
AO § 8; EStG § 39d
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in einer sog. Stand-by-Wohnung einen inländischen Wohnsitz innehatte und unbeschränkt steuerpflichtig war.
Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren ... Kindern in Österreich, wo sie auch schon vor der Eheschließung in ... und der Geburt der Kinder ansässig war. Die Klägerin arbeitet seit 1999 als ... bei der Fa. A AG. Ihre dienstlichen Einsätze beginnen und enden am ... B. Soweit dienstlich erforderlich, übernachtet die Klägerin im Großraum B. Zu diesem Zweck war sie aufgrund mündlichen Vertrags von 1999 bis Ende April 2006 Untermieterin einer ca. 25 qm großen 1-Zimmer-Wohnung in der X-Straße, in ... C. Die Wohnung ist mit einem Wohnraum, einer Kochnische inklusive Zwei-Platten-Herd, Mini-Backofen und Kühlschrank, sowie mit einem Duschraum ausgestattet. In dem Wohnraum befinden sich zwei Schlafsofas, ein ausklappbares Wandbett, ein Tisch und zwei Stühle. Die Klägerin nutzte die Wohnung zusammen mit zwei weiteren ..., nämlich mit der Hauptmieterin D sowie einer weiteren Untermieterin. Die Klägerin zahlte eine monatliche Untermiete in Höhe von zuletzt 103 €; sie besaß einen Wohnungsschlüssel und konnte die Wohnung jederzeit nutzen. Die Klägerin nutzte die Wohnung 2004 für 17, 2005 für 12 und 2006 für 10 Übernachtungen. Für die Veranlagungszeiträume 1999 und 2003 hat die Klägerin in Bezug auf die Wohnung die Vergünstigungen der doppelten Haushaltsführung geltend gemacht.
Unter dem 25.11.2005 erteilte der Beklagte der Klägerin antragsgemäß eine Bescheinigung für das Kalenderjahr 2006 für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer gemäß § 39d EStG. Der Beklagte hob diese Bescheinigung jedoch mit Bescheid vom 22.02.2006 wieder auf. Bei Erteilung der Bescheinigung wurde offensichtlich übersehen, dass für das Kalenderjahr 2005 eine Bescheinigung nicht erteilt und dass die Klägerin für das Kalenderjahr 2004 von dem für die Wohnung X-Straße örtlich zuständigen Finanzamt E als unbeschränkt Steuerpflichtige zur Einkommensteuer veranlagt worden ist.
Die Klägerin legte gegen den Aufhebungsbescheid vom 22.02.2006 am 28.02.2006 Einspruch ein. Ihr Hauptwohnsitz befinde sich in Österreich. Die Wohnung X-Straße benutze sie nur in Absprache mit den Kolleginnen als Stand-by-Zimmer.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 29.03.2006 zurück. Die Klägerin unterhalte in der X-Straße einen inländischen Wohnsitz und sei unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
Die Klägerin hat am 27.04.2006 (Eingang bei Gericht) Klage erhoben.
Die Klägerin trägt vor: Sie lebe mit ihrem Mann und den ... Kindern in Österreich. Dort befinde sich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen und nur dort verfüge sie über eine ständige Wohnstätte. Die Wohnung X-Straße habe sie ähnlich wie ein Hotelzimmer nur für gelegentliche Übernachtungen genutzt. Der Wohnsitzbegriff des § 8 AO setze hingegen eine ständige bzw. regelmäßige Nutzung zu Wohnzwecken voraus; eine Nutzung zu ausschließlich beruflichen oder geschäftlichen Zwecken begründe keinen Wohnsitz. Zudem müssten die Räumlichkeiten den Verhältnissen des Steuerpflichtigen angemessen sein, um Wohnung i. S. d. § 8 AO zu sein. Dies könne für die nur 25 qm große Stand-by-Wohnung, die sie -die Klägerin- zudem mit weiteren Kolleginnen teile, guten Gewissens verneint werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 22.05. und 21.09.2006 Bezug genommen.
Die Klägerin hat die Klage mit Schriftsatz vom 19.02.2008 auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. d. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO umgestellt und darüber hinaus den Rechtsstreit für den Zeitraum Mai bis Dezember 2006 in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte mit Verfügung vom 27.04.2005 ihr eine Bescheinigung nach § 39d EStG für diesen Zeitraum ausgestellt hatte.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die Einspruchsentscheidung vom 29.03.2006 und der Aufhebungsbescheid vom 22.02.2006 rechtswidrig gewesen sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor: Die Klägerin hatte in der X-Straße einen inländischen Wohnsitz i. S. d. § 8 AO. Dort hatte sie eine Wohnung unter Umständen inne, die darauf schließen ließen, dass sie sie beibehalten und benutzen werde. Die Klägerin habe über die Wohnung schuldrechtlich und tatsächlich verfügen können und von dieser auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit Gebrauch gemacht. Eine Wohnung müsse nicht angemessen oder standesgemäß sein; unerheblich sei auch, ob es sich um einen ersten, zweiten oder weiteren Wohnsitz handele. E...