Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des faktischen Geschäftsführers einer GmbH für von dieser im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells als Missing Trader begangene Steuerhinterziehung. Begrenzung der Haftung auf den Steuerschaden. Höhe des Steuerschadens bei Insolvenz des Rechnungsempfängers
Leitsatz (redaktionell)
1. Den faktischen Geschäftsführer einer GmbH treffen als Verfügungsberechtigten die gleichen Pflichten wie ihren gesetzlichen Vertreter.
2. Der faktische Geschäftsführer einer GmbH haftet nach § 71 AO für die von der Gesellschaft als Missing Trader im Rahmen eines Karussellbetrugs in Rechnung gestellte und nicht abgeführte Umsatzsteuer. Die Haftung ist auf den dem Fiskus entstandenen Vermögensschaden beschränkt.
3. Berichtigt das Finanzamt nach Aufdeckung des Karussellbetrugs den Vorsteuerabzug des Rechnungsempfängers, der die damit festgesetzten Nachzahlungen jedoch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr begleicht, und sind keinerlei Anzeichen dafür ersichtlich, dass der Leistungsempfänger bei sofortiger Festsetzung der Vorauszahlungen in zutreffender Höhe diese hätte zahlen können, so beschränkt sich der Steuerschaden auf die Höhe der Beträge, die dem Leistungsempfänger aufgrund seiner eingereichten Voranmeldungen zu Unrecht erstattet worden sind. Hinsichtlich der mit den berichtigten Bescheiden festgesetzten Nachzahlungsbeträge liegt ein Fall der hypothetischen bzw. überholenden Kausalität vor, die die Haftung des Steuerhinterziehers entfallen lässt.
Normenkette
AO §§ 71, 34 Abs. 1, §§ 35, 370 Abs. 1; UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
Abweichend von dem Haftungsbescheid und der Zahlungsaufforderung vom … Februar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … Februar 2004 wird die Haftungssumme auf 58.552,99 DM (= 29.937,67 EUR) herabgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt bis zur mündlichen Verhandlung am 14. Mai 2008 6.721.805,86 EUR, danach 2.414.301,70 EUR.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Inhaftungnahme des Klägers für die aufgrund einer von ihm begangenen Steuerhinterziehung verkürzten Umsatzsteuern streitig.
Der Kläger wurde am … 1968 in … geboren. Er ist ledig und schloss die Schulausbildung im Jahr 1987 mit dem Abitur ab. Er studierte anschließend an der Universität … und legte dort die Diplomprüfung im Studiengang Wirtschaftswissenschaft erfolgreich ab.
Am 13. Oktober 1998 erwarb der gelernte Speditionskaufmann I. W. sämtliche Geschäftsanteile an der damals im Handelsregister des Amtsgericht S. (HRB …) eingetragenen Firma S. GmbH (= GmbH). Das Stammkapital der GmbH betrug 50.000,00 DM. Er bestellte sich am selben Tag zum neuen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer dieser GmbH, änderte den Unternehmensgegenstand wie folgt:
„Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit und der Vertrieb von Bausteinen aus der Halbleitertechnik, sowie die Beratung bei der Einrichtung verschiedener Systemkomponenten und dem damit im Zusammenhang stehenden etwaigen Abschluss von Rahmenverträgen.”
und benannte die GmbH in I. GmbH um. Der Sitz der GmbH wurde von K. nach S. verlegt. Die Änderungen wurden am 04. März 1999 im Handelsregister des Amtsgerichts S. eingetragen.
Am 10. November 1998 gab Herr I. W. beim Beklagten einen Fragebogen zur steuerlichen Erfassung der GmbH ab. Den Beginn der Tätigkeit gab er mit „voraussichtlich 01/99” an und beantragte Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen.
Die GmbH gab für das Jahr 1999 weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch eine Jahreserklärung ab.
Aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle des Beklagten und Auswertung von Kontrollmitteilungen wurden Rechnungen der GmbH mit einem gesamten Rechnungsbetrag von netto 85.739.935,00 DM und in Rechnung gestellter Umsatzsteuer (16 v. H.) von insgesamt 13.718.389,60 DM sichergestellt. Mit dem Bescheid für 1999 über Umsatzsteuer vom … Dezember 2000 setzte der Beklagte gegenüber der GmbH und adressiert an Herrn I. W. als Geschäftsführer eine Umsatzsteuer i. H. v. 13.718.389,00 DM fest.
Nach dem Ermittlungsbericht über Straftaten der Steuerfahndungsstelle des Beklagten vom … Juni 2001 sollen der Kläger und Herr L. P. einem Personenkreis angehören, der gezielt durch die Einschaltung von Scheinfirmen im Rahmen eines sog. Umsatzsteuerkartells ungerechtfertigte Umsatzsteuervorteile erlangt haben soll. Die GmbH erfülle aufgrund der Ermittlungsergebnisse die Kriterien des sog. „missing trader”, also der ersten Firma in der inländischen Lieferkette im Rahmen des U...