Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine wesentliche Beteiligung i. S. des § 17 EStG durch Rückwirkung. Einkommensteuer 1999. Solidaritätszuschlag 1999
Leitsatz (amtlich)
1. Die verfassungskonforme Auslegung des § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG (hier: im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung) gebietet es, die Gesetzänderung zum 1.1.1999, durch die die Grenze der wesentlichen Beteiligung von mehr als 25 % auf mindestens 10 % herabgesetzt wurde, in der Weise zu berücksichtigen, dass der Gesetzesänderung für die Frage der wesentlichen Beteiligung keine Rückwirkung beigelegt werden darf, mithin die Beteiligungsgrenze von 10 % nicht rückwirkend für Vorjahre gilt (Anschluss an Beschluss des FG Baden-Württemberg v. 8.12.2000 – 9 V 85/00).
2. Veräußerung durch Tausch des durch eine in 1998 stattgefundene Kapitalerhöhung von 10 % auf rd. 2,6 % herabgesetzten Anteils an einer GmbH i. S. des § 17 Abs. 1 EStG.
Normenkette
EStG 1999 § 17 Abs. 1 S. 4; GG Art. 20 Abs. 3; EStG § 17 Abs. 1 S. 1; StEntlG 1999/2000/2002; EStG 1999 § 52 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3, 2
Tenor
1. Die Vollziehung der geänderten Einkommensteuerbescheide für 1999 vom 8. Juni 2001 werden für die Dauer des Einspruchsverfahrens in Höhe von je 1.174.165 DM Einkommensteuer für 1999 und 64.579,08 DM Solidaritätszuschlag für 1999 der beiden Antragsteller ausgesetzt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen
Tatbestand
I.
Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob nach Herabsetzung des Anteils an einer GmbH im Jahr 1998 von 10 % auf 2,5 % eine wesentliche Beteiligung i. S. des § 17 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) bestanden hat.
Die Antragsteller erwarben am 8. Mai 1998 je 10 % Gesellschaftsanteile an der GmbH, die später in GmbH umfirmiert wurde. Durch eine Kapitalerhöhung der GmbH am 10. September 1998, an der die Antragsteller nicht teilnahmen, reduzierte sich die Beteiligung der Antragsteller ab diesem Zeitpunkt (10. September 1998) auf je 2,5 %. Durch Kapitalerhöhung im Jahr 1999 betrugen die Anteile der Antragsteller ab 22. April 1999 je 2,61458 %. Am 30. August 1999 tauschten die Antragsteller ihre GmbH-Anteile gegen Anteile an einer US-Gesellschaft ein. Die Antragsteller erklärten hieraus u. a. einen berichtigten Gewinn gemäß § 17 EStG in Höhe von je 2.215.450 DM, den das Finanzamt in den geänderten Bescheiden vom 8. Juni 2001 der Besteuerung zugrunde legte. Über die Einsprüche gegen diese Bescheide ist noch nicht entschieden. Das Finanzamt hat die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide abgelehnt.
Die Antragsteller beantragen
die Aussetzung der Vollziehung der geänderten Einkommensteuerbescheide für 1999 vom 8. Juni 2001 in Höhe von je 1.174.165 DM Einkommensteuer und je 64.579,08 DM Solidaritätszuschlag wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit.
Das Finanzamt beantragt
den Antrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden überschlägigen Beurteilung des aktenkundigen Sachverhalts treten neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zutage, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Streitsache in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht bewirken (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –; Bundesfinanzhof-BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, Entscheidungssammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 1998, 994; vom 24. Februar 2000 IV B 83/99, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2000, 298).
Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Auch der Tausch von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft stellt eine Veräußerung der hingegebenen Anteile dar (Bundesfinanzhof – BFH– Urteil vom 7. Juli 1992 VIII R 54/88, Bundessteuerblatt – BStBl– II 1993, 331 unter 2.). Eine wesentliche Beteiligung ist gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zumindest mit 10 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG). Nach § 52 Abs. 1 EStG in der für 1999 geltenden Fassung (Bundesgesetzblatt – BGBl– I 1999, 402) gilt § 17 Abs. 1 EStG ab 1. Januar 1999 ohne Übergangsregelung.
Dem Wortlaut nach liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG in der Streitsache vor, da die Antragsteller in den letzten fünf Jahren vor dem Tausch ihrer Anteile zu je mindestens 10 % an der GmbH beteiligt waren (s. auch R 140 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuer-Richtlinien 1999). Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat aber dennoch Erfolg, weil eine verfassungskonforme Auslegung des § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG es gebietet, die Gesetzesänderung zum 1. Januar 1999, durch die die Grenze der wesentlichen Beteiligung von mehr als 25 % auf mindestens 10 % herabgese...