Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbot des Erlasses eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids gegen den Arbeitgeber bei Festsetzungsverjährung der Lohnsteuerforderung gegen den Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist die Frist für die Festsetzung der Lohnsteuer gegenüber den Arbeitnehmern zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids abgelaufen, kann der Arbeitgeber für die – auf einen geldwerten Vorteil entfallende – nicht angemeldete und nicht abgeführte Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag gem. § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO nicht mehr durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.
2. Bei der Berechnung der Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern ist hinsichtlich der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO nicht darauf abzustellen, ob eine Einkommensteuererklärung von den Arbeitnehmern abzugeben war oder abgegeben wurde. Maßgeblich ist vielmehr, ob und gegebenenfalls wann der Arbeitgeber die Lohnsteueranmeldungen für die vom Haftungsbescheid umfassten Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume abgegeben hat.
3. Durch den Beginn der Lohnsteuer-Außenprüfung beim Arbeitgeber wird der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer nach § 171 Abs. 4 AO nicht auch bei den Arbeitnehmern gehemmt.
Normenkette
AO § 191 Abs. 5 Nr. 1, § 171 Abs. 4; EStG § 42d Abs. 3 S. 1, Abs. 1 Nr. 1; AO § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 44
Nachgehend
Tenor
1. Der Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag für 2006 vom 27. Dezember 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2013 wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Strittig ist, ob die Klägerin noch für Lohnsteuer, Solidaritätszuschläge und Kirchenlohnsteuern von fünf Mitarbeitern für das Jahr 2006 in Haftung genommen werden konnte. Bei der Klägerin fand aufgrund Prüfungsanordnung vom 9. April 2010 von Mai 2010 bis November 2012 eine Lohnsteuer – Außenprüfung für den Zeitraum 2006 bis 2009 statt.
Dabei ergab sich folgender Sachverhalt:
Die Klägerin hatte in den Jahren 2006 bis 2009 Sachzuwendungen an Arbeitnehmer, Kunden, Geschäftsfreunde und Vertriebspartner zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn bzw. zur vereinbarten Leistung/Gegenleistung oder als Geschenk erbracht. Es handelte sich dabei um Incentivereisen und – veranstaltungen, Privatanteile bei gemischt veranlassten Veranstaltungen wie Geschäftsführertreffen und Tagungen, Eintrittskarten für VIP – Logen, Belohnungsessen und sonstige Geschenke. Soweit es sich bei den Empfängern um Arbeitnehmer der Klägerin handelte, sah die Lohnsteuer – Außenprüfung hierin einen steuerpflichtigen geldwerten Vorteil. Auf Antrag der Klägerin erfolgte die Nachversteuerung dieser Zuwendungen für fünf Arbeitnehmer hinsichtlich des Jahres 2006 in Anlehnung an § 40 Absatz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) mit dem Bruttosteuersatz. Bei einem Steuersatz von 41,90 % auf eine unstrittige Bemessungsgrundlage von 1.524,28 EUR ergaben sich Mehrsteuern in Höhe von 638,67 EUR Lohnsteuer, 35,12 EUR Solidaritätszuschlag und 12,76 EUR Kirchenlohnsteuer. Für die Jahre 2007 bis 2009 übernahm die Klägerin die entsprechenden Beträge gemäß § 37b EStG. Auf den Lohnsteuer – Prüfungsbericht vom 10. Dezember 2012 sowie auf den Schriftsatz des Beklagten (des Finanzamts) vom 07. August 2014 bezüglich der Errechnung der Bemessungsgrundlage für die Zuwendungen an die Arbeitnehmer im Jahr 2006 wird hierzu verwiesen.
Der Beklagte (das Finanzamt) erließ in Absprache mit der Klägerin daraufhin am 27. Dezember 2012 bezüglich des Jahres 2006 einen Lohnsteuer – Haftungsbescheid in Höhe von 686,55 EUR sowie bezüglich der Jahre 2007 bis 2009 einen Lohnsteuer – Nachforderungsbescheid in Höhe von insgesamt 13.107,80 EUR.
Gegen den Lohnsteuer – Haftungsbescheid legte die (…) AG als Vertreterin der Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, dass die Klägerin als Haftungsschuldnerin für das Jahr 2006 nicht mehr in Anspruch genommen werden könne, weil der streitgegenständliche Steueranspruch gegenüber den Steuerschuldnern (den Arbeitnehmern) im Jahr 2012 aufgrund Festsetzungsverjährung nicht mehr geltend gemacht werden könnte.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2013 als unbegründet zurückgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.
Mit der dagegen eingereichten Klage macht die Klägerin geltend, ihre Inhaftungnahme für die Lohnsteuer, Solidaritätszuschläge und Kirchenlohnsteuern für das Jahr 2006 sei rechtswidrig, da die Lohnsteuerschuld der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides am 27. Dezem...