Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen; Rechtlicher Missbrauch von Steuergestaltungen
Leitsatz (redaktionell)
Eine Ausnahme zum Grundsatz der Steuerfreiheit innergemeinschaftl. Lieferungen besteht dann, wenn die im Bestimmungsland vorgesehene Besteuerung der konkreten Lieferung nach dem übereinstimmenden Willen von Unternehmer u. Abnehmer durch Verschleierungsmaßnahmen und falsche Angaben gezielt umgangen werden soll, um den Beteiligten einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen.
Normenkette
UStG § 6a Abs. 4, § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen vorliegen.
Die Klägerin (Klin.) betreibt einen Großhandel mit Reifen. Für das Streitjahr 2001 wurden von ihr in der USt-Erklärung innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von insgesamt 13.274.972,00 DM (= 6.787.385,71 EUR) erklärt. In ihrer zusammenfassenden Meldung für 2001 hat sie demgegenüber insgesamt 13.607.235,00 DM (= 6.957.269,00 EUR) angegeben, von denen 880.045,00 EUR nach Österreich, 5.961.629,00 EUR nach Belgien und 115.594,00 EUR in die Niederlande geliefert worden sein sollen.
Es bestehen Erkenntnisse über die Empfänger von innergemeinschaftlichen Lieferungen wie folgt:
E1
Die Firma E1 bvba (= GmbH belgischen Rechts, andere Schreibweise: E2) wurde 1995 gegründet und hieß ursprünglich R bvba. Die Gesellschaftsanteile wurden von N und C erworben, die die Gesellschaft in E1 bvba umfirmierten. N und C wurden mit Strafurteil vom 22.02.2002 des Landgerichts O neben weiteren Personen u. a. wegen Mehrwertsteuerbetrug (Beteiligung an USt-Karussellen) und Urkundenfälschung verurteilt. Das Strafgericht stellte fest, dass die formell als Geschäftsführerin der E1 benannte, in Tunesien wohnende M E1 nur Strohfrau war, N und C als Geschäftsführer auftraten und der Erwerb der E1 zum Zwecke des Betriebs eines USt-Karussells erfolgt ist. C hat im Strafverfahren zugegeben (Bl. 67 des Strafurteils), dass die E1 als Scheinfirma fungiert hat. Die E1 hat nach den Feststellungen des Strafgerichts O für die Vorauszahlungszeiträume Januar bis Mai 2001 keine USt-Voranmeldungen abgegeben und auch keine Zahlungen auf USt-Verbindlichkeiten geleistet. Der belgische Staat macht gegen C Forderungen in Höhe von 7.661.716,87 EUR geltend, die – wegen fehlender Aufschlüsselung – nur in Höhe von 1,00 EUR vom Strafgericht O zugesprochen worden sind. Der registrierte Geschäftszweck der E1 lautete auf „Süßwarenfabrik, Großhandel mit Zucker, Süßwaren, Schokolade”. Das Unternehmen hatte keine Mitarbeiter. Es wurde im April 2002 „von der Mehrwertsteuer-Verwaltung gestrichen”.
Die Klin. führte in der Zeit vom 23.01.2001 bis 14.05.2001 insgesamt elf Mal Bestätigungsverfahren nach § 18 e UStG beim Bundesamt für Finanzen hinsichtlich der Firma E1 zur USt-ID-Nr. 123 mit dem Ergebnis durch, dass die soeben genannte USt-ID-Nr. als ungültig bezeichnet wurde. Erstmals am 06.06.2001 wurde die Gültigkeit der USt-ID-Nr. vom Bundesamt für Finanzen bestätigt. Weitere Bestätigungen der Gültigkeit der USt-ID-Nr. erfolgten unter dem 22.06.2001 und 19.07.2001. Bei den Steuerakten befindet sich eine Vollmacht der E1 für C vom 12.04.2001. Diese Vollmacht soll von „E1.B.” unterzeichnet sein. Im Zeitraum 04.05.2001 bis 19.06.2001 berechnete die Klin. nach Ermittlungen des USt-Sonderprüfers insgesamt Lieferungen in Höhe von 3.509.636,00 DM (= 1.794.448,00 EUR) an die Firma E1, D-straat …, B-1000 Brüssel. Im 4. Quartal 2001 buchte die Klin. einen negativen Umsatz in Höhe von 312.414,00 DM (= 159.734,74 EUR), weil Forderungen in dieser Höhe nicht erfüllt worden sein sollen. Die Klin. stellte der E1 die gelieferten Reifen ohne Mehrwertsteuerausweis in Rechnung. Die Rechnungen weisen die Lieferadressen aus, aber enthalten keinen Hinweis auf die USt-Freiheit gemäß § 6 a UStG. Die Klin. hat Lieferscheine bzw. „Leveringsbons” vorgelegt. Auf den Leveringsbons ist der Erhalt der Ware jeweils quittiert. Im Jahreskonto 16006 der Klin. waren Umsätze in Höhe von insgesamt 3.687.963,21 EUR verzeichnet.
Die Klin. trug mit Schriftsatz an den Beklagten (Bekl.) vom 06.01.2004, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, vor, ihr erster Kontakt mit der Firma E1 sei im April 2001 erfolgt. Der Fahrer der Klin. habe C bei einem anderen Kunden getroffen und ihm die Telefonnummer des Geschäftsführers der Klin. gegeben. Der Geschäftsführer der Klin., Herr G, habe dann mit C telefoniert und einen Termin in Brüssel vereinbart. Herr G sei zum privaten Wohnsitz des Herrn C in U gefahren. Es seien alle Kontakte zur E1 über C gelaufen. Die Lieferungen seien im Auftrag von C an andere Reifenhändler erfolgt, bei denen immer C angetroffen worden sei. Die gelieferten Reifen seien von der Klin. teilweise von einer Firma H in X und teilweise von einer Firma Q in Österreich gek...