Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostentragung bei Fortsetzung eines gesetzlich ruhenden Einspruchsverfahrens durch die Finanzbehörde vor Ergehen der zur streitigen Rechtsfrage anhängigen Verfahren
Leitsatz (redaktionell)
Die Finanzbehörde darf ein ruhendes Einspruchsverfahren erst nach der Entscheidung der beim Europäischen Gerichtshof, Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht zu der streitigen Rechtsfrage anhängigen Verfahren durch Fortsetzungsmitteilung fortsetzen. Missachtet sie dies, so handelt sie ermessensfehlerhaft und hat - zumindest - die Hälfte der Verfahrenskosten zu tragen.
Normenkette
FGO § 137 S. 2; AO 1977 § 363 Abs. 2 Sätze 2, 4
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Vermögensbesteuerung der Klägerin (Klin.) auf den 01.01.1996.
Der Beklagte (Bekl.) setzte gegen die Klin. durch Bescheid vom 07.03.1997 Vermögensteuer (VSt) auf den 01.01.1996 in Höhe von 7.272 DM fest.
Die Klin. legte gegen den Bescheid mit der Begründung Einspruch ein, die VSt-Festsetzung sei rechtswidrig, da das Vermögensteuergesetz (VStG) im Jahr 1997 aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1995 (BStBl. II 1995, S. 655) nicht mehr angewendet werden könne. Gleichzeitig mit dem Einspruch beantragte die Klin. ausdrücklich, das Rechtsbehelfsverfahren gem. § 363 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) ruhen zu lassen. Am 08.08.1997 stellte der Bekl. im Hinblick auf das unter dem Az. II R 47/97 anhängige Verfahren beim Bundesfinanzhof (BFH) das Ruhen des Verfahrens fest. Er nahm durch Schreiben vom 19.09.1997 das Einspruchsverfahren wieder auf, als das Urteil des BFH vom 30.07.1997 (II R 9/95, BStBl. II 1997 S. 635) bekannt wurde. Der BFH hatte durch das Urteil u. a. festgestellt, daß VSt für Stichtage vor dem 31.12.1996 auch nach diesem Datum festgesetzt werden kann.
Die Klin. beantragte erneut das Ruhen des Verfahrens gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO. Sie verwies auf das beim BFH anhängige Verfahren II R 47/97 sowie zahlreiche Verfahren bei den Finanzgerichten. Auch sei mit einer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu rechnen, dessen Entscheidung der Bekl. abwarten möge.
Am 16.10.1997 änderte der Bekl. nach einer Außenprüfung den Bescheid vom 07.03.1997 nach § 164 Abs. 2 AO und setzte die VSt auf 7.836 DM fest.
Durch Einspruchsentscheidung (EE) vom 01.12.1997 wies der Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die EE Bezug genommen.
Mit ihrer Klage verfolgte die Klin. ihr Begehren weiter.
Aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 30.03.1998 (1 BvR 1831/97) erklärte die Klin. den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Durch diesen Beschluß hatte das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluß des erkennenden Senats, mit dem dieser die Aussetzung der Vollziehung von zwei in 1997 ergangenen Vermögensteuerbescheiden abgelehnt hatte, nicht zur Entscheidung angenommen. Das BVerfG führte aus, die Verfassungsbeschwerde hätte keine Aussicht auf Erfolg, da keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S, 2 FGO bestünden, daß die Vermögensteuer für Stichtage vor dem 31.12.1996 auch nach diesem Zeitpunkt festgesetzt werden könne.
Die Klin. vertritt nunmehr die Auffassung, der Bekl. habe gem. § 137 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Kosten des Verfahrens zu tragen. Denn im Zeitpunkt des Erlasses der EE seien wegen der Anwendbarkeit des VStG nach dem 31.12.1996 mehrere Verfahren beim BFH und die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Finanzgerichts Münster vom 14.08.1997 (3 V 4881/97) beim BVerfG anhängig gewesen. Deswegen habe das Einspruchsverfahren kraft Gesetzes geruht. Der Bekl. sei nicht berechtigt gewesen, von der Fortsetzungsmitteilung gem. § 363 Abs. 2 Satz 4 AO Gebrauch zu machen. Denn eine höchstrichterliche Klärung der auch in dem vorliegenden Rechtsstreit ursprünglich streitigen Frage habe in Aussicht gestanden. Andere Streitpunkte als die Anwendbarkeit des VStG nach dem 31.12.1996 seien in dem vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden gewesen.
Da gegen die Fortsetzungsmitteilung kein Rechtsmittel gegeben sei und der Bekl. eine EE erlassen habe, habe Klage erhoben werden müssen. Anderenfalls wäre die Klin. Gefahr gelaufen, im Fall einer für sie positiven Entscheidung des BVerfG ihr Recht zu verlieren. Auch wenn nunmehr feststehe, daß die Festsetzung von VSt auch nach dem 31.12.1996 für davor liegende Stichtage erfolgen könne, habe der Bekl. die Kosten gem. § 137 Satz 2 FGO zu tragen, da er das Einspruchsverfahren trotz der gesetzlichen Verfahrensruhe aufgenommen habe.
Die Klin. beantragt,
festzustellen, das der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist und dem Bekl. die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen und
der Klin. die Kosten aufzuerlegen.
Der Bekl. ist der Auffassung, der Rechtsstreit sei nicht erledigt. Der Bekl. habe die Klin. bisher nicht klaglos gestellt. Vielmehr habe die Klin. ihren Rechtsstandpunkt aufgegeben. Die Klin. hätte die Klage zurücknehmen können. Dann wären keine ...