Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienbetrachtung in Kindergeldfällen mit Auslandsbezug
Leitsatz (redaktionell)
1) Aus der sog. Familienbetrachtung in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO (EG) Nr. 987/2009 ergibt sich keine Fiktion dahingehend, dass alle Familienangehörigen unter die deutschen Rechtsvorschriften fallen und demnach auch einen - den Anspruch des den deutschen Rechtsvorschriften unterliegenden Elternteils ggfls. verdrängenden - Kindergeldanspruch erlangen.
2) Anspruchs- und damit vorrangig kindergeldberechtigt i.S. des § 64 Abs. 2 EStG kann nur derjenige sein, der selbst die Voraussetzungen des § 62 EStG erfüllt.
Normenkette
EStG § 64; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 67-68; DVO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60; EStG § 62
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für den Streitzeitraum Mai 2010 bis August 2011 einen Anspruch auf Teilkindergeld nach deutschem Recht hat. Das Verfahren betreffend die Abzweigung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 2006 bis April 2010 hat der Senat abgetrennt. Es wird unter dem Aktenzeichen 11 K 3633/12 AO geführt.
Der Kläger, der mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn in Deutschland lebt, besitzt die polnische Staatsangehörigkeit. Er ist seit dem 1. Mai 2005 in Deutschland erwerbstätig. Zunächst war er bis zum 15. Dezember 2006 unselbständig tätig. Außerdem hatte er seit dem 28. Januar 2005 ein Gewerbe im Bereich … angemeldet. Dieses meldete er zum 31. Juli 2006 ab. In der Zeit vom 16. Dezember 2006 bis zum 13. August 2007 war der Kläger arbeitslos und bezog von der Bundesagentur für Arbeit H. Arbeitslosengeld I. Im Zeitraum 1. Oktober 2006 bis 30. April 2009 war er als „Minijobber” im Unternehmen seiner Ehefrau beschäftigt. Seit dem 1. Mai 2009 ist der Kläger als selbständiger … tätig. Er ist in Deutschland kranken-, unfall- und zeitweise auch rentenversichert. Hierzu liegen Bescheinigungen der Deutschen Rentenversicherung, der IKK sowie der Allianz vor, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
Am 5. September 2010 beantragte der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seine in Polen bei der Kindesmutter – seiner geschiedenen ersten Ehefrau C. D. – lebende Tochter P. (geb. 28. August 2000).
Mit Schreiben vom 12. Januar 2011 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass die Kindesmutter C. D. die Abzweigung des anteiligen Kindergeldes für die Zeit ab Januar 2006 beantragt habe. Die Kindesmutter bezog in Polen monatliche Familienleistungen für P. in Höhe von 68 PLN.
Die Beklagte entsprach dem Antrag des Klägers nur begrenzt. Mit Bescheiden vom 7. Juni 2011 wies sie darauf hin, dass verjährungsbedingt eine rückwirkende Festsetzung von Kindergeld erst ab Januar 2006 möglich sei. Für den Zeitraum Januar 2006 bis Oktober 2009 setzte die Beklagte zugunsten des Klägers Differenzkindergeld, für den weiteren Zeitraum bis April 2010 hälftiges Kindergeld fest. Mit Bescheiden vom 7. Juni 2010 entsprach die Beklagte auch dem Abzweigungsantrag der Kindesmutter und zweigte aus dem für den Zeitraum Januar 2006 bis April 2010 festgesetzten Kindergeld einen Teilbetrag in Höhe von x.xxx,xx EUR ab. Zudem setzte die Beklagte am gleichen Tag für das Kalenderjahr 2009 einen sog. Kinderbonus in Höhe von 100 EUR fest.
Schließlich hob die Beklagte – ebenfalls mit Bescheid vom 7. Juni 2011 – die Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2010 unter Hinweis auf § 64 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf.
Mit Schreiben vom 20. Juni 2011 erhob der Kläger Einspruch gegen den Bescheid bezüglich der Abzweigung des Kindergeldes sowie der Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2010. Mit Einspruchsentscheidung vom 25. August 2011 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers wegen der Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld ab Mai 2010 zurück.
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 20. September 2011 erhobene Klage. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass die von der Beklagten angestellte sog. Familienbetrachtung nicht durchgreife und ihm das Kindergeld für den Streitzeitraum unter Anrechnung des in Polen gezahlten Kindergeldes zustehe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Juni 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. August 2011 zu seinen Gunsten Teilkindergeld für den Zeitraum Mai 2010 bis August 2011 für P. festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung zur sog. Familienbetrachtung fest.
Gegen den der Klage stattgebenden Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2012 hat die Beklagte die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt. Sie hat sich zugleich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt. Eine entsprechende Erklärung hat auch der Kläger abgegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Kindergeldakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte mit E...